Übersicht Dossiers Themenfokus Kleinstaaten in der EU KEIN “OPT-IN” DÄNEMARKSAm 3. Dezember 2015 stimmte eine Mehrheit des dänischen Volkes gegen eine zusätzliche Verschiebung von Kompetenzen nach Brüssel. 53.1 % der Dänen waren für die Beibehaltung der dänischen Ausnahmeregeln (Opt-outs) bezüglich Justiz, Polizei und Inneres. Sie wiesen ein bereichsweises Opt-in ab – im Gegensatz zur jüngeren Politik Grossbritanniens und Irlands. Die Stimmbeteiligung betrug 72 %.
von Lave K. Broch, Kampagnen-Koordinator der Dänischen Volksbewegung gegen die EU
Dänemark hat in der EU mehrere Ausnahmeregelungen (Opt-outs). Einige sind geographischer Art: die dänischen autonomen Territorien, die Färöer Inseln und Grönland, sind nicht Teil der EU. Andere Sonderregelungen beschränken die Macht der EU in Dänemark: es gibt z.B. Opt-outs bezüglich der Währung, der Verteidigung sowie den Bereichen Justiz, Polizei und Inneres. Das dänische Opt-out bezüglich Justiz, Polizei und Inneres bedeutet, dass die EU in diesem Bereich keine supranationale Macht in Dänemark hat. Damit ist die Demokratie bezüglich dieser Bereiche besser gewahrt und selbst der EU-Gerichtshof hat in diesen Bereichen keine Macht über Dänemark. Allerdings kann Dänemark auf einer zwischenstaatlichen Ebene kooperieren, um Verbrechen zu bekämpfen oder um Zivilgesetze und andere Justizangelegenheiten zu koordinieren, so wie die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen, Island und die Schweiz.
Im Dezemberreferendum von 2015 stimmten die Dänen zum dritten Mal in einem EU-Referendum Nein. Das erste Mal fand dies 1992 statt, als die Dänen den Maastrichter Vertrag ablehnten, zum zweiten Mal im Jahr 2000, als die Dänen die Einführung der Einheitswährung Euro ablehnten. Zum dritten Mal wurde im Dezember 2015 eine weitere Integration bezüglich Justiz, Polizei und Inneres in die EU abgelehnt. Zudem fand 1982 ein regionales Referendum in Grönland statt. Dieses führte dazu, dass die grösste Insel der Welt nach Verhandlungen zwischen Dänemark und der EU letztere verliess.
Eine der grössten Veränderungen im Lissabon-Vertrag war, dass Justiz, Polizei und Inneres supranationalisiert wurden. Nur Irland hatte eine Referendum über den Lissabon-Vertrag. Nachdem die Iren Nein gesagt hatten, liess man sie ein zweites Mal darüber abstimmen. Bis zum 3. Dezember 2015 hatte kein EU-Land eine Referendum, das spezifisch die Supranationalisierung von Justiz, Polizei und Inneres betraf. Die meisten EU-Länder hatten diese Entwicklung zu 100% akzeptiert – ohne ihre Bevölkerungen zu befragen. Die meisten Bevölkerungen hatten auch keine Ahnung über die Ausdehnung der EU-Kompetenzen auf das Polizei- und Justizwesen. Nur drei Länder haben auf diesem Gebiet spezielle Abmachungen mit der EU. Irland und Gross Britannien haben sich allerdings mittels der ausgehandelten Opt-in-Klauseln teilweise der supranationalen Justizpolitik der EU angeschlossen. Dänemark ist das einzige Land, das der EU auf diesem Gebiet keine Kompetenzen übertragen hat.
Das dänische Nein kam nach einer intensiven Pro-Anschluss-Kampagne zustande. Die Ja-Seite drohte, Dänemark würde bei einem Nein Opfer aller Arten von Kriminalität – heimgesucht von ausländischen Diebesbanden, anfällig für Pädophilen Netzwerke und Terror. Als der dänische Premierminister Lars Løkke Rasmussen Ende August 2015 das Datum für das Referendum bekanntgab, schien für die EU-Befürworter alles ein leichtes Spiel zu sein. Meinungsumfragen suggerierten, die Ja-Seite würde die Nein-Seite um 20% übertreffen. Die Partei des Premierministers (Venstre; die Partei bezeichnet sich als liberal) hatte eben eine Vereinbarung mit den anderen befürwortenden Parteien im dänischen Parlament getroffen: SF (Sozialisten), Socialdemokraterne (Sozialdemokraten), Radikale Venstre (Sozialliberale Partei) und den Konservativen. Zusätzlich unterstützte eine neue Partei im Parlament, die Alternativet (eine grüne Partei) die Ja-Seite, ohne allerdings die Vereinbarung der übrigen Pro-Parteien zu unterzeichnen.
Die hauptsächliche Organisationen auf der Nein-Seite waren die überparteiliche Volksbewegung gegen die EU, die im EU-Parlament vertreten ist, sowie drei Parteien im dänischen Parlament: die linke Rot-Grüne Allianz, die Liberale Allianz (Mitte rechts) und der rechte Flügel der Dänischen Volkspartei. Neben diesen Kräften gab es natürlich viele kleinere Gruppen, die sich engagierten. Trotz politischer Differenzen kamen die Volksbewegung und die drei Nein-Parteien zu Beginn der Kampagne überein, dass es in Dänemark eine breitere Debatte über die EU geben sollte. Man verlangt gemeinsam dänische Referenden über Änderungen der EU-Verträge und nach einem allfälligen Nein eine dänische Lösung bezüglich der Zusammenarbeit mit der EU-Polizei-Agentur.
Wir von der Volksbewegung erklärten, dass Norwegen, Island, die Schweiz und andere Länder praktische Übereinkommen mit Europol hätten – ohne der EU supranationale Macht im Justizbereich zuzugestehen. Wir wiesen auch auf die demokratiepolitischen Probleme hin, die mit der Verschiebung von Macht hin zu EU erfolgen – in eine EU, deren demokratisches Defizit markant ist. Wenn Dänemark der EU supranationale Kompetenzen über verschiedene Justizangelegenheiten gewährte, würde dies der EU-Kommission in diesen Bereichen ein alleiniges Vorschlagsmonopol für die Gesetzgebung zugestehen. Die Dänen hätten in der Folge in diesen Bereichen nur noch 2% der Stimmen im EU-Parlament und 1.1 % der Stimmen des EU-Ministerrates. Zudem würde der EU-Gerichtshof auf diesem Gebiet Richtermacht erhalten. Zuletzt ist zu bemerken, dass es in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Sichtweisen auf die Justizpolitik gibt. Manche von uns denken, dass Verschärfung der Strafen und mehr Überwachung keine sinnvoller Weg ist. Wir glauben eher in ein skandinavisches Justizwesen, in dem das Ziel der Strafe die Integration der Straftäter und der Schutz der Gesellschaft vor Verbrechen ist. Straf- oder Rachegedanken haben hingegen keinen Platz.
Während der Kampagne ereigneten sich zwei bedeutsame externe Vorkommnisse in Europa: einerseits das Flüchtlingsdrama und andererseits die Terroranschläge in Paris. Die Welt erfährt die grösste Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die meisten Flüchtlinge verbleiben in den Konfliktregionen, aber eine wachsende Zahl versucht nach Europa zu gelangen. Tausende Flüchtlinge versuchten über Dänemark nach Schweden oder Norwegen zu gelangen. Viele dänische Freiwillige halfen den Flüchtlingen. Die Situation spaltete bezüglich des angemessenen Vorgehens die Ja- und die Nein-Seite in der Referendumskampagne. Die Regierung behauptete, bei einem Referendums-Ja würde Dänemark keine supranationale Kompetenz an die EU auf dem Gebiet des Asylwesens abtreten und der Premierminister versprach, “bis die Sonne erlischt” werde das dänische Volk befragt werden, bevor Dänemark Souveränität bezüglich Asylwesen an die EU abtrete. Der dänische Justizminister versuchte die Bevölkerung mit der Behauptung zu ängstigen, ein Nein würde zu mehr Flüchtlinge in Dänemark führen, weil Schweden nach einen Nein Dänemark zwingen würde, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Sowohl das Versprechen des Premierministers als auch die Drohungen des Justizministers waren nicht besonders ernst zu nehmen. In der Volksbewegung waren wir uns im Klaren darüber, dass Dänemark den Flüchtlingen helfen muss, dass aber keine Souveränität in diesen Fragen an die EU zu delegieren ist. Die terroristischen Attacken in Paris wurden von allen Seiten des politischen Lebens in Dänemark verurteilt. Manche Leute des Ja-Lagers versuchten zu behaupten, Dänemark oder Kopenhagen würden bei einem Nein bezüglich terroristischer Anschläge verletzlicher werden. Dies behauptete etwa der Oberbürgermeister von Kopenhagen Frank Jensen. Manche Leute mögen dadurch beeinflusst worden sein. Die meisten Leute sahen allerdings nicht ein, wieso Dänemark zu einer wichtigeren Zielscheibe der Terroristen werden sollte oder dass Dänemark den Terrorismus weniger bekämpfen könnte, wenn die Dänen eine Übertragung von Macht an Brüssel ablehnten.
Das Referendum vom 3. Dezember war ein grosser Sieg für uns von der Dänischen Volksbewegung. Das Nein bedeutet, dass es für die dänische Regierung schwieriger wird, andere dänische Opt-outs in Frage zu stellen. Zudem werden wir im Falle eines Brexits für unsere Politik eine bessere Ausgangslage haben. Wir wissen allerdings um das Risiko, dass die dänische Regierung und die Ja-Lobby versuchen wird, das dänische Nej zu unterminieren. Entsprechend werden wir ein Auge darauf haben, dass die dänische Regierung das Votum respektiert. Zudem werden wir eine dänische Debatte über die EU-Mitgliedschaft Dänemarks vorbereiten. Dänemark trat der EWG zusammen mit Britannien bei und wir sollten die EU zusammen mit Grossbritannien verlassen. Ja zur Demokratie und zu internationaler Zusammenarbeit und Nein zu einem EU-Staat.
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