Die Nato hat mit ihrem unerklärten Krieg gegen Jugoslawien kein einziges der viel zitierten politischen und humanitären Probleme gelöst. Im Gegenteil, ihr Luftterror machte das Flüchtlingsdrama perfekt und löste in Jugoslawien eine Umweltkatastrophe mit einer über Jahrzehnte wirksamen Gefährdung der Menschen aus. Die Region ist destabilisiert. Krieg kehrte nach Europa zurück.
Von Prof. Dr. Georg Grasnick, Politologe und Friedensforscher (aus Pax-Report 7/8 99, Hrg. Deutscher Friedensrat, Platz der Vereinten Nationen 7, D-10249 Berlin, saefkow-verlin@t-online.de)
Welche Lehren zieht die EU aus dem Krieg in Yougoslawien? Wird der Rückgriff auf das Faustrecht verdammt und die Rückkehr zum Völkerrecht gewährleistet? Wird die Zivilisierung der Aussenpolitik und der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa zum wichtigsten Grundsatz künftiger europäischer Sicherheitsidentität? Wird zivile Konfliktbewältigung durch Ausbau und Stärkung von UNO und OSZE gesichert? Wird mit Hilfe von UNO und OSZE eine neue Friedens- und Sicherheitsstruktur für unseren Kontinent, ja, global angestrebt und erreicht?
Das EU-Europa erteilte auf dem Kölner Gipfeltreffen seine Antwort: Es brauche, so hiess es, "angemessene Fähigkeiten und Instrumente", ein "glaubwürdiges Militärpotential, um auf internationale Krisensituationen zu reagieren" (1). Von welchen "Fähigkeiten und Instrumenten" ist hier die Rede?
"Stimulierender" Balkankrieg
Die massgeblichen EU-Politiker sind im Ergebnis ihres unerklärten Krieges gegen Jugoslawien offenbar auf den Geschmack gekommen. Die im EU-Vertrag von Amsterdam programmierte Integration der WEU soll bis Ende des Jahres 2000 vonstatten gehen. Die WEU soll zum "verteidigungspolitischen Arm der EU" (2) ausgebaut werden, ohne dabei, wie betont wurde, die grundlegende Rolle der Nato in Europa in Frage zu stellen.
Bundeskanzler Schröder hatte schon im April, unmittelbar vor dem Abflug zum Jubiläumsgipfel der Nato in Washington, verlangt, "die Rolle Europas in der Nato zu stärken." Die Allianz könne nur gedeihen, "wenn sie der gewachsenen europäischen Verantwortung Rechnung trägt." (3) Deshalb, so der Bundeskanzler, brauche die EU künftig "eigene politische und militärische Entscheidungsstrukturen."
Auf den ersten Blick könnte man meinen, Schröder wollte offene Türen des Washingtoner Weissen Hauses einrennen. Fordert doch die USA-Administration seit Jahren von den EU-Europäern eine grössere sicherheitspolitische Verantwortung. Wobei es wesentlich um das stärkere Engagement der Europäer in den von den USA inszenierten Weltpolizei-Unternehmungen geht.
Die "gewachsene europäische Verantwortung" sieht nun Bundeswehrminister Scharping "vor allem dort, wo europäische Interessen berührt sind." (4) Sein Amtsvorgänger Rühe erläuterte, dassß die Sicherheitsinteressen "in und für Europa" (5) gemeint sind. Wobei es vor allem, laut Verteidigungspolitischen Richtlinien, um den "ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt"(6) geht. Aussenminister Fischer umschreibt das mit den Worten: "Nur wenn es den Europäern gelingt, ihre Kräfte zu bündeln und eigenständig handlungsfähig zu werden, wird Europa seine Werte und Interessen im 21. Jahrhundert in vollem Umfang zur Geltung bringen können." (7) Für das kommende Jahrhundert und für kommende Generationen keine verheissßungsvollen Aussichten. Militärische Stärke und Gewalt sollen zu unverzichtbaren Prinzipien der von Banken und Konzernen dominierten EU-"Wertegemeinschaft" werden. Bei der Installierung eigener militärischer Entscheidungsstrukturen für die WEU braucht übrigens das Schröder-Kabinett keinesfalls bei Null anzufangen. Die Kohl-Regierung hat gemeinsam mit Frankreich beachtliche Vorarbeit geleistet. Nach der Frühjahrstagung der Nato-Aussenminister 1996 schwärmte Rühe von "Europas neuer Rolle" in der Nato und von einer "neuen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität'. ()
Was hatte sich im Hinblick auf diese Rolle verändert? Es war das Konzept der "Combined Joint Task Forces" (CJTF) vereinbart worden. Danach wurden die Stabs- und Kommandostrukturen des Paktes so umgebaut, dassß ein aus Truppenteilen verschiedener europäischer Nato-Staaten und aus Teilstreitkräften bestehendes Korps diese Strukturen für militärische Operationen auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn die USA daran nicht beteiligt sind. Dies gilt für Operationen im Rahmen der Nato oder in dem der WEU.
Was hat es mit der "neuen europäischen Sicherheitsidentität" auf sich? Es wurde grünes Licht gegeben für die "Schaffung militärisch zusammenhängender und schlagkräftiger Streitkräfte, die in der Lage sind, unter der politischen Kontrolle der WEU zu operieren... Die europäische Einsatztruppe", so das Abschlussßkommunique von 1996, wird unter der "strategischen Richtlinienkompetenz der WEU operieren." (9)
So entstand ein Euro-Korps mit einer Mannschaftsstärke von 60'000 Mann aus 5 EU-Ländern, wobei der Kern dieser Truppe durch die deutsch-französische Brigade gebildet wird. Das Euro-Korps als schnelle Eingreiftruppe soll in der Lage sein, "mit eigenen militärischen Mitteln" (10) auf Krisen zu reagieren. Im Prozessß der WEU-Integration wird das Euro-Korps in eine weltweit handlungsfähige Interventionsstreitmacht zur Durchsetzung der Macht- und Hegemonie-Interessen von EU-Mitgliedsstaaten umgewandelt.
Die Eingliederung der WEU in die EU schliesst übrigens eine Kontrolle durch das EU-Parlament nicht ein. Und militärische Aktionen sollen künftig nicht mehr die Einstimmigkeit der EU-Mitgliedsstaaten voraussetzen, sondern mit einfacher Mehrheit beschlossen werden.
Als "kampferprobter" und aggressionserfahrener Koordinator - und zwar für Aussen- und für Sicherheitspolitik - wurde Nato-Generatsekretär Solana ernannt, der Ende 1999 in Brüssel seinen Abschied nimmt.
Partner und Rivalen
Die USA-Administration versteht und behandelt die WEU als unselbständiges Subunternehmen der Nato. So behält sich Washington die Entscheidung darüber vor, ob die WEU für ihre Operationen die erforderliche Logistik und AWACS-Aufklärungsu Unterstützung erhält. Um nun die WEU in die Lage zu versetzen, "mit eigenen militärischen Mitteln" zu operieren, werden ein Militärstab, ein Militärausschussß, ein Satellitenzentrum und eine Rüstungsagentur geschaffen. (11)
Besonders letztere deuten darauf hin, dassß das Streben vor allem Frankreichs, mit der WEU "eigenständig handlungsfähig" (12) zu werden, darauf zielt, Spielraum gegenüber den USA für die Durchsetzung spezifischer EU-Interessen zu erreichen.
So ist es wohl zu verstehen, dassß die deutschen und französischen Streitkräfte bei ihrem Umbau zu Interventions- oder wie es offiziell heissßt Krisenreaktionskräften - sich nicht zuletzt gerade auf solche Bereiche wie Aufklärung und elektronische Systeme konzentrieren. Die Bundesluftwaffe testete im Krieg gegen Jugosliawien das unbemannte Aufklärungs-Flugsystem "Drohne". Und in den Beschlüssen des Kölner EU-Gipfels wird nicht von ungefähr auf die Entwicklung der Satellitenaufklärung orientiert hingewiesen.
Mit Hilfe einer Rüstungsagentur sollenen die Zersplitterung der Rüstungsschmieden in der EU überwunden und die vorhandenen Kräfte gebündelt sowie eine enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Produktion "neuer Waffen und Waffen-Exportgüter" erreicht werden. Europäisierung der Rüstung ist gefragt. Den EU-Rüstungsproduzenten und -exporteuren sollen bessere Konditionen im globalen Konkurrenzkampf verschafft werden.
Mit der WEU wird also die politisch und wirtschaftlich gewachsene Rolle der EU auch militärisch gegenständlich und offenkundig gemacht werden. Argwöhnisch verfolgt die US-Administration diese Entwicklung. Schliesslich sind die europäischen Nato-Mitglieder nicht nur Partner, sondern zugleich Konkurrenten der USA. "Auf sanfte Weise-", so hatte Washington vor Monaten verlauten lassen, "wird auch künftig die WEU daran gehindert werden, eine eigene Militärallianz zu werden." (13) Doch die WEU-Integration gewinnt ihre Eigengesetzlichkeit. Mit der WEU mausert sich ein westeuropäisches Paktsystem als "vereinigter, eigen- und selbständiger Pfeiler der Nato" (14). Ein Militärblock mit einer aggressiven Grundausrichtung als Interventionsinstrument für die Sicherung der Interessen der europäischen Multis entsteht. Im Übergang zum neuen Jahrhundert ist die Militarisierung der EU bittere Wirklichkeit.
Quellen
1) Die Welt, Bonn, 04.06.99, Neues Deutschland, Berlin, 04.06.99, Unsere Zeit, Essen, 18.06.99
2) Vgl. Das Parlament, Bonn, 51/97, Berliner Zeitung, 19.11.97
3) Deutscher Bundestag, 34. Sitzung, 22.04.99
4.) ebenda, Neues Deutschland, Berlin, 23.04.99, Handelsblatt, Düsseldorf, 12,05,99
5) Deutscher Bundestag, 34. Sitzung, 22.04.99
61 Sonderdruck des Bundesministers für Verteidigung, Bonn, 1992, S. 1
7) Unsere Zeit., Essen, 21.05.99
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.06.99, ARD, Tagesthemen, 03.06.99
9) Das Parlament, Bonn, 07./l4.06.99
10) Berliner Zeitung, 02.06.99, Neues Deutschland, Berlin, 05./06.06.99
11) Berliner Zeitung, 04.08.99
12) Frankfurter Allgemeine Zeitung. 13.06,96, Berliner- Zeitung, 31.05.99
13) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.99
14) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.06,99
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