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Kontrollen ohne Verdacht

Bei einem Schengen-Beitritt müsste die Schweiz die Personenkontrollen an der Grenze aufheben. Dafür will sie „nationale Ersatzmassnahmen“ – konkret: Kontrollen im Inland.

von Heiner Busch und Balthasar Glättli

Eine Grenze ist eine künstliche Linie, die die Territorien zweier Staaten trennt. Wer diese Linie überschreiten will, darf von Polizei oder Zoll kontrolliert werden. Vor und nach dieser Linie gilt in demokratischen Staaten die Bewegungsfreiheit – ein Grundrecht, das die Schweiz in Art. 11 der Bundesverfassung verankert hat. Eine Ausweispflicht gibt es hierzulande nicht. Von dieser Vorstellung müssen wir uns wohl verabschieden, wenn die Schweiz dem Schengen-Club beitritt. Für Bund und Kantone gilt es seit langem als ausgemacht, dass die an der „Grenzlinie“ wegfallenden Personenkontrollen ins Hinterland verlagert werden.

Ineffiziente Methode

Das Stichwort dafür wurde aus Deutschland übernommen und heisst „Schleierfahndung“. Die Polizei solle einen „Schleier“ von „verdachts- und ereignis-unabhängigen“ Kontrollen über einen ganzen Raum legen. Dies darf der deutsche Bundesgrenzschutz (BGS) zum einen in einem 30km-Streifen hinter der Grenze und zum andern überall in Deutschland in Zügen, Bahnhöfen und auf Flughäfen. Zusätzlich haben auch die Bundesländer ihren Landespolizeien vergleichbare Kontrollbefugnisse eingeräumt. Bürgerrechtsorganisationen haben immer kritisiert, dass Polizei und BGS dabei vor allem „ausländisch aussehende Personen“ anhalten. Besteht doch das Ziel der Schleierfahndung den Gesetzestexten nach in der Verhinderung „unerlaubter Einreisen“. Im Jahre 2002 kontrollierte der BGS ausserhalb des Grenzraumes 334’603 Personen und stellte dabei ganze 852 illegale Einreisen fest. Auch sonst erweist sich die Schleierfahndung als ineffizient. Die dabei erkannten Straftaten sind fast durchwegs Bagatellen.

Grenzwächter freuen sich

Mobile Kontrollen im Hinterland seien unberechenbarer und daher effizienter als die statischen an der Grenzlinie, predigte der Chef des Schweizer Grenzwachtkorps (GWK), Hanspeter Wüthrich schon im Jahre 2001 in offensichtlicher Vorfreude auf Schengen. Ursprünglich hatte sich der Bund auch für die Schweiz einen 30 Km breiten „grenznahen Raum“ vorgestellt, in dem das GWK wie ehedem an der „Grenzlinie“ kontrollieren sollte. Diesen Raum, der Basel, Genf und Zürich zum Grenzgebiet definiert und von der Schweiz nur noch ein neues „Reduit“ übrig gelassen hätte, wollte man im Zollgesetz verankern. Der Plan scheiterte an den Kantonen, die ihre Polizeihoheit in Frage gestellt sahen. Im April 2002 krebste der Bundesrat zurück, in der Botschaft zum Zollgesetz ist davon nichts mehr zu finden. Nun soll das GWK in entsprechenden Vereinbarungen mit jedem einzelnen Kanton seine Arbeitsteilung mit der Polizei festlegen.

Die Polizei wirds schon regeln

Am Prinzip der Schleierfahndung wollen Bund und Kantone jedoch festhalten. Rechtliche Probleme sehen die Polizeien keine. Wer die Praxis der Kontrollen vor allem in den Innenstädten kennt, weiss: Rassistische Kontrollen vor allem gegen Schwarze sind in unseren Städten gang und gäbe. Für sie gilt die Bewegungsfreiheit nicht, dafür aber faktisch die Ausweispflicht. Mit den Ersatzmassnahmen, die bei einem Schengen-Beitritt umgesetzt werden sollen, würde diese bestehende Praxis ausgeweitet.

Das ändert jedoch nichts daran, dass sie rechtswidrig ist. Kontrollen ohne Anlass und Verdacht sind in den Polizeigesetzen und Strafprozessordnungen der Schweiz nicht vorgesehen. So sah es auch das Bundesgericht in einem Urteil von 1983: Identitätskontrollen sind danach nur zulässig, wenn eine „situation troublée“ vorliege, sich in der Nähe eine Straftat ereignet habe oder die zu kontrollierende einer gesuchten Person ähnlich sehe. Aber wozu brauchen wir ein Gericht, wenn wir eine Polizei haben?


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