Übersicht Dossiers Schweiz Die Schweiz und das direktdemokratische TaiwanDie Schweiz anerkennt Taiwan [1], immerhin ein direktdemokratischer Staat, nicht an – dies im Namen der Ein-China-Politik, die bei den meisten Staaten zur Anerkennung von Rotchina [2] führt und zugleich zur Verweigerung der Anerkennung Taiwans. Ist man zuerst versucht, dies der gegenüber Rotchina untertänigen Aussenwirtschaftspolitik des Bundesrates zuzuschreiben, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Angelegenheit etwas komplizierter ist. Taiwan hat sich zwar von einer Militärdiktatur zu einer lebhaften Demokratie gewandelt, erhebt aber in seiner Verfassung wenigstens implizit immer noch Anspruch auf Gesamtchina. Sobald zwei Regierungen dasselbe Territorium beanspruchen, ist klar, dass man die Ansprüche der Regierung anerkennt, welche den überwältigenden Teil des Territoriums kontrolliert. Entsprechend hat die Schweiz Rotchina kurz nach dessen Gründung (1. Oktober 1949) Anfang 1950 anerkannt und gehörte damit zu den ersten Staaten, die diesen Schritt unternahmen. Das ist allerdings noch nicht die ganze Geschichte: Würde die taiwanesisch Regierung ihren Anspruch auf Gesamtchina zurücknehmen, würde das von Rotchina als erster Schritt zu einer Unabhängigkeitserklärung und wahrscheinlich als Kriegsgrund betrachtet werden.
Bundesrätliche Position
Auf Anfragen von Ratsmitgliedern bezüglich Taiwan antwortet der Bundesrat seit 20 Jahren ziemlich stereotyp mit der Floskel, er verfolge eine «Ein-China-Politik». Er unterstreicht die Notwendigkeit, eine konstante Aussenpolitik zu verfolgen: eine Aufgabe der seit über siebzig Jahren vertretenen Position würde gemäss Bundesart die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit unserer Aussenpolitik untergraben. Die Begründung ist nicht besonders glaubwürdig. Wesentlicher wäre wohl die Begründung, dass Taiwan bisher (1) nicht explizit seinen Anspruch auf das Territorium beschränkt hat, das von der taiwanesischen Regierung tatsächlich kontrolliert wird und (2) nicht seine Unabhängigkeit erklärt hat.
In einer Interpellation des Nationalrates Reymond André (SVP) im Jahr 2004 (Geschäftsnummer 04.3471) bezüglich der wiederholten UNO-Beitrittsgesuche Taiwans, wollte dieser folgendes wissen:
"Ich bitte den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten:
1. Wie will er, hinsichtlich eines Uno-Beitrittsgesuches der Republik China (Taiwan), der Tatsache Rechnung tragen, dass dieser Staat faktisch existiert, obgleich er von der Schweiz rechtlich nicht anerkannt ist, und dass er in den letzten Jahren zu einer Demokratie geworden ist, die ihre internationalen Verpflichtungen erfüllt?
2. Wie gedenkt er die Neutralitätspolitik der Schweiz aufrechtzuerhalten, die eine ausdrückliche Parteinahme bei einem internationalen Konflikt ausschliesst? Oder wird er etwa für einen Beitritt Taiwans zur Uno stimmen?
4. Wie gedenkt er seinen diplomatischen Handlungsspielraum zu nutzen, um — entgegen der Ein-China-Doktrin — die Existenz eines Staates anzuerkennen, dessen republikanische Verfassung auf 1912 zurückgeht?"
Der Bundesrat antwortete unter anderem:
"1. Taiwan hat auf den Gebieten Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den letzten fünfzehn Jahren beträchtliche Fortschritte erzielt, sodass die Insel heute zu den demokratischsten Gesellschaften Asiens gehört. Die Schweiz begrüsst diese Entwicklungen und ermuntert die Bevölkerung und die Behörden Taiwans, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Aufgrund der konkurrierenden Ansprüche der Behörden von Peking und Taipeh hinsichtlich der legitimen Vertretung des chinesischen Staates richtet sich die Schweiz bei ihren Beziehungen mit diesen Behörden nach der schweizerischen Ein-China-Politik. Der Bundesrat anerkannte die Volksrepublik China am 17. Januar 1950. Die Schweiz gehörte zu den ersten westlichen Staaten, die die am 1. Oktober 1949 proklamierte Volksrepublik anerkannten. Seither hält die Schweiz konsequent an ihrer Ein-China-Politik fest und betrachtet die Pekinger Behörden als Vertretung ganz Chinas. Die Tatsache, dass Taiwan aus völkerrechtlicher Sicht die Merkmale eines Staates aufweist (ein Gebiet, eine Bevölkerung und eine Regierung, die de facto die Staatsgewalt ausübt), verpflichtet die Schweiz keineswegs dazu, das Gebiet als Staat zu anerkennen. Dies ist in erster Linie ein politischer Entscheid. Die schweizerische Politik gegenüber China entspricht im Übrigen der Politik der meisten Staaten der internationalen Gemeinschaft. Auch die Uno-Generalversammlung anerkannte die Volksrepublik China 1971 als einzige rechtmässige Vertretung Chinas und nahm sie in die Uno auf, wodurch Taiwan seinen Sitz verlor. Damit wurde die Ein-China-Politik auf Uno-Ebene bestätigt. Die Schweiz hält sich bei ihren Stellungnahmen innerhalb der internationalen Organisationen — einschliesslich der Uno — an diese Politik. Der Bundesrat ist jedoch bemüht, die Probleme, die sich durch die fehlende Zugehörigkeit Taiwans zu den meisten internationalen Organisationen ergeben, auf pragmatische Weise zu lösen.
2. Die Frage der Neutralität würde sich einzig und allein im Falle eines internationalen bewaffneten Konfliktes um Taiwan stellen. Ein solcher liegt aber nicht vor. Die Schweiz ist daher frei, ihre Position zur Taiwanfrage nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Ein wichtiges Kriterium bildet in diesem Zusammenhang die Konstanz und Berechenbarkeit der schweizerischen Aussenpolitik. Damit verschafft sich unser Land international die notwendige Glaubwürdigkeit und Anerkennung, was letztlich auch der Respektierung unseres Status als dauernd neutraler Staat dient. Wenn sich die Schweiz jedoch zu einem Uno-Beitritt Taiwans äussern müsste, würde sie aufgrund ihrer traditionellen Ein-China-Politik eine ablehnende Haltung einnehmen. Die Schweiz sieht Taiwan seit 1950 wie die grosse Mehrheit der übrigen Staaten als Teil Chinas an. Eine plötzliche Abkehr von dieser seit über fünfzig Jahren vertretenen Position würde die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit unserer Aussenpolitik untergraben."
In der zweiten Hälfte der 10er Jahre ist die Taiwan-Frage in den Räten dann virulenter geworden. Es folgten einige Postulate, Motionen und Interpellationen. Am 30.11.2017 wurde z.B. von Hans-Peter Portmann (FdP) ein Postulat (17.3999) eingereicht, das vom Bundesrat forderte, zu überprüfen, wie man administrative Hürden in den Beziehungen zu Taiwan abbauen könnte. Am 14.09.2020 fordert Imark Christian (SVP) in einer Interpellation vom Bundesrat die Überprüfung der Frage, ob man mit Taiwan ein Handelsabkommen abschliessen könnte (20.3983). Am 25.06.2021 reicht die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates ein Postulat ein (21.3967), das vom Bundesrat einen Bericht darüber fordert, in welchen Bereichen im Interesse von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur die bestehenden Beziehungen zu Taiwan graduell vertieft werden können. 2022 forderte Nationalrat Atici Mustafa (SP), mit Blick auf die Förderung und Vertiefung der engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Taiwan, die bestehende Zusammenarbeit auf dem Gebiete von Kultur, Bildung, Forschung und Innovation in Form einer Vereinbarung, unterzeichnet von zwei privaten Organisationen, nämlich dem "Trade Office of Swiss Industries, Taipei" und der "Taipei Cultural and Economic Delegation in Switzerland", zwecks Aufbau einer aktiven Partnerschaft weiter zu entwickeln und zu vertiefen.
Der Bundesrat lehnte alle diese Vorstösse ab – mit dem stereotypen Hinweis auf die Ein-China-Politik. Auf die Interpellation der Aussenparlamentarischen Kommission des Nationalrates z.B. antwortete der Bundesrat lapidar:
"Die Schweiz verfolgt eine Ein-China-Politik und erkennt deshalb Taiwan (Chinesisches Taipei) nicht als eigenständigen Staat an. Aus diesem Grund besteht keine Basis für politische Beziehungen auf Regierungsebene, welche vertieft werden könnten."
Zu beachten ist, dass nicht alle diese Vorstösse eine Verbesserung der Beziehungen auf Regierungsebene anstrebten – die Berufung auf die Ein-China-Politik ist deshalb nicht immer angemessen und wohl durch die exportwirtschaftlich bedingte überängstliche Haltung des Bundesrates zu verstehen.
Bemerkenswert sind folgende Aspekte bezüglich der Antworten des Bundesrates.
1) Der Bundesrat spricht von konkurrierenden Ansprüchen Taiwans und Rotchinas auf das gesamte chinesische Gebiet. In der Tat hat Taiwan nicht explizit seine Ansprüche auf die Vertretung Gesamtchinas aufgegeben. In der Verfassung Taiwans steht etwa, dass Taiwan das befreite Gebiet Chinas sei [3]. Es wird auch von Wiedervereinigung gesprochen [4], was impliziert, dass man sich als Teil Chinas betrachtet. Allerdings müsste man den Kontext dieser offiziellen Haltung Taiwans berücksichtigen. Angesichts des rotchinesischen Säbelrasselns bei jeder noch so kleinen Bewegung, sei’s auch nur sprachlicher Art, in Richtung Unabhängigkeit Taiwans, ist die Zurückhaltung Taiwans, an den gegenwärtigen Verhältnissen auch nur ein wenig zu rütteln, nur verständlich.
2) Ein weiterer Punkt ist bemerkenswert: Der Bundesrat beruft sich nicht auf Völkerrecht, sondern betrachtet seine Haltung Taiwan gegenüber als politisch begründet. Der Umstand, dass die bundesrätliche Haltung politisch und nicht völkerrechtlich begründet wird, lässt vermutlich für die Zukunft mehr Spielraum übrig.
Historische und bevölkerungsmässige Aspekte
Die Urbevölkerung Taiwans besteht aus einer Bevölkerung, die enge sprachliche und genetische Verwandtschaft mit den Polynesiern aufweist. Heute macht diese Urbevölkerung, in der 12 Untergruppen unterschieden werden, noch etwas weniger als 2% der Bevölkerung Taiwans aus – also etwas weniger als 2% von 23 Millionen Einwohnern. Die Urbevölkerung siedelt vor allem im Bergland Taiwans, dessen höchster Berg 3952m hoch ist. Deren Sprachen und Kulturen werden durch die Politik seit der Verfassung von 1991 geschützt.
Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Taiwans ist Resultat verschiedener Einwanderungswellen von Festlandchina her. Man kann davon ausgehen, dass vor den grossen Einwanderungswellen sich im Lauf der Zeit immer wieder chinesische Fischer, Händler oder Seeräuber auf Taiwan und den vorgelagerten Inseln aufhielten, die erste große Einwanderungswelle und dauerhafte Besiedlung durch Han-Chinesen von Festlandchina aus erfolgte jedoch erst Anfang des 17. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Niederländer. Als die Mandschu auf dem chinesischen Festland vordrangen und sich das Ende der Ming-Dynastie abzeichnete, floh der Ming-Loyalist Zheng Chenggong 1661 mit 35’000 Soldaten nach Taiwan. Von dort aus wollte er das chinesische Festland zurückerobern. Er beendete durch diese Invasion auch die Kolonialzeit der Niederländer in Taiwan.
Die Ming-Loyalisten wurden auf Taiwan 20 Jahre später von der durch die Mandschuren gegründeten Qing-Dynastie unterworfen. Sie stellte Taiwan erstmals unter die Kontrolle Festland-Chinas und gaben der Insel 1684 den Status einer Präfektur der Provinz Fujian. Das am Rande des Kaiserreichs gelegene Taiwan blieb allerdings lange Zeit ein wenig beachtetes koloniales Besitztum der entsprechenden Dynastie an deren Peripherie.
Die Chinesen strengten die Sinisierung der Bevölkerung Taiwans an. 1734 wurden z.B. 50 Schulen eingerichtet, in denen die Kinder in chinesischer Sprache und Kultur unterrichtet wurden. 1758 wurde ein Gesetz erlassen, das die Bewohner Taiwans zwang, mandschurische Haartrachten und chinesische Kleidung zu tragen sowie chinesische Namen anzunehmen. Die Han sinisierten vor allem die indigene Bevölkerung in den flachen Gebieten der Insel, die als aggressiv geltende Bergbevölkerung bliebt unter der chinesischen Herrschaft mehr oder weniger unberührt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geriet die Insel immer mehr in den Blickwinkel europäischer Kolonialmächte und Japans. Verschiedene Interventionen scheiterten jedoch vorerst. Am 19. Januar 1886 wurde Taiwan aus der Provinz Fujian ausgegliedert und erhielt formell den Status einer chinesischen Provinz. Nach dem Ende des ersten chinesisch-japanischen Krieges 1894/95 musste China die Insel im Vertrag von Shimonoseki an Japan abtreten. Die japanische Kolonialverwaltung brachte auch die Bergbevölkerung unter ihre Kontrolle und richtete Schulen und Polizeistationen in ihren Dörfern ein.
Man kann also festhalten, dass Taiwan von 1682 bis 1895, also etwas mehr als 200 Jahre, Teil der feudalen Strukturen Festlandchinas war. Daraus lässt sich kein Anspruch Rotchinas auf Taiwan ableiten – würde man Ansprüche zulassen, die aus Herrschaftsgebieten ehemaliger Königs- oder Kaiserreiche resultieren, hätte die Weltbevölkerung eine äusserst unsichere Zeit mit unsäglichen Kriegswirren vor sich.
Heute geben 5% der taiwanesischen Bevölkerung bei Umfragen an, Chinesen zu sein, 30% geben an, sowohl Chinesen als auch Taiwanesen zu sein, 55% geben an, nur Taiwanesen zu sein. Die Personen, die von Angehörigen der Invasion Chiang Kai-sheks abstammen, machen 10% der Bevölkerung aus. Bei dieser Minderheit ist die chinesische Identität am meisten verankert, wobei sie in der 2. und 3. Generation auch dort abnimmt. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass die Selbstbetrachtung als «Chinese» nicht unbedingt die Befürwortung eines Zusammenschlusse mit Rotchina beinhaltet. 70% der Bevölkerung spricht eine Sprache, die mit dem in der Provinz Fujian (Volksrepublik China) verbreiteten Dialekt verwandt ist. Die Sprache wird Hokkien genannt. Je nach politischem Standpunkt wird diese Sprache Taiwans als eine eigene Sprache innerhalb der sino-tibetischen Sprachfamilie oder als chinesischer Dialekt betrachtet. Ca. 20% der Bevölkerung sprechen verschiedene Dialekte des Hakka, eine der Dialektgruppen der 8 han-chinesischen Sprachgruppen. Da sich eine Mehrheit der Taiwanesen als taiwanesisch und nicht als chinesisch betrachten, sind die Taiwanesen als Volk im Sinne des Völkerrechts zu betrachten. Da sie einen eigenen Staat haben, können sie sich im Prinzip auf das völkerrechtliche Selbstbestimmungerecht der Völker berufen. Dass dies bisher nicht erfolgte, hat vermutlich vor allem mit dem militärischen Drohgebärden Rotchinas zu tun.
Völkerrechtliche Fragen
Seit 1895 hat keine festlandchinesische Regierung Kontrolle über Taiwan ausgeübt – also seit nunmehr 128 Jahren. Zudem hat Rotchina nie die Kontrolle über Taiwan ausgeübt. Die frühere 200-jährige Kontrolle war feudalistisch-kolonialer Natur und relativ locker. Andererseits sieht sich die Mehrheit der Bewohner Taiwans als nicht-chinesische Taiwanesen. Es stellt sich die Frage, ob unter diesen Umständen der Anspruch Rotchinas auf Taiwan angesichts des völkerrechtlichen Rechts auf Selbstbestimmung gerechtfertigt ist.
Bis zum Ende des 2. Weltkrieges war Taiwan von Japan besetzt. Im Vertrag von San Francisco (8. September 1952), der übrigens von Rotchina nicht anerkannt wurde, verzichtete Japan auf Taiwan. Im Vertrag wird nichts über den künftigen Status von Taiwan ausgesagt. Es heisst im Vertrag kurz und bündig: Taiwan umfasst die früher Formosa genannte Hauptinsel und die westlich gelegenen Pescadores. Japan trat damit keine Rechte an Rotchina ab.
Laut den Vorbereitenden Arbeiten des Vertrags [5] bestand unter den auf der Friedenskonferenz von San Francisco anwesenden Staaten ein Konsens darüber, dass der rechtliche Status der Insel Taiwan zwar vorläufig unbestimmt sei, aber zu einem späteren Zeitpunkt im Einklang mit den in der UN-Charta verankerten Grundsätzen der friedlichen Streitbeilegung und der Selbstbestimmung geklärt werden soll. Nur El Salvador verlangte in einem Vorbehalt explizit das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen, die ehemals von Japan kontrolliert und durch den Vertrag betroffen waren.
1971 wurde Rotchina offiziell in die Uno aufgenommen und Taiwan ausgeschlossen, nachdem sich Chiang Kai-shek geweigert hatte, auf den Anspruch seiner Regierung auf Gesamtchina zu verzichten. [6] Die Uno anerkennt die «Tatsache, dass die Vertreter der Regierung der Volksrepublik China die einzigen rechtmäßigen Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen sind und dass die Volksrepublik China eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ist». Die Uno beschliesst «die Vertreter ihrer [der Volksrepublik China] Regierung als die einzigen rechtmäßigen Vertreter Chinas bei den Vereinten Nationen anzuerkennen und die Vertreter von Chiang Kai-shek unverzüglich von dem Platz zu verweisen, den sie unrechtmäßig bei den Vereinten Nationen und in allen mit ihnen verbundenen Organisationen einnehmen. (1976. Plenarsitzung, 25. Oktober 1971).
Der Text sagt nichts über den völkerrechtlichen Status Taiwans aus. Er sagt nur, dass die einzige Vertretung Chinas die Volksrepublik China ist. Die Frage der Souveränität Taiwans und ob Taiwan zu China gehört oder nicht, wird nicht aufgeworfen und es gibt keine legalen Dokumente, die einen Anspruch Rotchinas auf Taiwan rechtfertigen könnten. Peking behauptet, den Sitz der Republik China geerbt zu haben und damit den Anspruch auf Taiwan übernommen zu haben. Für viele Staaten ist der Status Taiwans allerdings bisher nicht entschieden – er wurde bewusst offen gelassen (z.B. von GB, USA, Frankreich, etc.), auch wenn es manchmal anderslautende, aber nicht formell vertraglich festgehaltene Äusserungen von Regierungsvertreten dieser Länder gibt.
Feststeht, dass Taiwan seine Unabhängigkeit bisher nicht erklärt hat. Historisch gesehen hängt das mit der Politik Chiang kai-sheks zusammen, den Anspruch auf ganz China aufrechtzuerhalten. Später ging es wohl vor allem darum, eine militärische Auseinandersetzung mit Rotchina zu vermeiden, da Rotchina immer wieder drohte und droht, Taiwan im Falle einer Unabhängigkeitserklärung zu überfallen. Taiwan wagt es nicht einmal, den offiziellen Namen «Republik China» in Taiwan zu ändern. Zaghaft wurde bisher allerdings «Taiwan» in Klammer hinter den Namen «Republik China» gesetzt, was bereits heftige Reaktionen Rotchinas provozierte. Entsprechend befindet sich Taiwan völkerrechtlich betrachtet in einer Art Schwebezustand – unabhängig, aber nicht unabhängig erklärt. Taiwan muss darauf warten, dass sich Rotchina demokratisiert oder dass es im Falle eines militärischen Angriffs Rotchinas seine Verfassung ändert und sich von den übrigen Staaten der Welt als unabhängigen Staat anerkennen lässt.
Gewiss wäre eine Militärintervention Pekings völkerrechtswidrig. Artikel 1 der UNO-Resolution von 1974 (Resolution 3314 (XXIX)) über die Definition von Aggressionen erläutert: «Aggression ist die Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates oder in jeder anderen Weise, die mit der Charta der Vereinten Nationen, wie sie in dieser Definition festgelegt ist, unvereinbar ist.» Hinzugefügt wird die Erläuterung: «In dieser Definition wird der Begriff "Staat": (a) unbeschadet der Fragen der Anerkennung oder der Frage, ob ein Staat Mitglied der Vereinten Nationen ist, verwendet». Andererseits ist bekannt, dass sich die meisten Mitglieder des Sicherheitsrates wenig ums Uno-Völkerrecht kümmern, falls sich dessen Missachtung eventuell lohnt.
Hasenfüssige Schweizer Politik
Solange Taiwan nicht implizite oder explizite Hinweise darauf, mit Festlandchina zusammen Teil Chinas zu sein, streicht, ist die Haltung, Taiwan nicht offiziell anzuerkennen, sicher vertretbar. Das heisst aber nicht, dass man sich übervorsichtig verhalten muss, wie es etwa die Schweizer Regierung vorführt. Bei Kontakten mit Taiwan wird zwischen technischen und politischen Fragen unterschieden, wobei Peking konstant versucht, Taiwan zunehmend zu isolieren, indem es u.a. selbst festlegt, was technisch und was politisch ist. So ist z.B. ein Direktflug Zürich -Taipeh wohl eine technische Frage, wird aber von Peking bekämpft. Während die umliegenden Länder Direktflüge nach Taipeh erlauben, verweigert dies die Schweiz.
Das vorsichtige Verhalten der Politik wird oft dadurch gerechtfertigt, dass man nicht Öl ins Feuer giessen wolle. Man wolle Rotchina nicht zu einem Angriff provozieren. Diese Argumente sind vermutlich eher als Tarnung ökonomischer Interessen zu betrachten. Man kann im Gegenteil behaupten: je isolierter Taiwan ist, desto gefährdeter ist das Land.
Vom Bundesrat wäre zu fordern, dass er gegenüber Rotchina weniger hasenfüssig auftritt.
• Was bezüglich Taiwan technisch oder politisch ist, ist in Bern zu definieren und nicht in Peking. In einem ersten Schritt wären technische Belange im beiderseitigen Interesse zwischen der Schweiz und Taiwan ohne Rücksicht auf Peking zu regeln.
• Die Bestrebungen Taiwans, in die Uno aufgenommen zu werden, sind zu unterstützen. Seit dem 29. November 2012 (UN-Resolution 67/19) hat der Staat Palästina den Status eines Beobachterstaats bei den Vereinten Nationen, obwohl in diesem Fall kaum von einem eigentlichen Staat die Rede sein kann. Umso mehr müsste Taiwan in einem ersten Schritt ein solcher Status eingeräumt werden.
• Zudem ist nicht einzusehen, wieso man mit einer Regierung, die faktisch ein unabhängiges demokratisches Land regiert, nicht Verträge abschliessen kann. Solche Verträge kann man pragmatisch rechtfertigen und setzen nicht unbedingt eine offizielle Anerkennung voraus.
• Ein weitergehender – möglicher Weise rechtlich gangbarer — Weg bestünde in einer bedingten Anerkennung Taiwans: man anerkennt Taiwan nicht als Vertretung Gesamtchinas, sondern als Vertretung des Gebietes, das von der taiwanesischen Regierung faktisch kontrolliert wird. Explizite oder implizite Ansprüche auf Vertretung Gesamtchinas würden dabei offiziell nicht anerkannt.
Eine offensivere und weniger gegenüber Rotchina untertänige Politik des Bundesrates könnte zu einer Stärkung von Demokratie, Frieden und Völkerrecht führen.
Fussnoten:
[1] offiziell «Republik China (Taiwan)»
[2] offiziell «Volksrepublik China»)
[3] Additional Articles of the Constitution of the Republic of China vom 10. 6. 2005, Artikel 1
[4] Act Governing Relations between the People of the Taiwan Area and the Mainland Area, neueste Fassung vom 8. Juni 2022, Artikel 1)
[5] Chen, Lung-chu (2016). The U.S.-Taiwan-China Relationship in International Law and Policy. Oxford: Oxford University Press. p. 80. ISBN 978-0190601126)
[6] Viele Staaten wären damals offenbar bereit gewesen, Taiwan anzuerkennen, falls es auf seinen Anspruch auf Gesamtchina verzichtet hätte. <\br>
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