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Von Gibraltar bis zum Bug – nur ein Asylgesuch in der EU

Das Geschwätz über den „Missbrauch“ einigt die Demonteure des Asylrechts von der SVP bis hin zur EU-Bürokratie.

von Heiner Busch



Rund sieben Prozent aller Asylgesuche in der EU seien missbräuchlich. Das behauptet die EU-Kommission in ihrer Erfolgsmeldung über das erste Betriebsjahr von Eurodac. Das Informationssystem mit Zentrale in Luxemburg speichert und vergleicht automatisch die Fingerabdrücke aller Personen, die ein Asylgesuch in einem EU-Staat stellen oder bei der illegalen Einreise angetroffen werden. Wenn sich bei diesem sekundenschnellen Vergleich herausstellt, dass die Abdrücke einer neu erfassten Person bereits in dem System enthalten sind, dann bedeutet das, dass sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt oder in einem anderen EU-Staat ein Asylgesuch gestellt hat oder dass sie nach Ablehnung ihres Gesuchs und Ausschaffung wieder in die EU eingereist ist. 17’287 Fälle von übereinstimmenden Fingerabdrücken im letzten Jahr sind für die EU gleichbedeutend mit 17’287 Fällen von „Asylmissbrauch“, so einfach ist das.

Nur noch ein Gesuch pro Person

Mit dem Dubliner Erstasylabkommen von 1990 hatte die damalige EG das Gerede vom Asylmissbrauch, den ideologischen Totschläger der Rechten, offiziell in ihr Vokabular aufgenommen. Der „Wanderzirkus“ müsse ein Ende haben. Pro Person dürfe es nur noch ein Asylgesuch in der gesamten EU geben. Zuständig für dessen Bearbeitung sollte – von Ausnahmen abgesehen – jeweils der EU-Staat sein, über den der Flüchtling eingereist ist. Alle anderen werden durch das Abkommen ermächtigt, den betreffenden Menschen innert eines halben Jahres in den zuständigen Staat zurückzuschieben.

„One chance only“ bedeutet für die Flüchtlinge aber häufig genug „no chance at all“. Trotz der Versuche, das Asylrecht in der EU zu harmonisieren, bleibt die Praxis in den nunmehr 25 Mitgliedstaaten weiterhin sehr unterschiedlich. Wer in Deutschland abgelehnt wird, könnte in Frankreich durchaus Asyl oder zumindest eine humanitäre Aufnahme erhalten – vorausgesetzt, er erhielte die Chance auf ein Nachfolge-Gesuch. Das aber gilt seit „Dublin“ als „Missbrauch“ und soll verhindert werden.

„Dublin“ wird „nachgebessert“

Das Abkommen trat im September 1997 in Kraft. Aus der Sicht der Demonteure des Asylrechts hatte es jedoch zwei zentrale Mängel: Zum einen liess es nur einen Informationsaustausch im Einzelfall zu. Dieser „Mangel“ wurde mit dem Aufbau von Eurodac behoben. Zum andern funktionierte die im Abkommen vorgesehene Zuständigkeitsregel nur in wenigen Fällen: Die „zuständigen“ Staaten hatten nur wenig Lust, Flüchtlinge zurückzunehmen, die sie gerade erst losgeworden waren. Die „nicht-zuständigen“ konnten nur selten genau nachweisen, dass sich ein Flüchtling zuvor in einem anderen Staat der EU aufgehalten hatte. Im Februar 2003 verabschiedeten die EU-Innen- und Justizminister daher eine Verordnung („Dublin II“), die das Abkommen ersetzte und die Regeln modifizierte. Bei illegal eingereisten Flüchtlingen bleibt zunächst derjenige Staat zuständig, über den die Person in die EU gekommen ist. Lässt sich das nicht mehr feststellen, so muss der Staat das Gesuch prüfen, in dem sich der Flüchtling mehr als fünf Monate aufgehalten hat. Ist auch dies nicht mehr zu klären, geht die Verantwortung an den Staat, in dem das erste Asylgesuch gestellt wird.

Allein die Zuständigkeitsregeln umfassen zwei eng bedruckte Seiten im EU-Amtsblatt. Sie verdeutlichen vor allem eines: Bei der Bearbeitung von Asylgesuchen geht es vor allem um den Reiseweg eines Flüchtlings und damit um die Möglichkeit, sich seiner zu entledigen. Die Verfolgung, die er erleiden musste, interessiert die EU nur mehr am Rande. Genau das aber ist der eigentliche Missbrauch des Asylrechts.


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