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Auswirkungen der Bilateralen am Gotthard



Fast genau ein Jahr nach der Abstimmung über die bilateralen Verträge sind bereits die von uns prophezeiten Folgen sichtbar: Die Lastwagenlawinen stauen sich vor dem Gotthard durch die ganze Schweiz, obwohl die Umsetzung des Verkehrsabkommens eben erst begonnen hat und die 300 000 40-Tonnen - Kontingente noch lange nicht alle vergeben sind. "Verkehrminister Leuenberger hat der Schweiz verkraftbare Zugeständnisse versprochen, jetzt herrscht ein Chaos", schreibt die SonntagsZeitung", die es heute schon immer kommen sah, aber damals vor der Abstimmung zusammen mit fast allen Medien wärmstens ein Ja empfahl.

von Luzius Theiler, Grüne Partei Bern

Dabei war von Anfang an sonnenklar, dass es so kommen musste - man konnte es im Europamagazin nachlesen. Mit dem Verzicht auf die noch kurz zuvor als "unverhandelbar" erklärten 28-Tonnen -Limite erhielt die Strasse auf der kürzesten Nord-Süd-Verbindung einen gewaltigen Konkurrenzvorsprung gegenüber der Bahn. Zum (auch so noch unsicheren) Ausgleich hätte es nach weitgehend übereinstimmenden Berechnungen der Umweltverbände und des Bundesamtes für Verkehr eine Transitgebühr von mindestens 600 Franken pro Lastwagen gebraucht. Demgegenüber bot die EU von Anfang an nur 300 Franken an. De "Leuenberger-Kinnock-Kompromiss" von 330 Franken wurde dann - welch ein Witz! - "als grosser Verhandlungserfolg der Schweiz" gefeiert. Nach dieser verhängnisvollen Nacht in Kloten war alles weitere vorprogrammiert. Wie erinnerlich lancierte das Forum für direkte Demokratie das grün-linke Referendum gegen die bilateralen Verträge. Es fand, ausserhalb eines kleinen Kreises idealistischer AktivistInnen und der Humanistischen Partei nüchtern beurteilt ein hundsmiserables Echo. Wie konnte es zu diesem kapitalen Versagen der grünen und linken Bewegung kommen? Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass sowohl SP wie Grüne in ihrer damaligen - heute sieht es wieder differenzierter aus, schon im Vorfeld der EU-Beitritts-Initiative haben diverse Kantonalparteien der Grünen die Nein-Parole oder Stimmfreigabe beschlossen - EUrophorie gefangen waren. Wer den EU-Beitritt als politisches Hauptziel proklamiert, muss alle Entscheide diesem Ziel unterordnen und die EU-Politik als grundsätzlich umweltverträglich deklarieren. Die liberalisierte EU-Grossraumwirtschaft, welche auf einer möglichst ungehemmten Standortkonkurrenz bei möglichst niedrigen Transportpreisen basiert, ist aber ursächlich für den Transportwahnsinn kreuz und quer durch Europa verantwortlich.

Zentrale Rolle der Alpeninitiative: Die grossen Umweltverbände, die SP und die Grünen kommunizierten vor und während der Verhandlungen, sie würden nur ein Ergebnis unterstützen, das die Umsetzung der Alpeninitiative nicht gefährdet. Doch die Referendumsdrohungen waren derart von offensichtlicher Unlust geprägt, dass sie im Bundeshaus nie ernst genommen wurden. Nach dem fatalen Kompromiss von Kloten und dessen Absegnung in den eidg. Räten kam dem Verein Alpeninitiative als Gralshüterin des grössten umweltpolitischen Erfolges in der Schweiz die Schlüsselrolle zu. Zumindest die Umweltverbände hätten einem Referendum der Alpeninitiative gegen die Bilateralen ihre Unterstützung kaum verweigern können. Der Verein Alpeninitiative zog sich, wohl unter dem Einfluss des EU-begeisterten SP-Nationalrat und Edel-Berglers Andrea Hämmerle buchstäblich aus dem Verkehr. Noch im Februar 1999 schrieb die Mititgliederzeitschrift "echo" richtig: "Die Konzessionen an die EU im Landverkehrsabkommen belasten Mensch und Umwelt in einem unerträglichen Mass und sind ein gewaltiger Rückschritt für eine ökologische Verkehrspolitik". Kurze Zeit später waren nur noch die "flankierenden Massnahmen" wichtig. Gegen das Zückerchen von 3 Milliarden zusätzlichen Subventionen für die Verlagerung der Güter auf die Schiene - also eine zusätzliche Subventionierung des EU-Transportwahnsinns gegen jedes Verursacherprinzip – verzichtete die Alpeninitiative auf ein Referendum. Am Schluss gab der Verein Alpeninitiative "keine Parole" heraus, eine Stellungnahme, welche Hämmerle gegen aussen, z.B. in der Abstimmungs-Arena des Fernsehens unverfroren als Zustimmung interpretierte. Die Mitgliederbasis des Vereins wurde weder zum Referendum noch zur Abtimmungsparole befragt. Parteien und Umweltverbände konnten sich nun mit der Aussage "wenn nicht einmal die Alpeninitiative das Referendum ergreift..." jeder inhaltich-politischen Diskussion entziehen.

Wie weiter ? Heute fordern Umweltverbände, Grüne und SP Beschränkungen der Durchfahrt und eine Korrektur des Verhandlungsergebnisses u.a. im Sinne einer Erhöhung der Transitgebühr. So etwa Alf Arnold, Geschäftsführer des Vereins Alpeninitiative im „Bund“ vom 7. April 2001: „Es ist offensichtlich, dass die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und die vom Parlament im Rahmen des Verkehrsverlagerungsgesetzes beschlossenen Massnahmen nicht genügen, um die negativen Auswirkungen der erhöhten Gewichtslimite auszugleichen“. Arnold fordert u.a. Lastwagenfahrverbote vor Feiertagen sowie bei Ferienbeginn und Ferienende. Noch radikaler äussern sich die Schweizer Grünen in einer an der letzten DV in Delémont verabschiedeten Resolution, die u.a. folgende Forderungen aufstellt: „ Die Schwerverkehrsabgabe muss ab sofort auf das Niveau der Tarife am Brenner und am Mont Cenis erhöht werden Die Lastwagen sind entsprechend der Kapazitätsgrenzen der Autobahnen und der Zölle zu kontingentieren“

Diese Begehren, so richtig und wichtig sie sind, kommen der Forderung nach partieller Ausserkraftsetzung bzw. Neuverhandlung des Transitabkommens gleich. Doch der Bundesrat durchlöchert eher die schweizerische Bundesverfassung als einen Vertrag mit der EU. Der Hinweis, dass irgendwann nach 2009, wenn die NEAT-Röhren offen sind, alles besser werde, wird zu Begründung einer "temporären" Lockerung des Nachtfahrverbotes (24-Stunden Zollabfertigung in Chiasso) und anderer Kapazitätssteigerungen der Gotthard-Strassenroute dienen! Als einzige Hoffnung bleibt eigentlich nur ein Aufstand der durch- und überfahrenen Bevölkerung aus der Urschweiz und dem Tessin. Das wäre dann allerdings der erste Aufstand unter CVP-Führung seit dem Sonderbundskrieg. Aber die CVP ist ja auf der Suche nach einem neuen Profil.

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