Übersicht    Dossiers Schweiz  

Nach Stichwort suchen:

Europa-Initiative als Wundertüte

Die Grüne Basis, ja auch die Vorstandsmitglieder, wurden überrascht durch die ganzseitige Ankündigung in der Sonntags-Zeitung, dass die Grünen zusammen mit der Operation Libero kommenden Frühling eine «Europainitiative» lancieren werden. Die Volksinitiative soll den Bundesrat zwingen, innert drei Jahren Bilaterale III oder gleich einen EU-Beitritt auszuhandeln.

Von Luzius Theiler

Die Initiative soll gemäss Sonntags-Zeitung die Schweiz enger an die EU anbinden. Das Volksbegehren wolle den Bundesrat dazu verpflichten, mit der EU ein breites Vertragsgeflecht auszuhandeln und dieses zusammen mit den bestehenden Verträgen mit einem institutionellen Rahmen abzusichern, d.h. auch, die heiklen Punkte Rechtsübernahme, Streitbeilegung und Mitsprache zu regeln.

Der Entwurf des Initiativtextes fordere vom Bundesrat «eine gesicherte Beteiligung am Binnenmarkt und in weiteren Politikbereichen der Europäischen Union». Zu diesem Zweck müsse er innert dreier Jahre nach Annahme der Initiative bindend ein Projekt über ein Kooperationsabkommen mit der EU aushandeln und Parlament und Volk vorlegen.

Um die Linke an Bord zu holen, soll die Initiative eine Art Lohnschutzklausel enthalten. Jedes europapolitische Projekt des Bundesrates müsse das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» garantieren, verlangt der Text.

Eine Initiative ist nur auf Grund des Initiativtextes zu beurteilen. Der Initiativtext liegt nach eigenen Aussagen den Tamedia-Zeitungen vor. Der Öffentlichkeit wurde er jedoch bis jetzt (Mitte November) vorenthalten. So bleibt nur Raum, die Medienberichte aus zweiter Hand wiederzugeben und zu spekulieren.

Eine Volksinitiative kommt frühestes drei Jahre nach der Lancierung zur Abstimmung. Anschliessend hätte der Bundesrat drei Jahre Zeit, dem Volk ein umfassendes bindendes Vertragswerk mit der EU vorzulegen. Doch was geschieht, wenn ein solches Vertragswerk nicht zustande kommt oder ein unter Zeitdruck entstandener schlechter Kompromiss in der Volksabstimmung abgelehnt wird? Die Initiative liegt quer zu fast allen denkbaren Verhandlungsszenarien. Sollte die Initiative, wie die Sonntags-Zeitung schreibt, auch noch einen Beitritt zur EU als Möglichkeit beinhalten, wäre sie ohnehin chancenlos.

Die Zusammenarbeit mit der Operation Libero (oft als «das schöne Gesicht der Economie-Suisse» bezeichnet) lässt eine starke Orientierung der Initiative an wirtschaftlichen Interessen vermuten. Schon um ihre finanzielle Basis nicht zu gefährden, kann sich die Operation Libero nach ihrem mutigen Ja zur Konzerninitiative keinen weiteren Konflikt mit der Wirtschaft leisten.

Für die Wirtschaft im Vordergrund stehen bei den Verhandlungen die Marktzugänge, der Abbau sog. handelshemmender Auflagen und die unbeschränkte Wiederaufnahme der Schweiz in das Horizon-Forschungsprogramm der EU. Für eine Mehrheit der Stimmberechtigten würde es jedoch in erster Linie akzeptable Ergebnisse sowohl beim Lohnschutz (z. B. Voranmeldefrist für ausländische Handwerker) wie auch beim Streitschlichtungsverfahren (keine «fremden Richter») brauchen. Eine weitere schwer überwindbare Hürde bei Verhandlungen bildet die apodiktische Forderung der EU nach pauschaler, als «dynamisch» schöngeredeter, Übernahme ihres Rechtes und aller zukünftiger Anpassungen.

Niemand bestreitet Sinn und Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der EU und das Aushandeln langfristiger bilateraler Verträge. Es ist aber eine Binsenwahrheit, dass es dazu die Zustimmung beider Seiten braucht. Eine Zustimmung der EU zu Verträgen, die für die Schweiz akzeptabel sind, kann mit keiner Volksinitiative erzwungen werden.


Weitere Texte zum Themenbereich:

25 Jahre Europapolitik der Schweizer Grünen: Auf dem Weg zu den Wurzeln
03.03.2014
Bilaterale II - Schengen
15 Themen
Bilaterale III, Rahmenvertrag 2.0 oder Paketansatz
13.09.2024
Bilaterale Verträge Schweiz - EU 1999
4 Links, 17 Themen
Bundesrätliches Nachgeben bei den Bilateralen Schweiz – EU
14.10.2013
Demokratie und die internationale Rechtsordnung
09.10.2017
Der Rat der Europäischen Union zu den bilateralen Beziehungen mit der Schweiz
07.11.2011
Die Schweiz und das direktdemokratische Taiwan
18.03.2024
Die Schweiz und das Völkerrecht
09.10.2017
Direkte Demokratie - Grundrechte - Menschenrechte
09.10.2017
Dossier Verfassungsgerichtsbarkeit
13.09.2024
Eidg. Wahlen 07: Schwindender Einfluss der EU-phoriker
17.03.2008
Ein paar Bemerkungen zum Rahmenabkommen
02.05.2020
Einwanderungsinitiative und Bilaterale
23.06.2014
EU-Machtpoker: Bilaterales Rahmenabkommen CH-EU
29.04.2019
Europa-Initiative als Wundertüte
20.05.2022
EWR
1 Link, 4 Themen
Für eine demokratisch kontrollierte Verfassungsgerichtsbarkeit
13.09.2024
Hebelt die EU die duale Berufsbildung aus?
23.06.2014
Mythenproduktion im Dienste des Demokratieabbaus
07.12.2009
Nachlese zum gescheiterten Rahmenabkommen
05.10.2021
Nein zur "Ja zur EU-Initiative"
2 Webseiten, 2 Links, 5 Themen
Psycho-logisches
1 Thema
Referenden "Das ökologische Referendum gegen die bilateralen Abkommen " und "Keine 40-Tönner auf unseren Strassen"
4 Webseiten, 1 Link, 1 Thema
Regelung der „institutionellen Fragen“ mit der EU
07.03.2013
Schlussfolgerungen des EU-Rates über die Beziehungen zur Schweiz vom 8. Dezember 08
07.11.2009
Schweiz - EU
1 Webseite, 9 Themen
SPS-Partei-Programm, die EU und die Überwindung des Kapitalismus
07.11.2011
UE-Echos de Suisse Romande
11 Themen
Wiederausfuhrverbot und Neutralität
20.09.2023
Überlegungen zur Nicht-Umsetzung der „Masseneinwanderungsinitiative“
02.05.2017

europa-magazin.ch
Copyright 1996-2024 Forum für direkte Demokratie.
powered by zumbrunn.com, Chris Zumbrunn, Mont-Soleil, Switzerland.