Übersicht Dossiers Europäische Union Politische Parteien, Verbände, Bewegungen und die EU Bewegung Neutrale Schweiz: Startschuss für eine neue Partei ?
Die im Mai 1999 gegründete "Überparteiliche Bewegung für eine neutrale Schweiz ohne EU-/NATO-Beitritt" hat im Kanton Luzern an den Nationalratswahlen teilge-nommen und unterstützt die Referenden des Forums für direkte Demokratie gegen die bilateralen Abkommen mit der EU an vorderster Front. Diese Aktivitäten und ein Blick in die Zukunft werfen die Frage nach der Notwendigkeit der Etablierung einer neuen Partei mit radikaldemokratischem Ansatz auf.
Von Viktor Rüegg
g Die Gründe für eine Wahlteilnahme
Im wesentlichen führten zwei Gründe dazu, dass die Bewegung Neutrale Schweiz (BNS) an den National- und Ständeratswahlen im Kanton Luzern teilgenommen hat: Im Vordergrund der nicht ganz billigen "Übung" - sie war mit fünfstelligen Kosten verbunden - stand die Erwar-tung, dass im aktuellen Europa-Wind der Medien EU-kritische Voten von sozial/ökologisch denkenden Bürgern am ehesten im Rahmen eines Wahlkampfes Beachtung finden. Diese Rech-nung ist teilweise auch aufgegangen: Mit (stellenweise publiziertem) Entsetzen und Verständ-nislosigkeit reagierten einzelne SP und Grün-Politiker auf die unliebsame Konkurrenz, während sich die Bürgerlichen (inkl.SVP) in vornehmes Schweigen hüllten, da ihnen die EU-Frage oh-nehin unbequem ist. Enttäuschend verlief allerdings die argumentative Auseinandersetzung in den Medien, die mit Ausnahme des Alternativblattes "Luzern-heute" - auch schweizweit - kaum stattfand. Immerhin ist mit der Wahlteilnahme der BNS im Kanton Luzern zur Kenntnis genommen worden, dass nicht auf den Kopf gefallene LuzernerInnen ausserhalb der SVP sich gegen einen EU-Beitritt wehren.
Der zweite Grund für die Wahlteilnahme lag darin, dass für die Mitglieder (und Wähler) der BNS jede andere Partei - natürlich aus unterschiedlichen Erwägungen - nicht wählbar war. SP, GB, CVP und LPL aufgrund ihrer europapolitischen Haltung, SVP und SD aufgrund ihrer unsozialen/unökologischen Positionen. Ohne BNS-Kandidaturen hätten über Tausend Luzer-nerInnen an den Wahlen kaum teilgenommen. Dass die Kandidaturen zumindest indirekt die Europa-Politik von SP, GB, CVP und LPL öffentlich in Frage stellte, wurde als weitere Ne-benwirkung angepeilt und sicher auch erreicht.
Das Wahlergebnis
Im Hinblick darauf, dass die BNS erst seit fünf Monaten existiert und ihre KandidatInnen in den Wahlempfehlungen der Umweltorganisationen und Gewerkschaften trotz deren offensicht-licher ökologischer und sozialpolitischer Kompetenz einfach negiert wurden, nehmen sich die 1'255 eingelegten BNS-Listen mit einem Wähleranteil von 1,1% nicht schlecht aus. Damit konnten die seit Jahren politisierenden Christlichsozialen, die Freiheitspartei und die Schweizer Demokraten auf Anhieb überrundet werden. Auf der andern Seite blieb der Abstand zur nächst grösseren Partei, dem GB mit 8,1% Wähleranteil und einem NR-Sitz, natürlich riesengross. Welche Wähler von ihren bisherigen Parteien abgesprungen und zur BNS gewechselt sind, lässt sich nicht ausmachen; vermutungsweise sind aber alle Gross-Parteien (CVP, SVP, LPL, SP) in je ähnlichem Ausmass "gerupft" worden.
Der "ewige" Kampf um Selbstbestimmung
Die BNS trägt die von ihr mitinitiierten "ökologischen" Referenden gegen die Bilateralen Ver-träge wesentlich mit. Damit begibt sich die "überparteiliche Bewegung" innert Halbjahresfrist schon zum zweiten Mal mitten ins parteipolitische Kreuzfeuer, das bei der Abstimmung vom Mai 2000 wohl einen Höhepunkt erreichen wird. Im gleichen Jahr wird die Volksinitiative der "Jung-Bewegten-Europäer" über die Verpflichtung des Bundesrates zur Aufnahme von Bei-trittsverhandlungen mit der EU nochmals Öffentlichkeitsarbeit in grossem Ausmass verlangen. Und mittel- bzw. langfristig werden die generellen Fragen der europäischen/internationalen Einbindung der Schweiz (z.B. auch in militärischen Belangen), der Erhaltung ihrer Neutralität und der Verteidigung der direktdemokratischen Rechte immer wieder auf dem Prüfstand ste-hen. Das wirft die Frage auf, ob zur effizienten Verwirklichung kleinräumiger Selbstbestim-mung lockere "Vereine" wie das Forum für direkte Demokratie oder die BNS genügen oder ob nicht eine parteipolitische Verankerung dieser Interessen nötig ist. Die Frage ist um so span-nender, als sich BNS und Forum bisher ausdrücklich nicht als "Partei" verstehen und auch kei-ne entsprechenden Ziele formuliert haben.
Parteipolitische Marktlücke
Klar ist, dass in der Schweizer Parteienlandschaft eine grosse Marktlücke klafft: Menschen, die ökologisch, sozial, kleinräumig selbstbestimmt und damit möglichst direktdemokratisch leben und politisieren wollen, werden heute durch keine im Nationalrat verankerte Partei vertreten: Die Linken und Grünen bis zur FDP suchen ihr Heil in der EU oder in analogen Machtstruktu-ren, die Rechten fallen u.a. ökologisch und sozial ab der Rolle. Bei dieser parteipolitischen Si-tuation droht die augenfällige Gefahr, dass die kleinräumige, ökologisch-soziale Selbstbestim-mung im Konzert der Parteien (mit ihren inneren Widersprüchen) untergeht. Das äussert sich z.B. darin, dass die Anti-EU-Politik der SVP allein deshalb an Glaubwürdigkeit verliert, weil die SVP über ihre eigenen Schwächen (Steuerpolitik zugunsten der Reichen, unklares Verhält-nis zu Rassisten etc.) stolpert. Damit wird die EU - ohne eigenes Verdienst und auch ohne überzeugende Gründe - für (allzu) viele plötzlich salonfähig. Eine konstant und glaubwürdig auftretende Instanz/Partei, die ein Beitritts-Nein vertritt, wird in der Schweiz nicht oder kaum gehört. Daran vermögen weder BNS noch das Forum vorläufig viel zu ändern. Der Schritt zur Gründung einer Partei (z.B. namens "Radikaldemokraten") soll deshalb überlegt und sicher nicht zum vornherein aus-geschlossen werden. Dies gilt um so mehr, als Linke und Grüne sich in der Schweiz einander immer mehr angleichen und beide im überfälligen Widerstand gegen WTO / Globalisierung entenlahm sind. Es besteht die offensichtliche Gefahr, dass in der Schweiz Tausende politisch Interessierter (partei-) politisch heimatlos und inaktiv werden. Das ist auch in einer direkten Demokratie nicht wünschenswert.
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Die im Mai 1999 gegründete "Überparteiliche Bewegung für eine neutrale Schweiz ohne EU-/NATO-Beitritt" hat im Kanton Luzern an den Nationalratswahlen teilge-nommen und unterstützt die Referenden des Forums für direkte Demokratie gegen die bilateralen Abkommen mit der EU an vorderster Front. Diese Aktivitäten und ein Blick in die Zukunft werfen die Frage nach der Notwendigkeit der Etablierung einer neuen Partei mit radikaldemokratischem Ansatz auf.
Von Viktor Rüegg
Die Gründe für eine Wahlteilnahme
Im wesentlichen führten zwei Gründe dazu, dass die Bewegung Neutrale Schweiz (BNS) an den National- und Ständeratswahlen im Kanton Luzern teilgenommen hat: Im Vordergrund der nicht ganz billigen "Übung" - sie war mit fünfstelligen Kosten verbunden - stand die Erwar-tung, dass im aktuellen Europa-Wind der Medien EU-kritische Voten von sozial/ökologisch denkenden Bürgern am ehesten im Rahmen eines Wahlkampfes Beachtung finden. Diese Rech-nung ist teilweise auch aufgegangen: Mit (stellenweise publiziertem) Entsetzen und Verständ-nislosigkeit reagierten einzelne SP und Grün-Politiker auf die unliebsame Konkurrenz, während sich die Bürgerlichen (inkl.SVP) in vornehmes Schweigen hüllten, da ihnen die EU-Frage oh-nehin unbequem ist. Enttäuschend verlief allerdings die argumentative Auseinandersetzung in den Medien, die mit Ausnahme des Alternativblattes "Luzern-heute" - auch schweizweit - kaum stattfand. Immerhin ist mit der Wahlteilnahme der BNS im Kanton Luzern zur Kenntnis genommen worden, dass nicht auf den Kopf gefallene LuzernerInnen ausserhalb der SVP sich gegen einen EU-Beitritt wehren.
Der zweite Grund für die Wahlteilnahme lag darin, dass für die Mitglieder (und Wähler) der BNS jede andere Partei - natürlich aus unterschiedlichen Erwägungen - nicht wählbar war. SP, GB, CVP und LPL aufgrund ihrer europapolitischen Haltung, SVP und SD aufgrund ihrer unsozialen/unökologischen Positionen. Ohne BNS-Kandidaturen hätten über Tausend Luzer-nerInnen an den Wahlen kaum teilgenommen. Dass die Kandidaturen zumindest indirekt die Europa-Politik von SP, GB, CVP und LPL öffentlich in Frage stellte, wurde als weitere Ne-benwirkung angepeilt und sicher auch erreicht.
Das Wahlergebnis
Im Hinblick darauf, dass die BNS erst seit fünf Monaten existiert und ihre KandidatInnen in den Wahlempfehlungen der Umweltorganisationen und Gewerkschaften trotz deren offensicht-licher ökologischer und sozialpolitischer Kompetenz einfach negiert wurden, nehmen sich die 1'255 eingelegten BNS-Listen mit einem Wähleranteil von 1,1% nicht schlecht aus. Damit konnten die seit Jahren politisierenden Christlichsozialen, die Freiheitspartei und die Schweizer Demokraten auf Anhieb überrundet werden. Auf der andern Seite blieb der Abstand zur nächst grösseren Partei, dem GB mit 8,1% Wähleranteil und einem NR-Sitz, natürlich riesengross. Welche Wähler von ihren bisherigen Parteien abgesprungen und zur BNS gewechselt sind, lässt sich nicht ausmachen; vermutungsweise sind aber alle Gross-Parteien (CVP, SVP, LPL, SP) in je ähnlichem Ausmass "gerupft" worden.
Der "ewige" Kampf um Selbstbestimmung
Die BNS trägt die von ihr mitinitiierten "ökologischen" Referenden gegen die Bilateralen Ver-träge wesentlich mit. Damit begibt sich die "überparteiliche Bewegung" innert Halbjahresfrist schon zum zweiten Mal mitten ins parteipolitische Kreuzfeuer, das bei der Abstimmung vom Mai 2000 wohl einen Höhepunkt erreichen wird. Im gleichen Jahr wird die Volksinitiative der "Jung-Bewegten-Europäer" über die Verpflichtung des Bundesrates zur Aufnahme von Bei-trittsverhandlungen mit der EU nochmals Öffentlichkeitsarbeit in grossem Ausmass verlangen. Und mittel- bzw. langfristig werden die generellen Fragen der europäischen/internationalen Einbindung der Schweiz (z.B. auch in militärischen Belangen), der Erhaltung ihrer Neutralität und der Verteidigung der direktdemokratischen Rechte immer wieder auf dem Prüfstand ste-hen. Das wirft die Frage auf, ob zur effizienten Verwirklichung kleinräumiger Selbstbestim-mung lockere "Vereine" wie das Forum für direkte Demokratie oder die BNS genügen oder ob nicht eine parteipolitische Verankerung dieser Interessen nötig ist. Die Frage ist um so span-nender, als sich BNS und Forum bisher ausdrücklich nicht als "Partei" verstehen und auch kei-ne entsprechenden Ziele formuliert haben.
Parteipolitische Marktlücke
Klar ist, dass in der Schweizer Parteienlandschaft eine grosse Marktlücke klafft: Menschen, die ökologisch, sozial, kleinräumig selbstbestimmt und damit möglichst direktdemokratisch leben und politisieren wollen, werden heute durch keine im Nationalrat verankerte Partei vertreten: Die Linken und Grünen bis zur FDP suchen ihr Heil in der EU oder in analogen Machtstruktu-ren, die Rechten fallen u.a. ökologisch und sozial ab der Rolle. Bei dieser parteipolitischen Si-tuation droht die augenfällige Gefahr, dass die kleinräumige, ökologisch-soziale Selbstbestim-mung im Konzert der Parteien (mit ihren inneren Widersprüchen) untergeht. Das äussert sich z.B. darin, dass die Anti-EU-Politik der SVP allein deshalb an Glaubwürdigkeit verliert, weil die SVP über ihre eigenen Schwächen (Steuerpolitik zugunsten der Reichen, unklares Verhält-nis zu Rassisten etc.) stolpert. Damit wird die EU - ohne eigenes Verdienst und auch ohne überzeugende Gründe - für (allzu) viele plötzlich salonfähig. Eine konstant und glaubwürdig auftretende Instanz/Partei, die ein Beitritts-Nein vertritt, wird in der Schweiz nicht oder kaum gehört. Daran vermögen weder BNS noch das Forum vorläufig viel zu ändern. Der Schritt zur Gründung einer Partei (z.B. namens "Radikaldemokraten") soll deshalb überlegt und sicher nicht zum vornherein aus-geschlossen werden. Dies gilt um so mehr, als Linke und Grüne sich in der Schweiz einander immer mehr angleichen und beide im überfälligen Widerstand gegen WTO / Globalisierung entenlahm sind. Es besteht die offensichtliche Gefahr, dass in der Schweiz Tausende politisch Interessierter (partei-) politisch heimatlos und inaktiv werden. Das ist auch in einer direkten Demokratie nicht wünschenswert.
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