Die EU-Regionalpolitik verfolgt einerseits eine Politik der Strukturbereinigung in den Randregionen. Anderseits dienen die Zahlungen an strukturschwache Regionen auch der politischen Integration, da dadurch bestimmte Schichten an die EU-Integration gebunden werden können. Die Stärkung der "Regionen" dient zudem dem Zweck, den Eindruck zu erwecken, die Zentralisierung von Kompetenzen in Brüssel werde durch eine Stärkung der Regionen kompensiert. Diese Interessen Brüssels vermengen sich auf vielfältige Weise mit Interessen lokaler Akteure.
von Paul Ruppen
Ziele der Strukturpolitik
Das erklärte Ziel der Strukturpolitik der EU besteht in einer Verschärfung der Konkurrenz, um die Konkurrenzfähigkeit der westeuropäischen Wirtschaft auf internationaler Ebene zu fördern. Die Regionalpolitik muss auf diesem Hintergrund gesehen werden. Durch Infrastrukturprojekte sollen die Randregionen besser in die Wirtschaftskreisläufe der Zentren eingebunden werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist etwa die grosszügige Unterstützung von Strassenprojekten zu sehen. Durch die dadurch erfolgende erhöhte Konkurrenz findet in den Regionen eine Flurbereinigung der Wirtschaftsstrukturen statt: Betriebe, die nicht konkurrenzfähig sind, sterben aus. Die Überlebenden können sich im allgemeinen höhere Löhne und Einkommen verschaffen, sofern sie in der nun grossräumiger organisierten Konkurrenz geeignete Nischen finden.
Durch die Subventionierung von Infrastruktur kann die EU bestimmte Teile der Bevölkerung der Randregionen einbinden, da diese unmittelbar von den Zuwendungen aus Brüssel abhängen (z.B. Baugewerbe). Dies fördert euronationales Denken in den Randregionen. Ausgleichszahlungen spielten in Bundesstaaten traditionell eine integrative Rolle. In der Schweiz wurden sie z.B. Ende des 19. Jahrhunderts bewusst eingeführt, um die politische Einheit zu fördern. Die Vergabe von Mitteln ist zudem nicht nur in den direkt betroffenen Regionen, sondern offenbar überhaupt ein starkes Argument für die EU. Interessanter Weise funktioniert das Argument, dass bestimmte Bevölkerungsschichten oder Regionen von den EU-Mitteln profitieren, selbst in Nettozahler-Ländern. Dieses Phänomen kann wie folgt erklärt werden: die Nutzniesser von Zahlungen erhalten namhafte Beträge, während die Zahler pro Kopf relativ wenig zahlen. Damit sind die Nutzniesser stark motiviert, sich für die Zahlungen und die Zahlungsquelle einzusetzen. Es lohnt sich für sie im Prinzip, so viele materielle und immaterielle Ressourcen für die Zahlungen einzusetzen, als ein Nettogewinn verbleibt. Bei den Zahlern sieht die Rechnung anders aus. Da sie pro Kopf wenig zahlen, lohnt es sich für sie nicht, sich zu wehren.
EU-Ausgleichszahlungen - ein Solidaritätsprojekt?
Ausgleichszahlungen erlauben es zudem, etwa zur politischen Linken, die EU als eine Organisation zu präsentieren, die zu einer ausgeglicheneren Entwicklung in Europa führt. Die EU wird als Solidaritätsprojekt in (West)-Europa hingestellt. Die bereitwillige Aufnahme solcher Darstellungen zur politischen Linken wirft einige Fragen auf - dies besonders angesichts der Tatsache, dass die regionalen Unterschiede durch die EU-Politik keineswegs kleiner wurden. Zwar haben sich nach Durchschnittszahlen teilweise Ungleichgewichte verringert. Die EU vermeldet stolz: "In den zehn Regionen, in denen das BIP pro Kopf am niedrigsten war, nahm es von 41% des EU-Durchschnitts auf 50% zu und in den 25 ärmsten Regionen von 52% auf 59%." (Sechster Periodischer Bericht über die sozio-ökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft). Es ist aber einerseits nicht klar, inwiefern dies wirklich der EU-Politik zuzuschreiben ist, trotz dieser Politik erfolgt ist - oder so oder so erfolgt wäre. Zudem besagen diese Zahlen nichts aus über die Verteilung des Wohlstandes innerhalb dieser Regionen: Sind die Armen noch ärmer geworden und die Reichen überproprotional Reicher? Anderseits ist die Arbeitslosigkeit weiterhin regional sehr ungleich verteilt:
Im bereits zitierten Sechsten Periodischen Bericht werden gravierende Unterschiede bezüglich der Arbeitslosigkeit vermeldet: "Zwischen den Arbeitslosenquoten in den Regionen gibt es enorme Unterschiede. In Teilen des Südens der Europäischen Union, d. h. in Spanien, Süditalien und den Mittelmeerregionen Frankreichs liegen die Arbeitslosenquoten mit 20% bis 30% höher als in allen anderen Regionen der Europäischen Union, einschließlich der französischen DOM. Die hohen Quoten stehen jedoch nicht immer mit einer geringen regionalen Wirtschaftsleistung im Zusammenhang. In den zwei Mitgliedstaaten, in denen das BIP am niedrigsten ist, nämlich in Griechenland und Portugal, sind die Arbeitslosenquoten relativ gering (in Griechenland gibt es jedoch Anzeichen, daß sich dies ändern könnte). Darüber hinaus gibt es auch in einigen nordeuropäischen Regionen hohe Arbeitslosigkeit, und zwar in den Regionen, die einem tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturwandel unterworfen sind; diese liegen insbesondere in Finnland, Ostdeutschland und dem nordöstlichen Teil von Frankreich, wo die Quoten zwischen 15% und 20% liegen. Ferner gibt es in einigen Innenstädten oder Vorstädten in Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig ist, sogar noch höhere Quoten. "
"Während die Gesamtarbeitslosenquote in der Europäischen Union im Jahre 1997 ähnlich hoch war wie 1987, waren die Entwicklungen in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich. In Schweden, Finnland und in Süditalien nahm die Arbeitslosigkeit enorm zu. Im Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Irland sank die Arbeitslosigkeit dagegen in vielen Regionen um vier bis fünf Prozentpunkte. Auch in den meisten Regionen Belgiens und Nord- und Nordostspaniens nahm die Arbeitslosigkeit ab, was in Spanien aber mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in anderen Regionen des Landes einherging. Zur Sorge gibt Anlaß, daß es in einigen Regionen in Zentral- und Nordwestspanien, deren Arbeitslosenquoten zu den höch-sten in der Europäischen Union gehören, deutliche Anstiege gab. Die bereits sehr hohen Quoten im Süden sind jedoch nur geringfügig angestiegen. Zu erwähnen ist ferner, daß der Strukturwandel in Griechenland einen ersten Anstieg der Arbeitslosigkeit verursacht hat. Der Anteil der Arbeitslosen, die ein Jahr oder länger arbeitslos sind, stellt einen Näherungswert für das Ausmaß der strukturellen Arbeitslosigkeit dar. Die höchsten Werte sind in Süditalien zu beobachten, wo gewöhnlich zwei Drittel oder mehr aller Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, in Campania erreicht der Wert sogar 80%. Werte von 60% bis 70% sind auch in Mittel- und Ostgriechenland üblich sowie an der Nordwestküste Spaniens und in den einen Strukturwandel durchmachenden Regionen in Belgien und den Niederlanden.".
Bemerkenswert angesichts dieser Lage, dass zur politischen Linken neo-liberale Entwicklungsmodelle in diesem Kontext unbesehen als positiv übernommen werden. Verschärfung von Konkurrenz und deren grossräumigere Organisation wird ohne Diskussion - etwa auch der Auswirkungen auf die Umwelt (Verkehr) und die Beschäftigungslage - plötzlich begeistert aufgenommen. Zuletzt muss erwähnt werden, dass bei der politischen Linken hier oft eine euronationale Beschränkung des Blickwinkels festzustellen ist. Hatte "Solidarität" in den 70er und 80er Jahren noch vor allem die Welt ("Dritte Welt") im Visier, wird Solidarität nunmehr auf "Europa" eingegrenzt. Die neue Solidarität ist die der Reichen mit jenen Reichen, die etwas weniger reich sind. Dabei ist diese Solidarität nicht uneigennützig. Solidarität war bei Nationalstaaten und Bewegungen immer ein Mittel, um die innere Kohärenz zu fördern und damit sich selber zu stärken. Im Falle der EU brauchen die Reichen die weniger Reichen, um ihr Blockbildungsprojekt durchzuziehen.
Regionen - scheinbare Abfederung des Demokratieverlustes
Für untergeordnete Gebietskörperschaften wirken zwischengelagerte Gebietskörperschaften wie ein Filter. Während z.B. die Kantone in der Schweiz einen direkten, verfassungsmässig und institutionell abgesicherten Draht zum Bund haben, wäre ein solcher Zugang nach Brüssel im Falle eines EU-Beitrittes nicht oder höchstens in symbolischer Form (Ausschuss der Regionen) gewährleistet. Die wesentlichen Inhalte werden vom Bundesrat und den Bundesbeamten in Brüssel vertreten. Es werden entsprechend nur Anliegen vertreten, die es schaffen, sich machtpolitisch in der Schweiz durchzusetzen. Entsprechend ist eine solche höhere Entscheidungsebene nur für Politiker und Bevölkerungskreise interessant, die mit gutem Grund davon ausgehen können, dass von der Regierung in Brüssel vorrangig ihre Interessen vertreten werden. Ihre Position wird dadurch verbessert, da sie sich Konkurrenten vom Leibe halten können. Minderheiteninteressen bleiben nämlich im Filter hängen. Entsprechend müssten Interessenvertreter, die nicht auf einen Einfluss via Regierung hoffen können, eher EU-skeptisch eingestellt sein. Durch die Stärkung der Regionen (durch Gelder, aber auch etwa durch den "Ausschuss der Regionen") kann die EU hier Gegensteuer geben. Den Politikern von Gebietskörperschaften, die den Mitgliedstaaten untergeordnet sind, soll eine Kompensation gewährt werden.
Die EU kann durch Regionalisierung den Eindruck erwecken, die Bevölkerung könne Kontrolle über und Nähe zu Entscheidungszentren zurückerlangen, die man vorher im Zuge der EU-Integration verloren hat. Dabei ist zu beachten, dass Regionen keineswegs demokratisch organisiert sein müssen. Das EU-Europa der Regionen dient vor allem dazu, die regionalen "Eliten" zu integrieren, Bevölkerungsnähe zu mimen statt sie zu realisieren. Wesentliche Kompetenzen werden nicht nach unten verlagert. Die zentralen Kompetenzen der makroökonomischen Wirtschaftssteuerung (Binnenmarkt, Währungsunion, Stabilitäts-Finanzkorsetts) bleiben in Brüssel und Frankfurt zentralisiert. Damit bleiben sie definitiv der traditionellen demokratischen Kontrolle in den Mitgliedstaaten entzogen. Diese Politikfelder stehen bei den Fragen der "Subsidiarität" nicht zur Diskussion. Auf unterer Ebene können regionale Infrastrukturprojekte und Kultur verhandelt werden: regionale Identitäten und Folklore als Ersatz für politische Mitbestimmung. Hier spielen "regionale", verbale Kraftprotzereien eines Stoiber durchaus eine EU-konforme Rolle. Sie befördern regionale Identifikation als Ersatz für demokratische Kontrolle von wichtigen Inhalten.
Europa der Regionen?
Das Schlagwort vom "Europa der Regionen" spielte in den 90er Jahren bei den Grünen eine entscheidende Rolle als Katalysator im Rahmen der Entwicklung einer Pro-EU-Einstellung. Die Grünen sprechen - wie auch die neue Sozialdemokratie - mobile Mittelschichten an. Bei diesen erklärt die Möglichkeit der ungehinderten Ergreifung von Berufschancen, des einfacheren Kaufs von Ferienhäusern in Mittelmeerländern und die eines möglichst billigen Auslandaufenthaltes des Nachwuchses das Euro-Feeling. Da EU-Kritik zunehmend von Rechts besetzt wurde, war es ein leichtes, entsprechende Abgrenzungsreflexe spielen zu lassen und fluchtartig alte politische Positionen zu verlassen. Um den Richtungswechsel halbwegs verständlich zu machen, kam das "Europa der Regionen" gerade recht.
In der Vorarbeit zu dieser Nummer wurde das Sekretariat der Grünen in der Schweiz sowie österreichische Grüne (Zeitschrift "Planet") für Artikel zum Thema angefragt. Es konnte kein Grüner für einen Artikel engagiert werden. Das Phänomen ist vielleicht folgendermassen zu erklären. Nachdem die EU-Beitrittsstrategie (oder in Österreich das Dabeisein) geschluckt ist, braucht es die "Europa der Regionen"-Ideologie nicht mehr. Die Kröte ist geschluckt und das dazu benötigte Schlucköl unnütz geworden. Zudem wird das Regionen-Konzept zunehmend von rechts vereinnahmt. Wie damals bei der EU-Frage werden auch hier schnell traditionelle Positionen aufgegeben, sobald von Rechts her scheinbar ähnliches Terrain besetzt wird.
Die "Europa der Regionen" Konzeption der Grünen waren immer schon vage. Es war nie klar, wie ein solches Europa institutionell aussehen soll. Es wurde in diesen Konzepten gewöhnlich von starken Kompetenzverlagerungen nach unten ausgegangen, wurden doch z.B. möglichst geschlossene regionale Wirtschaftskreisläufe angestrebt. Werden wirklich zentrale Kompetenzen an die Regionen abgegeben, würden jedoch einfach neue Territorialstaaten entstehen - wobei das Ausmass der Kompetenzverlagerung an die Regionen ein Mass der Territorialstaatlichkeit der neuen Gebilde darstellt. Was aus einer solchen Perspektive ausser Kompetenzgerangel, gefährlichen Grenzverschiebungen und einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den neuen Staaten oder staatsähnlichen Gebilden folgen soll, ist unklar. Alternative Konzepte der Regionalisierung und der Verflechtung der Regionen, die bei den bestehenden Territorialstaaten ansetzen, wurden kaum diskutiert - man hätte ja so die EU auch nicht als Schritt hin zum Europa der Regionen verkaufen können.
Bei politischen Theorien ist jeweils zu überprüfen, was sie in einer konkreten Entscheidungssituation an faktischen Resultaten beinhalten. Dies ist sauber von Fernzielen zu trennen, die zur Rechtfertigung der konkreten Entscheidung verwendet werden. Für bare Münze sind nur die faktischen Resultate zu nehmen. In der Tat wurde durch grüne Visionen vom "Europa der Regionen" ein massiver Zentralisationsschub durch vage Dezentralisationsträume gerechtfertigt. Das einzig Reale dabei ist (und wie sich zeigt - bleibt) die Zentralisation.
Unklar war in der ganzen Regionen-Diskussion jeweils auch die anzustrebende Gebietsgrösse. Bayern ist z.B. grösser als die Schweiz oder Österreich. Hat man Regionen der Grösse Bayerns im Sinne, gäbe es ja für die europäischen Kleinstaaten keinen Grund, der EU in Hinblick auf ein Europa der Regionen beizutreten. Solche und ähnliche Unschärfen sind allerdings in manchen politischen Diskursen eher von Vor- als von Nachteil.
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