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Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) – für Norwegen eine Knacknuss

Nach 13 Jahren norwegischer Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), sind die demokratischen Mängel dieses Vertragswerkes offensichtlicher denn je. Die norwegische Organisation „Nein zur EU“ ist nun daran, eine gründlich Analyse des Regelwerks und seiner Folgen vorzunehmen sowie Alternativen zu analysieren.

Von Morten Harper, Forschungsverantwortlicher, Nein zur EU, morten.harper@neitileu.no

Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR), der am 1. Januar 1994 in Kraft trat, hat sich als von viel grösseren Reichweite erwiesen, als dies von der Regierung anlässlich der Ratifizierung des Vertrags im norwegischen Parlament dargestellt wurde. Der EWR hatte in den 13 Jahren seiner Anwendung Politikbereiche betroffen, die verschiedenen Parteien Norwegens sehr am Herzen lagen, z.B. die Alkoholpolitik der Christlichen Volkspartei, die Regionalpolitik der Bauernpartei, die Umwelt- und Bürgerrechtspolitik der Sozialistischen Linkspartei und die Industriepolitik der Arbeiterpartei. Das macht aus dem EWR für Norwegen eine richtige Knacknuss.

Was der EWR ist – und was er nicht ist

Der EWR ist ein Vertrag zwischen der EU und drei EFTA-Ländern – Norwegen, Island und Liechtenstein. Der EWR integriert Norwegen in den EU-Binnenmarkt, während die übrigen Politikfelder der EU nicht betroffen sind. Der EWR ruht auf denselben Prinzipien wie die EU: freier Warenverkehr, freier Verkehr von Dienstleistungen, Investitionen und Arbeit. Die EU-Gesetzgebung ist auf alle Gebiete anzuwenden, die durch den Vertrag abgedeckt werden – inklusive Wettbewerb und öffentliche Subventionen. Die Regulierungen, die dem EWR gemäss implementiert werden, haben Vorrang vor der norwegischen Gesetzgebung. Zusätzlich zum Kerngebiet des Binnenmarktes umfasst der EWR etliche weniger kontroverse Zusammenarbeitsgebiete wie Forschung, Erziehung, Umwelt, Kultur und Tourismus.

Mittels des EWR sind norwegische Experten in den EU-Ausschüssen vertreten, welche die neue Binnenmarkt-Gesetzgebung der EU vorbereiten, wobei sie keine Entscheidungsbefugnisse haben (Konsultationsrecht). Die neue Gesetzgebung wird im EWR nur implementiert, nachdem sowohl die EU als auch die betroffenen EFTA-Länder dieser zugestimmt haben. Alle drei EWR-EFTA-Länder müssen zustimmen. Dies bedeutet, dass im Prinzip Norwegen verlangen kann, dass es von den Regulierungen ausgenommen ist.

Zudem sind die Entscheidungen des EWR-Ausschusses – in dem sich die EU, Norwegen, Island und Liechtenstein beraten – formell für norwegischen Bürgerinnen und Bürger nicht bindend, bevor sie ins norwegische Recht umgesetzt wurden. Regulierungen, die in den Mitgliedstaaten direkt anwendbar sind (Verordnungen), müssten wortwörtlich in norwegisches Recht übernommen werden. Die Umsetzung von Richtlinien hingegen verlangen nicht den exakt identischen Text, müssen aber die Ziele und die Substanz des neuen Gesetzes respektieren. Empfehlungen und Verlautbarungen der EU-Kommission sind für Norwegen im Allgemeinen nicht bindend, aber die norwegischen Behörden müssen in manchen Fällen diesen ebenfalls folgen.

Der Binnenmarkt ruht nicht nur auf identischen Regeln, auch die Umsetzung dieser Regeln soll so einheitlich wie möglich erfolgen. Die EFTA-Überwachungsbehörde (EFTA Surveillance Authority; ESA) überwacht die Umsetzung in den drei EFTA-Ländern. Die ESA kann, auf Eigeninitiative hin oder auf Grund einer Klage, den Länder vorschreiben, ihre Gesetzgebung oder ihre Praxis zu ändern. Wenn ein Land sich den Anforderungen der ESA nicht fügt, kann der Fall dem EFTA-Gerichtshof für eine endgültige Entscheidung vorlegt werden. Die Regierungen der drei Mitgliedstaaten haben ebenfalls die Möglichkeit, Entscheidungen der ESA vor den Gerichtshof zu bringen.

Zusammenfassend besteht der EWR aus:
● dem freien Handel von Gütern (Ausnahmen gibt es für Fischerei und Landwirtschaft) und dem freien Verkehr von Investitionen, Dienstleistungen und Arbeit.
● gemeinsamer Wettbewerbspolitik (betrifft damit auch öffentliche Subventionen und öffentliche Monopole) und Harmonisierung des Unternehmerrechts.
● enger Zusammenarbeit in der Transportpolitik.
● einer gemeinsamen Veterinärpolitik (aber mit verbleibenden Zöllen auf Agrargütern).
● Zusammenarbeit in Umweltpolitik, Forschung, Konsumentenschutz und Sozialpolitik.
● einem konsultativen Verfahren, in dem die drei EFTA-Länder zur künftigen EU-Gesetzgebung bezüglich des EWR befragt werde.
● einem gemeinsamen Entscheidungsverfahren, in dem die EWR-Regeln einstimmig von der EU und den drei EFTA-Staaten gebilligt werden müssen.
● eigenen EWR-EFTA-Institutionen (Überwachungsbehörde und Gerichtshof).
● einem Finanzausgleich – Kredite und Zuschüsse – um die wirtschaftliche Entwicklung in der EU zu fördern. Norwegen zahlt jährlich ungefähr 300 Million Euro, um beim EWR dabei zu sein.

Trotzdem ist der EWR nicht mit einem EU-Betritt zu vergleichen. Der EWR umfasst z.B. folgende Bereiche nicht:
● die Aussenhandelspolitik der EU.
● die gemeinsame Agrarpolitik der EU (CAP).
● die Fischerei.
● die Wirtschafts- und Währungsunion (EMU), einschliesslich des Euros.
● die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik.

Statistiken der jährlichen EU-Berichte und des EFTA-Sekretariats zeigen, dass die EU von 1997-2003 insgesamt 11 511 Verordnungen und Richtlinien erliess. 2 129 davon wurden im EWR während der gleichen Zeit implementiert – ungefähr 20 % also. Es ist zudem möglich, bei einer Kündigungsfrist von nur einem Jahr den EWR zu verlassen. Zusätzlich zum EWR ist Norwegen mittels des Schengen-Abkommens mit der EU-Polizei und Justizzusammenarbeit assoziert. Norwegen nimmt an der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESDP) der EU nicht teil, hat sich aber verpflichtet, menschliche und andere Ressourcen einer der EU-Kampf-Gruppen (battle-groups) zur Verfügung zu stellen.

Wohlstand ausserhalb der EU

Vor dem norwegischen EU-Beitrittsreferendum im Jahr 1994 wurden viele Ängste geschürt, und eines der wichtigsten Argumente für die EU-Beitrittsbefürworter war wirtschaftlicher Art: ausserhalb der EU würden die Betriebe das Land verlassen, wir würden Arbeitsplätze verlieren und das Durchschnittseinkommen würde sinken. Diese Drohungen waren natürlich völlig verfehlt. Heute ist die norwegische Wirtschaft gesünder als je und die Arbeitslosenrate beträgt gemäss den offiziellen Statistiken nur 2,5 %. Die Ablehnung des EU-Beitritts in der Norwegischen Bevölkerung hat seit der Abstimmung denn auch zugenommen. Monatliche Umfragen zeigen für die letzten drei Jahre eine klare Mehrheit gegen einen EU-Beitritt: 8-9 % trennen gewöhnlich die Nein- und die Ja-Sager.

Manche behaupten, der Wohlstand Norwegens sei dem EWR zuzuschreiben. Nein zur EU teilt diesen Standpunkt nicht, auch wenn die Opposition zum EWR mehr durch Fragen wie Demokratie, Umwelt, Konsumentenschutz, Arbeitsbedingungen und Wohlfahrt bedingt sind. Eine Studie des staatlichen statistischen Amtes (SSB) veranschlagt das gesamte Einkommen, das den Handelsregulierungen EWR und WTO zuzuschreiben ist, auf 0,77 % des Volkseinkommens. Das entspricht etwa dem Wachstum der norwegischen Volkswirtschaft in drei Monaten.

Es ist sogar möglich, dass rein ökonomisch betrachtet, der EWR ein schlechtes Geschäft ist. Zählt man Rappen, so sind die Nachteile des EWR am offensichtlichsten bei der Erdöl- und Gasförderung. Durch die obligatorische öffentliche Ausschreibung von Fördererlaubnissen bedeutet die entsprechende EU-Richtlinie, dass norwegische Vertragspartner Marktanteile verlieren und dass dadurch norwegisches Know-how und Forschungspotential verloren gehen. Die Gasmarktrichtlinie hat als Ziel, die Käufer von Gas zu stärken und die Preise zu senken. Daraus resultiert ein Einkommensverlust für den norwegischen Staat.

Im EWR ist der Export von Fischen in die EU durch tiefere Zölle belastet. Dieser Vorteil ist jedoch ziemlich bescheiden. Im EWR betragen die Zölle auf Fisch 2-3 % des Verkaufswertes. Ohne EWR würden sich diese Zölle – im schlimmsten der Fälle - auf 5 % belaufen. Das ist ein Anstieg, der weniger als 120 Millionen Euro betragen würde und der durch die Regierung leicht durch tiefere Steuern auf der Arbeit in diesen Sektoren kompensiert werden könnte. Um die tiefern Zölle zu erhalten, musste Norwegen zudem der EU höhere Fischfangquoten in norwegischen Gewässern gewähren.



Der Mangel an Demokratie

Weitere Vorteile des EWR sind wenige und begrenzt: Wir haben ein formalisiertes Konsultationsverfahren bei der Weiterentwicklung des EU-Rechts in den betroffenen Bereichen und wir sind schneller und leichter bei den neuen, von der EU lancierten Programmen für Kultur, Erziehung und Forschung dabei. Natürlich müssen wir für diese Teilhabe zahlen. Wir waren vor dem EWR-Beitritt in ähnlichen Programmen dabei und wir wären vermutlich mehr als Willkommen, auch ausserhalb des EWRs dabei zu sein.

Nein zur EU glaubt – in Anbetracht aller Gesichtspunkte – dass Norwegen ohne EWR besser dran wäre. Wir bedauern insbesondere den Mangel an Demokratie im Vertrag. Die EWR-Gesetzgebung und ihre Umsetzung, die durch die sehr eifrige ESA in Brüssel kontrolliert wird, beeinträchtigt und begrenzt die Politik auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Wir sehen drei hauptsächliche demokratische Defizite des EWR:
● Der so genannt dynamische Charakter des EWR, der bedeutet, dass sich die Substanz des Abkommens ständig weiterentwickelt.
● Der EWR ist sehr einseitig. Er wird durch Entscheidungen und die Gesetzgebung der EU verändert, während ähnliche Entscheidungen in Norwegen oder einem anderen EFTA-Staat den Vertrag nicht beeinflussen.
● Der EFTA-Gerichtshof berücksichtigt offenbar die Erwägungen und Anliegen der EFTA-Partner nicht wirklich. In einem neuen norwegischen Rechtsfall bezüglich des Heimfalls von Wasserkraft, waren sich Norwegen und Island einig, dass diese Frage ausserhalb des Bereichs der EWR-Gesetzgebung falle. Dies beeindruckte den Gerichtshof in keiner Weise und er entschied zu Gunsten der Klage der ESA. Der Fall zeigt deutlich, dass der EWR politische Macht von den Behörden der Mitgliedstaaten zur ESA und dem Gerichtshof verschoben hat.

Nicht nur Nein zur EU kritisiert das Demokratiedefizit des EWRs. Die pro-EU-Organisation „Europäische Bewegung“ beschreibt den EWR als eine Fax-Demokratie und "Verpflichtungen ohne Einfluss". Sie ziehen natürlich aus dieser Tatsache andere Schlussfolgerungen als wir. Allerdings würden wir durch den EU-Beitritt noch mehr von dem erhalten, was wir schon im EWR haben.

Ohne Vorbehalt?

Als der EWR 1992 ausgehandelt wurde, wurde er vom politischen Establishment als vorübergehendes Arrangement betrachtet, das bald von der EU-Mitgliedschaft abgelöst werden sollte. Nach der Ablehnung des EU-Beitritts im Jahr 1994 wurde der EWR hingegen von jeder Regierung stärker als dauerhaftere Lösung angesehen. Das hat die demokratischen Probleme dieses Weges sichtbarer bemacht. Ein grosser Teil der Analyse, auf welcher das Parlament seine EWR-Entscheidung basierte, hat sich seither als falsch oder irrelevant erwiesen.

Die Vorbehaltsklausel wurde nie angewandt. Die Regierung des Jahres 1992 – angeführt durch die Premierministerin Gro Harlem Brundtland – betonte, diese Klausel garantiere die politische Freiheit der norwegischen Behörden hinsichtlich künftiger EU-Gesetzgebung. Die Notbremse wurde aber nie gezogen, obwohl dies mehrmals von verschiedenen Parteien und Interessengruppierungen verlangt wurde, z.B. hinsichtlich der Nahrungsmittelzusatzrichtlinie, Biopatenten und der Gasmarktrichtlinie.

Die gleiche Regierung garantierte der Bevölkerung, dass der EWR den Heimfall von Wasserkraft nicht tangiere. Dies wurde explizit und schriftlich festgehalten in einer Antwort an das Parlament. (St.prp. nr. 100 (1991-92)). Trotzdem entschied der EFTA-Gerichtshof im Juni dieses Jahres (2007), dass das norwegische Heimfallsystem die EWR-Regeln der freien Niederlassung (Artikel 31) und Investitionen (Artikel 40) verletzte. Die Folge davon ist vermutlich ein Verlust von Milliarden für norwegischen Gemeinden und Bezirke. Der Heimfall ist ein Jahrhunderte altes Prinzip in Norwegen und es garantierte den öffentlichen Besitz von Wasserkraft-Energie-Ressourcen – auf unglaubliche 120 Milliarden Euro Wert geschätzt – und an Wert immer noch zunehmend, da die Nachfrage nach CO2-freier Energie steigt. Die Heimfallregel sagt, dass ein privates Kraftwerk dem Staat nach 60 Jahren ohne Abgeltung zurückgegeben werden muss. Werden die Kraftwerke jedoch von lokalen Gebietskörperschaften besessen, so gilt diese Regel nicht. Ungefähr 87 % der Wasserkraft sind heute im Gemeinbesitz. Der Heimfall macht es für private Investoren weniger interessant, Wasserkraft zu kaufen, was zu einer allmählichen Nationalisierung der Energieprodution führt.

Die ESA verklagte Norwegen beim EFTA-Gericht und behauptete, dass die Regelung eine illegale Diskriminierung von privaten Besitzern darstelle. Entweder müsse der Heimfall abgeschafft werden oder auch öffentliche Besitzer wie Gemeinden und Bezirke betreffen. Ein Heimfall für lokale und regionale Wasserfälle würde wahrscheinlich zu einem Ausverkauf der Wasserkraft führen, da der Wert der Wasserkraftwerke wegen des nahenden Heimfalls jedes Jahr sinken würde. Für Gebietskörperschaften mit knappen Budget wäre es verführerisch, die Ressourcen zu verschachern. Die potentiellen Käufer wären vor allem ausländische Firmen, da private norwegische Firmen das dazu nötige Kleingeld nicht zur Verfügung hätten.

Der EFTA-Gerichtshof entschied zu Gunsten der ESA und verwarf die norwegische Haltung, dass das Thema ausserhalb des Anwendungbereichs des EWRs liege, da der EWR Eigentumsregeln nicht betreffe. Der Gerichtshof entschied, dass die Ziele der Gesetzgebung – Energieproduktion und Umwelt – haltbar seien, dass das vorliegende System aber nicht geeignet sei, diese zu erreichen und dass es mehrere Ungereimtheiten bei der Umsetzung gebe. Die norwegische Regierung hat in diesem Herbst ein leicht verändertes Systems angenommen – unter Wahrung der wesentlichen bisherigen Prinzipien. Die Regierung behauptet, damit würden die Anforderungen des Gerichts erfüllt. Das neue System wird zur Zeit wiederum von der ESA überprüft. .

Heisse Fragen

Dem Parlament wurde anlässlich der EWR-Abstimmung versprochen, der EWR würde keine Auswirkungen auf die Alkoholpolitik Norwegens haben. Bis dahin hatte es in Norwegen eine breite Unterstützung für eine ziemlich restriktive Politik gegeben, um den Konsum zu regulieren. Diese Frage lag – und liegt – einer der Parteien, die hauptsächlich für den EWR eintraten, der Christlichen Volkspartei besonders am Herzen. Diese Partei ist gegen EU-Mitgliedschaft, aber für den EWR. Wegen des EWRs wurde das öffentliche Alkoholmonopol jedoch abgeschafft und das Alkoholwerbeverbot wird neuerdings ebenfalls von der ESA angegriffen.

Dem Parlament wurde damals auch versichert, der EWR umfasse Steuerfragen nicht. Der ESA hat jedoch mehrmals geklagt und hat Norwegen gezwungen, die Steuergesetzgebung im Arbeits- und Umweltrecht zu ändern. Die ESA untersucht augenblicklich eine Umweltsteuer auf nicht wiederverwendbaren Büchsen und Flaschen. Wenn diese Steuer abgeschafft werden muss, wird nicht nur der Abfallberg wachsen. Die Steuer hatte nämlich für gesunde Wettbewerbsbedingungen für kleinere, regionale Brauereien gesorgt. Ohne die Steuer wird es weniger Brauereien geben, wodurch die Transportkosten quer durchs Land steigen werden und etliche Jobs verloren gehen.

Die Regierung behauptete 1992, dass der grösste Teil des Subventionswesens durch den EWR nicht tangiert sei. Die bisherige Erfahrung zeigt jedoch, dass der EWR den Staat diesbezüglich stark einschränkt. Im Augenblick sind in Norwegen die Energiepreise eine wichtige Frage. Bisher profitieren energieintensive Betriebe von subventionierter Energie. In Norwegen gibt es dafür eine beachtliche politische Mehrheit und man will, dass diese Politik weitergeführt wird. Die ESA betrachtet diese Politik jedoch als potentiellen Bruch der EWR-Regeln. Die Diskussion zwischen der ESA und der Regierung ist diesbezüglich im Gange.

1992 versprach die Regierungserkärung an das Parlament, dass die meisten öffentlichen Dienstleistungen durch den EWR nicht betroffen seien. Die meisten dieser Dienstleistungen haben sich jedoch seither als durch den EWR tangiert erwiesen. Im Augenblick ist die Dienstleistungsrichtlinie ein wichtiges Thema in Norwegen, die allerdings im EWR noch nicht implementiert wurde – vor allem wegen der hitzigen Debatte in Norwegen. Nein zur EU, zusammen mit mehreren Gewerkschaften, politischen Parteien und anderen Organisationen hat eine Kampagne gegen die Richtlinie initiiert. Wir befürchten, dass die Richtlinie zu schlechteren Arbeitsbedingungen, der Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften, der Verminderung der Dienstleistungsqualität und der Übertragung von noch mehr Macht an den EFTA-Gerichtshof führt. Die Dachorganisation der Gewerkschaften – LO – hat eine umfassende Studie und öffentliche Anhörungen verlangt, bevor eine Entscheidung zu treffen sei, und etliche Gewerkschaften haben bereits verlangt, dass die Vorbehaltsklausel angewendet wird. Die Koalitionsregierung ist gespalten, mit der Arbeiterpartei, die mehrheitlich für die Richtlinie ist, während die Sozialistische Linkspartei und die Bauernpartei dagegen sind.

Alternativen

Bis zu einem gewissen Grad sind die Probleme mit dem EWR der strikten und marktversessenen Umsetzung durch die ESA zuzuschreiben. Nein zur EU möchte, dass die nationalen und lokalen Behörden die Sichtweise der ESA bekämpfen – und wenn nötig – wichtige Fragen vor den EFTA-Gerichtshof tragen. Die ESA wurde in zwei Fällen gegen Norwegen vom Gerichtshof zurückgepfiffen, z.B. in diesem Frühjahr, als das Monopol auf Spielmaschinen gebilligt und durch das legitime Interesse an der Begrenzung von Spielaktivitäten gerechtfertigt wurde.

Zugleich denken wir, dass es bessere Wege gäbe, mit der EU zusammenzuleben als der EWR. Wir haben beschlossen, nicht eine spezifische Alternative im Detail zu beschreiben, da entsprechende Verhandlungen durch die Regierung noch nicht ins Auge gefasst wurden. Wir haben jedoch einige Alternativen ins Auge gefasst, welche das Demokratiedefizit vermindern und den Handlungsspielraum Norwegens vergrössern könnten. Drei mögliche Alternativen wären:
● Neuverhandlung des EWR.
● Kündigung des EWR und Handelsbeziehung auf der Grundlage der WTO-Regeln und des Freihandelsabkommens mit der EU aus dem Jahre 1973.
● Ein neuer und ausgebauter Handelsvertrag, möglicherweise mit zusätzlichen Vereinbarungen auf dem Gebiete gemeinsamer Interessen wie der Erziehung, der Forschung, etc. Dabei wäre keine separate Überwachungsinstitution oder Gerichtsinstanz vorzusehen. Auch diese Alternative würde eine Ende des EWR bedeuten.

Nein zur EU verlangt eine gründliche Untersuchung der Konsequenzen des EWR und der möglichen Alternativen. Die Studie muss durch eine breite gefächerte Gruppe von politischen und akademischen Experten durchgeführt und in öffentlichen Hearings breit diskutiert werden. Wenn die heutige Regierung auf diese unsere Initiative nicht anwortet, werden wir versuchen, diese Fragen als Hauptfrage des Wahlkampfs von 2009 zu thematisieren.

Nein zur EU – Nei til EU – ist die norwegische Hauptorganisation, die sich gegen die EU-Mitgliedschaft Norwegens wehrt. Sie ist 13 Jahre nach dem Referendum immer noch eine der grössten politischen Organisationen Norwegens. www.neitileu.no


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