Bei der Debatte um die bilateralen Verträge sieht man sich, wenn man nicht in euronationaler geistiger Achtungsstellung vor diesem Vertragswerk erstarrt, wieder vermehrt dem unterschwelligen Vorwurf oder gar dem offenen Argument ausgesetzt, gemeinsame Sache mit den Rechten zu machen. Es lohnt sich deshalb im Vorfeld der (wahrscheinlichen) Abstimmung über diese Verträge, diesem Scheinargument etwas auf den Grund zu gehen. Blocher hält sich zwar bisher bezüglich der bilateralen Verträge zurück. Die folgenden Überlegungen betreffen Abgrenzungsneurosen allgemein.
Die Redaktion
Vertritt man in der EU-Debatte eine andere Meinung als die Medien oder gewisse Mittelschichten, blökt es beständig und mit gesetzesmässiger Regelmässigkeit "Blocher". Die Leier hat für die, die sie in Bewegung setzen, offensichtlich den Vorteil, sich nicht in einem komplexen Gebiet mit Argumenten bewegen zu müssen. Die bisherige Wirkung des Blocher-Vorschlaghammers in der EU-Debatte bleibt trotzdem erklärungsbedürftig.
Auffällig ist, dass Abgrenzungseffekte nur bei manchen Abstimmungen gezüchtet werden. Die von den Schweizer Demokraten lancierte 1.August-Feiertags-Initiative wurde von den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten unterstützt. Die Grüne Verena Diener war sogar Mitglied des Abstimmungskommitees. Dabei hätte man hier etlichen Stoff für Abgrenzung gehabt: die Schweizer Demokraten stehen rechts von Blocher und zudem ging es um ein nationales Symbol. Die Medien züchteten hier bezeichnender weise ebenfalls keine Abrenzungshysterie. Es stellt sich die Frage, wieso in der EU-Debatte die sorgfältige Aufzucht von Abgrenzungsbedürfnissen so zentral wird und wieso diese Züchtung politisch bisher so erfolgreich war.
Darauf eine Antwort zu finden ist nicht einfach und es spielen verschiedene Faktoren zusammen: (1) Vermutlich eignen sich komplexe Themen besser für solche Züchtungen als einfache wie ein zusätzlicher Feiertag. Beim einem Feiertag weiss jedermann worum es geht und eine Interessenabwägung ist einfach. Es wäre vermutlich schwierig, beinahe unmittelbar wahrnehmbare Interessen durch die Züchtung von Abwehrbedürfnissen in den Hintergrund zu drängen. (2) Abgrenzungsbedürfnisse im grossen Umfang können nur gezüchtet werden, wenn ein grossen Teil der Journalisten mitmacht. (3) Die Zucht von Abgrenzungsbedürfnissen drängt sich auf, wenn man schlechte Argumente hat und weiss, dass man ohne eine entsprechende Emotionalisierung keine Aussicht auf Erfolg hat.
Wie dem auch sei - Personen, die sich nur mehr von der Blocherneurose leiten lassen und diese selber bei anderen liebevoll züchten, zeigen dadurch, wie unwichtig ihnen Inhalte geworden sind. Zudem verhalten sie sich irrational. Es lässt sich leicht zeigen, dass aus verschiedenen Prämissen dieselbe Schlussfolgerung gezogen werden kann. Entsprechend darf man auch nicht aus identischen Schlussfolgerungen auf die Gleichheit der Prämissen schliessen. Betrachten wir ein Beispiel: Person A glaubt: "Wenn die Mutterschaftsversicherung angenommen wird, dann gibt es eine Hürde weniger für den EU-Beitritt. Ich bin für den EU-Beitritt. Somit bin ich für die Mutterschaftsversicherung". Die Person B hingegen glaubt: "Wenn die Mutterschaftsversicherung angenommen wird, zeigt sich, dass eine direktdemokratische Schweiz reformfähig ist und sich ein EU-Beitritt deshalb nicht aufdrängt. Ich bin dafür, dass sich die Reformfähigkeit der Schweiz ausserhalb der EU nachweisen lässt. Somit bin ich für die Mutterschaftsversicherung". Wir haben zwei Motivationen und völlig unterschiedliche, sogar gegensätzliche Argumentationen für die Mutterschaftsversicherung. Entsprechend widersinnig wäre es, jemandem, der für die Mutterschaftsversicherung eintritt, vorzuhalten, er sei für (oder gegen) den EU-Beitritt - nicht zuletzt deshalb, weil es mindestens noch ein Dutzend weitere Argumentationen für die Mutterschaftsversicherung gibt. Genau so abstrus wird jedoch in der EU-Debatte fortlaufend "argumentiert". Wer gegen den EU-Beitritt ist, muss zumindest versteckter Blocherfan sein. Wer solche Unterstellungen vornimmt, benimmt sich irrational, weil er einen groben Gedankenfehler begeht.
Die Blocher-Neurose drückt zudem eine Form der ethischen und politischen Abhängigkeit (Heteronomie) aus. Man ist offensichtlich nicht fähig, auf dem Hintergrund eigener Werte und Interessen sowie einer nüchternen Situationsanalyse einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten (Autonomie). Man schielt deshalb auf Blocher. Dann weiss man wieder, was gut und schlecht ist (einfach jeweils das Gegenteil). Bezeichnender weise taucht diese Form der ethischen und politischen Heteronomie in einem komplexen Thema wie der EU-Frage auf. Komplexität schafft Vereinfachungsbedürfnisse. Abgrenzung kommt diesen sehr entgegen.
Das Gefährliche an der Blocherisierung der EU-Debatte besteht darin, dass jegliche halbwegs rationale Debatte dadurch verdrängt wird. Einem so wichtigen Thema ist fahrlässige Irrationalität jedoch nicht angemessen. Deshalb müssten demokratisch eingestellte Bürgerinnen und Bürger hierzulande sich dafür einsetzen, dass die Blocher-Neurose nicht überhand nimmt. Dies macht man am besten dadurch, dass man inhaltlich über die EU und die Frage des EU-Beitritts redet. Jede Minute, die man darauf verwendet, sich von Blocher abzugrenzen, ist eine verpasste Gelegenheit, etwas substantielles zu den demokratischen Verlusten oder zur massiven Umverteilung von Volkseinkommen (von unten nach oben) bei einem EU-Beitritt zu sagen. Eine im Rahmen des möglichen rationale EU-Debatte kriegen wir nur hin, wenn man dem ganzen Blochergeschrei systematisch aus dem Wege geht.
Es lässt sich im Rahmen der klassischen Logik formal beweisen, dass aus zwei Mengen von Prämissen, deren Vereinigungsmenge widersprüchlich ist, dieselbe Konklusion folgen kann (für die Grossbuchstaben kann man beliebige ganze Sätze einsetzen). (1) Aus "A oder B" und "Nicht A" folgt "B". (2) Aus "Wenn A, dann B" und "A" folgt "B". Die Prämissen von (1) und (2) widersprechen sich. Trotzdem folgt aus jeder der Prämissenmengen unter anderem dieselbe Konklusion, nämlich "B".
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