Nach dem Fall der Mauer ist eine Remilitarisierung der westeuropäischen Politik zu beobachten. Die Chancen einer blockfreien internationalen Zusammenarbeit und Friedenspolitik werden vertan. Es gäbe durchaus Alternativen zu dieser Politik.
Von Ulla Klötzer, Vorsitzende der Alternativen zur EU, Finnland, Mitglied des Ausschusses der Anti-Maastricht Allianz (TEAM).
Einer Meinungsumfrage vom Juli 1998 gemäss wollen 56% der Finnen der NATO nicht beitreten. Nur 26% befürworten eine NATO-Mitgliedschaft. Trotz dieser sehr klaren Haltung des Volkes zugunsten eines Fernbleibens von Militärallianzen und einer Beibehaltung der Neutralität Finnlands, ist die finnische Regierung mehr oder weniger offen dabei, eine völlige Änderung der finnischen Militärdoktrin vorzunehmen. Der finnische Präsident Martti Ahtissari spricht über "militärische Blockfreiheit und Zusammenarbeit in den neuen Strukturen der NATO" und die Politiker befürworten eine so nahe Zusammenarbeit mit der der NATO, dass eine offizielle Mitgliedschaft nur noch ein kleiner Schlussakt bedeuten würde. Durch die Unterzeichung des Maastrichter und Amsterdamer Vertrags der EU machte die finnische Regierung einen grossen Schritt weg von der Neutralität und der Blockfreiheit, da die beiden Verträge klar festhalten, dass die Westeuropäische Union (WEU), die als embrionale EU-Militärallianz definiert werden kann, die westeuropäischen Säule der NATO bildet. Die Verträge beinhalten auch die klare Perspektive, eine gemeinsame Verteidigung der EU zu entwickeln. So unterminiert Finnland, früher stark engagiert für die Abrüstung und nicht-militärische Methoden der Konfliktlösung und der Beilegung von militärischen Krisen, die Verpflichtungen der Helsinki Schlussakte und der Charta von Paris (November 1990) für ein friedliches und sicheres Europa.
Die selbe Art von Remilitarisierung kann man jedoch in den meisten OSZE-Ländern, vor allem bei den EU-Mitgliedstaaten und den Staaten, die der EU beitreten wollen, feststellen. Es handelt sich um ein recht dunkles Kapitel, wenn man bedenkt, dass das Ende des Ost-West-Konfliktes, das durch die ‚Charta von Paris für ein neues Europa' proklamiert wurde, eine einzigartige Gelegenheit für ein neues Sicherheitskonzept für ganz Europa bot. Dieses beruhte auf sozialen, wirtschaftlichen, humanitären, kulturellen und ökologischen Werten und auf Abrüstung und Konfliktpräventionsmassnahmen. Die Charta von Paris versprach feierlich eine neue Ära der Freiheit, der Einheit und der gemeinsamen Sicherheit für alle OSZE-Mitgliedstaaten. Heute erscheinen diese Versprechen als utopisch.
Die NATO plant die Ausweitung nach Osten und der Amsterdamer Vertrag der EU will die neutralen Mitgliedstaaten Irland, Schweden, Österreich und Finnland ziemlich offen dazu bringen, ihren neutralen Status aufzugeben. Ernstzunehmende Gespräche über die Integration der WEU in die EU wurden letzthin durch den britischen Premierminister Tony Blair initiiert. Eine solche Integration würde der EU ein klar militärisches Mandat geben, das auf den Kernwaffen Grossbritanniens und Frankreich ruhte. Die Pläne zur zweifachen Erweiterung der NATO nach Osten und um die Neutralen, wie die Tatsache, dass die NATO immer noch der unmenschlichen Abschreckungsdoktrin und dem Ersteinsatz von Kernwaffen nachhängt, wird eine schädliche Auswirkung auf den Abrüstungsprozess und die Verpflichtungen der Charta von Paris haben.
Die Expansion der NATO widerspricht jeglicher Sicherheitspolitik, die auf einer Konfliktlösung durch Verhandlungen und gegenseitigen Respekt beruht. Die Entscheidung zur NATO-Erweiterung sowie die Pläne, die EU zu einer militärischen Supermacht auszubauen, wurden in Europa erstaunlich unkritisch akzeptiert auch wenn es sehr wenige überzeugende Argumente zugunsten dieser Projekte gibt. Um zu verstehen, wie so etwas möglich ist, müssen die Marketing-Strategien dahinter gesehen werden: das Projekt wird mit viel Geld vorangetrieben, durch hartes Lobbying der Eliten und durch Appelle an die Angst der Bevölkerung. So hat das Projekt gute Chancen, durchgedrückt zu werden.
Wer allerdings die Meinung vertritt, es gebe keine Alternativen zu diesen Projekten, bezeugt seine geistige Armut und eine autoritäre Weltsicht. Wenn man die Meinungsumfragen in wenigsten manchen der neutralen EU-Mitgliedstaaten betrachtet, wird auch klar, dass unsere Politiker die Demokratie nicht respektieren und dass sie ihre Fähigkeit verloren haben, in einem aktiven Dialog mit Nicht-Regierungsorganisationen und unabhängigen Wissenschaftlern und Experten neue Lösungen zu finden.
Um zu zeigen, dass es ein offensichtliche Notwendigkeit eines solchen Dialogs gibt, haben ungefähr 150 Organisationen aus über 30 europäischen Ländern einen Appell für eine neutrale Zone in Europa unterschrieben. Der Appell richtet sich an die Regierungen der USA, die Regierung der russischen Föderation, an den NATO-Rat und die Ministerräte der EU und der WEU. Es wird die Forderung erhoben, eine Debatte im Rahmen der OSZE zu starten. Es soll die Schaffung einer neutralen Zone quer durch Europa diskutiert werden. Zudem wird eine breite pan-europäische Konferenz von Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen gefordert, um den Status einer neutralen Zone und der neutralen Ländern, einschliesslich der Gewährung von Sicherheitsgarantien, zu verhandeln. Dieser Appell wird zeigen, ob die Demokratie in Europa immer noch am Leben ist und ob unsere Regierungen wirklich an den Wünschen und Forderungen ihrer Bevölkerungen interessiert sind.
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