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Vom Bauernhof zur Agrofabrik - und zurück?



Die Landwirtschaft in Deutschland und in der Europäischen Union (EU) erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Veränderungen. In der Nachkriegszeit sollte durch die Förderung des Agrarsektors möglichst schnell die nationale bzw. europäische Selbstversorgung mit Lebensmitteln erreicht werden. Gleichzeitig sollten Einkommen und Existenz der in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen dauerhaft gesichert werden. Mit der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes in Deutschland im Jahr 1955 wurde u.a. festgeschrieben, dass die Landwirtschaft die Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen und preiswerten Nahrungsmitteln zu versorgen habe. Auch die Römischen Verträge von 1957, die Bildung der Europäischen Wirtschaft-Gemeinschaft im Jahr 1958 sowie die Vereinbarungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik im Jahr 1962 passten in dieses Konzept.

von Susanne Korte

Mit Hilfe von Staatsgeldern sollte die landwirtschaftliche Produktion gesteigert werden. Mit dem einzelbetrieblichen Förderprogramm sollte die Wirtschaftlichkeit der Betriebe verbessert und die Spezialisierung auf wenige Betriebszweige und die Aufstockung zu grösseren Einheiten gefördert werden. Der zunehmende Einsatz von Mineraldüngemitteln und Pestiziden, die Fortschritte in der Produktionstechnik sowie in der Pflanzen- und Tierzüchtung ermöglichten enorme Ertragssteigerungen.

Seit 1973 stieg die landwirtschaftliche Produktion in der Europäischen Union aufgrund von technischem und züchterischem Fortschritt um etwa 2 % pro Jahr, der Verbrauch von Agrarprodukten nahm zwischen 1973 und 1988 jedoch nur um 0,5 % pro Jahr zu (EG-Kommission, 1991). Bei einigen wichtigen Agrarprodukten wurde bereits in den siebziger bzw. achtziger Jahren die Selbstversorgung in Deutschland bzw. in der EU erreicht oder sogar erheblich überschritten. Doch die dringend notwendig gewordene Korrektur der Gemeinsamen EG-Agrarpolitik blieb aus. Der Selbstversorgungsgrad für Butter lag z.B. bereits 1975 bei 125 % und 1983 bei 155 % in Deutschland, für Getreide lag er 1982/83 bei 115 % in der EG (EG 10) und für Zucker bei 147 % (Agrarbericht, 1987). Unerwünschte Butter-, Getreide- und Rindfleischberge, Milchseen, Umweltprobleme sowie ein drastischer Strukturwandel in der Landwirtschaft waren die nachteiligen Folgen dieser Agrarpolitik.

Gleichzeitig wurden die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte durch Marktordnungen gestützt, Importe mit Zöllen belegt sowie Exporte subventioniert. Damit konnte die EG einerseits auf den Weltmarkt vordringen, andererseits nahm die EG die steigenden Kosten für die Agrarmarktordnungen zum Anlass, in den 80er Jahren Produktionsobergrenzen bei bestimmten Produkten wie z.B. der Milch einzuführen und die Erzeugerpreise einzufrieren bzw. zu senken. Dadurch wurde der öffentliche Druck aufgefangen, der landwirtschaftliche Strukturwandel jedoch weiter forciert: Die Landwirte waren damit zur weiteren Spezialisierung, Intensivierung und Vergrösserung der Betriebe gezwungen, um die sinkenden Preise durch Mehrproduktion auszugleichen.

Wer gewinnt in und an der Landwirtschaft?

Die EG-Ausgaben für die Stützung der Agrarmärkte stiegen immer weiter an, 1982 lagen die EG-Agrarausgaben noch bei ungefähr 30 Mrd DM, 1990 bereits bei weit über 60 Mrd DM (EG-Kommission, 1991). 1994 betrug der EU-Haushalt insgesamt 133 Mrd DM, wovon auf der Ausgabenseite knapp 60% bzw. 75,6 Mrd DM auf den Agrarbereich entfielen. Hiervon wurden etwa 64,2 Mrd DM. allein im Bereich der Marktordnung (Abt. Garantie: Intervention, Lagerhaltung, Exporterstattung) eingesetzt (Agrarbericht, 1995). Der weitaus grösste Teil der gesamten EG-Agrarsubventionen kommt somit gar nicht bei den Landwirten an, sondern wird für die Lagerhaltung, den Transport, den hoch subventionierten Export sowie die Vernichtung der Nahrungsmittel ausgegeben (Priebe, 1994). Aufgrund der mengenbezogenen Preisstützung profitierten grosse Betriebe mit hohem Intensivierungsgrad überproportional von der Stützung. So flossen z.B. 80 % der Mittel an nur 20 % der Betriebe, die aber mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschafteten (EG-Kommission, 1991).

Zudem wird die Gewinnspanne, die von der weiterverarbeitenden Industrie, dem Zwischenhandel und dem Transport abgeschöpft wird, immer grösser. 1983/84 floss noch fast die Hälfte der Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel in die Taschen der Bauern, 1993/94 nur noch ein Viertel (Deutscher Bauernverband, 1994). Die Erzeugerpreise für die Landwirte sind jedoch - trotz stetig steigender Ausgaben für Löhne, Betriebsmittel, Maschinen etc. - nicht gestiegen sondern zumeist sogar gesunken. Der Weizenerzeugerpreis lag z.B. 1994 um 18 % unter dem Niveau von 1950. Zugleich macht er heute nur noch 7 % des Brotpreises (dunkles Mischbrot) aus, 1950 waren es noch zwei Drittel (Deutscher Bauernverband, 1994).

Auch der Konzentrationsprozess des Handels mit Nahrungsmitteln ist in den letzten Jahren erheblich vorangeschritten. Die 10 grössten Unternehmen in Deutschland konnten 1992 drei Viertel der gesamten Umsätze der Branche auf sich vereinen, auf EU-Ebene enfallen auf die ersten 10 Unternehmen 28 Prozent des Gesamtumsatzes an Lebensmitteln (Deutscher Bauernverband, 1994). Auch wenn die Marktstrukturen im vor- und nachgelagerten Bereich die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise nicht unmittelbar bestimmen, so werden diese - ebenso wie die Arbeits-, Produktions- und Ablieferungsbedingungen der Bauern und Bäuerinnen - massgeblich von den Marktstrukturen beeinflusst (Niemann, 1993).

Landwirtschaft als Rohstofflieferant

Der Konkurrenzdruck auf "ökonomisch nicht optimal" wirtschaftende Betriebe wächst somit ständig, und ein Ende ist nicht abzusehen. Aufgrund dieses enormen Konkurrenzdrucks wurde die Landwirtschaft weitgehend auf ihre Funktion als Produzent möglichst grosser Mengen möglichst preiswerter Nahrungsmittel reduziert bzw. zum Rohstofflieferanten der Nahrungsmittelindustrie degradiert. Dagegen werden die ökologischen und sozialen Funktionen der Landwirtschaft nicht durch die Preise ihrer Erzeugnisse honoriert. Statt dessen sind die Landwirte geradezu gezwungen, mögliche Produktivitätssteigerungen unter rein ökonomischen Gesichtspunkten weitestgehend auszuschöpfen und dabei den ökologischen Zustand der bewirtschafteten Flächen und des Naturhaushaltes - auch zu ihrem eigenen Nachteil und oft gegen ihre eigene Überzeugung - in wachsendem Masse zu beeinträchtigen (Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1985).

Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik im Jahr 1992

Die wachsenden Produktionsmengen und Agrarmarktausgaben der EU-Landwirtschaft und die eskalierenden Konflikte mit den Handelspartnern während der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen machten 1992 eine Reform der EG-Agrarpolitik unausweichlich. Die EG-Agrarreform aus dem Jahr 1992 besteht im Wesentlichen in der Senkung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise Richtung Weltmarktpreis. Bäuerinnen und Bauern müssen einen Teil ihrer landwirtschaftlichen Fläche aus der Produktion herausnehmen (ursprünglich 15 %, 1994/95 12 %, 1995/96 voraussichtlich 10 %), und erhalten dann als Ausgleich für die Preissenkungen direkte Einkommensübertragungen vom Staat.

Der angestrebte Weltmarktpreis deckt jedoch häufig nicht einmal die Kosten für die Erzeugung der landwirtschaftlichen Produkte - und entspricht erst recht nicht den ökologischen und sozialen Kosten einer industrialisierten Produktion. Die Folgen dieser Entwicklung für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume weltweit sind verheerend:

• Bäuerinnen und Bauern werden zunehmend abhängig von den direkten Einkommensübertragungen des Staates - sie
sehen keine Zukunft mehr in der Landwirtschaft; vor allem die Anzahl jüngerer Leute, die in der Landwirtschaft tätig sind, geht drastisch zurück, sie suchen sich andere Arbeits- und Lebensbereiche - es kommt zur Entleerung der ländlichen Räume insbesondere in den sogenannten benachteiligten Gebieten; • Bäuerinnen und Bauern werden gezwungen, unter den vorgegebenen Bedingungen möglichst kostengünstig und
effizient zu wirtschaften - auf Umwelt- und Naturschutzmassnahmen sowie soziale Kriterien kann dabei kaum Rücksicht genommen werden; • die Entwicklungsländer und die Staaten Osteuropas können bei den niedrigen Preisen weder ihre eigene Landwirtschaft
entwickeln noch Deviseneinnahmen aus Agrarexporten erzielen; • bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern festigt sich das fatale Bewusstsein von billigen und wertlosen
Nahrungsmitteln und • für die Beseitigung ökologischer und sozialer Folgen muss die öffentliche Hand immense Mittel bereitstellen.


Für eine grundlegende Neuorientierung der EU-Agrarpolitik

In Deutschland haben sich bereits 1989 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Tierschutz, Verbraucher- und Entwicklungspolitik im bundesweiten AgrarBündnis zusammengeschlossen, um sich für eine grundlegende Neuorientierung der EG-Agrarpolitik einzusetzen. Auf europäischer Ebene arbeitet das AgrarBündnis seit einigen Jahren zusammen mit gesellschaftlichen Bündnissen aus der Schweiz (Bauern- und Konsumenten Initiative), Frankreich (Alliance Paysans-Ecologistes-Consommateurs), England (SAFE alliance), Belgien (Coalition pour une agriculture de qualité CPAQ und Wervel), den Niederlande (Food for the future), Spanien (Plataforma Rural) und Portugal (ARP - Alianca para defensa do mundo rural Portugués) in dem "Europäischen Netzwerk der Bündnisse für eine Nachhaltige Landwirtschaft". Die Agrarpolitik anderer europäischer Länder, der "Nicht-EU-Mitglieder" wie Schweiz und Norwegen, ist oft positives Beispiel in den Diskussionen des Netzwerkes.

Für eine ökologisch- und sozialverträgliche Landwirtschaft

Für die Umsetzung einer ökologisch- und sozialverträglichen Landwirtschaft muss die überhöhte Produktionsintensität in der EU durch eine flächendeckende Extensivierung der Landwirtschaft gesenkt werden. Zur Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln wird die gesamte landwirtschaftliche Fläche in der Produktion benötigt (Bechmann, 1993). Es ist sowohl ökologisch als auch volkswirtschaftlich sinnlos, einen Teil der Fläche aus der Produktion herauszunehmen - diese Flächen ggf. kostenintensiv zu "pflegen" - und auf den restlichen Fläche mit hohem Einsatz externer Betriebsmittel - insbesondere Pestiziden und chemisch-synthetischen Düngemitteln - Höchsterträge zu produzieren und zugleich Futtermittel aus den Entwicklungsländern zu importieren.

Um eine flächendeckende Extensivierung der Produktion zu erreichen, müssen die Energiepreise durch Abgaben bzw. Steuern drastisch verteuert werden. Die Preise müssen gemäss dem Verursacherprinzip die ökologischen und sozialen Kosten beinhalten - wie u.a. in den bei der Umwelt- und Entwicklungskonferenz (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Dokumenten gefordert -, und die bäuerliche Arbeit muss angemessen bezahlt werden. In der Tierhaltung muss eine Flächenbindung eingeführt und der Einsatz der Gentechnologie in Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung muss verboten werden. Durch die Verteuerung der Energie - und damit auch der Transportkosten - wird die umweltverträgliche Produktion mit regionaler Verarbeitung und Vermarktung kostengünstiger als die agrarindustrielle Produktion mit hohem Einsatz externer energieintensiver Betriebsmittel. Umwelt- und Tierschutzauflagen sowie die Durchsetzung von Qualitäts- und Rückstandsnormen müssen diese Preispolitik begleiten. Bis zur Erreichung des höheren Preisniveaus sollten übergangsweise Ausgleichszahlungen gezahlt werden, die an ökologische und soziale Kriterien gebunden sind. Diese Ausgleichszahlungen würden den GATT-Regeln entsprechen und dauerhaft abzusichern sein. Parallel dazu müssten - entsprechend dem Subsidiaritäts-Prinzips des Maastricht-Vertrages und der bei der Rio-Konferenz 1992 verabschiedeten Agenda 21 - auf regionaler und lokaler Ebene eine umwelt- und sozialverträgliche Landwirtschaft und regionale Verarbeitung und Vermarktung gefördert werden.

Um den sogenannten Entwicklungsländern eine eigenständige Entwicklung und regionale nachhaltige Produktion von Lebensmittel zu ermöglichen, sollte sich die Europäische Union (schrittweise) von den Weltmärkten zurückziehen und die Agrarexportsubventionen vollständig abbauen. Im Gegenzug sollte die Europäische Union die Futtermittelimporte reduzieren und durch einen Aussenschutz ein höheres europäisches Preisniveau anstreben, um die Einkommen der europäischen Bauern zu sichern.

Mit diesen Schritten könnte die EU zur Verwirklichung einer ökologisch und sozial tragfähigen Entwicklung beitragen und - gemäss den Beschlüssen der Rio-Konferenz 1992 - ihr Wirtschaften ökologischen und sozialen Zielen unterordnen und am Ziel der Nachhaltigkeit orientieren.

Literatur

Agrarbericht, (1987 und 1995): Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Bonn

Bechmann, A. (1993): Landwirtschaft 2000 - Die Zukunft gehört dem ökologischen Landbau - Szenarien für die Umstellungskosten der Landwirtschaft in Deutschland, Hrsg.: Zukunfts-Institut - Institut für ökologische Zukunftsperspektiven gemeinnützige GmbH, Barsinghausen, März 1993

Deutscher Bauernverband (DBV) (1994): Situationsbericht 1994, Zur wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft, Bonn, Dezember 1994

EG-Kommission (1991): Die zukünftige Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik - Grundsatzpapier der EG-Kommission; EG-Kommissionsdrucksache 100(91), Brüssel

Niemann, E. (1993): Das Agrobusiness: Marktstrukturen rund um die Landwirtschaft, in: Landwirtchaft 93 - Der Kritische Agrarbericht, Hrsg.: AgrarBündnis e.V., Bonn

Priebe, H. (1994): Agrarpolitik und Klimaveränderungen; In: Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Landwirtschaft, Studienprogramm, Economica-Verlag, Bonn

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) (1985): Umweltprobleme der Landwirtschaft, Hrsg.: Der Bundesminister des Innern, Sondergutachten März 1985, Verlag Kohlhammer, Stuttgart, Mainz.

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