Rund 10.000 Wirtschafts-Lobbyisten sorgen in Brüssel dafür, daß die Umwelt nicht allzusehr zum Thema wird. Über Erfolg oder Scheitern ihrer Arbeit entscheidet vor allem das persönliche Auftreten.
Von Michael Fischer und Timm Krägenow
Manchmal erzählen Büroeinrichtungen mehr über Arbeitsweisen und Charaktere als psychologische
Gutachten. Bei Horst-Georg Marks stehen die Lkw-Modelle vorne auf dem Schreibtisch, bei Winfried
Röckmann parken sie dezent auf einem Sims an der Wand. Auf dem großen L-förmigen Schreibtisch von
Marks befinden sich zwei Computer und sonst fast gar nichts; der kleine Schreibtisch von Winfried
Röckmann verschwindet unter einer Schicht von EU-Papieren und Unterlagen. Hinter Marks hängt ein
Porsche-Poster, hinter Röckmann steht eine Schrankwand mit Büchern und Akten.
Marks und Röckmann sind zwei von rund 10.000 Lobbyisten, die sich in Brüssel für die Interessen der
Wirtschaft einsetzen. Beide wollen freie Fahrt für Europas Lastwagen: niedrige Kfz- und Dieselsteuern,
möglichst keine Mautgebühren, lasche Sozialvorschriften für die Fahrer und viele Straßen. Doch in
Stilfragen unterscheiden sich Marks und Röckmann erheblich. Und Stilfragen entscheiden über Erfolg und
Mißerfolg im undurchsichtigen Lobbyisten-Dschungel von Brüssel.
"Pimps, Prostitutes and Public Transport", zählt Marks vor dem Porsche-Poster auf: Zuhälter, Prostituierte
und öffentlicher Nahverkehr würden die Innenstädte nach der Verdrängung der Autos regieren. Das ist für
ihn in allen drei Punkten die absolute Horrorvision. Und er fügt noch eine weitere hinzu: Mit Neil Kinnock
als Verkehrskommissar sei die Europäische Union auf dem direkten Weg in die umfassende Verkehrsmisere.
Dieser Kinnock will, man stelle sich das vor, daß Spediteure für die von ihnen verursachten Straßen-,
Umwelt- und Sicherheitsschäden bezahlen. Das reicht dem Laster-Mann, den politischen Gegner zum
Dämon aufzublasen: "Der Kinnock ist ein politisches Tier. Der ist fast ein Demagoge, wenn es um seine
Überzeugung geht." Und sein "Grünbuch", das sei mit der heißen Nadel gestrickt, inhaltlich "unter aller
Sau".
Höflich ertragen Kinnocks Mitarbeiter den mal persönlich, mal telefonisch vorgetragenen Redeschwall von
Marks. "Jeder hat das Recht, mit seinen Interessen angehört zu werden", seufzen sie nach einem genervten
Blick zur Decke. Sie wissen ganz genau, daß Marks in Transportfragen den mächtigsten aller Verbände
vertritt, die "Union der Europäischen Industrieverbände" (UNICE). Egal, wie großkotzig er daherkommt,
die Beamten des Verkehrs-Kommissars dürfen ihm einfach nicht das Ohr verweigern. Für gewöhnlich
schreiben die Eurokraten ihre Vorschlagslisten neu, wenn die UNICE Bedenken äußert. Diesmal nicht. Und
das wurmt Horst-Georg Marks ganz gewaltig.
Widerborstigkeit der Kommission sind die Industrieverbände nicht gewohnt: Zwischen 1991 und 1994
zerredeten Marks' Kollegen erfolgreich die europäische Energiesteuer: Sie überzeugten die Kommission, daß
es die Steuer in Europa nur geben dürfe, wenn auch die Hauptkonkurrenten USA und Japan die Abgabe
einführen würden. Damit war das Todesurteil für das Vorhaben gesprochen. "In letzter Zeit haben wir uns zu
lange nicht eindeutig geäußert", sagt Marks großspurig. "Das war unser Fehler."
Darum hat der graumelierte Lobbyist mit dem gepflegten Schnauzbart und der gesprenkelten Goldbrille nun
ein fünfseitiges Papier verfaßt, das Kinnocks Vorhaben an dessen eigenen Zielen mißt. Fazit: Eine höhere
Besteuerung des Lkw-Verkehrs werde nicht automatisch zu einer Verbesserung der anderen
Transportsysteme wie Eisenbahn und Binnenschiffahrt führen. Die Spediteure würden auch weiterhin
hauptsächlich Lastwagen benutzen, allerdings zu höheren Kosten. Von einer Entlastung der Umwelt könne
also keine Rede sein.
Doch am liebsten poltert Marks ganz einfach los, derbe und nicht besonders einfallsreich: "Die halten das
Transport-Gewerbe doch für eine Milchkuh, die man endlos melken kann, ohne sie zu füttern", schimpft er
hinter den Lastzügen auf seinem Schreibtisch. Ob denn vielleicht das Pferdefuhrwerk den Lkw ersetzen
solle? "Dann gibt es keine Industrie mehr. Und natürlich auch keine Arbeitsplätze." Mit solch simplen
Tiraden sind die Beamten der Kommission wenig zu beeindrucken, und die Wirksamkeit von Horst-Georg
Marks wird deshalb als eher begrenzt eingeschätzt. Selbst einer der wenigen Umweltschützer, die sich in
Brüssel mit Verkehrsfragen beschäftigen, fragt sich seit langem, "warum so ein Spinner die mächtige
UNICE in Brüssel vertreten darf".
Ernster sind Lobbyisten wie Winfried Röckmann zu nehmen. Röckmann hat kein Porsche-Poster hinter und
keine Lkw-Modelle vor sich. Dafür besitzt er Ausstrahlung. Mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und
schlohweißem Haar sitzt der Vertreter des "Internationalen Verbandes der Speditionsunternehmen" hinter den
Aktenstapeln und plaudert unterhaltsam über das Wetter, private Umzugspläne oder seine letzten Ferien in
Rom. Er sei sich gar nicht so sicher, ob Lobbyarbeit der richtige Begriff für seine Tätigkeit ist. Vielleicht
träfe die Bezeichnung "informieren" seine Aufgabe viel besser: "Ein Erfolg ist es schon, wenn man sich als
kleines Rädchen im Entscheidungsprozeß nicht allzusehr daneben benimmt." Seine persönlichen
Verbindungen in das Büro von Kinnock sind, so sagt er, eigentlich auch nach 25 Jahren Brüsseler Tätigkeit
nicht der Rede wert. Jedenfalls will Röckmann nicht darüber reden.
Mitte März hatte Verkehrskommissar Kinnock im Kommissionsgebäude zwei Konsultationsrunden über den
künftigen Preis der Euro-Vignetten für Lkw angesetzt, eine für Regierungsexperten und eine mit den
Vertretern der Wirtschaft. "Das Gespräch sollte nur auf englisch stattfinden", erinnert sich Röckmann. "Das
hätte viele wichtige Positionen ausgeschlossen." Röckmann griff also zum Telefon und bot der Kommission
einen Sitzungssaal der Industrie plus Simultanübersetzung an. So kamen auch die nicht Englisch
sprechenden Verbandsvertreter zu Wort, und das blieb nicht ohne Folgen. "Eigentlich wollte Kinnock den
Richtlinienvorschlag schon im April veröffentlichen", sagt Röckmann. "Jetzt wird das wohl noch eine Weile
dauern."
Verzögern, verwirren, Detailprobleme in den Mittelpunkt rücken - das gehört zu Röckmanns
Erfolgsstrategie. Und bescheidenes Auftreten: "In der Tendenz wird sich Kinnocks Papier bis zum Sommer
nicht grundsätzlich verändern." Aber Röckmann nutzt die gewonnene Zeit, um möglichst viele
Koalitionspartner gegen eine Verteuerung der Lkw-Vignette zu finden: Er formuliert Argumente für eine
Delegation französischer Spediteure, die mit dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Europäischen
Parlament zum Mittagessen verabredet ist. Oder er prüft, welcher nationale Spediteursverband die besten
Kontakte zum Finanzministerium seines Landes hat, um im EU-Ministerrat einen abgeschwächten
Gegenvorschlag zu Kinnocks Plänen zu lancieren. Oder er wägt ab, ob sich Kinnocks Büro besser über die
holländische oder die italienische Seilschaft in der Kommission "informieren" - sprich: unter Druck setzen -
läßt.
"Das wird für den Kinnock im Ministerrat noch sehr schwer werden", prognostiziert Röckmann. Nein, einen
erfolgreichen Lobbyisten könne man ihn deshalb nicht nennen, wehrt er ab: "Das muß man doch sehr
relativieren." Ein Indiz spricht freilich dafür, daß der gemütliche Westfale nicht der Schlechteste seiner Zunft
ist: Die Verkehrsexperten der Umweltverbände in Brüssel kennen trotz jahrelanger Arbeit am selben Thema
und am selben Ort noch nicht einmal seinen Namen.
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