Die Europäische Union bezahlt jedes Jahr eine satte Milliarde Franken an die italienischen Olivenbauern und Olivenöl-Hersteller (und entsprechende Summen an Spanien, Portugal und Griechenland). In Italien wird dieser Geldstrom schlecht kontrolliert verteilt.
von Christian Thomas
In Italien unterwegs habe ich von einem Bekannten erfahren, dass es in Italien eine spezielle Kontrollbehörde
für die Auszahlung der EU-Subventionen für den Olivenöl-Anbau gibt. Diese Behörde, die AGECONTROL
SpA, hat die Aufgabe zu kontrollieren, dass es keine Bestechung, keine Betrügereien und keine Schlampereien
gibt. Eigenartigerweise ist diese Behörde als privatrechtliche Aktiengesellschaft (SpA) organisiert. Eigentlich
habe ich das Sekretariat der AGECONTROL nur für Drucksagen angefragt, doch ich werde sogleich in die
Direktionsetage verbunden, und Dr. Vincenzo Puccia, Direktor für Planung und Kontrolle, bietet mir
freundlicherweise ein Gespräch an. Gerne nehme ich an und finde mich in der obersten Etage eines Bürohauses
in einem Aussenquartier von Rom ein. Direktor Puccia lässt sich eine Stunde lang von mir ausfragen und
antwortet mit ausgesuchter Höflichkeit.
Er erklärt, wie die AGECONTROL entstanden sei: 1985 wollte die EG die Subventionen für die Olive genauer
kontrolliert wissen. Es bestand damals, wie er selbst sagt, eine Situation mit häufigen Betrügereien. Der
EG-Rechnungshof in Luxemburg machte eine Untersuchung und stellte eine nicht tolerierbare Situation fest, die
auch "Skandal" genannt wurde. Eine Kontroll-Agentur wurde damals auch Spanien, Griechenland und Portugal
verordnet, die ebenfalls beträchtliche EU-Subventionen beziehen.
Das Reglement der EG legte fest, dass die Agentur von der staatlichen Bürokratie losgelöst sein solle und über
die geeigneten Befugnisse verfügen müsse. Die Organisation in einer Aktiengesellschaft nach privatem Recht
habe den Vorteil, so Direktor Puccia, dass sie viel schneller operativ werden konnte als die leider viel zu
langsame Bürokratie. So konnte eine effiziente Management-Struktur aufgebaut werden. Die Aktien gehören zu
70% dem Agrar-Ministerium, zu 20% der Agentur, welche die EU-Subventionen ausschüttet und zu 10% dem
Nationalen Institut für Agrar-Ökonomie. Die Agenturen in Spanien, Portugal und Griechenland, die als
öffentlich-rechtliche Agenturen konzipiert sind, hatten nach Aussagen von Direktor Puccia mehr
Schwierigkeiten als die AGECONTROL, die Arbeit aufzunehmen.
Die privatrechtliche Organisation als Aktiengesellschaft hat sich, wie Direktor Puccia weiter ausführte, sehr
bewährt und wird, wie er wiederholt betont, heute nicht mehr in Frage gestellt. Diskussionen um die
Zweckmässigkeit des privatrechtlichen Statutes gab es nach seinen Ausführungen nur in den Jahren 1985/86,
als die AGECONTROL gegründet und aufgebaut wurde, heute herrsche aber Einigkeit darüber, dass gut
gearbeitet werde. Direktor Puccia weist (nicht ohne einen gewissen Stolz) darauf hin, dass die EU, das heisst
Direktor Michel Jacquot vom FEOGA (Fonds européen d'orientation et de garantie agricole), der die
EU-Subventionen aus Brüssel schickt, sehr zufrieden sei mit der Arbeit der AGECONTROL.
Es arbeiten etwa 100 Leute für die AGECONTROL. Das Budget beträgt 15 - 20 Milliarden Lire (11 - 15 Mio.
sFr.) pro Jahr, die zur Hälfte von der EU und zur Hälfte vom Staat Italien bezahlt werden. In den letzten 10
Jahren wurden für 212 Mrd. Lire (159 Mio. sFr.) Betrügereien (im Durchschnitt also etwa 20 Mrd. pro Jahr)
aufgedeckt. Dieser Betrag muss an die EU zurückbezahlt werden, und ein gleicher Betrag wird vom
italienischen Staat bei den Betrügern als administrative Sanktion eingefordert. Ob im Laufe der Jahre aber
wirklich ein substantieller Teil dieser Gelder eingetrieben werden kann, ist eher fraglich.
Die Auszahlungen betragen für die Bauern etwa 1000 Lire (0.75 sFr.) pro Liter Öl. Für Grossproduzenten ab
500 kg wird der Beitrag nach der Erntemenge festgesetzt. Kleinere Produzenten, deren Ernte nicht detailliert
kontrolliert werden kann, erhalten ihren Beitrag aufgrund einer Berechnung nach Anzahl Bäume und
durchschnittlicher Produktivität. Es gibt einen genauen Kataster der Olivenbäume, der regelmässig unter
Zuhilfenahme der Auswertung von Satellitenfotos à jour gehalten wird. Zudem gibt es noch eine Hilfe für die
Vermarktung und den Konsum von Olivenöl, die früher 900 und heute noch 300 Lire pro Liter beträgt, aber nur
für Öl von guter Qualität ausgeschüttet wird. Im letzten Rechnungsjahr wurden für die Produktion 850 Mrd. L.
und für die Vermarktung 485 Mrd. L., insgesamt also 1'335 Mrd. L. (fast genau eine Milliarde sFr.)
ausgeschüttet. Es geht also um viel Geld!
Um die Rechtmässigkeit der Subventionen zu überwachen, müssen etwa 1 Million Bauern, die in 180
Vereinigungen zusammengeschlossen sind, und etwa 8000 verarbeitende Betriebe kontrolliert werden. Das ist
nur stichprobenweise möglich. Das Mischen von Olivenöl mit Samenöl ist untersagt und im Labor der
Zollbehörden werden Proben ausgewertet, die bei unangekündigten Kontrollen gesammelt werden. Aus dem
Jahresbericht 1993/94 geht hervor, dass 1'138 Anzeigen wegen Betrug erstattet worden sind.
Die Stimme der Gewerkschaften.
Aus Kreisen der Gewerkschaft der Lebensmittel-Branche erhielt ich eine dicke Dokumentation zur Affäre
AGECONTROL sowie einige ergänzende Bemerkungen zugeschickt, die ich wie folgt zusammenfassen kann:
Die meisten Inspektoren der AGECONTROL sind in den beiden Gewerkschaften CISL und CGIL organisiert
und sie bekämpfen seit Jahren und sehr heftig, auch mit Demonstrationen und Streiks (so am 22. Nov. 1994),
den privatrechtlichen Status der AGECONTROL AG. Dies auf folgenden Gründen: Sie üben
Beamtenfunktionen aus, haben aber nicht die Sicherheiten, die garantierten Anstellungsbedingungen und die
gemäss Qualifikation festzulegenden Löhne von Beamten. Statt im öffentlichen Interesse handeln zu können,
sind sie an die Weisungen der privatrechtlichen Hierarchie gebunden. Laut diesen beschränkt sich die Kontrolle
der Betriebe gewöhnlich nur auf Buchkontrollen. Es wird den Inspektoren praktisch unmöglich gemacht,
Recherchen darüber anzustellen, ob die Zahlen effektiv den verarbeiteten Mengen entsprechen. Selbst bei
Verdacht sind ihnen die Hände gebunden. Die grössten Unregelmässigkeiten stellen sie bei den Öl abfüllenden
Betrieben fest, doch sie können nichts dagegen unternehmen. Die Inspektionsformulare müssen vom Inspektor
unterschrieben werden, nicht aber von seinem Vorgesetzten. Der Inspektor trägt somit die Verantwortung. Der
Vorgesetzte hindert ihn aber daran, sich für die effektive, qualitative Richtigkeit der Angaben zu interessieren.
Die Inspektoren sind somit immer mit einem Bein im Gefängnis. Effektiv wurden in der Provinz Brindisi 1994
zwei Inspektoren von Direktor Puccia angeklagt und werden jetzt gerichtlich verfolgt, weil die Zahlen, die sie
überprüft und für die Auszahlung der Subvention freigegeben haben, nur auf fiktiven Transaktionen beruht
haben. So hat die Direktion ein starkes Instrument in der Hand, missliebige Inspektoren zu diskreditieren, zu
kriminalisieren und loszuwerden. Die beiden Inspektoren werden von der Angestelltenversammlung einstimmig
im Kampf gegen das Management unterstützt, doch einer der beiden hat den Dienst von sich aus quittiert. Der
Prozess hat noch nicht stattgefunden.
Noch viel gravierender ist aber die Unsicherheit und die berechtigte Angst der Inspektoren seit der brutalen
Ermordung des Inspektors und Familienvaters Antonio Tarsitani auf einer Autobahn in Kalabrien im Juni 1993.
Die Erschiessung, die durch zahlreiche Schüsse aus mindestens zwei Waffen mit grosser Feuerkraft erfolgte,
weist eindeutig auf ein organisiertes Verbrechen hin. Es folgten Verhaftungen im Milieu der Olivenöl-Mafia,
doch die Verhafteten hatten für die Tatzeit wasserdichte Alibis und mussten freigelassen werden. Direktor
Puccia ergänzt später auf Anfrage, dass drei Leute des Mordes angeklagt sind, dass aber auch dieser Prozess
noch nicht stattgefunden hat.
Für die Gewerkschaften ist klar, dass der privatrechtliche Status der AGECONTROL dazu dient, dass einige
wenige Direktoren auch dann saftige Manager-Gehälter beziehen können, wenn sie völlig unqualifiziert arbeiten.
Die Top Manager verdienen zum Teil mehr als 18'000 sFr. pro Monat (zuzüglich Spesenpauschalen) , was für
italienische Verhältnisse extrem hoch ist. Die Inspektoren etwa, die eine abgeschlossene Berufsausbildung
beispielsweise als Agrar-Ingenieure oder Buchhalter haben, verdienen im Durchschnitt nur etwa 1'500 sFr. pro
Monat. Nach Ansicht der Gewerkschaften dient der privatrechtliche Status zudem dazu, den Staat daran zu
hindern, die weit verbreiteten mafiösen Praktiken zu stoppen, welchen die Inspektoren immer wieder begegnen.
So wird etwa vermieden, EU-Beiträge an Firmen zu blockieren, wenn bei einer Firma im Vorjahr
Unregelmässigkeiten festgestellt werden. Diese Unregelmässigkeiten, die im internen Informationssystem
festgehalten sind, werden von den Vorgesetzten jeweils als verjährt taxiert, weil immer nur jährliche
Kontrollkampagnen durchgeführt werden. Wer die internen Kontrollmechanismen der AGECONTROL kennt,
der kann so krumme Touren drehen.
Die Gewerkschaften und mit ihnen die Parlamentarier Manconi, Barbieri, Di Maio und Borroni sehen einen
Zusammenhang zwischen dem Umstand, dass die abfüllenden Betriebe nicht wirklich kontrolliert werden und
dem Faktum, dass Dino Filippo Cagetti, Präsident der AGECONTROL gleichzeitig Vizepräsident der
Supermarkt-Kette Esselunga ist, die mit Olivenöl handelt. Cagetti befindet sich somit in der Position des
kontrollierenden Kontrollierten (Parlamentsprotokoll von 4.8.1994). Die oben genannten Parlamentarier werfen
dem Direktor Puccia, der die beiden Inspektoren in Brindisi angezeigt hatte, Verleumdung vor, weil er mit
seiner Anzeige nur seine eigene Verantwortlichkeit auf andere abschieben wolle.
Die Landwirtschaftskommission des Senates hat an der Sitzung vom 8. Feb. 1995 beschlossen, die Liquidation
der AGECONTROL zu beantragen. Noch hat sich nichts geändert. Direktor Puccia ist zwar als Chef der
Inspektoren abgesetzt worden, aber gleichzeitig "nach oben" befördert worden. Er sitzt also immer noch in Amt
und Würden und beschwichtigt ahnungslose Journalisten. Gleichzeitig werden die Inspektoren von den
Untersuchungsrichtern befragt. Die Geschichte tritt jetzt wieder in eine heisse Phase, denn die nationalen
Gewerkschaften CISL und CGIL haben sich hinter die Inspektoren gestellt und haben in einem Brief an das
Parlament und den Senat vom 18. Sept. 1995 geschrieben, dass die AGECONTROL wegen des Einsatzes der
idealistisch motivierten Inspektoren zwar gute Erfolge erziele, dass es aber "unglaubliche Geldverschwendung,
fragwürdige Beförderungen und groteske Umstrukturierungen" in der AGECONTROL gebe. Sie fordern erneut
die Auflösung der AGECONTROL oder zumindest einen Turnover beim Management. Die Gewerkschaften
bereiten für den November einen nationalen Kongress vor, an dem der Landwirtschafts-Minister, die
Finanz-Polizei, die Untersuchungsbehörden, die EU, die auszahlende Behörde und Parlamentarier teilnehmen
sollen. Die Gewerkschaften nehmen an, dass jetzt die AGECONTROL am Ende ist. Für die Gewerkschafter ist
klar, dass die AGECONTROL AG, die noch zu Andreottis Zeiten gegründet worden ist, nur dazu dient, die
dubiosen Machenschaften mit den Olivenöl-Subventionen verdeckt zu halten. Andreotti trägt unter Linken und
Grünen seit Jahren den Übernamen Beelzebub (ital. belzebù).
Und was meint Brüssel dazu?
Direktor M. Jacquot in Brüssel behauptete auf telefonische Anfrage hin tatsächlich, die italienische
AGECONTROL sei verglichen mit den entsprechenden staatlichen Agenturen in Portugal, Spanien und
Griechenland "incontestablement en tête" und sie habe eine "équipe dirigeante très professionnelle".
Griechenland zum Beispiel habe schon vier mal den Direktor gewechselt, weil dieser Job bei jedem
Regierungswechsel neu vergeben werde. Für Jacquot ist klar, dass sich die italienische Struktur bewährt habe.
Er bedauert nur, dass die Unterstützung von Seiten der Regierung und des Parlamentes mangelhaft sei.
Anzunehmen, dass der Mann im fernen Brüssel mit den AGECONTROL-Direktoren unter einer Decke stecke,
wäre ein voreiliger Schluss. Naheliegender ist anzunehmen, dass er die Dinge gar nicht so genau kennt und
wahrscheinlich auch nicht kennen will. Jedenfalls wird er merklich kürzer angebunden, wie er feststellt, dass
ich eine kritische Einstellung haben könnte. Er benützt die Gelegenheit gar nicht, mich über meine Kenntnisse
auszufragen. Nach seiner Meinung über die Sicht der Gewerkschaften befragt, fragt er zurück "Was für eine
Gewerkschaft?" und erwähnt einen Streik vor 3 Jahren. Dass vor knapp einem Jahr ein grosser Streik mit
Demonstration stattgefunden habe, ist ihm nicht mehr präsent. Die Argumente der Gewerschafter kennt er nicht.
Für Brüssel scheint auch nicht wichtig zu sein, was die Italiener genau kontrollieren und was nicht, sonst hätten
EU-Kontrolleure sich nicht nur mit der Direktionsetage, sondern auch mit den Inspektoren vor Ort unterhalten
und wären damit sehr genau über die Unzufriedenheit der Gewerkschaften informiert worden. Wichtig ist für
Brüssel hauptsächlich, dass ein angenehmer Verhandlungspartner mit sauberen Jahresberichten vorhanden ist
und dass dieser Verhandlungspartner nicht immer wieder wechselt wie in Griechenland.
Die Tätigkeit der Gewerkschaften muss allerdings auch als eher unprofessionell angesprochen werden. Die
Schweizer Gewerkschaften propagieren einen EU-Beitritt mit dem Argument, dass nur eine international
vernetzte Struktur dem internationalen Kapital entgegentreten könne. Dies ist zweifellos der Fall, setzt aber
keinen EU-Beitritt voraus. Innerhalb der EU funktioniert die internationale Zusammenarbeit, wie dieser Fall
zeigt, offenbar auch nicht: Die italienischen Gewerkschaften bringen es nicht einmal fertig, den verantwortlichen
Mann in Brüssel so zu informieren, dass er ihren Namen und ihre Argumente kennt. Sind es die mangelnden
Sprachkenntnisse, die kulturellen Barrieren oder das Bedürfnis, hauptsächlich für die eigene Klientel Wind zu
produzieren, welche die Gewerkschaften daran hindern, international wirksam zu sein?
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