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Afrika, die EU und der Freihandel

Um klare Worte ist Tansanias Staatschef John Magufuli selten verlegen. Auch beim Thema Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die sogenannten EPAs (Economic Partnership Agreements) mit der EU: "Für mich ist das eine Form des Kolonialismus", sagte er Ende Februar 2017. "Sie sind schlecht für unser Land." Die Abgeordneten im tansanischen Parlament sehen das ähnlich. Sie stimmten letztes Jahr gegen das geplante Abkommen mit der Europäischen Union. Die Idee der sogenannten EPAs: Die Europäische Union hält ihre Märkte für Produkte aus afrikanischen Ländern offen. Im Gegenzug müssen die afrikanischen Staaten aber ihre Märkte ebenfalls zu einem großen Teil für Waren aus Europa öffnen. Dafür bekommen sie mehrjährige Übergangsfristen.

Die von der EU angestrebten „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ sehen vor, dass die Zölle auf Grundnahrungsmittel wie Getreide (ausser Reis) und Milchpulver innerhalb von fünf Jahren auf null sinken. Das würde nicht nur die Nahrungsmittelabhängigkeit der Region massiv erhöhen, sondern auch die lokalen Milchbauern ruinieren und vor allem die Produzenten einheimischer Getreidesorten (Hirse, Sorghum, Mais) und anderer stärkehaltiger Produkte (Maniok, Jamswurzel und Kochbanane).

Entgegen ihrer liberalen Prinzipien subventioniert die EU ihre Ausfuhren nach Westafrika. Allein im Jahr 2016 wurde der Export von 3.4 Millionen Tonnen Getreide mit 215 Millionen Euro und von 2.5 Millionen Tonnen Milchprodukte mit 169 Millionen Euro gefördert. Im selben Jahr beliefen sich die Exporthilfen für Lieferungen ins südliche Afrika auf 60 Millionen Euro bei Getreide, 41 Millionen Euro bei Geflügelfleisch und Eiern sowie 23 Millionen Euro bei Milchprodukten; auch der Export nach Zentralafrika wurde 2016 subventioniert, etwa mit 18 Millionen Euro für Milchprodukte. Die Einfuhrzölle, die von der EU auf die Einfuhr von verarbeitetem Getreide, Milchprodukten und Fleisch erhoben werden, liegen deutlich höher als die Importzölle der Länder in Subsahara-Afrika.

Die EU will die Abkommen mit selbst festgelegten Regionen schliessen. Entsprechend hat Tansanias "Nein" Folgen. Die EU wollte in diesem Fall das Abkommen mit fünf ostafrikanischen Staaten schließen. Neben Tansania sind auch Burundi, Kenia, Ruanda und Uganda dabei. Stimmt ein Land nicht zu, platzt der ganze Vertrag. Doch von einem Scheitern des Abkommens will die EU nicht sprechen. "Einerseits ist das nicht ideal", sagt Remco Vahl von der EU-Handelsdirektion. "Wir dachten, wir hätten ein Abkommen mit allen fünf Ländern. Aber andererseits ist das völlig legitim. Wenn die ganze Region noch nicht bereit dazu ist, dann respektieren wir das", so Vahl zur DW. Nachverhandlungen schließt die EU erstmal aus. Das ist Schönfärberei: diese Äusserungen blenden die Druckversuche der EU aus. So entzog die EU allen afrikanischen Staaten, die ihr EPA nicht unterschrieben haben, zum 1. Oktober 2014 den zollfreien Zugang zum europäischen Markt. Deren Produkte wurden dementsprechend teurer und verloren an Attraktivität für europäische Importeure. Ska Keller, Abgeordnete des Europaparlaments, beschreibt die Situation wie folgt: «Den Entwicklungsländern [wurde] die Pistole auf die Brust gesetzt – entweder sie unterzeichnen oder ihr Marktzugang zur EU wird eingeschränkt. Die EPAs sind das Gegenteil von Entwicklungszusammenarbeit.»

Gewerkschaften, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in Afrika hoffen, das Tansania hart bleibt. In vielen afrikanischen Ländern gibt es Widerstand gegen die Abkommen. Sie teilen die Ideologie der Europäischen Union nicht, dass durch freien Handel mehr Wohlstand in Afrika entsteht. Durch die ungleiche Konkurrenzfähigkeit würde die afrikanische Wirtschaft an den Rand gedrängt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigungslage, das Einkommen, die Infrastrukturen und den Haushalt der Staaten.

Die Idee der EPAs sind entsprechend nicht gut, meint Gyekye Tanoh vom Afrikanischen Handelsnetzwerk, einer Nichtregierungsorganisation aus Ghana. Sein Heimatland hat bereits ein vorläufiges Abkommen mit der EU abgeschlossen. "Man kann keinen freien Handel zwischen zwei Weltregionen haben, die so ungleich sind. Das festigt die Ungleichheit nur." Die EPAs richteten sich gegen die Interessen und die Möglichkeiten der afrikanischen Länder, sagt er. Tanoh fürchtet, dass Billigimporte aus Europa der Wirtschaft in Afrika schadet. Bereits jetzt leiden afrikanische Länder unter Importen aus Europa, mit denen sie nicht konkurrieren können. Im Februar belagerten südafrikanische Geflügelzüchter die EU-Vertretung in der Hauptstadt Pretoria. Sie warfen europäischen Ländern vor, mit Billiggeflügel-Exporten ihre Lebensgrundlage zu zerstören. Kritiker fürchten, dass solche schädlichen Exporte durch die Abkommen noch zunehmen werden.

Zudem gehen den afrikanischen Staaten Einnahmen verloren, wenn europäische Produkte zollfrei eingeführt werden. Ostafrika könnte bis zu 1,15 Milliarden US-Dollar verlieren, wenn das Abkommen umgesetzt würde. Das soll eine bisher unveröffentlichte Studie der UN-Wirtschaftskommission für Afrika ergeben, von der die Wochenzeitung "The East African" berichtet.

Quellen:

Le monde diplomatique, Geplündert: Die neuen Freihandelsverträge schaden Afrika, November 2017, S. 1.

https://netzfrauen.org/2016/10/09/afrika-2/

http://www.dw.com/de/afrika-die-eu-und-der-freihandel/a-39169777

https://www.infosperber.ch/index.cfm?go=Artikel/Wirtschaft/Afrika-Europa-Freihandel

https://www.infosperber.ch/index.cfm?go=Artikel/Wirtschaft/Afrika-Europa-Freihandel1


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