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Der patentierte Schwensch



Gentechnik wird in erster Linie in Verbindung gebracht mit herbizidresistenten Sojapflanzen und Insektengift produzierenden Maispflanzen. Doch bereits stossen die Forscher in ganz neue Bereiche vor, wo nichts mehr vor Genmanipulation gefeit scheint.

von Bruno Heinzer, Gentech-Kampagne Greenpeace

Nachdem bereits vor einigen Jahren erste Mischwesen aus Kühen, Schafen und Ziegen den Labors der Klon- und Chimärenforscher entsprungen sind, erlebt die Gentech-Forschung heute eine neue, noch unappetitlichere Wendung. Wird das vom europäischen Patentamt (EPA) im Februar 1999 erteilte Patent EP 380646 in die Tat umgesetzt, könnte der Biss in eine Schweinshaxe bald zum kannibalistischen Akt werden.

Mit der Bewilligung an die australische Firma AMRAD, mit welcher der Schweizer Gentech-Konzern Ares-Serono einen Zusammenarbeitsvertrag unterhält, wurden nämlich geradezu ungeheuerlich anmutende Vorgänge patentiert: «Verfahren zur Erzeugung von Misch-Embryonen. ...wobei die tierischen Embryos von Mäusen, Vögeln, Schafen, Schweinen, Rindern, Ziegen oder Fischen und die embryonalen Stammzellen von Menschen, Mäusen, Vögeln, Schafen, Schweinen, Rindern, Ziegen oder Fischen stammen.» Noch einen Schritt weiter ging die mit Novartis liierte BioTransplant. Sie brachte laut ihrem Antrag Tier-Mensch-Chimären bereits zum Leben: «Die menschlichen Fötalzellen wurden verschmolzen mit gentechnisch aktivierten, entkernten Schweine-Eizellen» Eine angefügte Tabelle zeigt, dass diese «Schwenschen» mindestens bis zum 32-Zell-Stadium gewachsen sind.

Solche Frankenstein-Geschöpfe bilden nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Am EPA in München, das für Patenterteilungen in ganz Europa, inklusive Schweiz zuständig ist, sind bereits Tausende von Patenten auf Lebewesen angemeldet, über 2000 auf menschliche Gene, 600 auf Tiere und über 1500 auf Pflanzen. Hunderte davon wurden bereits erteilt. Kartoffeln mit Rattengenen, Schweine mit Menschenblut, Tier-Mensch-Mischwesen - nichts ist sicher vor der Bastelwut und Raffgier der Gentech-Industrie. Ein Zitat aus einem Monsanto-Patentantrag bringt die Allmachtsphantasien der Gen-Bastler ungeschminkt zum Ausdruck: «Die Gentechnik öffnet uns die Tür zur genetischen Vorratskammer, da sie es möglich macht, nicht nur genetische Merkmale der eigenen Art in Pflanzen einzubringen, sondern irgendein Gen das irgendwo im gewaltigen Gen-Pool allen Lebens dieser Welt zu finden ist!»

Mit der Möglichkeit, Gene von einem in ein anderes Lebewesen einzubauen, ist ein wahrer Goldrausch ausgebrochen. Mittels Patenten steckt sich die «Life Science»- Industrie möglichst weiträumige Claims ab, um sich künftige Milliardengewinne zu sichern. Als patentierbares biologisches Material gilt dabei alles, was kreucht und fleucht, genetisch beschrieben, analysiert und manipuliert werden kann - von der Mikrobe über Heilpflanzen bis zum Menschen. Entsprechend breit reichen die Patentansprüche, mit denen Bauern, Ärzte, Patienten und Konsumenten in ein Netz von neuen Abhängigkeiten eingesponnen werden. Die Behörden geben dem Druck willfährig nach und weiten die Patentierbarkeit systematisch von Glühbirnen und Maschinen auf Lebewesen aus.

Dabei werden Patente auf Verfahren und damit hergestellte Lebewesen beantragt, deren Verwendungszweck noch völlig im Dunkeln liegt. Aber wer weiss, vielleicht bohrt man ja zufällig eine Goldader an? Dass dadurch Forschung und Entwicklung tatsächlich behindert werden, zeigt ein aktueller Fall von Craig Venters Firma Human Genome Sciences: Sie erhielt ein Patent auf ein Gen, von dem nachträglich bekannt wurde, dass es zur Behandlung von HIV Erkrankungen wichtig sein könnte. Jetzt will die Firma die weitere Forschung mit diesem Gen mit Hilfe ihres Patentes kontrollieren, obwohl sie zum Zeitpunkt der Patentanmeldung von dieser konkreten Verwendung des Genes nichts wusste.

Über die Absicht, die hinter der (Fliessband-)Produktion von menschenähnlichen Chimären-Wesen steckt, kann nur spekuliert werden. Vielleicht möchte man lebende Organ-Ersatzteillager zur Verfügung haben, die nicht den gleichen gesetzlichen Schutz geniessen, wie Menschen oder menschliche Embryonen. Und die Produktion von Stammzellen aus geklonten menschlichen oder - so gut wie - menschlichen Embryonen wäre eine wahre Goldgrube.

Jeden Monat kommen am EPA derzeit etwa 40 weitere Anträge auf Lebewesen hinzu. Gemeinsames Merkmal dieser Anträge ist, dass die Patentansprüche weit über das hinausgehen, was erfunden werden kann. Dies obwohl gemäss Europäischem Patentübereinkommen (EPÜ) nur Erfindungen, nicht aber Entdeckungen patentierbar sind. Das Patentamt, das laufend solche Patente gut heisst, verstösst systematisch gegen dieses Übereinkommen, das nicht nur Patente auf Tierarten und Pflanzensorten verbietet, sondern auch solche, die gegen die guten Sitten verstossen. Ein Patent auf die Herstellung von Chimären-Embryos beispielsweise verstösst ganz klar gegen ethische Grundwerte. Nachdem Greenpeace im Oktober 2000 den «Schwensch»-Skandal enthüllt hatte, brach denn auch ein Sturm der Entrüstung aus. Sogar der EPA-Sprecher Rainer Osterwalder sagte dazu: «Einen Mensch-Schwein-Zwitter kann man aus ethischen Gründen gar nicht patentieren lassen.»

Was die Äusserungen des EPA wert sind, zeigte sich bereits einen Monat später, als ruchbar wurde, dass das Amt ein ebensolches, «unethisches» Patent auf Mischwesen bereits im Februar 1999 erteilt hatte. Und ein zweites, auf Kuh-Mensch-Chimären, die bereits im Labor über einen längeren Zeitraum, bis zu einem Stadium von 400 Zellen, gezüchtet worden waren, kurz vor der Erteilung steht. Der Zeitpunkt, wo es aus grundsätzlichen Gründen hätte zurückgewiesen werden müssen ist längst überschritten. Die Äußerung des EPA-Präsidenten Ingo Kober im November, das Amt fühle sich nicht durch ethische Grenzen gebunden, ist also bitter ernst zu nehmen. Auch die Patente auf menschliche Embryonen und menschliche Organe, die das EPA im vergangenen Jahr an Novartis, respektive die mit Novartis liierte BioTransplant erteilt hat, lassen darauf schliessen, dass sowohl Industrie wie auch Patentamt sämtliche ethischen Schranken fallengelassen haben. Der Novartis-Patent-Leiter Konrad Becker räumte im Kassensturz vom 16. Mai dazu freimütig ein: «Mit dem Patentantrag wollten wir verhindern, das uns Drittfirmen konkurrenzieren. Es ging dabei nur um den Profit...»

Das Schlimmste daran: die politischen Vertreter leisten solchem Treiben Vorschub, statt ihre Kontroll-Verantwortung wahrzunehmen. Liegt es wohl daran, dass das EPA eine veritable Geldmaschine ist, an der auch die daran beteiligten Staaten mitverdienen? Auf die Bundesrätin Ruth Metzler gestellte Frage, ob die Schweizer Regierung gegen das vom EPA erteilte Chimären-Patent einzuschreiten gedenke, kam die äusserst lakonische Antwort aus dem Bundeshaus: «...Die Schweiz ist im Moment nicht in der Situation, in der wir die Auffassung vertreten, dass wir aktiv intervenieren müssten oder sollten.“ (Originalton Metzler, 4.12.00) Diese passive Haltung ist umso stossender, da Bundesrätin Metzler bewusst ist, dass angesichts der bereits verfallenen Einsprachefrist von 6 Monaten, einzig die Regierungen der EPÜ-Staaten dieses eindeutig gegen die guten Sitten verstossende Patent gerichtlich anfechten können. Dies hat sie in ihrem Schreiben sogar eingeräumt.

Bereits im März kamen ähnliche Töne aus Bern: «Der Bundesrat sieht keine Veranlassung zu einem Einspruch der Schweiz gegen das unrechtmässig erteilte europäische Patent...» dies die Antwort von Bundesrätin Ruth Metzler auf die von Nationalrätin Ruth Gonseth eingereichte Frage zu einem offensichtlich illegal erteilten Patent auf menschliche Embryonen, das sogar das EPA selbst als «Fehler» bezeichnet hatte. Auch die anderen EPÜ-Vertragsstaaten rühren keinen Finger, sondern decken die eigenmächtige Uminterpretierung des Patentübereinkommens durch das Münchner Amt. An der im vergangenen November nach München einberufenen und vom Schweizer Roland Grossenbacher präsidierten Vertragsstaatenkonferenz, wurde die Chance nicht wahrgenommen, das EPA in die gesetzlichen Schranken zu weisen. Die Regierungsdelegationen inklusive Schweiz, weigerten sich, das Thema Patente auf Leben überhaupt auf die Agenda zu setzen...

Weltweit sollen offenbar die ethischen Grenzen aufgeweicht werden, damit die Gentech-Industrie Leben schrankenlos vermarkten kann. In der Schweiz steht in den nächsten Monaten die Revision des Patentgesetzes an, in der EU soll eine neue Patent-Direktive umgesetzt werden. Beide zielen darauf ab, die Patentierung von Pflanzen, Tieren und Menschen noch mehr zu erleichtern. Und auch auf globaler Ebene soll Leben zum Besitz von Privatkonzernen werden. Das WTO/TRIPS-Abkommen über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte, das bereits hätte umgesetzt werden sollen, verpflichtet alle WTO-Mitgliedsländer, die Patentierbarkeit von Lebewesen, Heilmitteln und traditionellem Wissen im nationalen Gesetz zu verankern.

Doch es regt sich auch Widerstand: Die Afrikanischen Staaten wehren sich gemeinsam gegen die Umsetzung des TRIPS-Agreements und wollen es neu verhandeln. Auf europäischer Ebene haben Italien, Holland und Norwegen die neue EU-Patent-Direktive am Europäischen Gerichtshof angefochten und erst 4 von 15 EU-Staaten haben die von der EU-Kommission bereits verabschiedete Richtlinie umgesetzt. Eine breite internationale Allianz von Umwelt-, Aerzte-, Bauern-, kirchlichen und Entwicklungsorganisationen hat zusammengefunden, um gegen die Patentierung von Leben im TRIPS-Abkommen oder in der neuen EU Patentdirektive zu kämpfen. In der Schweiz wurden mehr als 800'000 Protestpostkarten in Umlauf gesetzt, die Bundesrätin Metzler auffordern, sich gegen Patente auf Pflanzen, Tiere, Menschen und deren Gene einzusetzen. Ein Schaf ist keine Neonlampe und ein Mensch kein Automotor. Unsere Kinder sollen auch in Zukunft noch einen Unterschied zwischen Lebewesen und Maschinen feststellen können.

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