Es war der Wunsch nach "Identität" der die Iren dazu brachte, zum Nizza-Vertrag Nein zu sagen, schliesst der EU-Kommissionspräsident Romano Prodi nach einem Wochenendbesuch vom 23/24 Juni 01 in Irland: "Der grosse Wunsch nach Identität, das Bedürfnis, Volk und Land nicht die Wurzeln verlieren zu lassen", meinte Prodi wörtlich, anlässlich eines Besuch des Hauses von Daniel O' Connell, Irlands "Befreier" aus dem 19. Jahrhundert, in Derrynane, Kerry.
Als die wichtigsten Personen der Nein-Kampagne Mitte Juni Prodi in Dublin trafen, konnten sie den Eindruck gewinnen, dass er ein ziemlich netter Mann ist. Für einen ehemaligen Universitätsprofessor verwendet er die Begriffe aber recht achtlos.
"Identität" statt "Unabhängigkeit" zum Beispiel, ist eines jener heutigen flinken Wörter, die verwendet werden, um Vernebelung zu betreiben. "Identität" wird fortwährend von jenen Leuten verwendet, die den Verlust an Demokratie und Unabhängigkeit durch die sich zentralisierende EU verschleiern wollen. "Eure Identität bleibt unberührt", so sagen sie, denn sie wissen, dass die meisten Menschen genug Vertrauen in die verschiedenen Dimensionen ihrer verschiedenen Identitäten haben. Indem sie über "Identität" reden, können sie die Aufmerksamkeit auf etwas richten, das gar nicht zur Debatte steht. Und darum ging es Prodi natürlich in Derrynane.
Die Kurden haben eine "Identität", aber sie sind ein unglückliches Volk. Die Palästinenser, die Tschetschenen, die Basken, und unzählige andere Völker auf dem Globus haben eine Identität, aber wenige wollten die politische Stellung mit ihnen tauschen. Sie haben nämlich keine Unabhängigkeit, keine eigenständige Demokratie und ihr Recht auf demokratische Selbstbestimmung wird negiert.
Auch die Iren hatten eine "Identität", als sie im 19. Jahrhundert von London aus regiert und durch den Grossen Hunger terrorisiert wurden. In diesen schrecklichen Zeiten waren sie durch eine Menge von sozio-kulturellen Merkmalen als Iren erkennbar. Sie wurden jedoch vom Ausland aus regiert und kannten keine politische Unabhängigkeit. Genau so wie der Vertrag von Nizza heute die Demokratie und Unabhängigkeit Irlands verringern - und den Iren sehr viel "Identität" belassen würde: Guinness, James Joyce, irische Musik, die irische Sprache, Untersuchungsgerichte für Korruption, Regierungen, welche die Resultate von Abstimmungen missachten!
Wenn Politiker das Wort "Identität" verwenden, besonders supranationale Politiker wie der erlauchte und ehrenwerte Herr Prodi, muss man wissen, dass sie beinahe immer das Publikum über den Tisch zu ziehen versuchen.
Der Nizza-Vertrag ändert die politische Dynamik rund um die Wahl von EU-Kommissaren fundamental. In diesem Bereich würde nämlich die qualifizierte Mehrheitsabstimmung eingeführt werden. Damit kann ein Staat nicht einmal gegen die Wahl von Kommissions-Mitgliedern aus dem eigenen Land ein Veto einlegen. Es entschwindet auch ein Druckmittel, um eigene Kandidaten aus dem eigenen Land durchzubringen. Bisher akzeptierten die anderen Länder im allgemeinen den Kandidaten eines Landes, da sie sonst bei der Wahl ihrer Kandidaten Retourkutschen befürchten mussten. Zudem gäbe Nizza dem Kommissionspräsidenten die Möglichkeit, Kommissare des Amtes zu entheben. Das Mehrheitsprinzip für die Wahl von EU-Kommissaren wurde erst in den letzten 4 Tagen des Nizza-Gipfels beschlossen. Wegen des völlig überraschenden Auftauchens dieses Punktes wurde dieser radikale Wechsel in der internationalen Presse kaum erwähnt oder kommentiert. Der Hintergrund dieser Einführung wird im neuen Buch des dänischen EU-Parlamentariers Jens-Peter Bonde "The Nice Treaty Explained" dargelegt (Das Buch wurde auch auf dem Internet publiziert: http://www.euobserver.com/index.phtml?selected_topic=12&action=view&article_id=1822)
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