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Landwirtschaft hilft allen - aber nicht alle helfen der Landwirtschaft

Am 22. Februar 2001 hat Franz Fischler, EU-Kommissar für Landwirtschaft, an der Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen zum Thema «Landwirtschaft und EU - Widerspruch oder Notwendigkeit?» gesprochen. Der Vortrag hat bei den Zuhörern mehr Fragen als Antworten hinterlassen. Auch dort, wo Franz Fischler gestellte Fragen klar und eindeutig beantwortet hat.

Werner Scheidegger, Geschäftsführer Bio-Forum Möschberg

Dass sich die Mehrheit der Schweizer Bauern mit der Aussicht auf einen allfälligen EU-Beitritt schwer tut, kommt nicht von ungefähr. Es liegt mit Bestimmtheit auch nicht daran, dass sie der «ländlichen, agrarischen Peripherie mit tieferem Bildungsgrad» zuzuordnen sind, wie das Forschungsinstitut für schweizerische Politik an der Universität Bern nach der Ablehnung des EWR-Beitritts meinte herausgefunden zu haben. Bauern sind nicht dümmer als andere Menschen. Sie weigern sich ganz einfach, sich «ihren Metzger selber zu wählen».

Male ich zu schwarz? Rudolf H. Strahm hat 1992 in seinem Buch «Europa Entscheid - Grundwissen für Bürgerinnen und Bürger» eine Fülle von Material zusammengetragen. Im Kapitel Landwirtschaft hat er den Schweizer Bauern für den Fall eines EU-Beitritts einen Einkommensausfall von 48 % vorausgesagt. Gibt es irgend eine Berufsgruppe, die angesichts solcher Prognosen freiwillig und in angeblich ‘höherem Interesse’ den Weg des wirtschaftlichen Ruins wählt?

Seither sind 9 Jahre ins Land gezogen. Ohne EWR und ohne EU-Beitritt, sondern als Folge der letzten GATT/WTO-Runde sind die Preise der wichtigsten Agrarprodukte etwa um einen Viertel gesunken, dies bei steigendem Kostenindex! Und sie werden weiter sinken. Es ist das erklärte Ziel der Agrarverwaltung, der Grossverteiler und der Lebensmittelindustrie, die Preise möglichst rasch auf EU- wenn nicht gar auf Weltmarktniveau zu senken. Die Abfederung durch Direktzahlungen gleicht zwar den Preiszerfall ein Stück weit aus, kann aber weder den Strukturwandel in der Landwirtschaft aufhalten noch der Lebensmittelindustrie zu gleich langen Spiessen wie ihrer ausländischen Konkurrenz verhelfen.

Strukturwandel als Allheilmittel

Seit Franz Fischlers Vor-Vorgänger Sicco Mansholt den Strukturwandel in der Landwirtschaft zum Allheilmittel für diese empfohlen hat - Mansholt selber hat sich später von seinen Thesen wieder abgewandt - ist der Glaube daran, dass die Lösung bei den Betriebsgrössen liege, nicht mehr auszurotten. Zu gut passt er ins gängige Schema des Neoliberalismus. Was dabei auf der Strecke bleibt, wird kaum thematisiert und schon gar nicht in Geldwerten gerechnet. Je grösser die Fläche, desto schwieriger der Umstieg auf ökologischere Anbauformen. Grossflächiger Anbau stösst bei einzelnen Kulturen recht bald an die Grenze, wo er ohne Herbizide noch machbar ist. Die Abhängigkeit von mineralischen Ressourcen (Erdöl für Treibstoff und Dünger) steigt und die Besiedelung der Randgebiete wird akut gefährdet. Jeder wegrationalsierte Bauer bedeutet einen Arbeitsloser anderswo. Ob hier, im Kosovo, in Portugal oder anderswo, läuft in letzter Konsequenz auf dasselbe hinaus. Nicht zuletzt sinkt auch der Erholungswert der Landschaft.

Die Produzentenpreise in der EU haben seit Jahren sinkende Tendenz. Brüssel will die Preise dem Weltmarkt anpassen. Zu welchem Preis? Immer mehr Bauern bleiben dabei auf der Strecke. Die verbleibenden sind gezwungen, zur Einkommenssicherung immer mehr und immer intensiver zu produzieren. Dies wiederum hat zur Folge, dass die EU einen sehr grossen Teil ihres Finanzhaushaltes in die Überschussverwertung stecken muss, mit verbilligten Exporten zusätzlich auf den Weltmarktpreis drückt, dadurch den Bauern in weniger entwickelten Ländern das Leben noch mehr erschwert und bei der eigenen Bevölkerung das Image der Landwirtschaft als Subventionsempfängerin zementiert, obschon von den Milliarden für die Überschussverwertung praktisch nichts in den Taschen der Bauern landet. In der Schweiz sind wir mit der Strategie ‘Horizont 2010’ des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW eifrig daran, in die gleiche Sackgasse einzuschwenken. Profitieren können auch hier nicht die Bauern, sondern die Nahrungsmittelindustrie.

Dabei wird die Kostenstruktur in der Nahrungsmittelindustrie nur zum kleinsten Teil durch landwirtschaftliche Rohstoffpreise bestimmt. Denn mehr als zwei Drittel der Konsumentenpreise entstehen im Handel und in der Verarbeitung als Folge der hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Diese wiederum sind nicht nur die Folge hoher Löhne, sondern ebenso die Folge hoher Vermögenseinkommen, die als Zinsen, Gewinne und Mieten alle wieder in die Preisbildung eingehen. Nur so ist das bekannte Phänomen der gleichzeitig steigenden Brot- und sinkenden Getreidepreise erklärbar.

Einheimisch = höherwertig?

In andern Branchen werden einheimische Dienstleistungen meistens ohne zu hinterfragen als ‘höherwertig’ eingestuft und als Erklärung für höhere Preise akzeptiert. In der Nahrungsmittelproduktion ist es üblich, den tiefsten Preis als Weltmarktpreis zum Referenzpunkt zu erklären (die OECD z.B. erklärt den neuseeländischen Milchpreis zum Weltmarktpreis, obwohl es wegen der mangelnden Transportfähigkeit gar keinen Weltmarkt für Milch gibt. Im Dienstleistungsbereich fällt es niemandem ein, die Preise z.B. für ärztliche Dienstleistungen in der Schweiz und in Neuseeland mit der Absicht zu vergleichen, die schweizerischen denjenigen in Neuseeland anzupassen. (Mehr zu diesen Zusammenhängen in Bieri, Moser, Steppacher, Die Landwirtschaft als Chance einer zukunftsfähigen Schweiz, SVIL-Schrift Nr. 135, Zürich 1999).

Keine mildernden Umstände für die Schweizer Bauern

Zurück zu Franz Fischler. Klar und eindeutig zum Beispiel war seine Aussage, dass der Schweizer Landwirtschaft bei einem allfälligen EU-Beitritt keinerlei Übergangsfristen gewährt werden, um sich neuen Gegebenheiten anzupassen, dass sie sowohl bei den Preisen als auch bei den Direktzahlungen weitere Einbussen in Kauf nehmen muss und dass die Durchlässigkeit der Grenzen weiter steigt. Staatliche Zuschüsse fast egal welcher Art gelten als Wettbewerbsverzerrung!

Wohl sprach Franz Fischler von Multifunktionalität und Nachhaltigkeit als von der EU angestrebte Ziele. Ansätze dazu sind in einigen EU-Staaten vorhanden. Sind sie aber ausreichend, um eine echte Trendwende einzuleiten? Sind diese Ziele in der WTO durchsetzbar? Obwohl die EU die grösste Wirtschaftsmacht der Welt ist, wird sie von den USA eingeklagt, wenn sie sich z.B. gegen den Import von Hormonfleisch aus den USA wehrt. In der WTO habe nur Erfolg, wer glaubwürdig zeigen könne, dass Nachhaltigkeit kein Protektionismus durch die Hintertür sei. Wie sollen Politiker diese Glaubwürdigkeit einbringen können, die bisher selber einem System gehuldigt haben, das in etwa das Gegenteil von Nachhaltigkeit beinhaltet? Und selbst wenn sie es können, werden sie standhaft genug sein, um sich gegen die Propheten einer schrankenlosen Liberalisierung, gegen die gesamte Chemie- und Gentech-Lobby durchzusetzen?

Auf die Frage eines Zuhörers, warum in Süddeutschland immer mehr Bauern mit immer grösseren Höfen auf einen Nebenerwerb angewiesen sind, antwortete Fischler ausweichend. Wenn die süddeutschen Bauern die Form der Nebenerwerbslandwirtschaft richtig fänden, dürfe man dies nicht der EU anlasten. Aber: wer macht denn die Rahmenbedingungen? Die süddeutschen Bauern oder die EU? Und diese Rahmenbedingungen sind derzeit tatsächlich so, dass Betriebe mit 30 - 50 ha nur noch im Nebenerwerb betrieben werden, weil das Einkommen aus der Landwirtschaft die Familie nicht mehr ernähren kann.

Spielraum für den Staat sieht Fischler am ehesten in der Sozialpolitik. Doch Hand aufs Herz: Ist das Angewiesensein eines Berufsstandes auf Sozialhilfe für diesen Berufsstand ein würdiger Zustand und eine Option, die bei der übrigen Bevölkerung langfristig auf Akzeptanz stösst? (Und aus der Bundeskasse finanziert werden kann?) Ich habe Mühe mit dieser Aussicht und verstehe jeden, der lieber die Stalltüre für immer zunagelt.

Paradigmenwechsel überfällig

Der grösste Teil der Landwirtschaft in den Industrieländern und die Plantagenwirtschaft in den Entwicklungsländern sind alles andere als nachhaltig. Beide basieren auf einem Weltbild, das von der Industrie geprägt ist und auf nicht erneuerbaren Ressourcen aufbaut. Selbst bei den Biobauern besteht diesbezüglich noch Handlungsbedarf.

Eine zukunftsfähige Land- und Volkswirtschaft - egal ob bei uns oder in der EU oder anderswo - braucht einen Paradigmenwechsel, eine radikale Umkehr der Vorzeichen. Kosmetik reicht da nicht mehr. Dazu muss eine solche Wende von allen massgebenden Kreisen gewollt und mitgetragen werden. Partner, die der Landwirtschaft die Produkte zu total verfälschten Weltmarktpreisen abnehmen wollen und die Bauern für den Rest auf Direktzahlungen verweisen, sind allen schönen Beteuerungen zum Trotz letztlich keine Partner!

Direktzahlungen sind Abgeltungen für ökologische Leistungen und per Definition keine Subventionen und keine Sozialleistungen. Aber als dieses werden sie auf beiden Seiten wahrgenommen. Zudem gaukeln sie uns vor, unter schweizerischen Bedingungen könnten Milch oder Weizen zu EU- oder Weltmarktpreisen produziert werden. Weil dies nicht möglich ist, sind Stimmen rasch zur Hand, die der schweizerischen Landwirtschaft nur noch landschaftspflegerische Funktionen zuweisen möchten. Die Bauern sollen die Landschaft als Konsumgut für die Freizeitgesellschaft aufbereiten, etwa als Pfleger von Golfplätzen und von Blumenwiesen über Atommülllagern, um es etwas überspitzt auszudrücken. Die Versorgung mit Lebensmitteln soll auf billige Importe abstellen. Die sozialen und ökologischen Bedingungen in den Herkunftsländern zu hinterfragen, würde den Hilfswerken und Umweltverbänden überlassen.

Ein weiterer Aspekt wird von der Politik zunehmend ausgeblendet. Um die Nahrungsmittel weiter zu verbilligen, soll die Produktion dorthin verlegt werden, wo sich Klima und Topographie am besten eignen. Zum einen untergraben wir mit billigen Importen die eigene Sicherheit und zum andern ist den Bauern in fernen Entwicklungsländern mit dem Preisdiktat der Industrieländer auch nicht geholfen, weil ihre Erlöse weder die ökologische (E.U. von Weizsäcker) noch die soziale Preiswahrheit zum Ausdruck bringen.

Den Schweizer Bauern bliebe neben der bereits erwähnten Landschaftspflege allenfalls die Milchproduktion. Wer dies empfiehlt, übersieht, dass die Schweiz in den letzten hundert Jahren bereits zweimal eine auf billige Nahrungsmittelimporte ausgerichtete Politik wegen gestörter Versorgung ändern musste. Nur eine diversifizierte vielseitige Landwirtschaft mit einer genügend grossen Anzahl Arbeitskräfte kann in Krisensituationen den Verfassungsauftrag der Ernährungssicherung auch erfüllen. Wenn einmal die Strukturen und die Menschen mit dem entsprechenden Wissen wegrationalisiert sind, ist eine Korrektur ungleich schwieriger vorzunehmen.

Der Blick muss weiter reichen

Anhänger des weltweiten Freihandels werden sich von diesen Einwänden kaum von ihrem kurzfristigen Denken abwenden. Das momentane Preisgefüge und der kurzfristige Blick auf das eigene Portemonnaie scheint ihnen recht zu geben. Aber fragen wir auch nach den sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen dieser billigeren Produkte? Die Slums von Rio und Bombay, die Bananeros in Zentralamerika und die marokkanischen Gastarbeiter in Südspanien sind einige Stichworte, hinter denen sich viel namenloses Elend in der ganzen Welt verbirgt.

Die ökologischen Folgen unsinniger Transporte rund um den Erdball sind eine weiterer Grund, der uns weg von der Globalisierung hin zu lokalen und regionalen Strukturen führen sollte. Im Vorfeld des Abschlusses der Uruguay-Runde des GATT hatte 1993 Prof. Dietmar Schröder von der Universität Trier in einem offenen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl u.a. auf die geringe Transportwürdigkeit von Agrarprodukten hingewiesen. Er schrieb: «Die meisten Agrarprodukte haben eine geringe Transportwürdigkeit, die meisten Industrieprodukte eine hohe. Ein Auto für 40’000 DM wiegt eine Tonne. Ein Computer im gleichen Wert eine Dezitonne. Weizen für 40.000 DM wiegt hingegen 100 Tonnen. Seine Transportwürdigkeit ist also 100 mal geringer als die von Autos und 1000 mal geringer als die von Computern. Wenn schon Handel über Tausende von Kilometern, dann lieber mit Industriegütern. Die Transportkosten sind zwar jetzt gering, aber nur weil die externen Kosten unterschlagen werden». Der Appell blieb wie viele andere ungehört. Der Lastwagenstau am Gotthard lässt grüssen.

Wir leben nicht von Computern

Auf vielen Bauernautos prangt am Heck der Kleber mit der Aufschrift «Landwirtschaft hilft allen». Dies ist zweifellos richtig. Wir alle leben letztlich nicht von Computern, Autos und Kühlschränken, sondern von dem, was Bauern auf der ganzen Welt durch ihrer Hände Arbeit hervorbringen. Aus staatspolitischen Überlegungen ist es sinnvoll, wenn sich die ganze übrige Gesellschaft so verhält, dass den Bauern vor Ort das Auskommen möglich ist.

Die EU ist uns den Beweis noch schuldig, dass ihre Agrarstrategie des Strukturwandels und der immer tieferen Preise langfristig aufgeht. Dass sie das Gegenteil dessen erreicht, was sie zu erreichen vorgibt, dafür gibt es jedoch eine ganze Menge Zeichen und Hinweise.


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