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Solidarität statt Soldaten



„Die Bewaffnungsvorlage ist Ausdruck der grössenwahnsinnigen Vorstellung, Frieden könne mit Waffengewalt erzwungen werden. Mit Solidarität hat dies den offiziellen Beteuerungen zum Trotz nichts zu tun.“ So fasst Valérie Garbani, eine der 29 rot-grünen NationalrätInnen, die sich gegen die Revision des Militärgesetzes gewandt haben, den Inhalt der Vorlage zusammen (WoZ Nr.11/2000). Doch worum was geht es eigentlich?

von Stefan Luzi, Sekretär GSoA

Die Revision des Militärgesetzes ist für das Jahr 2002 angesetzt. Eine Sache war dem Militärdepartement aber so wichtig, dass es sich anfangs 1999 veranlasst fühlte, schon vorher einige Paragraphen des geltenden Gesetzes zu ändern. Dabei ging es erstens um die Regelung der Ausbildungszusammenarbeit mit ausländischen Armeen und zweitens um die Regelung für die Einsätze von Schweizer Soldaten im Ausland. Dass diese Vorlagen vorgezogen werden sollten, war kein Zufall. Sie waren das Ergebnis einer umfassenden Änderung der militärischen Doktrin: Die traditionelle Landesverteidigung macht, auch im Verständnis vieler Offiziere, heute keinen Sinn mehr. Mit den sogenannten Assistenzdiensten liess sich die Sinnfrage nicht befriedigend lösen, da die Wirtschaft früh klargemacht hat, dass sie ihre ArbeitnehmerInnen in Zukunft nicht mehr für Skipistenstampfen und anderes zur Verfügung stellen wolle. So kam die Forderung nach einer sicherheitspolitischen und militärischen Öffnung in den letzen Jahren immer mehr auf: Sie wurde unter dem Titel „Sicherheit durch Kooperation“ im Juni 1999 als neues sicherheitspolitisches Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Folge dieser Doktrinsänderung war eine sukzessive Annäherung der Schweizer Armee an multinationale Militärbündnisse. Ein weiterer wichtiger Grund, warum die Änderung des Gesetzes schon im Frühjahr 1999 vorgezogen werden sollte, war der Kosovo-Konflikt und die heftig umstrittene Forderung nach einer internationalen Intervention.

Die Schweiz in der Partnerschaft für den Frieden

Seit 1996 ist die Schweiz im Rahmen des Partnership for peace (pfp) eng operationell mit der Nato verknüpft. Schon lange hatten führende schweizerische Militärakademiker diesen Schritt gefordert: Die Nato und deren Standards seien „die einzigen international verbreiteten und anerkannten Normen der militärischen Zusammenarbeit“, sagt Kurt Spillmann, Leiter der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich. Was genau in den Bestimmungen und Verträgen zwischen der Schweiz und der Nato steht, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, beobachten lässt sich aber das Ergebnis: So nahmen zwischen dem 5. und 10. November in Luzern über 400 Offiziere aus allen Natostaaten an einer gemeinsamen Veranstaltung teil - die grösste dieser Art, die es jemals in der Schweiz gegeben hat. Wie in der Berichterstattung zu lesen war, wurde da „Friedensförderung am Computer“ geübt. Der Standort der Veranstaltung ist für beide Seiten ideal, kein Wunder – weiss doch Ogi: „Wir sind von Haus aus Profiteure.“ (Tagesanzeiger 6.11.00). Die Schweiz kann operativ an den Nato-Aktionen teilnehmen, ohne aber den innenpolitisch chancenlosen Beitritt zum Thema machen zu müssen und die Nato profitiert dabei von der Reputation eines neutralen Staates.

Führende Offiziere scheuen sich nicht zuzugeben, um was es in Wahrheit bei den „peace support“-Aktionen, die in Luzern geübt wurden, geht. So schreibt Karl Haltiner, Dozent an der Militärischen Führungsschule in Zürich: „Dabei gilt europaweit in der Regel: Je mehr das Militär in friedensunterstützenden Operationen auswärts engagiert ist, umso höher sein Renommee.“ (ASMZ Nr.9/2000) Im Klartext: Was grossherzig als Solidarität mit den von Konflikten Betroffenen gepriesen wird, ist in erster Linie die Teilnahme am Selbstfindungs- oder Selbsterfindungsprozess der europäischen Grossarmeen nach dem Zusammenbruch des Mächtegleichgewichts. Es gehe darum „in den Augen der Partnerstaaten solidarisch zu erscheinen“. Die Schweiz müsse „im eigenen Interesse“ zusammen mit anderen Staaten intervenieren können, um damit die Anzahl der in die Schweiz kommenden Flüchtlinge „merklich zu reduzieren“. Von Solidarität mit den von Konflikten betroffenen Menschen ist nirgends die Rede.

Eine entscheidende Weichenstellung

Gleichzeitig ist die Änderung des Militärgesetzes der Versuch, innenpolitisch klarzumachen, welches in Zukunft der Schweizer Beitrag an die internationale Friedenssicherung sein soll: die Entsendung von Soldaten. Seit Jahren besteht zwischen den zivilen Stellen des Bundes wie der DEZA oder des EDA der Konflikt um die Frage nach der Prioritätensetzung. Das EDA hat zum Beispiel vor einiger Zeit angekündigt, dass es einen Pool von zivilen Friedensexperten einrichten will. Wenn man aber beobachtet hat, wie medienwirksam die Schweizer Armee sich im Kosovo dargestellt hat, überrascht es nicht, dass diese Anstrengungen schlicht überhört werden. Auch Stimmen wie jene von Günther Bächler, Leiter der Schweizerischen Friedensstiftung („Das Problem liegt darin, dass sich das Militär in Aufgaben einmischt, die es nichts angehen“, vgl. Moma, Nr.11/2000) gehen im Vorbereitungslärm der Militärs unter.

Schön heute können Schweizer Soldaten sich an Einsätzen im Ausland beteiligen. Was man vielleicht gar nicht weiss: Die Schweiz hat darin sogar eine lange Tradition und es sind erstaunlich viele Soldaten im Einsatz. Zur Zeit sind genau 217 Schweizer Soldaten weltweit im Einsatz, davon 140 für die Swisscoy im Kosovo. Sie tun dies gemäss dem heute gültigen Gesetz und sie leisten Wiederaufbauhilfe oder beobachten Waffenstillstände. Sie sind, wie die Swisscoy, falls nötig zum Selbstschutz bewaffnet. Doch dies genügt dem Bundesrat eben nicht. So hat er im Januar 1999 den ersten Entwurf für die Änderung vorgelegt – ein Blankoscheck, der keine Einschränkungen der Bewaffnung vorsah und der alle Einsatzmöglichkeiten offenliess. Sogleich wandte sich ein breites Bündnis von friedenspolitischen Organisationen gegen die Vorlage und stellte an das Gesetz drei Bedingungen:

- Die Teilnahme an Einsätzen darf nur unter UNO/OSZE-Mandat erfolgen - Die Bewaffnung soll auf den Selbstschutz reduziert werden - Die Soldaten sollen sich nur an friedenserhaltenden Missionen beteiligen.

Das Gesetz wurde zurückgezogen und eine der drei Bedingungen wurde nach zähem Nachhaken ins Gesetz geschrieben: das obligatorische Uno/Osze –Mandat. Die Sozialdemokratische Partei machte daraufhin den logischen Vorschlag, das Geschäft sei zu vertagen, bis die Schweiz selber Mitglied der Uno ist. Dieser Vorschlag wurde verworfen. Für einen grossen Teil der friedenspolitischen Linken blieb das Gesetz auch nach Annahme der ersten Bedingung noch immer viel zu wenig restriktiv. Ein Vergleich: 1994 hat die Schweiz die Blauhelmvorlage an der Urne verworfen. Das heutige Gesetz geht sowohl was Bewaffnung als auch Einsatzszenario betrifft, um ein Vielfaches über die Blauhelmvorlage hinaus. Mit dem aktuellen Gesetz hätte sich die Schweiz logistisch, zum Beispiel mit Aufklärungsflügen, am Golfkrieg beteiligen können. Unter dem im Gesetz verwendeten Begriff der „friedensunterstützenden Organisationen“ ist, gemäss VBS-Glossar, ausdrücklich sowohl die Beteiligung an friedenserhaltenden (mit dem Einverständnis der Konfliktparteien) als auch friedenserzwingenden Missionen (gegen den Willen der Konfliktparteien) möglich. Die Uno trennt diese beiden Formen genau und fordert auf der United Nations Peacekeeping-Website: „The two should not be confused.“ (Die beiden sollten nicht vermischt werden). Die Schweizer Armeespitze wirft alles in einen Topf.

Uno-Beitritt und wirkliche Solidarität als Alternative

Ein prominentes Mitglied des Referendumskomitees gegen dieses Gesetz ist Remo Gysin, Vater der Uno-Initiative, die einen Beitritt zur Uno verlangt. Er wehrt sich gegen den Irrglauben, wenn man Schweizer Soldaten ins Ausland schicke, durchbreche man die schweizerische Isolation – und er ist gegen die Öffnung durch die militärische Hintertüre, die eine falsche Weichenstellung bedeutet. Zudem steht für ihn fest, dass für eine weltweite Friedensordnung ein unbedingter Vorrang ziviler Politik gelten muss. Menschenrechte werden durch Frieden und nicht etwa durch Krieg geschützt. Es sei „naiv, zu meinen, wir hätten schon so etwas wie eine Weltregierung“, meint Frauke Seidensticker, Generalsekretärin von amnesty international Schweiz (Moma Nr.11/2000). Heute ist klar, was eine Zusammenarbeit mit der Nato bedeutet. Sie hat im Kosovo-Krieg ihr Modell für die Zukunft vorgeführt: zuerst Bombenkrieg ohne Uno-Mandat, dann eine - mit einem Mandat der desavouierten Uno ausgestattete - Bodenintervention und daneben eine unterdotierte zivile und zivilpolizeiliche Uno-Mission. Nach Beendigung des Bombardements gegen Serbien war nur die Rede davon, wie sich "Europa" gegen die Allmacht der USA in der Nato behaupten könne, nicht aber davon, wie man den Mangel an Wahlbeobachtern und Polizisten beheben könne.

Pierre Sané, Generalsekretär von amnesty international, schreibt im Jahresbericht von 1999: „Ob militärische Intervention oder Untätigkeit, beide Extreme zeigen ein Versagen der internationalen Staatengemeinschaft in Menschenrechtsfragen an. Warum also (...) zwischen zwei gleichermassen untauglichen Optionen entscheiden, wo doch anderweitige Erfolg versprechende Möglichkeiten gegeben sind?“ (Moma Nr.11/2000) Ein grosser Teil der friedenspolitischen Organisationen teilt diese Meinung. Weder der bewaffnete Isolationismus à la Blocher, noch der militärische Interventionismus à la Ogi sind ihrer Meinung nach taugliche Ziele einer wirklich solidarischen Schweizer Aussenpolitik. Die Welt braucht von der Schweiz nicht Soldaten, sondern Anstrengungen in ziviler Konfliktbearbeitung und Konfliktprävention, in Sachgebieten, wo Soldaten schon aus völkerrechtlichen Gründen nichts ausrichten können. Und die Schweiz ist damit nicht einmal ein Sonderfall: Der Zivile Friedensdienst, wie er nächstes Jahr in der Schweiz zur Abstimmung gelangt, setzt genau da ein – und ist in verschiedenen europäischen Staaten im Aufbau begriffen. In Deutschland ist er sogar im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen festgeschrieben.

Warum das Referendum?

Braucht die Welt unsere Soldaten? Kaum. Braucht die Uno etwas anderes als Soldaten? Unbedingt. Die Uno ist bei allen Vorbehalten die demokratischste aller internationalen Organisationen, die sich mit der Bearbeitung von Konflikten beschäftigt. Wo es aber notorisch hapert, ist das rechtzeitige Handeln in Konflikten, bevor sie gewaltsam eskalieren. Soldaten sind da sicher kein geeignetes Mittel. Sie können nur wie eine Feuerwehr eingesetzt werden, und das ist erst noch äussert heikel, da oft Konflikte durch bewaffnete Interventionen angeheizt werden. Was es braucht, sind ExpertInnen in ziviler Konfliktbearbeitung, MenschenrechtsspezialistInnen und die Unterstützung bestehender Ansätze von Nichtregierungsorganisationen, die in diesen Bereichen schon hervorragende Arbeit leisten. Eine solidarische schweizerische Aussenpolitik würde nach unserer Meinung bedeuten: Ein sofortiger Beitritt zur Uno, eine menschliche Asylpolitik statt Asylantenweghalte-Manövern, die Erhöhung der Entwicklungszusammenarbeit auf den von der Uno vorgeschlagenen Wert anstatt die Legitimation von höheren Rüstungsbudgets für die sogenannte Friedensförderung. Ein Schritt in diese Richtung ist unser Referendum.

Anlässlich der GV des Forums wurde einstimmig die Unterstützung des Referendums gegen die Militärgesetzrevision beschlossen. Es wäre gut, wenn möglichst viele Mitglieder und Sympathisanten des Forums für Direkte Demokratie den in dieser Nummer eingedruckten Bogen ausfüllen und dem GSoA-Sekretariat zuschicken. Weitere Bogen können bei der GSoA unter 01 273 01 00 oder gsoa@gsoa.ch bestellt werden.


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