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Vier Thesen eines UNO-Turbos



Die Frage des UNO-Beitritts der Schweiz wird in absehbarer Zeit wieder politisch aktuell werden. Die grösste Veränderung in den Rahmenbedingungen dieser Diskussion seit der Abstimmung von 1986 besteht einerseits zweifellos im Ende des Kalten Krieges, anderseits in der wirtschaftlichen und technologischen Globalisierung, die sich in den letzten zwölf Jahren ausserordentlich verstärkt hat. Letzteres hat sich 1994 politisch und institutionell in der Gründung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) niedergeschlagen. Diese zwei Grundelemente haben unvermeidlich einen massgebenden Einfluss auf die Frage des UNO-Beitritts der Schweiz.

Von Urs P. Thomas, Politologe und Konsultant für internationale Umweltfragen, Genf

UNO Beitritt: Eine Frage der internationalen Solidarität

Die Ausgangslage der UNO-Beitrittsdiskussion besteht darin, dass die Schweiz der einzige der gegenwärtig 186 unabhängigen Staaten dieser Welt ist, welcher nicht UNO-Mitglied ist. Es sollte daher eigentlich klar sein, dass es nicht an den 185 UNO-Mitgliedstaaten oder an den UNO-Beamten liegt, die UNO, so wie sie heute besteht, zu rechtfertigen, sondern dass es an den Gegnern eines solchen Beitritts liegt, ihre Position zu begründen. Diese Problematik weist eine Parallele zur Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz auf: Es ist normal, dass die Frauen das Stimmrecht haben, und eines schönen Tages waren deshalb der Bund, respektive gewisse bis zuletzt widerstrebende Kantone, nicht mehr imstande, ihre absurde frauenfeindliche Position zu verteidigen. Im gleichen Sinne ist es auch normal, dass die Schweiz - wie sämtliche anderen Staaten (inklusive aller neutralen!) - der UNO beitritt.

Selbstverständlich heisst das mitnichten, dass die UNO über Kritik erhaben wäre. Dass ein so grosses und ausserordentlich komplexes Gebilde Fehler, sogar ausserordentlich schwere Fehler mit fatalen Folgen macht, ist unvermeidlich. Dieses Gebilde kann nur so gut sein, wie es die Zusammenarbeit seiner zahlreichen Mitgliedstaaten erlaubt. Zudem sind UNO-Beamte ja schliesslich auch nur Menschen. So muss man zugestehen, dass die UNO in gewissen Fällen komplett versagt hat - am schlimmsten wohl in den siebziger Jahren in Kambodscha, und 1994 in Ruanda und in Burundi. Gleichzeitig muss man aber auch erwähnen, dass die UNO manchmal unfair kritisiert wird, speziell wenn sich der Sicherheitsrat auf Schützenhilfe des Pentagons verlassen muss. Auf diese Weise war es immerhin möglich, unter UNO Obhut zum Beispiel Saddam Hussein zurückzustutzen - in seiner brutalen Aggressivität gegen sein eigenes und gegen ein benachbartes Volk. Die UNO war dank amerikanischer Unterstützung unter anderem auch darin erfolgreich, vermutlich hunderttausende von Somalis vor Hunger und vor Clankriegen zu schützen. In Bosnien konnte der Krieg durch Luftangriffe gestoppt werden, während die europäischen Mittelmächte feige zuschauten und ein klägliches Schauspiel der Zerrissenheit zeigten. Die Welt ist oft ein dreckiger Schauplatz, und hohe Ziele wie die demokratische Gleichberechtigung der Staaten können vor menschenverachtenden Diktaturen oft nicht bestehen.

Die Hauptaktivitäten der UNO – und der Grossteil ihres Budgets - sind jedoch in den Bereichen der nachhaltigen Entwicklungshilfe, der humanitären Unterstützung und der Umweltabkommen zu finden. Leider sind diese Tätigkeitsgebiete für die Massenmedien viel weniger interessant als Kriegsschauplätze. Speziell im Fall von Umweltabkommen wird die zentrale Rolle der UNO oft überhaupt nicht erwähnt. Die Schweiz ist zwar bei diesen Unterorganisationen dabei, in der Generalversammlung hat sie aber nur Beobachterstatus. Dies schliesst sie bei gewissen Entscheidungsorganen aus und schadet ihrem diplomatischen Ansehen.

WTO-, aber nicht UNO-Mitglied: welche Logik?

Die Schweiz ist seit 1966 beim GATT und ist eine der Gründernationen der WTO (keine UNO Organisation). Die UNO stellt in erster Linie ein globales Diskussionsforum und eine Koordinationszentrale für Entwicklungshilfe dar. Auch der Sicherheitsrat beeinträchtigt nur in den seltensten Fällen das nationale Selbstbestimmungsrecht: wenn die betreffende Regierung wegen Aggressionen und massiven Menschenrechtsverletzungen dieses Rechtes nicht würdig ist. Aber selbst dann erfolgen Einschränkungen nur in Ausnahmefällen. Die WTO hingegen ist de facto ein internationaler Wirtschaftsgerichtshof mit sehr weitgehenden Befugnissen. Sie kann sich in immer mehr Bereichen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen über das nationale Selbstbestimmungsrecht ihrer Mitgliedsländer hinwegsetzen. Die Tatsache, dass sogar die grossen Nichtmitgliedsländer Russland und China gegenwärtig grösste Anstrengungen unternehmen, um auch in den Genuss dieser Gerichtshoheit zu kommen, zeigt, dass damit nicht nur Nachteile verbunden sind. Ein wichtiger Nachteil der WTO ist, dass diese Organisation den Nicht-Regierungsorganisationen gegenüber sehr viel weniger zugänglich ist, als die UNO (mit Ausnahme des Sicherheitsrates).

Schweizer Parlament und Bundesrat, so wie die Regierungen aller anderen Mitgliedsländer, sind zum Schluss gekommen sind, dass die Vorteile der WTO Mitgliedschaft die Beschneidung der nationalen Souveränität rechtfertigen. Diese realpolitische Position hat die Idee des nationalen Selbstbestimmungsrechtes bedeutend untergraben. In Anbetracht dieses Fait accompli sind Befürchtungen betreffend der schweizerischen Unabhängigkeit wegen der UNO-Mitgliedschaft kaum glaubhaft. Christoph Blocher weist bei jeder Gelegenheit auf die stark ausgebauten internationalen Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz hin und fordert gleichzeitig auf dem diplomatischen Parkett die Unabhängigkeit der Politik. Damit fordert und verteidigt er die Trennung von Wirtschaft und Politik. Diese Trennung entspricht effektiv der Wirklichkeit: auf dem Gebiet der Wirtschaft haben wir die WTO, welche für eine strenge Ordnung sorgt, während auf dem Gebiete der Politik mehr oder weniger Anarchie herrscht. Jedes Land pocht immer wieder auf seine nationale Souveränität. Leider besteht diese Anarchie auf Kosten des internationalen Umweltschutzes, denn Verhandlungen über Umweltthemen haben einen eminent politischen Charakter.

Die Strategie der Trennung von Politik und Wirtschaft ist das genaue Gegenteil des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung, welche auf dem Grundpfeiler der Integration zwischen umweltbezogenen, sozial-wirtschaftlichen, politischen und sogar kulturellen Prioritäten aufgebaut ist. Die Umsetzung dieses Konzeptes ist aber noch weit von der Realität entfernt. Deshalb sind zum Beispiel die Klimaverhandlungen so mühsam und langsam. Die Problematik des Klimawechsels ist eine der grössten Herausforderungen an die UNO. Es ist ganz klar, dass der Klimawechsel nur durch enorme UNO-koordinierte Anstrengungen, durch eine neue machtvolle supra-nationale Institution mit wirklichen Zähnen, und durch globale Konzessionen auf der Ebene der nationalen Souveränität abgebremst werden kann!

Der UNO-Beitritt ist im Interesse der Schweiz

Wie das Zögern mit dem Frauenstimmrecht vor einer Generation, wird im Ausland das schweizerische Abseitsstehen von der UNO heute nicht mehr verstanden. Man betrachtet uns vielerorts als internationale Schwarzfahrer. Da wir nach wie vor nach Pro-Kopfeinkommen zur Spitzenklasse zählen, stösst eine schweizerische Diskussion über den Gegenwert, den wir von den Zahlungen für die UNO-Mitgliedschaft hätten, auf Unverständnis.

Im Kontrast zur UNO sind wir bei den Bretton Woods Institutionen für ein Land unserer Grösse sehr aktiv, ebenso bei der Global Environment Facility, einem Gemeinschaftswerk von Weltbank, UNO Entwicklungsprogramm und UNO Umweltprogramm. Dafür werden wir in diplomatischen Kreisen respektiert. Beim Beitritt zu den Bretton Woods Institutionen im Jahre 1992 hatte sich der Bundesrat verpflichtet, die wichtige Rolle der Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) zu unterstützen, und die Schweiz ist in dieser Beziehung effektiv relativ progressiv. Man könnte und sollte auf dieser Tradition aufbauen und sie in der UNO als künftiges Mitglied weiterführen und vertiefen. Realistischer weise dürfte der Einbezug von NGOs wohl die einzige erfolgversprechende Auflage an den Bundesrat sein. Es handelt sich gleichzeitig auch um ein Gebiet, auf dem die Schweiz in der UNO in Zusammenarbeit mit anderen progressiven Nationen Fortschritte erzielen kann.

UNO- und EU-Beitritt: eine trügerische Querverbindung

Die Versuchung, zwischen dem UNO- und dem EU-Beitritt Parallelen herzustellen, ist gross. Die politischen Rahmenbedingungen dieser beiden internationalen Organisationen sind jedoch dermassen verschieden, dass solche Vergleiche völlig irreführend sind. Ein EU-Beitritt würde zweifellos, darin vergleichbar mit dem WTO-Beitritt, eine Beschneidung der schweizerischen Souveränität nach sich ziehen. Davon kann im Falle der UNO keine Rede sein. Diese funktioniert nach dem Prinzip des Konsensus und kann einem friedlichen Land wie der Schweiz überhaupt nichts aufzwingen.

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