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Die Schweiz sollte EVA verlassen

Die Schweiz hat am 16.März 2012 in Brüssel ein rechtlich unverbindliches „Framework for Cooperation“ mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) unterzeichnet. Diese Vereinbarung ermöglicht der Schweiz Kooperation mit der wichtigsten Plattform der EU für Rüstungszusammenarbeit in Europa. Damit hat die Schweiz ein weiteres Mal ihre Neutralitätspolitik in Frage gestellt.

von Geri Müller, Nationalrat, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission und der Sicherheitspolitischen Kommission, Baden

Die Schweiz leistet sich eine Armee, um kriegerischen Ereignissen zu begegnen. Diese sind gemäss Sicherheitspolitischem Bericht heutzutage praktisch ausgeschlossen. Deshalb werden Rüstungskäufe in der Schweiz von den Grünen immer wieder scharf kritisiert. Insbesondere wird bemängelt, dass die Schweiz sich eine sehr teure Infrastruktur leistet, weil sie versucht, imaginäre Angriffe aus der Luft oder via Boden allesamt bewältigen zu können. Die Kooperation mit der EVA könne, so der Bundesrat, Kosten bei den Waffeneinkäufen senken. Das stimmt nur dann, wenn man überzeugt davon ist, jederzeit gegen alles gewappnet sein zu wollen. Und für diejenigen, die davon nicht überzeugt sind, holt man die beiden Totschlagargumente aus der Hinterhand: Terrorismus und Cyberwar, auch wenn gerade die beiden nicht mit militärischen Mitteln bekämpfbar sind. Die EVA verspricht den Mitgliedern regelmässig, den Bedarf an geeigneten Waffen zu ermitteln und verspricht ferner, die richtigen Mittel preisgünstig zu organisieren. Damit kommt sie den Waffenschmieden entgegen, indem sie ihnen immer wieder neue Aufträge besorgt. Dies ist einer der Gründe, weshalb heute doppelt so viel Geld für Rüstungsgüter ausgegeben wird als zur Zeit des kalten Kriegs. Und dies, obwohl der ehemalige Erzfeind „Warschauer Pakt“ nicht mehr vor unseren Toren steht.

Allerdings ist die EVA nicht bloss ein „Waffen-Discount-Shoppingcenter“. EVA ist ein gewichtiger Bestandteil der EU-Sicherheitsarchitektur. Angeblich soll sie im Jahre 2004 als Reaktion auf die Handlungsunfähigkeit der EU bei der Zerstörung Jugoslawiens gegründet worden sein. Aber gerade dieser Konflikt hat aufgezeigt, dass er nicht militärisch zu lösen war. Jürgen Elsässer und andere haben in Ihren Arbeiten schlüssig aufgezeigt, dass dieser Krieg von einigen EU-Ländern mitverursacht wurde. Ausserdem war dieser Krieg gerade deshalb so schrecklich, weil zu diesem Zeitpunkt Jugoslawien einer der grössten Waffenproduzenten war und diese leicht zugänglich waren.

Wenn Waffen vorhanden sind, werden sie auch gerne eingesetzt. Heute spricht man jedoch nicht mehr von Krieg. Dafür gibt es neue Begriffe wie zum Beispiel Friedensförderung. So haben europäische Länder immer wieder ihre Waffen in Konflikten ausserhalb des Kontinentes eingesetzt. So etwa 2003 im Irak, Afghanistan und jüngst in Libyen und vermutlich demnächst in Syrien. Sie holen sich ihre Aufträge über den UN-Sicherheitsrat, welcher der Nato die Erlaubnis gibt, in diesen Ländern zu „intervenieren“ (auch das klingt besser als bombardieren). Es werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeschoben, um ein Land anzugreifen. Mit raffinierten Geschichten, oft mit falschen Bildern dokumentiert, werden Parlamente überzeugt, Mittel für einen Waffengang zu sprechen. So geschehen im Irak des Saddam Hussein. In den 80er Jahren hat man ihn im Krieg gegen die Islamische Republik Iran noch unterstützt, obwohl schon damals bekannt war, dass er von Menschenrechten nicht viel hält (Giftgasopfer in Halabdscha).

Im Krieg 2003 waren die Menschenrechtsverletzungen denn auch nur der Vorwand; das wissen wir heute noch besser. Es ging darum, dass Ausscheren Saddam Husseins bei der für uns so wichtigen Erdölversorgung zu stoppen. Seit dem Krieg fliesst das Öl wieder ordentlich, die Menschenrechte werden weiter mit Füssen getreten.

Die Nato hat jüngst einen neuen schönfärberischen Begriff kreiert: „Responsability to Protect“ (R2P). Mit diesem Begriff bekriegte sie 2011 Gadaffis Lybien, nachdem einige Wochen zuvor der Revolutionsführer mit grossem Pomp in verschiedenen europäischen Ländern als gern gesehener Gast empfangen wurde.

Es ist offensichtlich: Waffen werden dort eingesetzt, wo europäische Interessen als bedroht gesehen werden. Die europäische Wirtschaft und Gesellschaft ist zu gut 80% abhängig von billigen fossilen Energieträgern wie Öl und Gas. Heute kostet ein Liter Rohöl immer noch weniger als Mineralwasser. Der steigende Treibstoffverbrauch und die verschwenderische Verwendung von Öl und Gas in schlecht isolierten Häusern wären anders gar nicht finanzierbar. Statt dass sich die reichen Länder des Nordens endlich einer längst fälligen suffizienten Wirtschaftspolitik zuwenden, wird mit der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GVSP) der europäischen Union eine Politik fortgesetzt, welche dem kolonialistischen Geist der letzten Jahrhunderte entspricht. Mit der europäischen Verfassung und den Verträgen von Lissabon hat die EU dazu sogar den „demokratischen“ Grundstein gelegt. Sie hat ausdrücklich festgehalten, dass sie ihre Interessen bezüglich Ressourcen in anderen Ländern auch mit Waffengewalt umzusetzen bereit ist. Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) liefert am 13.12.2002 in der Bundestagsdebatte den Beleg: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Mit diesem „Argument“ hat er den Bundestag überzeugt, Waffen und Truppen dorthin zu entsenden.

Für mich ist so klar wie empörend: Es handelt sich bei Waffenkäufen immer wieder um den gleichen uralten Fehler, den die Menschen begehen. Statt im Konfliktfall aufeinander zuzugehen, bewaffnet man sich, um sich scheinbar unverletzlich zu machen. Nur wer verletzlich bleibt, ist jedoch zu Verhandlungen gezwungen. Oder anders gesagt, wer hochgerüstet ist, braucht nicht zu verhandeln, notfalls kann er sich mit Gewalt durchsetzen. Dass damit kein Frieden entsteht, sieht man heute deutlich. Die grösste Militärmacht USA setzt heute alleine fest, wann, wo und warum wer gestürzt und wer bekriegt wird (Force to law; sein Interessen durchsetzen und zu „Recht“ machen).

Das Gegenstück zu Force to law ist Law to force, oder zu Deutsch: zusammensitzen, Lösungen suchen, Kompromisse machen und dann Recht setzen. Konkret heisst das auch, sich auf kreative Art und Weise mit Problemen auseinanderzusetzen: Wie kann man sich zum Beispiel modern fortbewegen, ohne dafür sinnlos wertvolle Stoffe zu verbrennen? Oder wie kann man Häuser so konstruieren, dass man sie weder heizen noch kühlen muss. Die Menschen sind heute bereit, enorm viel Geld für Waffen einzusetzen. Noch schlimmer: einen hohen Blutzoll zu verlangen, um ihren wachsenden Hunger nach Energie zu stillen. Es ist klar: Nur ein kleiner Teil der Welt kann so leben, wie wir dies im reichen Norden praktizieren.

Deshalb habe ich vom schweizerischen Parlament erwartet, dass sie bei der EVA nicht mitmachen. Auch wenn die Schweiz kein Partner bei kriegerischen Überfällen in andern Ländern sein wird, alleine die Präsenz der Schweizer Fahne in der EVA suggeriert, dass die EVA friedliche Absichten hegt.

Ich erinnere mich an eine Nato-Konferenz, als mich der Nato Generalsekretär Anders Fog Rasmussen belehrte, der Abzug der zwei Offiziere bei der ISAF in Afghanistan sei für die Nato verschmerzbar gewesen, nicht aber das Abhängen der Schweizer Fahne in Kabul. Deshalb habe ich mit einer Minderheit in der Kommission beantragt, der EVA eine Absage zu erteilen. Leider blieben wir eine Minderheit. Wir werden aber nicht lockerlassen und uns weiterhin dahingehend bemühen, dass die Schweiz diese unselige Agentur so bald wie möglich verlässt.


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