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Regelung der „institutionellen Fragen“ mit der EU

Die EU versucht seit einiger Zeit, Druck auf die Schweiz zu machen, damit diese im Bereiche der bilateralen Verträge die Weiterentwicklungen des EU-Rechts automatisch übernimmt. Die Überwachung dieser Übernahme soll durch übergeordnete Institutionen – wie z.B. dem EFTA-Gerichtshof – erfolgen. Der EU geht es dabei darum, (1) eine Altenative zum EWR- und EU-Beitritt in Europa auszuschalten, (2) eigenes Recht in Bereichen durchzusetzen, die umstritten sind, wie bei den arbeitsmarkt-flankierenden Massnahmen (8-Tage-Regelung) und bei steuerrechlichten Belangen (Unternehmenssteuer für ausländische Holdings). Während die EU als Gegenleistung zum Binnenmarktzugang die Unterwerfung unter von ihr entwickeltes Recht verlangt, würde es der Schweiz kaum einfallen, für den Zugang zum Schweizerischen Binnenmarkt die Übernahme von Schweizer Recht zu verlangen. Die Machtverhältnisse wirken. Der Bundesrat kommt mit seinen Vorschlägen der EU zu weit entgegen – zum Schaden der demokratischen Kontrolle der Gesetzgebung in der Schweiz. Im Folgenden wird der erste Anhang aus dem Brief des Bundesrates vom 15. Juni 2012 an Brüssel übersetzt.(1)

„Bei der Lösung der institutionellen Fragen im Rahmen des Elektrizitätsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union anwendbare Prinzipien

Einleitung

Im vorliegenden Dokument legt die Schweizer Regierung eine Serie von Prinzipien dar, welche es erlauben sollten, die Problematik der institutionellen Architektur der künftigen Verträge zwischen der Schweiz und der EU auf dem Gebiet des Marktzugangs zu regeln, mit dem Ziel eine einfachere und effizientere Struktur der bilateralen Beziehungen zu erlangen. Diese Problematik, die mit dem allgemeinen Ziel der Sicherung der Homogenität der Anwendung und der Interpretation des Rechts zusammenhängt, umfasst die folgenden vier Aspekte: Übernahme der betroffenen Rechtsentwicklung der EU, Interpretation und Überwachung der Verträge sowie Beilegung von Meinungsverschiedenheiten. Die vorgeschlagenen Prinzipien antworten auf die Sorgen, welche durch die EU, insbesondere in den Schlussfolgerungen des Rates vom 14. Dezember 2010(2) zu den Beziehungen mit der Schweiz, geäussert wurden, unter Berücksichtigung der Souveränität der beiden Parteien und dem guten Funktionieren ihrer Institutionen. Andererseits ruhen sie auch auf den Lösungen, die bereits akzeptiert und angewendet werden, wie etwa im Rahmen der existierenden Verträge oder des EWR. Die schweizerische Regierung schlägt vor, die Prinzipien, welche sie unterbreitet, zuerst im Kontext einer konkreten Verhandlungsrunde zu konkretisieren. Sie meint, dass das Elektrizitätsdossier sich für ein solches Vorgehen besonders gut eignet, da die inhaltlichen Verhandlungen schon fortgeschritten sind und da ein solcher Vertrag im Interesse beider Parteien liegt. Gemäss diesem Vorgehen hätten die institutionellen Lösungen, die im Rahmen eines Elektrizitäts-Abkommens festgehalten würden, die Aufgabe, als Modell für weitere künftige Marktzugangsverträge zu dienen (Referenzcharakter).

Die vorgeschlagenen Prinzipien können wie folgt beschrieben werden:

I. Homogenitätsziel

Der Bundesart schlägt vor, im Vertrag in verpflichtender Form das gemeinsame Ziel der Vertragsparteien festzuhalten, gemeinsame Regelungen zu erlangen und dauerhaft abzusichern, ebenso wie eine einheitliche Anwendung und Interpretation dieser Regelungen zu gewährleisten, um die gleiche Behandlung der Akteure und der Personen, die durch den Anwendungsbereich des Vertrags betroffen sind, zu erreichen. Dieses Homogenitätsziel, ähnlich wie jenes im EWR-Vertrag, würde ebenso die Vertragsbestimmungen umfassen, die tel quel dem einschlägigen Recht der EU entsprechen, wie auch jene, auf die der Vertrag sich bezieht.

Es handelt sich um ein fundamentales Prinzip, durch das die beiden Parteien ihren Willen ausdrücken, darauf zu achten, die Entstehung von Unterschieden in der Anwendung und der Interpretation der in ihren Beziehungen anwendbaren Rechtsgrundlagen der EU zu vermeiden. Die oben erwähnten Prinzipien folgen daraus und können als Konkretisierung dieses allgemeinen Homogenitätsziels betrachtet werden.

II. Rechtsentwicklung

Mit dem Ziel, die Gleichheit der anwendbaren Regeln maximal zu gewährleisten, selbst im Falle der späteren Weiterentwicklung des relevanten EU-Rechts, akzeptiert die Schweiz, dass die Verhandlungen und der Vertrag, der daraus resultiert, auf dem einschlägigen Recht der EU ruht. Zudem verpflichtet sie sich rechtlich, die künftigen Entwicklungen dieses Rechtsbestandes (Acquis) zu übernehmen, sofern

• Diese Übernahme nicht automatisch, sondern durch eine gemeinsame Entschlussfassung erfolgt - im Respekt der verfassungsmässigen Anforderungen beider Parteien. In diesem Rahmen und in den technischen Bereichen, die das erfordern, würden flexible und dynamische Übernahmemechanismen im Vertrag vorgesehen werden.

• Sollte die Schweiz ausnahmsweise nicht im Stande sein, eine bestimmte Entwicklung des einschlägigen Acquis zu übernehmen, könnte die EU angemessene Kompensationsmassnahmen beschliessen, deren Verhältnismässigkeit der Prüfung einer Schiedsstelle unterbreitet werden (s. unten, Kapitel V)

Im Gegenzug für ihr Engagement bezüglich Übernahme der nach Vertragsabschluss eingeführten Entwicklungen des einschlägigen Acquis, würde der Schweiz in dem vom Vertrag abgedeckten Bereichen eine angemessene Beteiligung an der Erarbeitung der zu Veränderungen führenden Entscheidungen gewährt. Wie im Rahmen des EWR der Fall würde diese Beteiligung die Arbeiten in Arbeitsgruppen, in den Komitologie-Ausschüssen und den Expertengruppen, die durch die Kommission und den EU-Rat ins Leben gerufen werden und die in diesem Bereichen Kompetenzen haben, umfassen.

III. Überwachung der Vertragsanwendung und Rechtswege

Wie im EWR-System besteht die vorgeschlagene Lösung für die Überwachung der Anwendung der Verträge in einem zwei Säulen-Verfahren: jede Partei bleibt verantwortlich für die Überwachung der Anwendung und der Interpretation auf ihrem Territorium, aber in vollem Respekt des oben erwähnten Homogenitätsziels. Zu diesem Zweck führt die Schweiz eine nationale unabhängige Überwachsungsbehörde ein, deren Überwachungskompetenz mit der der EU-Kommission vergleichbar wären, um die korrekte Anwendung des Vertrages durch die schweizerischen Behörden zu gewährleisten und damit eine gleiche Behandlung der Individuen und der wirtschaftlichen Akteure im Anwendungsbereich des Vetrages zu erreichen.

Die Mitglieder dieser Behörde würden durch das schweizerische Parlament gewählt und würden gemäss einem Verfahren arbeiten, welches die völlige Unabhängigkeit garantiert. Auf Klage hin oder aus eigener Initiative könnte die Behörde eventuelle Verletzungen des Vertrages untersuchen, einschliesslich der unvollständiger Umsetzung oder Anwendung in nationales Recht. Sollte sie eine solche Verletzung feststellen, wäre sie befähigt, bei den höchsten Gerichten in der Schweiz Gerichtsverfahren anzustrengen.

Im Rahmen des Elektrizitätsabkommens würde die Schweiz an den Organen der ACER und der ENTSO-E teilnehmen, deren Kompetenzen sie in den Bereichen, die durch das Abkommen abgedeckt wären, übrigens anerkennen würde. Im Bereiche des Wettbewerbs, wäre die Eidgenössische Wettbewerbskommission (ComCo) mit der Aufsicht der diesbezüglichen Regeln des Vertrages durch die schweizerischen Akteure beauftragt.

IV. Einheitliche Interpretation

Um die Konkretisierung des Homogenitätsziels der Interpretation der Inhalte des Vertrages zu sichern, würden die Parteien einen juristisch verbindlichen Vertragsinhalt beschliessen, der alle Behörden dazu verpflichtet den Vertrag in einheitlicher Weise zu interpretieren. Diese Vertragsinhalt würde die Verpflichtung umfassen, die Rechtssprechung des EU-Gerichtshofes bezüglich des EU-Acquis im Bereiche des Vertrages oder auf Regeln, auf die dieser Bezug nimmt, zu berücksichtigen – ob diese Rechtssprechung vor- oder nachgängig zum Vertragsabschluss erfolgt. Mit demselben Ziel würde der Vertrag einen institutionalisierten Dialog zwischen den obersten Rechtssprechungsinstanzen der beiden Parteien vorsehen.

Der Vertrag würde auch die Möglichkeit für die Schweiz vorsehen, Memoranden oder schriftliche Beobachtungen dem EU-Gerichtshof zu unterbreiten – im Falle einer Anfrage der Rechtssprechnungsinstanzen eines Mitgliedstaates an den EU-Gerichtshof bezüglich der Rechtsauslegung einer Disposition des einschlägigen Acquis im Anwendungsbereich des Vertrages.

Wie im EWR könnte die Schweiz für den Fall, dass eine Partei es in Betracht zieht, dass eine Gerichtsentscheidung der letzten Instanz dazu führt, dass die Homogenität der Interpretation der Dispositionen des Vertrages nicht mehr gewährleistet ist, verlangen, dass die Parteien dies im Gemischten Ausschuss diskutieren. Trifft der Gemischte Ausschuss in einer bestimmten Frist keine Entscheidung, kann die geschädigte Partei angemessene und verhältnismässige Kompensationsmassnahmen ergreifen. Die Verhältnismässigkeit dieser Massnahmen könnte der Prüfung einer Schiedsinstanz unterbreitet werden. (s. Kaptiel V).

V. Schlichtungsverfahren und Kompensationsmassnahmen

Allgemein müssen die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien diskutiert werden und im Rahmen des Gemischten Ausschusses gelöst werden. Wenn dieser nicht im Stand ist, die Meinungsverschiedenheit in einer bestimmten Frist zu lösen, wäre vorgesehen, dass die geschädigte Partei angemessene und verhältnismässige Kompensationsmassnahmen beschliessen kann. Solche Massnahmen könnten je nach Umständen die provisorische Suspendierung des ganzen oder eines Teils des Vertrages umfassen.

Die Reichweite, die Dauer und die Verhältnismässigkeit der Kompensationsmassnahmen würden durch eine Schiedsinstanz überprüft, deren Entscheidung für beide Parteien verbindlich wäre.

VI. Referenzcharakter

Wenn die vorgestellten institutionellen Vorschläge, im Rahmen der Verhandlungen über die Elektrizität konkretisiert, sich als für beide Parteien akzeptabel erweisen, könnten diese als Modell für künftige Verträge bezüglich Marktzugang dienen. Dies könnte die Form einer gemeinsamen Erklärung oder einer spezifischen Vereinbarung (pactum de negociando) annehmen. Eine solche Verfahrensweise würde einen allgemeinen Rahmen der institutionellen Architektur künftiger Verträge zwischen der Schweiz und der EU im Bereich des Marktzugangs etablieren – unter Gewährleistung der nötigen Flexibilität bei der Verabschiedung in Zukunft denkbarer spezifischer Lösungen, welche der Spezifizität der verschiedenen Zusammenarbeitsbereiche Rechnung trägt (REACH, Agrarfreihandel, Gesundheit und Produktesicherheit, usw. ), insbesondere wenn es um spezifische Kompetenzen von EU-Agenturen geht.

So könnte das gemeinsame Ziel realisiert werden: den institutionellen Rahmen der Beziehungen zwischen der Schweiz und er EU – in der Achtung der rechtlichen Ordnung der beiden Parteien – zu vereinfachen, zu konsolidieren und beständig zu machen.“

(1) Original auf Französisch. Der Brief nach Brüssel umfasst zwei Anhänge unter den Titeln „Principes applicables à la résolution des questions institutionnelles dans le cadre de l'accord "électricité" entre la Suisse et l'Union européenne“ und „Exemples de dispositions concrétisant les principes institutionnels“. Der Brief samt Anhängen ist zu finden unter www.europa.admin.ch/themen/00499/00503/01777/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdoR8gmym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A)

(2) s. zu diesen Erwägungen des EU-Rates vom 14. Dezember 2010 s. http://europa-magazin.ch/europamagazin/Aktuell/Dossiers-Schweiz/5/cmd.14/audience.D Diese Anmerkung kommt im Original nicht vor.


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