Das so schön aussehende Wintergemüse aus Südspanien, das in den Einkaufsregalen bei uns ausliegt, ist in Wahrheit gezeichnet von den Rückständen der Lohndrückerei entlang der Costa del Sol und dem Gift des Rassenhasses in El Ejído. Eine spanisch-schweizerische Geschichte aus der Festung Europa.
Von Beat Leuthardt
«Alimentos de Andalucía» steht auf den Harassen im Laden, die von knackigem Romanesco und Eisbergsalat, Peperoni und Tomaten überquellen. Und auf vielen dazu noch: «Aus El Ejído». Dieser spanische Ort hat kürzlich Schlagzeilen gemacht: Ein wütender Mob verfolgte nach einem Tötungsdelikt an einer Spanierin Tage lang die marokkanischen Einwanderer, die in den Gemüseplantagen als billige Pflücker arbeiten.
EI Ejído, das ist der kleine Ort in der andalusischen Provinz Almería, wo zu Beginn des Jahres Unruhen aufgekommen sind, wo Marokkaner durch die Strassen gejagt und mit dem Tode bedroht wurden, wo Behörden und Ordnungskräfte erst nach Tagen eingegriffen haben - und auch da nur halbherzig.
EI Ejído, das ist da, wo die europäischen Medien ihre Reporter bloss für einen Tag einfliegen liessen. Und weil sich im Februar 2000 offenbar nicht einmal das sonst so beliebte joumalistische Nachfassen für die Medienzentralen in Paris, Frankfurt oder Zürich lohnte, verliefen die Einkäufe bei Coop, Migros oder Spar weiter wie jedesmal während der Winter- und Frühjahrszeit. Denn mit dem Billiggemüse aus Südspanien werden hierzulande die Monate ohne einheimische Ernte überbrückt. Über den Sinn der LKW-Kühlkettentransporte entlang von tausend Kilometern Autobahn und mehr macht man sich in Resteuropa meist keine Gedanken, über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Pflücker und Fabrikarbeiterinnen dort unten im armen Andalusien erst recht nicht.
Im Ort EI Ejído und seiner Umgebung, nur wenige Kilometer von den mondänen Ferienstränden der Costa del Sol entfernt, findet sich das mit Abstand grösste Anbaugebiet Europas für Gemüse. Der fünftgrösste mit Plastik überdachte «Garten» der Welt ist mehrere hundert Kilometer lang. Nur einen Steinwurf von der verschneiten Sierra Nevada entfernt wächst da Europas winterliches Sommergemüse. Am Montag wird es von den meist marokkanischen Arbeitern gepflückt und sortiert, am Mittwoch liegt es in den Regalen der westlichen Grossverteiler. Hunderte von Patrons und Zehntausende von Saisonniers hängen am Tropf der Schlechtzahler - der deutschen Ladenkette Rewe - und der Gutzahler wie Migros und Coop Schweiz.
Neigt, wer ausgegrenzt war, selber zur Ausgrenzung?
Seit langem war vorhersehbar, dass es in dieser Gegend zu fremdenfeindlichen Übergriffen und rassistischen Ausschreitungen kommen könnte. Denn die «moros» (Mauren, die arabischen UreinwohnerInnen Andalusiens) sind bei den spanischen Einheimischen unbeliebt - eine mehrhundertjährige Geschichte der Konfrontation, der Kolonisation und der Indoktrination hat bei der Bevölkerung ihre Spuren hinterlassen. Dazu kommt die etwas dunklere Haut der Pflücker, die analog den ebenso ungeliebten gitanos, den «Zigeunern», zuunterst auf der sozialen Leiter der spanischen Gesellschaft stehen.
Das ist einer der Hintergründe der rassistischen Übergriffe. Währenddessen schreiben Europas Medien auch von einem Kampf um die Arbeitsplätze in der Gemüseproduktion. Andernorts ist man über die Bedeutung eines solchen «Wettbewerbs der Armen» indes nicht gleicher Meinung. «Die meisten Spanierlnnen haben seit Jahren kein Interesse mehr an der schlecht bezahlten Arbeit in heissen, stickigen und gesundheitsschädigenden Plastiktunnels; ihre Zeiten als 'Gastarbeiter' in den Fabriken des Ruhrgebietes oder der Schweiz haben sie 'autonom' werden lassen, meint sogar ein aufgestiegener Biobauer wie Juan Minares: «Der Spanier kann es sich jetzt leisten, im Büro zu arbeiten und nicht auf Andalusiens Feldern in Kälte, feuchter Hitze und Regen.» Was die marokkanischen Billigarbeitskräfte angeht: Die seien zwar noch vor zehn Jahren als Illegale entrechtet, ohne Sozialschutz und jederzeit von Kündigung bedroht. «Doch das ist alles vorbei», erklären die, man staune, geläuterten Patrons.
«Keineswegs», widerspricht Ibrahim von der ATIME, der grossen marokkanischen Selbsthilfeorganisation in Spanien. Bloss habe der Druck der Europäischen Union (EU) auf Spanien die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse zunehmend verschleiert; beseitigt habe er sie nicht im Entferntesten. So liegt der Verdacht nahe, dass Andalusiens Bauern, die dank den EU-Exporten gross geworden sind und nun selbst nach den USA liefern können, einfach ihre Lektion gelernt beziehungsweise die «fortschrittlichen Diskurse» innerhalb der EU verstanden haben: Dreckarbeit ist politisch unkorrekt - jedenfalls soweit er nach Aussen sichtbar wird.
So haben sich dank des Einflusses der EU die Rechte der Arbeitnehmerlnnen auf dem Papier verbessert. «Doch», so erklärt uns Plantagenarbeiter Rachid, «wenn du bei einer Krankheit oder nach einem Arbeitsunfall auf den 46 Lohnprozenten beharren würdest, die dir zustehen, sagt der Patron zu dir: 'Wenn du nicht gut arbeitest, kannst du nicht bleiben.'» Rachid ist einer der vielen andalusischen Plantagenarbeiter mit marokkanischem Uni-Abschluss. Wohl gibt es heute eine Minimallohngarantie und eine Pflicht, Sozialleistungen auszuschütten. Doch werden gesetzlich vorgesehene Kontrollen unter anderem mit Blankoformularen umgangen und die frühere Illegalität durch eine «Scheinlegalität» ersetzt.
Das Doppelspiel der EU
In Brüssel könnte man davon wissen. Doch das Doppelspiel der EU-Verantwortlichen verläuft anders. Im Zentrum der EU-Politik steht die Aufrüstung der andalusischen Küsten gegenüber «Drittausländern», vor allem gegenüber den Arbeitssuchenden aus Marokko. Mit der Unterstützung der Hightech-Abwehr am, auf und über dem Mittelmeer wird dem Musterschüler Spanien signalisiert, dass Marokkos Arbeitskräfte in Europa unerwünscht sind.
Der Musterschüler selber hat die Zeichen schon Anfang der 90er Jahre erkannt: Mit Visumszwang, Studienverboten und Verelendungstaktiken hält Madrid die Menschen aus Marokko und den Gegenden südlich der Sahara systematisch von der Iberischen Halbinsel fern. Dieselben Menschen sieht man in Andalusien aber gerne, soweit sie «illegal» ankommen und sich in die langen Wartekolonnen Arbeitswilliger einstellen. Denn es sind letztlich die Warteschlangen, die soviel Druck erzeugen, dass sich keiner der Saisonniers krank schreiben lässt.
Die von der EU offiziell verunmöglichte «illegale» Einreise findet jedoch täglich statt. Unter Lebensgefahr überqueren die Marokkanerlnnen in brüchigen Fischerbooten das Mittelmeer. Dass viele dieser Boote samt Passagieren dabei untergehen - mehr als Tausend sind es laut Angaben der ATIME jedes Jahr - gilt in diesem zynischen Spiel nichts. Übrigens hat König Hassan II. von Marokko, der von Frankreich und Spanien bis zu seinem Tod im Sommer 1999 gestützt wurde, auf seine Weise zum Doppelspiel der EU beigetragen. Sein diktatorisches Regime hat stets zur Perspektivlosigkeit und zur Unterdrückung der Bevölkerung im eigenen Land beigetragen - und somit auch zu den täglichen Massenfluchten, dank denen Andalusien stets über genügend Arbeitswillige verfügen konnte.
Neue Probleme für EU-Musterschüler Spanien
Vielleicht liegt in Hassans Tod das Positive. Sollte sich sein Sohn Mohammed Vl. als neuer Regent wirklich zu einem menschlicheren Umgang mit seinem Volk entschlossen haben, so hätte der Musterschüler Spanien möglicherweise bald ein neues Problem: Weniger «Illegale», weniger Arbeitskräfte im Exportbereich Landwirtschaft, weniger Wachstum und Gewinn. Und dazu kommt: Bereits seit drei Jahren wächst der Anteil der Importe von Landwirtschaftsprodukten aus Marokko auf Kosten jener aus Spanien. «Der Gemüsemarkt des heute dominanten Südspaniens kann problemlos durch die südlichen Mittelmeerländer wie Tunesien, Ägypten und die Türkei ersetzt werden», sagt der ehemalige Chefeinkäufer der überproportional marktmächtigen «Coop Schweiz».
Vielleicht werden dann die Hetzjagden auf Marokkaner, die Pogrome von EI Ejído Vergangenheit sein- schlicht weil die Marokkaner alle endgültig vertrieben sein könnten.
«An den Rändern Europas. Berichte von den Grenzen»
Von Beat Leuthardt ist unter diesem Titel kürzlich ein politisches
Lese-, Erzähl- und Sachbuch erschienen. 300 S. plus 40 S. Infoteil,
Rotpunktverlag Zürich, Ende 1999, 36 Fr., Bezug: Buchhandel, Verlag oder beim Autor: Büro EuroGrenzen, Pf 1860/CH-4001 Basel, Fax: 061 263 000 6, e-mail: leu@eurogrenzen.ch.
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