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Thesen zum "Selbstbestimmungsrecht der Völker"



• Der Begriff "Volk" ist nicht klar definierbar. Deshalb sollte man diesen nicht mit Gefühlen aufladen, also nicht im emphatischen Sinne brauchen. Als Volk betrachtet man am besten eine Menge von menschlichen Individuen, die sich selber als einem solchen zugehörig betrachten. Den Individuen haben gesellschaftliche sowie politische Regelungen zu dienen. Dies gilt auch für das "Selbstbestimmungsrecht der Völker". Es dient dazu, die Staatsmacht näher bei den Betroffenen zu haben und die politischen Entscheidungen dadurch besser an den eigenen Bedürfnissen ausrichten zu können.


• Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist dann und nur dann zu gewährleisten, (1) wenn sich die Vertreter des "Volkes", die sich auf dieses Recht berufen, glaubwürdig verpflichten, für die Respektierung der Menschen- und Minderheitenrechte im neu zu gründenden Staat oder in der neu zu gründenden untergeordneten Gebietskörperschaft zu sorgen. Als Tatbeweis müssen sie im Zweifelsfalle die Entsendung von internationalen Friedenstruppen, die während einer kritischen Übergangsphase die Überwachung dieser Rechte sichert, akzeptieren. (2) Wenn jegliche Absicht, "ethnisch" homogene politische Gebilde zu schaffen, ausgeschlossen wird. Solche Absichten lassen das Selbstbestimmungsrecht der Völker hinfällig werden, selbst wenn die "ethnische" Homogenität mit "friedlichen" Mitteln angestrebt wird.


• Bei der Einlösung des "Selbstbestimmungsrechtes der Völker" gilt für alle Beteiligten die Friedenspflicht. Die UNO hat Verfahren (samt Sanktionsmechanismen) auszuarbeiten, welche die friedliche Einlösung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker ermöglichen.


• Selbstbestimmung hat in den Grenzen der berechtigten Interessen der übrigen Weltbevölkerung zu erfolgen. Diese Berücksichtigung erfordert eine enge Kooperation mit den übrigen Staaten und Gebietskörperschaften. Die Wahrnehmung der Selbstbestimmung besteht somit nicht in Willkür. Dies gilt nur schon durch den Umstand, dass die eigenen Interessen oft nur in Zusammenarbeit mit anderen verfolgt werden können. Selbstbestimmung verlangt Kooperation und internationale Verträge.


• Es ist unangemessen, Unabhängigkeits- oder Autonomiebewegungen als "nationalistisch" zu bezeichnen, wenn sich diese glaubhaft für die Einhaltung von Menschen- und Minderheitenrechten im neu zu gründenden Staatsgebilde oder in der neu zu schaffenden untergeordneten Gebietskörperschaft einsetzen. Nationalistisch ist nicht, wer Selbstbestimmung im Rahmen der Menschenrechte verlangt, sondern wer dieses Selbstbestimmungsrecht verweigert. Wer sich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker wendet, spricht sich für das Fremdbestimmungsrecht durch andere "Völker" aus (siehe Türken und Kurden, China und Tibet, Serbien und Kosovo, usw.).


• Die neuerdings zu beobachtende Kritik am "Selbstbestimmungsrecht der Völker" ist oft als Ausfluss nationalistisch-imperialer Ideologie zu deuten. Die Architekten von Imperien (z.B. in Russland und China) können mit dem Selbstbestimmungsrecht (das sie allerdings fürs Imperium völlig ungeniert in Anspruch nehmen) nichts anfangen. Sie versuchen Bewegungen, die sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, als nationalistisch hinzustellen. Obwohl die EU bisher ein freiwilliger Zusammenschluss ist, taucht jetzt da und dort die Forderung auf, dass früher oder später alle Gebiete West- und Mitteleuropas zur EU gehören müssen. Das ist eine imperiale Foerderung, die nicht besser ist als der alte National-Imperialismus.


• Der Versuch mancher EU-Integrationsbefürworter, alle EU-Kritiker als Nationalisten zu diffamieren, ist entschieden zurückzuweisen. Das Wort "Nationalismus" hat verschiedene Bedeutungen. (1) Glorifizierung des eigenen "Volkes", (2) Unterdrückung von Minderheiten im Inneren des eigenen Staates, (3) territoriale Expansionsbestrebungen, (4) wirtschaftliche Expansionsbestrebungen zum einseitigen Nutzen des eigenen "Volkes". Dazu gehören insbesondere militärische Interventionen zur Sicherung der Rohstoffe.
Etliche EU-Kritiker erfüllen keine dieser Bedingungen, während etliche EU-Integrationsbefürworter in mindestens einer dieser Bedeutungen als Nationalisten zu betrachten sind: (1) Glorifizierung der "europäischen Kultur", (2) Versuch, Gesamteuropa in einem Staat zu vereinen, um nachher Grossmachtpolitik betreiben zu können, (3) Bestrebungen, der EU einen weltwirtschaftlichen Vorrang zu verschaffen; Bereitstellung von out-of-area-Schnelleingreiftruppen zwecks Sicherstellung von Rohstoffen.

• Die Angst, die Anerkennung des Selbstbestimmungsrecht der Völker würde zu einer völligen Zersplitterung der politischen Welt führen, ist unbegründet. Neben zentrifugalen Kräften gibt es jeweils auch Gegenkräfte, die eine allzu weit gehende Zersplitterung (der Märkte etwa) zu verhindern suchen. Ein grosszügiges Anerkennen von Autonomierechten genügt im allgemeinen, um Separatismen einzubinden. Da diese gewöhnlich ungemütliche Emotionen schüren, ist es wohl im allgemeinen besser, nicht auf sein Selbstbestimmungsrecht zu pochen und sich mit weitgehenden Autonomierechten zufrieden zu geben. Im Südtirol haben die Autonomierechte etwa bewirkt, dass sich die Lage entspannt hat und viele deutschsprachige Südtiroler jetzt ganz gerne Italiener sind.

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