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Demokratie, nicht nur Wirtschaft globalisieren (Grüne)



Der Abstimmungsentscheid vom März war ein Dämpfer für die EU-BefürworterInnen. Doch er entbindet uns nicht davon, über die Grenzen zu schauen. Vielleicht wäre es auch an der Zeit, linke Werte und Erfolge zu definieren. Denn diese machen unsere Identität aus, die wir mittelfristig in die EU einbringen können, ohne uns damit aufzugeben.

Pia Hollenstein, Nationalrätin Grüne St.Gallen

Ferien können erfrischend sein: Anfang Juni haben wir von der grünen Nationalratsfraktion einen Ausflug nach Berlin unternommen. Neben dem Besuch des Bundestags standen unter anderem auch Gespräche mit den deutschen Grünen auf dem Terminplan. Diese Diskussionen haben uns bestärkt: Wenn die Schweiz mit ihren langen Erfahrungen in der (direkten) Demokratie der EU beitritt, würde dies die Demokratisierung innerhalb der EU stärken. Je länger wir aber draussen bleiben, desto mehr Nachteile werden wir kassieren müssen.

Blochers lusche Masche

Natürlich haben wir das Abstimmungsresultat vom März zu akzeptieren. Offenbar sieht eine Mehrheit der StimmbürgerInnen zum jetzigen Zeitpunkt keinen Bedarf für Beitrittsverhandlungen. Doch heisst dies, dass wir die Globalisierung und Öffnung bloss der Wirtschaft überlassen müssen? Den Blochers und Freys also, die mit der heutigen Situation bestens zu Rank kommen, weil sie ihre millionenschweren Geschäfte blendend auch im Ausland abwickeln können und gleichzeitig am Schweizer Stammtisch gehörig gegen die EU auf den Putz hauen? Diese Masche habe ich und viele andere Grüne langsam satt.

Schweiz pickt bloss Deregulierung

Ob Umwelt, Soziales oder Gleichstellung, in vielen Fragen ist die EU heute der Schweiz voraus. Auch im Bereich Arbeitsrecht ist unser Land bekanntlich alles andere als fortschrittlich. So regelt die EU die Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche, was bei uns in weiter Ferne liegt. Auch die Initiative der Gewerkschaften für die 36-Stundenwoche, die voraussichtlich im Dezember vors Volk kommt, wird daran nicht rütteln können. Ausgerechnet, aber nicht überraschend dort also, wo die Schweiz einiges nachzuholen hätte, blockieren die Bürgerlichen. Von der EU übernehmen wir heute bevorzugt Gesetze, die der Deregulierung Vorschub leisten. Positive Ansätze aber werden in Bern oder spätestens an der Urne bachab geschickt.

Vollmitgliedschaft ist interessanter

Dieses Dilemma ist nicht neu. Es ist für uns Grüne aber Motor, das Abstimmungsresultat vom März nicht als letzte Antwort der Stimmberechtigten zu interpretieren. Vielmehr glauben wir, dass der Integrationsprozess so oder so fortschreiten wird. Die Frage ist bloss, ob wir als aussenstehendes Land eine ganze Reihe der neuen EU-Beschlüsse stillschweigend umsetzen. Oder ob es nicht doch interessanter und vor allem auch demokratischer wäre, als Vollmitglied auch mitentscheiden zu können.

Die Schweiz hat linke Trümpfe

Der Entscheid vom März widerspiegelt auch Ängste. Ängste etwa, die eigene Identität zu verlieren in der Masse der EU-Mitgliedländer. Doch allein schon die Frage, was denn unsere Identität ist, wird von einem Basler, einer St.Gallerin oder einer Person aus dem Tessin wieder ganz anders beantwortet. Ich bin der Meinung, dass es aber sehr wohl eine Identität aus linker (Schweizer!) Sicht gibt, die weder nationalistisch noch vorsintflutlich daherkommen muss. Ich denke an jene Werte, die wir uns hierzulande geschaffen haben: Etwa die offene Diskussion über den Unsinn der Schweizer (und anderer!) Armeen; die bemerkenswerten Schritte zur Liberalisierung weicher und harter Drogen; die direktdemokratischen Möglichkeiten; der faktische Atomausstieg; das faktische Gentech-Moratorium im Food- und Landwirtschaftsbereich.

Gute Ansätze ausbauen

Das sind Werte, die eine linke, eine andere Schweizer Identität stiften können. Auf diese Identität bin ich stolz, nicht auf Alphörner und Emmentaler-Käse. Diese Werte will ich denn auch in ein Europa einbringen und versuchen, solche Errungenschaften zu verbreiten. Denn was nützen gentechfreie Schweizer Supermärkte, wenn Nestlé und Konsorten ihre genmanipulierte Ware in Italien und Spanien verhökern? Was nützt es, wenn wir hierzulande einen humanen Umgang mit Drogen anstreben, wenn dies zu einer Sogwirkung ausländischer Drogenkonsumierenden führte und dies das Konzept sabotiert? Nochmals zur Drogenliberalisierung: Regelmässig wird die Schweiz von UNO-Gremien für ihre Vorreiterrolle abgekanzelt - wären wir nicht allein und würden im Verbund mit mehreren EU-Staaten agieren, könnten wir besser Paroli bieten.

Kritisch bleiben - und solidarisch

Nochmals: Überlassen wir es nicht den Herrschaften vom Buurezmorge, zu definieren, was denn die Schweizer Identität und unsere Werte seien. Akzeptieren wir aber auch nicht, dass diese Werte im helvetischen Réduit eingekellert werden dürfen, sondern setzen wir sie an die frische europäische Luft. Tragen wir unsere Ideen in die EU, bleiben wir zusammen mit unseren Verbündeten in unseren Nachbarländern kritisch, aber halten wir den linken und grünen Bewegungen auch die Solidarität und unterstützen sie - mit unserem Beitritt zur EU.

Eigentlich sollte dieses Europa-Magazin nach der Abstimmung vom 3. März eine Diskussion eröffnen unter jenen, die sich als "linksstehend" betrachten - man konnte ja die Hoffnung haben, dass durch die Kanterniederlage der EU-Beitritts-Initative bei den "Linken" etwas in Bewegung gerät. Man muss sich diesbezüglich aber offenbar ent-täuschen. Starr wird an den überlieferten - antidemokratischen - Ansichten festgehalten. Die Argumentationen des Europa-Magazins, die ja vielfältige Strömungen in Europa reflektieren, werden immer noch links liegen gelassen und man glaubt, mit den ewig gleichen Illusionen und Beschönigungen sowie etwas Blocherphobie sei's der Argumente genug. Immerhin fand sich bei den Grünen jemand bereit, etwas zu schreiben - bei den Sozialdemokraten waren wir nicht so erfolgreich. Die sind mittlerweile so weit, die EU zur schweizerischen Staatsraison zu küren (Pressedienst, Nr. 558, 11.5.2001). Es wäre nett, wenn die Sozialdemokraten auf ihren Namen verzichteten. Dann könnte man - wenn die Zeit reif ist - eine soziale und demokratische Partei in der Schweiz gründen, die diesen Namen verdient. Übrigens wegen "links" und so - wenn man auf die französische Revolution und die Nachfolger zurückgeht, ist klar was "links" heisst. Es heisst mehr Demokratie, es heisst mehr Kontrolle über sein Leben - und das für alle und nicht nur für ein paar "Eliten". "Links" heisst dann jedenfalls nicht Beschränkung der Demokratie durch wildgemachte Märkte und Bürokratien im Dienste der Multis, die hinter verschlossenen Türen Gesetze nach ihrem Gusto zusammenbasteln. Allerdings gab es in der Geschichte seit und während der französischen Revolution bei den "Linken" schon immer bürokratische, totalitäre und antidemokratische Entgleisungen. Die Unterstützung des aufgeklärten EU-Despotismus durch die "Linken" ist Angesichts der tristen Geschichte geradezu ein Sonntagsspaziergang - wenigstens bisher. p.r.


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