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Das geheim verhandelte Freihandelsabkommen TTIP gefährdet die Demokratie

„Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“, schwärmte Angela Merkel im Februar 2013 vor dem Bund der Deutschen Industrie. 1 Was motiviert die deutsche Bundeskanzlerin zu solch einer Aussage? Es ist die Aussicht auf mehr Wachstum und Arbeitsplätze. In der dann größten Freihandelszone der Welt mit weit mehr als 800 Millionen Einwohner/innen werden heute schon rund die Hälfte des globalen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet und ein Drittel des Welthandels bestritten.

Von Roman Huber, Mehr Demokratie München

Die Einschätzungen der Vorteile, die so ein Abkommen bringt, driften naturgemäß weit auseinander. Die Europäische Kommission selbst rechnet bis zum Jahr 2027 mit einem Wachstum des realen Einkommens der EU von bis zu 0,48 Prozent.2 Es geht also um eine gewisse, eher geringe Einkommenssteigerung in zehn Jahren. Dagegen sind die Nachteile abzuwägen. Hier kommt Mehr Demokratie ins Spiel.

Wirtschaft oder Staat, wer entscheidet?

Nun, es geht um weit mehr als freien Handel und Investitionsschutz. Wenn dieses Abkommen in Kraft tritt, verschiebt sich damit das heute schon schiefe Machtverhältnis zwischen den großen transnationalen Konzernen und den Staaten weiter in die falsche Richtung. Die Wirtschaft erzeugt nach wie vor die Grundlagen unseres Lebens. Es kann also nicht darum gehen, „wirtschaftsfeindlich“ zu sein. Es geht darum zu überlegen, wie Wirtschaft gestaltet wird. Zudem sollten die Interessen der Großkonzerne nicht mit den Interessen der hunderttausenden kleinen und mittelständischen Betriebe verwechselt werden.

In Europa haben wir uns für das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft entschieden, dies ist auch in den europäi- 1 zitiert nach: „Die Welt“ vom 2. Februar 2013: „USA und EU forcieren gigantische Freihandelszone“. 2 Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR 2013). Wir fordern Volksabstimmungen über das TTIP und vergleichbare Abkommen! schen Verträgen so festgelegt (EUV Artikel 3, Absatz 3). Das Wesen dieses Wirtschaftssystems ist, dass der Staat den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft definiert, also die Spielregeln bestimmt und einen sozialen Ausgleich schafft. Das Grundgesetz definiert wiederum in Artikel 20 die entscheidenden Ordnungsprinzipien für den deutschen Staat: Demokratie, Sozialund Rechtsstaatlichkeit. Das Abkommen würde – zum aktuellen Verhandlungsstand – diese Grundlagen unseres Zusammenlebens empfindlich verletzen. Deshalb mischt sich Mehr Demokratie ein. Es geht um mehr als Chlorhühnchen, Gentechnik oder Hormonfleisch.

Konzernklagen: Gefahr für den Rechtsstaat

Besonders kritisch ist das Investitionsschutzkapitel des Abkommens mit dem sogenannten Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (ISDS). Dieses Verfahren erlaubt Konzernen, vor einem „Schiedsgericht“ zu klagen, wenn sie ihre Gewinnerwartung durch politische Entscheidungen eines Staates verletzt sehen. Konzerne selbst können nicht verklagt werden. Solche „Schiedsgerichte“ sind keine Gerichte im herkömmlichen Sinne. Sie bestehen ausschließlich aus Anwälten, die in einem Prozess die Rolle des Kläger-Anwalts, im nächsten Verfahren die Rolle des Anwalts der Beklagten, und ein anderes Mal die Rolle des Richters übernehmen. Eine exklusive Minderheit von hoch bezahlten Rechtsexpert/innen entscheidet also über Entschädigungen in Milliardenhöhe – die Steuerzahler/innen dann bezahlen müssen. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich, Berufungsmöglichkeiten gibt es nicht. Auf eine solche Investitionsschutzklausel in einem anderen Abkommen beruft sich heute schon Vattenfall – und verklagt derzeit Deutschland auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz für den Atomausstieg. Erfunden wurde diese Gerichtsverfahren, um Investitionen in Staaten mit fehlender oder nicht unabhängiger Gerichtsbarkeit zu schützen. Dies trifft weder auf die USA

Gefahren für die Demokratie

a) Fehlende Transparenz Die Verhandlungen finden zwischen der EU-Kommission, vertreten durch den Handelskommissar, und dem US-Handelsministerium statt. In der EU haben weder die Mitgliedsstaaten noch die anderen Mitglieder der EU-Kommission noch gar die Abgeordneten von Europaparlament und nationalen Parlamenten Einblick in die Verhandlungsdokumente. Der Skandal dabei: Einige hundert Industrielobbyist/innen verfügen dagegen über einen exklusiven Zugang zu den Verhandlungen und können ihre Interessen direkt in den Vertrag einbringen. Die EU-Kommission will die Verhandlungen geheim abschließen und den Parlamenten dann nur noch die Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung lassen. Nach dem Motto: Friss Vogel oder stirb! Wir kennen dies bereits von der Eurorettungspolitik.

b) Parlamente werden systematisch geschwächt Das könnte auch anders laufen. In den USA versucht Präsident Barack Obama seit Monaten, für seine handelspolitische Agenda die sogenannte „Fast Track Authority“ vom Kongress zu bekommen. 3 Der US-Kongress hat nämlich das Recht, bei Handelsabkommen mitzureden. Wenn ein Verhandlungsergebnis in Form eines fertigen Vertragsentwurfes vorliegt, kann er den Entwurf Punkt für Punkt durchgehen und der Regierung Nachverhandlungsaufträge erteilen. Das verzögert unter Umständen natürlich die Verabschiedung – jedenfalls dann, wenn die Regierung die Wünsche der Abgeordneten im Verhandlungsprozess nicht berücksichtigt. Um das zu vermeiden, kann sich die Regierung die sogenannte „Fast Track Authority“ bewilligen lassen – dann verzichtet der Kongress auf diese Rechte und ist einverstanden, dass er am Ende einen Vertragsentwurf bekommt, den er nur in Gänze annehmen oder ablehnen kann. Obama hätte dies gerne, aber er bekommt es nicht. Fast Track ist in Europa der Normalfall, in Brüssel wie in Berlin.

c) Wirtschaftslobby künftig Co-Autor der Gesetzgebung? Hinter dem Stichwort „regulatorische Kooperation“ verbirgt sich ein weiteres Demokratieproblem. Das TTIP könnte die Art und Weise, wie in der EU Gesetze und Regulierungen verabschiedet werden, fundamental verändern: Lange bevor Parlamente bestimmte Vorschläge zu Gesicht bekämen, hätten USRegierung und Unternehmen weitreichende Konsultations- und Einflussmöglichkeiten. US- und EU-Lobbyverbände wie die American Chamber of Commerce und Business Europe sprechen hierzu Klartext: „Interessengruppen würden mit Regulierern zusammen an einem Tisch sitzen, um gemeinsam Gesetze zu schreiben.“4 Wer schon ganz zu Beginn dabei ist, hat natürlich die besten Chancen, bestimmte Prozesse in seinem Sinne zu beeinflussen oder gar zu verhindern.

TTIP und Volksentscheide

Die Ergebnisse eines solchen Abkommens – neben TTIP geht auch vom CETA-Abkommen, das derzeit mit Kanada verhandelt wird, eine ähnliche Gefahr aus – sind kaum mehr zurückzudrehen und betreffen gleichzeitig unmittelbar das Leben von Millionen von Menschen. Die TTIP-Bestimmungen werden für alle Ebenen bindend sein (EU, Bund, Länder, Gemeinden); damit werden ganze Politikfelder dem Einfluss der gewählten und demokratisch legitimierten Politik und auch Volksentscheiden entzogen. Bevor das Abkommen in Kraft tritt, muss das europäische Parlament zustimmen, zudem müssen es vermutlich auch die einzelnen Mitgliedsstaaten ratifizieren. Das geschieht in der Regel durch die Parlamente, in einzelnen Ländern sind aber auch Volksentscheide möglich. Wird der Vertrag von nur einem EUStaat nicht ratifiziert, ist er gescheitert. Mehr Demokratie fordert einen Volksentscheid in Deutschland über TTIP. Ein so weit gehender Vertrag braucht die Zustimmung aller Bürger/innen! /

Referenzen:

3) Jürgen Maier: „Freihandelsabkommen – Die Entmachtung der Parlamente“, Eröffnungsrede beim 2. Zivilgesellschaftlichen Außenwirtschaftsforum in Berlin am 24. Februar 2014, abrufbar unter http://tinyurl.com/juergenmaier.

4) Pia Eberhardt: „Weniger Demokratie wagen?“, in: „TTIP: No We Can’t“, abrufbar unter http://tinyurl.com/no-ttip


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