Wenig beachtet angesichts des Wirbels um britische Rinder und BSE hat Ende März 1996 die Regierungskonferenz der EU begonnen, die zum Ziel hat, den Maastrichter Vertrag zu revidieren und zu erweitern. Um dem Umweltschutz bei den Verhandlungen eine wichtige Stellung zu verschaffen, haben die europäischen Umweltdachverbände den Bericht "Greening the Treaty" erarbeitet, der einen Ma·nahmenkatalog mit konkreten Gesetzesvorschlägen zur Beseitigung der ökologischen und demokratischen Defizite in der Europäischen Union beinhaltet. Im Gegensatz zu diesen eher systemkonformen Verbesserungsvorschlägen vertreten die europäischen Jugendumweltinitiativen sowie viele regionale Umweltverbände deutlich radikalere Positionen. Die europäische Integration wird dabei als Teil eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Globalisierungsprozesses betrachtet, der einem nachhaltigen Entwicklungsmodell grundsätzlich entgegensteht. Der folgende Beitrag greift einige dieser Positionen auf und beschäftigt sich mit der Frage, ob eine ôkologisierung des Maastrichter Vertrages überhaupt möglich ist. Denn trotz aller wichtigen Errungenschaften, die mit der Integration einhergehen, bleibt die Frage nach der ökologischen Tragfähigkeit der Gemeinschaft offen. Die negativen Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, da· eine einfache Symptombekämpfung zur Problemlösung in der Regel nicht ausreicht.
von Florian Schöne, Youth & Environment Europe (YEE)
Zentralisierung versus Basisdemokratie
Die Zentralisierung der Entscheidungsstrukturen hat eine zunehmende Regelungsdichte mit einem riesigen
Verwaltungsapparat in Brüssel zur Folge, vor dem auch Ma·nahmen wie ein Stallbau in Andalusien oder die
Abwasserentsorgung in Lappland nicht halt machen. Neben zeitlichen Verzögerungen birgt dies das Risiko
von Fehlentscheidungen aufgrund mangelnder lokaler Sachkenntnisse. Ferner ermöglichen diese Strukturen,
verknüpft mit einer schwachen demokratischen Kontrolle, finanzstarken Lobbygruppen wie dem European
Round Table of Industrialists (ERT) eine erschreckend gro·e Einflu·nahme auf die Brüsseler Politik.
Mitbestimmung wird nahezu unmöglich gemacht.
Die Konsequenzen daraus sind bekannt: Legitimationsdefizite, nachlassende Identifikation und
Verantwortungsbereitschaft sowie sinkendes Interesse an demokratischer Beteiligung (Politikresignation:
"Ich kann ja doch nichts ändern..."). Die Europäische Union entwickelt sich zu einer abgehobenen, schlecht
kontrollierbaren Institution, deren soziale Basis kaum noch über die Vorstände von Konzernen und deren
Euro-Verbände und -lobbyisten hinausgeht. Dies liegt nicht zuletzt auch an der grundlegenden Ausrichtung
der Politik der EU: Sie ist nichts anderes als ein Kompromi· aus der Summe der Einzelinteressen der
nationalen Regierungen, wodurch weitergehende Entscheidungen und regionale Initiativen verhindert
werden.
Europaweiter Binnenmarkt versus kleinräumige Wirtschaftskreisläufe
Die Strukturen der EU sind im wesentlichen eine Manifestation der ökonomischen Globalisierung. Der freie
Flu· von Kapital, Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften ersetzt dabei regionale Wirtschaftskreisläufe
durch gro·räumige, lineare Produktionsprozesse und verursacht eine Verschärfung des Standortwettbewerbs
im Innern der EU. Da der gemeinsame Markt die wirtschaftliche Anbindung auch abgelegener, ökologisch
und kulturell sensibler Regionen an die einheitlichen Strukturen zur Folge hat, ist eine eigenständige,
nachhaltige Regionalentwicklung unter den gegenwärtigen makroökonomischen Rahmenbedingungen kaum
möglich. Durch eine Vielzahl EU-weiter Detailregelungen wird die regionale Selbstversorgungsfähigkeit
geschwächt und eine wirtschaftliche Abhängigkeit hervorgerufen. Lokal angepa·te ôkonomien laufen
Gefahr, von der Uniformität der Massenproduktion im Binnenmarkt erodiert zu werden. Dabei dient das
umweltschädigende und energieverschwenderische Modell der hochindustriellen Zentren der EU weiterhin
als regionalpolitisches Vorbild. Unabhängig von dringend erforderlichen Verbesserungen der derzeitigen
EU-Regionalförderung ist generell fraglich, ob die Einrichtung relativ kleinräumiger Förderkonzepte auf der
sehr hohen Aggregationsebene der Europäischen Union überhaupt Sinn macht.
Durch den Transfer finanzieller Mittel von der nationalen über die europäische auf die regionale Ebene
entstehen erhebliche Reibungsverluste und administrative Kosten. Ferner kann durch eine solche Politik
weder eine vernünftige Effizienzkontrolle noch eine ausreichende Nachvollziehbarkeit in der ôffentlichkeit
gewährleistet werden. Bei der Vielzahl an teilweise kontraproduktiven Förderma·nahmen bleibt den
Regionen oft nur die Behebung der Schäden, welche durch die fehlende Abstimmung und Integration der
Ma·nahmen ausgelöst wurden - das "Füllhorn" kann zwar zentral regiert, der Mangel aber nur regional
verwaltet werden.
Der Binnenmarkt hilft bei der Ausnutzung von Gröeneffekten und ermöglicht eine flexible Planung von
Investitionsentscheidungen. Bestehende Produktionsstandorte können leichter verlagert werden, das Kapital
wird an der gewinnbringendsten Stelle investiert. Da die Orte austauschbar werden, erhöht sich die Mobilität;
die immer grö·eren Märkte beschleunigen die Entwicklung. Im Zusammenhang mit der massiven Subvention
des Transportwesens führt dies zwar zu gesteigerten Netto-Kapitalgewinnen einzelner Betriebe, wirkt sich
jedoch negativ auf das Arbeitsplatzangebot aus (=> "jobless growth"). Weiterhin kommt es zu einer
verschärften Konkurrenz der nationalen und regionalen Wirtschaftsbereiche untereinander, was den Zielen
der Regionalpolitik zuwiderläuft und insbesondere strukturschwache Regionen zu einer weiteren Senkung
sozialer und ökologischer Standards zwingt.
Der Wunsch nach einer gemeinsamen europäischen Währung bewirkt eine Umverlagerung der staatlichen
Mittel von den sozialen Leistungen hin zu strukturellen Anpassungen. Die geplanten Kürzungen erstrecken
sich über viele Bereiche, wie z.B. Renten, Gesundheitswesen, Entwicklungspolitik, Wohnen, Bildung
sowie Umwelt. Im Zuge der immer dreister vorgetragenen Forderungen nach Deregulierung zum Erhalt der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit verschwinden Initiativen zur Besteuerung nicht erneuerbarer
Ressourcen sowie zur ôkologisierung von Landwirtschaft und Energieversorgung von der politischen
Tagesordnung. Mitgliedsstaaten mit geringerem Bruttosozialprodukt sind bereits jetzt von der geplanten
Währungsunion betroffen. So hat Spanien zur Erreichung der Konvergenzkriterien für 1996 die
Arbeitslosenhilfe um 14% und die Ausgaben für das Bildungswesen um 10% gekürzt. Die Folge ist ein
weiterer Arbeitsplatzverlust, der bei einer Arbeitslosigkeit von gegenwärtig bereits 22% ernsthaft den
sozialen Frieden bedroht.
Eurozentrismus versus regionale Identitäten
Vielfach wird eine europäische Kultur suggeriert, welche vermeintlich höherwertig ist. Regionale kulturelle
Identitäten werden ignoriert und vereinheitlicht, um letztlich möglichst homogene europäische Konsum- und
Produktionsmuster schaffen zu können. Die Folge ist eine Auflösung jahrhundertealter regionalspezifischer
Traditionen und damit ein Verlust der kulturellen und sozialen Vielfalt in Europa.
Transeuropäische Netze versus Verkehrsvermeidung
Das Verkehrswesen wird von der EU als der konkrete Ausdruck des Binnenmarktkonzepts mit seinen vier
Grundfreiheiten verstanden und genie·t daher eine hohe Akzeptanz. Die Konsequenz daraus ist
offensichtlich: In den letzten 20 Jahren hat sich der Stra·enverkehr in der EU fast verdoppelt, bei
ungebremstem Wachstum werden allein die CO2-Emissionen im Güterverkehr bis 2010 um 60% ansteigen.
Die Verkehrsstrategien der EU sind im wesentlichen Konzepte zur Wachstumsbewältigung und
Schadensbegrenzung, die Verkehrszunahme als solche sowie der gegenwärtige "modal split" (die Aufteilung
auf die verschiedenen Verkehrsträger) werden nicht in Frage gestellt. Dies liegt begründet in der weiterhin
vorherrschenden Annahme, ein zunehmendes Transportvolumen sei untrennbar mit wirtschaftlichem
Wachstum verbunden. Die Liberalisierung des Verkehrssektors mitsamt immer flexiblerer und mobilerer
Produktionssysteme (z.B. Just-In-Time Lieferung) stellt eine zunehmende Gefährdung für Umwelt- und
Sozialstandards (z.B. schnelle Verlagerung von Produktionsstandorten) dar und macht etwaige
Klimaschutzbemühungen zunichte.
Gemeinsame Agrarpolitik versus regional orientierter Ökolandbau
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist eine der mächtigsten, zentralistischsten und einheitlichsten Politiken
der Welt. über 50% des EU-Haushalts werden jährlich für sie ausgegeben. Davon kommt knapp die Hälfte
nachgeordneten Bürokratien und Interessensvertretungen zur überschu·lagerung und Exportsubvention
zugute, während nur 20% an die landwirtschaftlichen Betriebe geht. In keinem anderen Sektor hat sich die
Politik der Gemeinschaft so weit von den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung abgekoppelt.
Landwirte unterliegen heute einer extremen Fremdbestimmung und Abhängigkeit von der Agrarbürokratie.
Eine regionale Betrachtung der Landwirtschaft in Europa führt unverkennbar den Kontrast zwischen den
enorm vielfältigen und unterschiedlichen ökologischen Gegebenheiten und der einheitlichen und
zentralistischen GAP, welche nur ein paar wenige Anreizmechanismen bietet, vor Augen. Dies ist auf die
technokratische Annahme zurückzuführen, da· sich der europäische Natur- und Kulturraum problemlos nach
definierten Produktionskriterien harmonisieren und dem gemeinsamen Markt unterwerfen lä·t.
Landwirtschaftlicher Wohlstand, so wird argumentiert, werde geschaffen, indem man nur das anbaut, was
eine bestimmte Region zu einem international wettbewerbsfähigen Preis auf den Markt bringen kann. Alle
anderen Agrarprodukte, selbst wenn sie eine lange Tradition haben, sollten nach und nach zugunsten
billigerer Importe verschwinden. Eine regional orientierte Landwirtschaft, welche die Kosten für ökologische
und landeskulturelle Leistungen in den Preis ihrer Produkte einflie·en lä·t, hat keine Chance. Festgelegte
Erzeugerpreise sowie Standardisierungen im Dienste der Agrarindustrie (z.B. die EU-Marktordnung für
Früchte und Gemüse) bewirken ein rasches Verschwinden qualitativ hochwertiger, aber "ungenormter"
Produkte.
Traditionell geprägte Kulturlandschaften mit schwierigen Standortbedingungen können auf dem
europäischen Agrarmarkt der direkten Konkurrenz zu Hochleistungsflächen in Gunstlagen nicht standhalten.
In der Folge fallen extensiv wirtschaftende Betriebe entweder direkt der Rationalisierung zum Opfer oder
werden mittels staatlich subventionierter Sterbehilfe nur vorübergehend noch am Leben gehalten. Die
Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, da· die landschaftsrelevanten Subventionswirkungen der
GAP-Marktordnungsgelder (EAGFL-Fonds) dort am gravierendsten sind, wo der Einflu· der EU am grö·ten
ist. Dies sind insbesondere die Bereiche Förderung für benachteiligte Gebiete, Ausgleichszahlungen und
Flächenstillegungen. Durch ein einfaches Drehen an der Subventionsschraube in Brüssel kann so das Bild
der Landschaft in Europa schwerwiegend verändert werden.
Da die gro·dimensionierten Subventionen und Transferzahlungen ohne klare Auflagen nach dem
Gie·kannenprinzip verteilt werden, vermitteln sie den Eindruck von Abfindungszahlungen aufgrund einer
jahrzehntelang verfehlten Agrarpolitik. Ihre Vergabe erfolgt ausschlie·lich durch die Fachminister der
Mitgliedsstaaten, wodurch sie sich der parlamentarischen Kontrolle entziehen. Nur so lassen sich
Subventionen solchen Ausma·es politisch durchhalten.
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