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Euro: Mit Volldampf in die falsche Richtung



Von Dorothee Piermont, ehemalige grüne, deutsche EU-Parlamentarierin

Wegen des Verschuldungs- und Haushaltsdefizitkriteriums (60% bzw. 3% des BIP) für die Zulassung in die erlauchte Runde der Währungsunionisten zwingt die geplante währungsunion bereits seit Jahren die Bewerber zu Austeritätspolitik: Abbau von Sozialleistungen, Privatisierungen öffentlicher Dienste, Privatisierung der Vorsorge für Gesundheit, Alter, Ausbildung, Druck auf Löhne, auf das Tarifsystem, weitere Deregulierungen, Steuerreformen zugunsten der Unternehmen und der Begüterten und zu lasten der unteren Schichten sowie wachsende Arbeitslosigkeit sind die Folge.

1. Die Verwirklichung einer Währungsunion nach Maastrichter Rezept, so versprechen ihre Befürworter, werde die Position Europas in der Triadenkonkurrenz zu den USA und Japan stärken, die EU als Anlageplatz interessanter machen, zukünftig Spekulationswellen verhindern, EU-weit Wohlstand und Beschäftigung schaffen, die Bundesrepublik einbinden, die DM entlasten, die europäische Integration vollenden, ja sie sei, so Kohl, “eine Frage von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert”.

2. Wohlstand und Beschäftigung, konkret: 5 Millionen neue Arbeitsplätze, hatte die EU der bosse und Banker dem Volk schon für den ab 1992 zu vollendenden Binnenmarkt angekündigt. Mit der Aufgabe des Prinzips “Harmonisierung” zugunsten des Prinzips “gegenseitige Anerkennung” und der Realisierung der Freizügigkeit für Kapital, Waren und Dienstleistungen - aber immer noch nicht für Menschen, soweit es nicht um deren Verwertbarkeit als Arbeitskraft geht! - stellte er die EG-umfassende Deregulierungsinitiative dar, um Adam Smiths “unsichtbare Hand des Marktes” zu entfesseln. Mit dem Ergebnis, daß sich EU-weit Sozial- und Ökodumping breitmachten und die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit - von der hinter statistischen Tricks, ungeschützter Beschäftigung etc. versteckten ganz zu schweigen - in der Euro-11-Zone auf auf mehr als 11 % wuchs (NZZ. 20.8.98).

3. Die Auswirkungen der Währungsunion werden in dieselbe Richtung gehen. Wegen des Verschuldungs- und Haushaltsdefizitkriteriums (60% bzw. 3% des BIP) für die Zulassung in die erlauchte Runde der Währungsunionisten zwingt die geplante währungsunion bereits seit Jahren die Bewerber zu Austeritätspolitik. Abbau von Sozialleistungen, Privatisierungen öffentlicher Dienste, Privatisierung der Vorsorge für Gesundheit, Alter, Ausbildung, Druck auf Löhne, auf das Tarifsystem, weitere Deregulierungen, Steuerreformen zugunsten der Unternehmen und der Begüterten, aber zu lasten der unteren Schichten und wachsende Arbeitslosigkeit sind die Folge. Letztere vermindert Steuereinnahmen und erhöht die Ausgaben: eine Spirale ohne Ende aus wachsenden Haushaltslöchern und weiteren Drehungen an der Austeri-tätsschraube.

4. Mit dem von der BRD durchgesetzten “Stabilitätspakt” sollen die beteiligten Staaten für immer in ihrem wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum beschränkt werden. Als ein Feld des Sparens unter vielen bietet sich etwa die erneute Einführung der Kostenpflichtigkeit von Ausbildung und Studium an. Der soziale Aufstieg soll wieder einer finanziellen Elite vorbehalten werden. Die gegen “Defizitsünder” zu verhängenden Geldstrafen (0,2% des Bruttoinlandsproduktes fix plus 0,1% pro überzogener Prozentpunkt) sollen auf Drängen Waigels nicht den wirtschaftlich schwächeren EU-Ländern oder der gesamten EU für Gemeinschaftsprojekte zugute kommen, sondern den “Tugendreichsten”, sprich den wirtschaftlich Stärksten (vor allem der BRD). Waigel bemerkte: “Es wäre doch eine grobe Ungerechtigkeit, wenn die Verwendung jenen zugute käme, die am weitesten von den Kriterien entfernt sind” (FAZ 7.4.97).

5. Das in Frankfurt ansässige und dort von der Bundesbank mit Argusaugen überwachte “Europäische Zentralbanksystem”, bedeutet einen weiteren Schritt der Entdemokra-tisierung der EU. Es ist ein Gremium ernannter Finanzexperten, das keinem Wähler, keiner gewählten Regierung verantwortlich ist. Auf Drängen Deutschlands ist es nur der Außen- und Innenstabilität des Euro, nicht etwa der Beschäftigung oder dem sozialen Leistungsniveau verpflichtet.

6. Die finanzpolitischen Konvergenzkriteren sagen nichts über reale wirtschaftliche, politische, kulturelle, steuerliche, rechtliche etc. “Konvergenzen” aus. Solche werden auch nicht erstrebt. Die Bundesrepublik weigert sich strikte, der europäischen Zentralbank eine europäische Wirtschaftsregierung zur Seite zu stellen oder die finanzpolitischen Kriterien durch beschäftigungspolitische Anforderungen zu ergänzen. Obwohl diese Forderungen z.B. in Frankreich breit getragen werden, hat sich die Bundesregierung hier sowohl beim Amsterdamer EU-Gipfel im Juni 98 als auch beim bilateralen deutsch-französischen Treffen in Weimar durchgesetzt. Die folge ist, daß die Teilnehmerländer an der Währungsunion in wachsende Konkurrenz zueinander getrieben werden: um die niedrigsten Sozial-, Arbeitssicherheits-, Steuer- und Umweltstandards. Konkurrenz- statt Solidarunion.

7. Der Euro wird nicht integrieren, sondern die spaltungen vertiefen: - sozial zwischen den Wenigen immer Reicheren und der wachsenden Masse prekär Beschäftigter, Arbeitsloser und Ausgegrenzter; - geographisch zwischen den sich mit Volldampf entwickelnden Wachstumsregionen (wie Hamburg und Mailand) auf der einen, den abgehängten Regionen (“neue Bundesländer” und “Mezzogiorno”) auf der anderen Seite;

8. Im Falle einer grossen Währungsunion, stellt sich für die wirtschaftlich schwächeren mit erhöhter Virulenz ein anderes Problem. Mit dem Euro entfällt nämlich die Möglichkeit, strukturelle oder vorübergehende wirtschaftliche “Schwächen” eines Landes mit dem Puffer der Abwertung aufzufangen. Druck auf Löhne und Beschäftigung wird für sie die Folge sein. Was eine Währungsunion zwischen unterschiedlich wirtschaftsstarken Ländern für das schwächere bedeutet, ist in der ehemaligen DDR zu besichtigen: die Arbeitslosigkeit ist dort fast doppelt so hoch wie in der alten Bundesrepublik.

9. Der Euro als Hebel verschärfter Konkurrenz, um die Arbeitnehmer der EU-Staaten gnadenlos gegeneinander auszuspielen (Beispiel Renault-Vilvoorde oder Hoover) wird nicht Völkerfreundschaft und -verständigung fördern, sondern Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus - man denke nur an bestimmte Reaktionen unter den deutschen Bauarbeitern an der Berliner Regierungsgroßbaustelle angesichts der Konkurrenz von gering bezahlten Arbeitern aus Portugal. Statt zum einigenden Band kann sich der Euro so zum Sprengsatz des Friedens in Europa entwickeln. Ein Blick auf die geschichte zeigt, daß der gemeinsame Dollar den US-Sezessionskrieg nicht verhindern konnte, eben sowenig der gemeinsame Rubel den krieg in Aserbaidschan und Tschetschenien oder der gemeinsame Dinar das Auseinanderbrechen Jugoslawiens.

10. Die Währungsunion stellt nicht ein “Zugeständnis” der BRD dar, die ihr “Herrschaftsinstrument” D-Mark angesichts der Befürchtungen vor einem neu erstehenden Grossdeutschland als Preis für die Wiedervereinigung geopfert habe. So haben es Kohl, Banker und Bosse nur dargestellt, um die Gunst der Stunde für eine Währungsunion nach ihren Vorstellungen zu nutzen. Das Ergebnis ist eine Währungsunion, durch die das bundesrepublikanische Kapital sein Modell allen anderen Mitgliedstaaten aufgezwungen hat: unabhängige, nur der stabilität verpflichtete Europäische Zentralbank (EZB), stabilitätspakt “für immer”, Bereicherung des wirtschaftlich Stärksten (BRD) auf Kosten der schwächeren “Defizitsünder”, keine transferleistungen für schwächere EU-Staaten, Bindung der von der Währungsunion Ausgeschlossenen an den Euro (“Europäisches Währungssystem II”), Währungsunion als “Kerneuropa”, Sitz der EZB in Frankfurt. Auf diese Weise konnte es seine hegemonie in der EU verstärken und hat damit die EU zum resonanzboden und Instrument deutscher Interessendurchsetzung weltweit zurechtgestutzt. Die Währungsunion ist mithin kein Mittel, deutschland einzubinden, sondern genau umgekehrt ein Mittel deutscher Vorherrschaft. Hier und nicht in einem Euro, der möglicherweise schwächer als die DM ist, liegt das Problem.

11. Der Euro wurde betrieben, um der region “Europa” unter führung der BRD vermittels der EU in der weltweiten Triadenkonkurrenz zu Amerika/USA und Asien/Japan zur Vormacht zu verhelfen. Den Ländern der sogenannten Dritten Welt bereitet er durch die Abwälzung der Wechselkursrisiken, z.B. bei Rohstofflieferungen (Öl) eine substantielle Verschiebung der Austauschbeziehungen zugunsten der EU. Darüber hinaus wurde der IWF auf Betreiben seines Direktors beauftragt, zum größten Nutzen des floatenden Spekulationskapitals die Finanzmärkte auch der Staaten der Dritten Welt völlig zu liberalisieren und diesen Prozess zu überwachen (Le Monde 30.4.97) - mit den bekannten Folgen, die diese “Liberalisierung” auf die schwachen Währungen dieser Länder haben wird. Man denke nur an das augenblickliche “Finanzdebakel” der sogenannten asiatischen Tigerstaaten.

12. Das deutsche Projekt “Währungsunion” ist der untrennbare siamesische Zwilling des ebenfalls von den herrschenden bundesdeutschen Kräften in Politik und Wirtschaft betriebenen Projekts “Kerneuropa”. Es sieht vor, die EU um die Achse Deutschland-Frankreich herum variabel in konzentrischen Kreisen zu organisieren. Damit sollen die Interessen des harten (deutschen) Kerns an der “Wahrung der Rohstoffquellen und der Märkte” militärisch nach aussen gesichert werden. Nach innen erfolgt diese Sicherung per Europol.

13. In der BRD diskutieren Betreiber und Gegner der Maastricht-Union den Euro ausschließlich aus der verengten bundesdeutschen Perspektive. Was die Bevölkerungen anderer Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten denken, gilt offenbar als völlig unerheblich, ein Zeichen deutscher Nabelschau, deutschen Großmannstums und deutscher Borniertheit. Für Ralf Dahrendorf (seit jahren wirtschaftswissenschaftlicher Professor in Groß-Britannien) “sind die Deutschen so naiv zu glauben, daß ihre Vorurteile schlicht “vernünftig” und daher universell gültig wären”. Emmanuel Todd (franz. Historiker u. Anthropologe) ist überzeugt, “daß die Einheitswährung als lebensfähiges ökonomisches system auf die Dauer nicht möglich ist. man kann nicht eine vernünftige Finanzverwaltung zwischen so unterschiedlichen Gesellschaften wie Frankreich und Deutschland schaffen, und zwar aus Gründen der demographischen Divergenz, aus Gründen der Strukturierung der sozialen Beziehungen in den beiden Ländern.”

14. Ein Verbund, der die einen stärkt und die anderen zwingt, im übertragenen Sinne “das Tafelsilber zu verkaufen” (Carlos Carvalhas, Generalsekretär der portugiesischen KP, ND 21.4.97), kann nicht funktionieren, selbst wenn die profitierende Seite sich weigert, das zur Kenntnis zu nehmen.

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