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Menschenrechtswidrige Migrationspolitik, Rassismus und Rechtsextremismus

Die EU-Entwicklungspolitik wird zunehmend der Handelspolitik – einer"exklusiven" Domäne der EU-Kommission – untergeordnet und damit der parlamentarischen Kontrolle und Einflussnahme durch die EU-Mitgliedsländer entzogen. Ähnliches trifft auch auf die EU-Migrationspolitik zu, die neben der EU-Innenpolitik in den Bereichen Sicherheit und EU-Grenzregime Hauptschwerpunkt der französischen Ratspräsidentschaft sowie der EU-Kommission für 2008 ist. Weltweit sind derzeit 10 Millionen Menschen außerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht; fast 25 Millionen Menschen sind sog. Binnenflüchtlinge, d.h. Flüchtlinge/Vertriebene in ihren eigenen Ländern.

Annette Groth Stuttgart, Referentin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Europa-Fragen

Auf Initiative Deutschlands wurde durch eine Verordnung des Rates der Europäischen Union im Oktober 2004 die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX mit Sitz in Warschau eingerichtet. Im Rahmen von FRONTEX wird mit Schiffen, Flugzeugen und gut ausgerüsteten Polizeieinheiten Jagd auf Flüchtlinge im Mittelmeer gemacht, die auf den afrikanischen Kontinent zurückgebracht und in Lagern in Libyen und anderen afrikanischen Küstenstaaten interniert werden. Für den ehemaligen EU-Kommissar Frattini (zuständig für Justiz, Freiheit und Sicherheit) ist FRONTEX die Basis für einen gemeinsamen Grenzschutz, für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) ist FRONTEX "Teil der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur", deren Ausbau, ähnlich wie die militarisierte Außenpolitik, schneller voran schreitet, "als der Aufbau politischer Institutionen, die zu ihrer Kontrolle im Stande wären."

Das EU-Parlament hat Ende April 08 mit der Verordnung "über die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke" dem Ausbau von FRONTEX zugestimmt, und damit die gesetzliche Grundlage für die so genannten Schnellen Einsatzkräfte für den Grenzschutz (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) geschaffen. Diese Einheiten können in Ausnahmesituationen für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Die benötigte technische Ausrüstung würde im Bedarfsfall über einen extra hierfür geschaffenen Ausrüstungskatalog, den Centralised Record of Available Technical Equipment (CRATE) bereitgestellt werden.

Ohne detaillierte Informationen über die Arbeit von FRONTEX – das EU-Parlament erhält lediglich "Berichte" der Agentur – hatte das Parlament 2006 das FRONTEX-Budget auf 35 Mio. Euro erhöht und damit gegenüber 2005 mehr als verfünffacht. Diese Finanzspritze ist allerdings nur für die laufenden Kosten der Warschauer Agentur mit derzeit ca. 140 Mitarbeitern vorgesehen, während eingesetzte Polizisten und Beamte sowie die Ausrüstung zusätzlich von den Mitgliedsstaaten finanziert werden.

Da die kurzen Seewege zwischen Afrika und Europa mittlerweile besser überwacht werden, wählen die Flüchtlingsboote jetzt andere, gefährlichere Routen, wie etwa von der Elfenbeinküste oder von Guinea auf die Kanaren. Darum ertrinken auch immer mehr Menschen auf der Flucht. Insgesamt, so wird geschätzt, sind in den letzten zehn Jahren mindestens zehntausend Menschen bei Einreiseversuchen an den südlichen EU-Außengrenzen ums Leben gekommen.

Wenn Flüchtlingen die Einreise in "sichere" Staaten unmöglich gemacht wird, kommt dies einer faktischen Abschaffung des Asylrechts gleich und verletzt damit die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von New York, die es verbieten, Asylsuchende zurückzuweisen.

Im Juni 2008 hat der Rat der Justiz- und Innenminister der 27 EU-Staaten eine so genannte Rückführungsrichtlinie beschlossen, die für „illegal“ Eingereiste eine Abschiebehaft "in speziellen Hafteinrichtungen" bis zu 18 Monaten vorsieht. Zwei Wochen nach Verabschiedung der "Abschieberichtlinie" haben die Justiz- und Innenminister der 27 EU-Staaten einem Vorschlag Frankreichs zugestimmt, einen "Pakt zu Einwanderung und Asyl" zu verabschieden. Der Pakt ist auf dem EU-Gipfel im Oktober verabschiedet worden und zielt neben der Anwerbung benötigter Arbeitskräfte aus Drittländern auf eine strenge Bekämpfung illegaler Einwanderung und eine schärfere Überwachung der EU-Außengrenzen ab. Dazu gehört u. a. die Einrichtung eines einheitlichen EU-Grenzüberwachungssystems. Mit dem neuen System sollen nach Europa eingereiste BürgerInnen von Nicht-EU-Staaten, die nicht pünktlich mit Ablauf ihres Visums ausreisen, EU-weit zur Fahndung ausgeschrieben werden. Um die Zahl der „illegalen“ MigrantInnen in Italien drastisch zu verringern, hat der rechtspopulistische Premierminister Berlusconi Ende Juli eine Notstandsgesetzgebung verabschiedet. Seit Anfang August patroullieren 3000 Soldaten in italienischen Städten und machen Jagd auf „illegale“ AusländerInnen und Kleinkriminelle. Auch der französische Staatschef Sarkozy hat angekündigt, 25 000 MigrantInnen ohne Aufenthaltsgenehmigung auszuweisen.

MigrantInnen als LohndrückerInnen?

Neben der Bekämpfung der illegalen Einwanderung zielt der europäische "Pakt zu Einwanderung und Asyl" vor allem auf eine Politik der ausgewählten Einwanderung ab, "insbesondere im Hinblick auf die Bedürfnisse der Arbeitsmärkte" und der "Aufnahmefähigkeit" der Sozialsysteme. Ziel ist eine "zirkuläre Migration", um sicher zu stellen, dass die ArbeitnehmerInnen in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

Flankierend zu den neuen Migrationsgesetzen wurde im Oktober 2008 das erste EU-Migrationsbüro (Centre d'information et de gestion des Migrations/CIGM) in Mali eröffnet, das die kontrollierte Zufuhr afrikanischen Arbeitspersonals für Firmen in der EU steuert. Ein weiteres Büro ist im Senegal geplant. Diese Büros sollen die Engpässe auf dem europäischen Arbeitsmarkt füllen, der in den kommenden 20 Jahren angeblich Millionen von außereuropäischen Arbeitskräften benötigt.

Um sich billige Arbeitskräfte zu sichern, hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die so genannte "zirkuläre Migration" mit "Mobilitätspartnerschaftsländern" auf den Weg gebracht. Gegenwärtig genießen ArbeitnehmerInnen aus den Kapverden und Moldawien diese "mobile Partnerschaft" und dürfen auf Anforderung europäischer Unternehmen für eine begrenzte Zeit zur Arbeitsaufnahme in die EU einreisen.

Nach der Verwertungslogik des Kapitals dürfen Angehörige aus Drittstaaten in die EU-Staaten, um die angeblichen Lücken auf dem Arbeitsmarkt der 27 EU-Staaten zu füllen. Empirische Untersuchungen, die den Arbeitskräftemangel bestätigen, fehlen allerdings bislang. Dementsprechend dürften andere Gründe für die Rekrutierung außereuropäischer Arbeitskräfte ausschlaggebend sein. MigrantInnen und die Lissabon-Strategie

Im Dezember 2007 haben die MinisterInnen für Beschäftigung und die MinisterInnen für Justiz und Inneres den Zusammenhang zwischen "einer gut gesteuerten legalen Migration und dem Erreichen der Ziele der Lissabon-Strategie" diskutiert. Die "Lissabon-Strategie" wurde im Jahr 2000 verabschiedet und hat zum Ziel, dass die EU 2010 wettbewerbsfähigster Markt der Welt sein soll.(1)

Auf dem EU-Gipfel – ebenfalls im Dezember 2007 – haben die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten einen "neuen Zyklus der Lissabon –Strategie" beschlossen. Als Bereiche für einen weiteren "Reformbedarf" wurde neben dem vielbeschworenen "Wettbewerb" und der Vollendung des Binnenmarkts auch die "Modernisierung der öffentlichen Verwaltung" und "Flexicurity" genannt.(2) Flexicurity, eine Wortschöpfung aus den englischen Wörtern flexibility (Flexibilität) und security (Sicherheit) suggeriert, dass trotz flexibler Arbeitsformen und ausgehöhltem Kündigungsschutz eine gewisse Sicherheit auf dem Arbeitsmark bestehe.

Bereits vor der EU-Ratsentscheidung hatte der deutsche Bundesrat im September einen Beschluss zur Flexicurity gefasst und die Vorteile der Flexicurity-Maßnahmen herausgestellt. Laut Bundesrat profitieren insbesondere "Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber von mobilen und flexiblen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie können schneller auf verschiedene Wirtschaftslagen reagieren und ihre Betriebe so im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig halten. Sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern kommen Maßnahmen flexibler Arbeitszeitgestaltung und Qualifizierung zugute."(3) In allen EU-Mitgliedstaaten sollen 2008 Flexicurity-Strategien unter Beteiligung der 'Sozialpartner' und der Zivilgesellschaft diskutiert und entwickelt werden. Die Einbeziehung der 'Sozialpartner' und der Zivilgesellschaft ist darum wichtig, weil sie "das Bewusstsein der Bürger für die Flexicurity-Maßnahmen und deren Bedeutung für die Reform der europäischen Wirtschafts- und Sozialmodelle" schärfen, d.h. die Akzeptanz weiterer "Reformen" in der Bevölkerung fördern sollen. Um die anvisierten "Reformen" einfacher durchzusetzen, können MigrantInnen als LohndrückerInnen und als industrielle Reservearmee benutzt werden. Mit Hinweis auf die unendliche Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte aus Drittländern könnten Widerstände gegen weitere Lohnkürzungen oder andere "flexicurity-Maßnahmen" in den EU-Staaten gebrochen und "Reformen" wie längere Arbeitszeiten durchgesetzt werden.

Kriege und Armut - Hauptgründe für Migration

Kriege, Armut und ökonomische Perspektivlosigkeit sind die Hauptgründe für Migration. Durch die "Hungerkrise", zunehmende ökologische Zerstörung, aber auch durch die Freihandelsabkommen zwischen der EU und "3.Welt"-Ländern werden sich die Zahlen der Flüchtlinge, die nach Europa wollen, erhöhen. Die Chancen, hier anzukommen, werden durch die schärfer werdenden Maßnahmen allerdings immer geringer.

Die europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik stellt eine neue Form des Neokolonialismus dar. Während die europäischen Staaten die Ressourcen der "armen" Länder ausbeuten und durch erzwungene Freihandelsabkommen zur Armutsverschärfung beitragen, sollen die Opfer dieser ungerechten Weltordnung draußen bleiben. Nur wenn das Kapital sie benötigt, dürfen sie als billige Arbeitssklaven für eine bestimmte Zeit nach Europa einreisen. Es gilt diese Verwertungslogik nach ökonomischer Nützlichkeit zu entlarven und den Zusammenhang zwischen Sozial- und Demokratieabbau sowie dem zunehmenden Rassismus und Rechtsextremismus herzustellen. An den Ausgegrenzten einer Gesellschaft wird der Sozial- und Demokratieabbau erprobt.

Der Kampf gegen Sozial- und Demokratieabbau, gegen den Ausbau des Überwachungsstaats, gegen eine zunehmende Militarisierung nach innen und nach außen und gegen den zunehmenden Rechtsextremismus gehören zusammen. Die Analyse der rumänischen Tageszeitung Cotidianul über die schleichende Rückkehr des faschistischen Denkens in Europa und in der Welt sollte uns höchst bedenklich stimmen: "Das ist ein Geisteszustand, der hier wächst. Ob in Rom, Bukarest, London oder Paris, die täglichen Ängste produzieren Monster. …Woher kommt diese Attraktion für den populären Faschismus? Der Illusion, dass der Faschismus im weitesten Sinne in den ex-kommunistischen Ländern nicht vorkommt, hat die Realität widersprochen. Die Verbindung eines wilden Kapitalismus, wie er in den Transformationsländern ausufernd praktiziert wird, mit der Verlockung, Autorität auszuüben, kann nicht verheimlicht werden…. Dass die politische Demokratie und der Kapitalismus nicht immer eine sehr gute Beziehung führen, ist evident, dass sich der Faschismus wiederholen könnte, wird selten antizipiert. Was, wenn sich Geschichte wiederholt? Wenn die Wahlen von Gianni Alemanno als Bürgermeister von Rom oder die Anti-Immigranten-Politik, die von der Berlusconi-Regierung gebilligt wurde, nicht reine Zufälle sind? Politik und Demokratie sind lediglich Instrumente, die die Funktionalität des Marktes gut absichern sollen. Wenn die Verteidigung des Marktes aber verlangt, dass der wilde Kapitalismus alltägliche Ängste schürt, könnte es sein, dass die Demokratie geopfert wird." (28.05.2008)

Anmerkungen

1 www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ecofin/98272.pdf und www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/lsa/98086.pdf

2 Tagung des Europäischen Rates vom 14. Dezember 2007 in Brüssel, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 16616/07, register.consilium.europa.eu/pdf/de/07/st16/st16616.de07.pdf

3 Bundesrat, Drucksache 470/07, 21.9.2007, S.2 www.bundesrat.de/cln_050/nn_8336/SharedDocs/Drucksachen/2007/0401-500/470-07_28B_29,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/470-07(B).pdf


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