Beim Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen geht es um die gegenseitige Anerkennung der Zulassung von Produkten. "Zur Vermeidung doppelter Verfahren in den Fällen, in denen die schweizerischen Anforderungen mit denen der Gemeinschaft als gleichwertig beurteilt werden, anerkennen die Gemeinschaft und die Schweiz gegenseitig [die von den zuständigen Stellen] ausgestellten Berichte, Bescheinigungen und Zulassungen sowie die Konformitätserklärungen des Herstellers []." Entsprechende Produkte der EU (Schweiz) müssen somit in der Schweiz (EU) ohne weitere Prüfungen zugelassen werden. Eine allgemeine Anwendung des "Cassis de Dijon-Prinzips" ist jedoch nicht vorgesehen.
von Paul Ruppen
Im Vertrag werden die Bereiche festgehalten, die durch die gegenseitige Anerkennung von Zulassungsverfahren betroffen sind. Es handelt sich um Maschinen, persönliche Schutzausrüstungen, Spielzeug, Medizinprodukte, Gasverbrauchseinrichtungen und Heizkessel, Druckgeräte, Telekommunikationsendgeräte, Geräte und Schutzsysteme zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen, Elektrische Betriebsmittel und elektromagnetische Verträglichkeit, Baugeräte und Baumaschinen, Messgeräte und Fertigpackungen, Kraftfahrzeuge, Land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen. Zudem finden sich im Anhang des Vertrages Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung Guter Laborpraxis (Good Laboratory Practice, GLP) und betreffend Inspektion der Guten Herstellungspraxis für Arzneimittel (Good Manufacturing Practice, GMP).
Institutionelle Regelungen
Das Abkommen wird von einem aus Vertretern der Vertragsparteien bestehenden "Ausschuss für gegenseitige Anerkennung der Konformitätsbewertung" überwacht. Er wird mit der Verwaltung des Abkommens betraut und er sorgt für dessen ordnungsgemässes Funktionieren. Zu diesem Zweck gibt er Empfehlungen ab und fasst in den im Abkommen vorgesehenen Fällen Beschlüsse. Er beschliesst einvernehmlich. Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung, die unter anderem die Modalitäten für die Einberufung der Sitzungen, die Ernennung des Vorsitzenden und die Festlegung seines Mandats enthält. Was die Festlegung des "Mandats" genau beinhaltet wird nicht näher erläutert. Der Ausschuss ist konkret zuständig für die An- und Aberkennung der Konformitätsbewertungsstellen. Die von anerkannten Konformitätsbewertungsstellen ausgestellten Berichte, Bescheinigungen, Zulassungen und Konformitätskennzeichen werden ab dem Zeitpunkt der Anerkennung von beiden Vertragsparteien anerkannt. Die anerkannten Konformitätsbewertungsstellen werden in einem jeweils zu aktualisierenden Anhang des Vertrages aufgeführt.
Jede Vertragspartei hat das Recht, in Ausnahmefällen die fachliche Kompetenz der von der anderen Vertragspartei vorgeschlagenen oder im Anhang aufgeführten und der Zuständigkeit dieser Vertragspartei unterstellten Konformitätsbewertungsstellen anzufechten. Eine solche Anfechtung ist in einem an die andere Vertragspartei und an den Vorsitzenden des Ausschusses gerichteten Schreiben mit objektiven und sachdienlichen Argumenten zu begründen. Die Kriterien "objektiver und sachdienlicher Argumente" werden im Vertrag nicht benannt. Sind die Vertragsparteien hierüber uneinig und wird diese Uneinigkeit durch den Ausschuss bestätigt, so nehmen die Vertragsparteien unter Beteiligung der betroffenen zuständigen Behörden eine gemeinsame Überprüfung der fachlichen Kompetenz der betreffenden Konformitätsbewertungsstelle auf Grund der vorgeschriebenen Anforderungen vor. Der Ausschuss berät über das Ergebnis der Überprüfung mit dem Ziel, so bald wie möglich zu einer Lösung zu gelangen. Jede Vertragspartei hat dabei sicherzustellen, dass die ihrer Zuständigkeit unterstellten Konformitätsbewertungsstellen zugänglich sind, so dass deren fachliche Kompetenz auf Grund der vorgeschriebenen Anforderungen überprüft werden können. Sofern der Ausschuss nichts anderes beschliesst, wird die Anerkennung der betreffenden Konformitätsbewertungsstelle von der zuständigen Behörde ab dem Zeitpunkt, zu dem die Uneinigkeit festgestellt wurde, bis zu einer Einigung ausgesetzt.
Interessanter weise gibt es in Bezug auf Fahrzeuge ein zusätzliches Verfahren: Stellt ein Mitgliedstaat oder die Schweiz fest, dass Fahrzeuge, Bauteile oder selbständige technische Einheiten eines bestimmten Typs die Sicherheit des Strassenverkehrs ernsthaft gefährden, obwohl sie mit einer gültigen Konformitätsbescheinigung oder einer ordnungsgemässen Kennzeichnung versehen sind, so kann er oder sie für eine Dauer von höchstens sechs Monaten die Zulassung solcher Fahrzeuge verweigern oder den Verkauf oder das Inverkehrbringen solcher Fahrzeuge, Bauteile oder selbstständigen technischen Einheiten auf seinem bzw. ihrem Hoheitsgebiet verbieten. Die anderen Mitgliedstaaten, die Schweiz und die EU-Kommission werden unter Angabe der Gründe für diese Entscheidung unverzüglich hiervon unterrichtet. Bestreitet der Mitgliedstaat oder die Schweiz, der oder die die Typgenehmigung erteilt hat, die ihm bzw. ihr gemeldete Gefährdung der Strassenverkehrssicherheit, so bemühen sich die betreffenden Mitgliedstaaten und die Schweiz um die Beilegung des Streitfalles. Bezüglich des Falles eines Scheiterns dieser Bemühungen werden im Vertrag offenbar keine Vorkehrungen getroffen.
In Bezug auf Medikamente erstreckt sich die gegenseitige Anerkennung auch auf die Ergebnisse der von den zuständigen Inspektoraten der anderen Vertragspartei durchgeführten Inspektionen der Hersteller und die von den zuständigen Behörden der anderen Vertragspartei erteilten Herstellungsgenehmigungen. Die vom Hersteller vorgenommene Zertifizierung der Konformität jeder Charge mit ihren Spezifikationen wird von der anderen Vertragspartei ohne erneute Kontrolle bei der Einfuhr anerkannt. Die Definition der Arzneimittel umfasst alle Human- und Tierarzneimittel wie z. B. chemische und biologische Arzneimittel, immunologische Arzneimittel, Radiopharmaka, stabile Arzneimittel aus menschlichem Blut oder aus menschlichem Plasma, Vormischungen für die Herstellung von Tierarzneifuttermitteln und gegebenenfalls Vitamine, Mineralien, pflanzliche und homöopathische Arzneimittel.
Das Abkommen ist auf 7 Jahre befristet und wird stillschweigend auf unbestimmte Zeit weitergeführt, sofern nicht eine der Parteien das Abkommen kündigt. In diesem Falle treten alle sieben Verträge nach 6 Monaten ausser Kraft. Die Vertragsparteien vereinbaren zudem, dass die Abkommen über gegenseitige Anerkennung, die von einer Vertragspartei mit einem Drittland geschlossen werden, für die andere Vertragspartei keinerlei Verpflichtung zur Anerkennung der Konformitätserklärungen des Herstellers sowie der Berichte, Bescheinigungen und Kennzeichen einer Konformitätsbewertungsstelle dieses Drittlandes mit sich bringt, ausgenommen in den Fällen, in denen zwischen den Vertragsparteien eine ausdrückliche Vereinbarung hierüber getroffen wurde.
Der Vertrag enthält eine Evolutivklausel, um das Abkommen mit der Rechtsentwicklung im Rechtsraum der Vetragsparteien anzupassen und ihn auf weitere Erzeugnisse auszudehnen, für deren Vermarktung eine Konformitätsbewertung notwendig ist.
Auswirkungen der gegenseitigen Anerkennung
Es ist schwierig, sich über die genauen Auswirkungen des Vertragswerks eine Übersicht zu verschaffen. In den Anhängen des Vertrages wird an vielen Stellen auf unzählige EU-Richtlinien und EU-Verordnungen verwiesen. Die Aufzählung der entsprechenden Hinweise füllt nur bezüglich der Telekommunikationsendgeräte z.B. fast 6 Seiten des Vertrags. Neben den vielen EU-Gesetzen wird auch auf etliche eidgenössische Gesetze und Verordnungen verwiesen. Sich in diesem Rechtsdschungel eine Übersicht zu verschaffen, würde mehrere Wochen Vollzeitarbeit bedeuten.
Im Vorfeld des EWR widmeten sich die Umweltorganisationen dem Thema "Warennormen" eingehend. Von den Umweltverbänden wurde dem damaligen Bundesamt für Umwelt Wald und Landschaft (Buwal) ein detaillierter Fragebogen mit über 200 zum Teil sehr konkreten Fragen vorgelegt, und die entsprechenden Antworten trugen viel zur Skepsis der Umweltbewegung bezüglich des EWR bei. Entsprechend wandte sich die Redaktion des EM an die Umwelt-Verbände, um einen Artikel zum Thema zu organisieren. Nach etlichem Nachfragen ergab sich, dass kein Umweltverband das Thema vertieft behandelt hatte. Dieses Verhalten der Umweltverbände erstaunt. Aber auch beim Buwal scheint niemand über die konkreten Auswirkungen auf die Umwelt präzise Vorstellungen zu haben. Mehrmaliges E-mailen und Telephonieren führte zu keinen konkreten Informationen. Es drängt sich deshalb die ernüchternde Feststellung auf, dass in der Schweiz im staatlichen und nichtstaatlichen Umweltkuchen niemand genau weiss, was dieser Vertrag für Folgen für die Umwelt haben wird.
Gesamtwürdigung
Der Vertrag über die gegenseitige Anerkennung von Normen bringt der Wirtschaft gewisse Vorteile. Sie kann leichter und billiger exportieren, da ein statt zwei Anerkennungsverfahren künftig in den betroffenen Warensegmenten künftig genügen. Nach Thomas Pletscher, Sekretär beim Dachverband der Schweizer Wirtschaft (Vorort), belaufen sich die Ausfuhren nach der EU bei den vom Abkommen abgedeckten Produkten auf 20 - 30 Mrd. Fr. pro Jahr. Da die Einsparungen schätzungsweise 1% betragen, würden Kostenersparnisse zwischen 200 Mio. und 300 Mio. Fr. möglich sein (NZZ. 6.5.99). Die Exportwirtschaft betrachtet als weiteren Vorteil des Abkommens die mögliche raschere Einführung neuer Produkte. Anderseits bleiben im Vertrag gewisse Dinge unklar: inwieweit kann die Schweiz den im Rahmen der WTO relativ bescheidenen Spielraums auf dem Gebiete der Warennormen nutzen? Was geschieht, wenn die Schweiz höhere Standards auf einem der betroffenen Gebiete setzt? Der Druck der Wirtschaft zur Vermeidung von Vorreiterrollen aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes wird auf dem Gebiete der Warennormen jedenfalls zunehmen.
Man kann in den letzten Jahren von seiten des Bundes eine konsequente Anpassung an das EU-Recht beobachten. Diese Anpassung erfolgt freiwillig und in der Absicht, allfällige Beitrittshürden wegzuräumen (siehe Integrationsbericht 1999, S. 31). Der durchaus vorhandene Spielraum für kreative Problemlösung durch Setzung von Warennormen blieb willentlich brach: Anpassung an die EU wurde wichtiger als die Erfüllung der eigentlichen Aufgaben von Politik, die in gezielter Problemlösung besteht. In der augenblicklichen Politkultur sind denn vom Bund und den Räten in naher Zukunft auch bei einer Ablehnung der bilateralen Verträge kaum Bestrebungen für eine problemorientierte Politik auf dem Gebiete der Warennormen zu erwarten. Der grössere Spielraum, der durch die Ablehnung der Verträge der Schweiz verbliebe, würde auf absehbare Zeit kaum genutzt werden. Unsympathisch am vorliegenden Vertrag bleibt der völlige Mangel an Transparenz durch den ständigen Verweis auf die sehr umfangreiche EU-Gesetzgebung. Eine Studie über die genauen Auswirkungen auf Umwelt- und Gesundheitsschutz fehlt. Dieser Mangel an Transparenz allein müsste eigentlich stutzig machen.
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