Ein grosser Schritt der EU hin zu einem Bundesstaat ist eine gemeinsame Verteidigung. Der erste entscheidende Schritt in diese Richtung wurde im Maastrichter Vertrag unternommen, der von den EU-Aussenministern im Februar 1992 unterschrieben wurde. Der Maastrichter Vertrag setzte das Thema "Verteidigung" auf die Agenda der EU. Der Artikel J. hielt fest, dass die Gestaltung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik unter Umständen zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.
von Ulla Klötzer, Präsidentin der finnischen "Alternative zur EU"; Ausschussmitglied der European Anti-Maastricht Alliance TEAM; Friedensaktivistin bei den "Frauen für den Frieden - Finnland"
Im Amsterdamer Vertrag (Juni 1997) wurde der Artikel J.4 modifiziert (neu Artikel J. 7) und die Änderungen des Textes bestätigten die Entwicklung hin zu einer gemeinsamen Verteidigung zusätzlich. " (1) Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfaßt sämtliche Fragen,
welche die Sicherheit der Union betreffen, wozu auch die schrittweise Festlegung einer
gemeinsamen Verteidigungspolitik im Sinne des Unterabsatzes 2 gehört, die zu einer
gemeinsamen Verteidigung führen könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt.." (Artikel J.7. 1). Artikel J.7 bedeutet, dass die Entscheidung über eine gemeinsame Verteidigung zu einer Frage wurde, die durch die Minister der Mitgliedstaaten entschieden werden kann. Keine Referenden oder sonstige Massnahmen, die die Meinung der Bürgerinnen und Bürger einbeziehen würden, werden nötig sein, um die gemeinsame Verteidigung gesetzlich zu verankern.
Die Rolle der WEU (Westeuropäische Union, militärischer Arm der EU) wird ebenfalls im Amsterdamer Vertrag Artikel J.7.3 umschrieben: " (3) Die Union wird die WEU in Anspruch nehmen, um die Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen."
Unmittelbar nach dem Amsterdamer Gipfel (22. Juli 1997) nahmen die Aussenminister der EU-Staaten eine Erklärung bezüglich der Beziehungen zwischen der EU und der WEU an: Die Erklärung hielt unter anderem fest:
- Die Zusammenarbeit und die Entscheidungsprozesse zwischen der EU und der WEU sollen verbessert werden, besonders in Krisensituationen.
- gemeinsame Treffen zwischen den Organen der EU und der WEU sollen regelmässig abgehalten werden.
- Verwaltung und Führung der beiden Organisationen sollen harmonisiert werden
- die Zusammenarbeit zwischen dem Stab des Generalsekretariats der WEU und dem EU-Ministerrat soll intensiviert werden
- das neue "Aussenministerium" der EU (das anlässlich des Amsterdamer-Gipfels beschlossen wurde) soll befähigt werden, folgende Politik zu verfolgen:
- eine Planungseinheit der WEU soll befähigt werden, Truppen unter der Befehlsgewalt der WEU aufzustellen
- die WEU soll aktiv an den Verteidigungsplänen der NATO mitarbeiten
Dieser letzte Punkt zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen der EU, der WEU und der NATO.
Dieser wurde zusätzlich bestätigt durch die Ernennung des NATO-Generalsekretärs Javier Solana zum höchsten Repräsentanten der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik der EU. Ein ehemaliger NATO-Generalsekretär amtet somit als EU-Aussenminister.
Das Szenario, welches die WEU als militärischen Arm der EU integrieren wollte, erwies sich indessen für die "Eliten" als problematisch, da die neutralen Länder nicht Mitglieder der WEU sind und die Frage einer Mitgliedschaft sehr heftige Debatten in diesen Ländern auslösen würde. Um diese Debatten zu vermeiden, schlugen die Staatschefs der EU-Mitgliedstaaten am Kölner Gipfel im Juni 1999 bezüglich der Rolle der WEU einen anderen Weg ein. Man nahm die Rolle der WEU zurück und dachte dafür die meisten Funktionen der WEU der EU zu. Die EU wird als militärischer Akteur aufgebaut.
Im verabschiedeten Kölner Dokument steht:
- die EU soll künftig ihre volle Rolle auf der internationalen Bühne spielen.
- der EU sollen die nötigen Mittel und Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, so dass sie die Verantwortung bezüglich einer gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidigungs-Politik wahrnehmen kann.
- der Europäische Rat (= Rat der Staatschefs) soll die Entscheidungskompetenz erhalten - bezüglich des ganzen Arsenals von Interventionsmöglichkeiten (Konfliktprävention bis Krisenmanagement-Aufgaben) wie sie im Vertrag der EU als Petersberger-Missionen definiert sind.
- die EU soll weitere Schritte bezüglich der Harmonisierung militärischer Anforderungen, der Planung und der Beschaffung von Waffen vornehmen.
- ein Verteidigungs-Chefquartier soll in Brüssel auf die Beine gestellt werden - mit eigenem Militärstab und Geheimdienst, Satellitenzentrum, Institut für Sicherheitsstudien, etc.
- ein ständiges Organ in Brüssel (politisches Sicherheits-Komitee) soll gegründet werden, bestehend aus politischen und militärischen Experten
- die Verteidigungsminister sollen die Möglichkeit haben, Ratszusammenkünfte zusammen mit den Aussenministern zu besuchen.
Das Dokument betont, dass die EU zu selbständigen Aktionen befähigt werden müsse, gestützt auf glaubwürde Militärstreitkräfte, auf Entscheidungskompetenzen und Einsatzbereitschaft, um auf internationale Krisen antworten zu können, unbeschadet der Kompetenzen der NATO. Laut Dokument soll dies in Übereinstimmung mit den Prinzipien der UNO-Charta geschehen. Zu beachten ist hier der genaue Wortlaut: es ist allerdings nicht dasselbe, UN-Prinzipien zu erwähnen oder zu fordern, dass Aktionen nur auf Uno-Mandat hin erfolgen dürfen. Das Ziel ist klar: die EU will unabhängig und ohne die Zustimmung der UNO handeln können- genau so wie es von den elf EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der NATO im Kosovo gehandhabt wurde. Die NATO erklärte Jugoslawien nie den Krieg, stellte ihre Intervention jedoch als "friedensschaffende Operation" (peace making) hin.
Das Dokument zeigt auch, wie die Nähe von EU und NATO noch enger geworden ist, nachdem die WEU-Komponente weg ist. Das Kölner Dokument betont:
die EU soll die Entwicklung einer effektiven gemeinsamen Konsultation, Zusammenarbeit und Transparenz zwischen der EU und der NATO sichern. Es wird betont, eine stärkere "europäische" Rolle werde zur Vitalität der NATO im 21. Jahrhundert beitragen. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Streitkräfte ausbauen, ohne Doppelgleisigkeiten bezüglich der NATO. Die NATO wird entsprechend zum hautsächlichen Militär-Dienstleister der EU. Auch ohne direkten Einbezug der USA soll die EU fähig sein, Operationen durchzuführen, indem sie die NATO-Infrastruktur und Kapatzitäten benutzt.
In der Schlussfolgerung des Kölner Dokumentes wird erklärt, das Ziel der EU sei es, die für diese Politik nötigen Entscheidungen bis Ende 2000 zu fällen. Die WEU wird bis dann ihre Zwecke als Organisation erfüllt haben. Der unterschiedliche Status der Mitgliedstaaten bezüglich gemeinsamer Verteidigungsgarantien wird dadurch nicht berührt, da die NATO das Fundament der kollektiven Verteidigung der Mitgliedstaaten bleibt.
Das Problem der neutralen Staaten wurde so elegant gelöst. Die EU selber wird als militärischer Akteur auftreten, nicht die WEU. Indem die Dokumente nach und nach geändert wurden, allerdings so schnell, um sicher zu sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht merken, was da genau abläuft, wurde das Ziel, die EU in eine militärische Komponente der NATO zu verwandeln erreicht - ohne weitere öffentliche Debatten.
Besonders das Kölner Dokument zeigt, wie bezüglich der EU-Verteidigungs-Politik "Äpfel mit Birnen" gemischt werden - um die Menschen zu täuschen. Eindeutige Verteidigungsfragen werden mit "Friedenserhaltung" (peace keeping) und "Friedenschaffung" (peace making) vermischt, um die Debatte zu trüben, und um es den Regierungen der neutralen Staaten zu erleichtern, ihre Bürgerinnen und Bürger ruhig zu halten. Der neue Aussenminister der EU, Javier Solana allerdings, traf den Nagel auf den Kopf, als er bald nach seiner Ernennung im November 1999 anlässlich einer Pressekonferenz auf die Frage, wie er die Angelegenheit einer gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den neutralen Mitgliedstaaten darlegen wolle, antwortete: "Wir müssen ihnen sagen, dass es nur um Petersberger-Missionen geht und dass keine gemeinsame Armee geschaffen wird ". Im Dezember, kurz vor dem EU-Gipfel in Helsinki betonte er ebenfalls die problematische Situation der neutralen Mitgliedstaaten, sobald eine Operation der Friedenserhaltung oder Friedensschaffung eskaliere und daraus ein Krieg entstünde.
An der Schlusserklärung des EU-Gipfels von Helsinki (Dezember 1999) wird die Entschlossenheit der EU unterstrichen, eine eigenständige Entscheidungskompetenz zu entwickeln, um dort, wo die NATO als ganze nicht engagiert ist, bei internationalen Krisen EU-geführte militärische Operationen zu lancieren. Das Dokument bemerkt zudem, dass unnötige Doppelspurigkeiten mit der NATO zu vermeiden sind und dass keine Europäische Armee zu schaffen sei. Der letzte Zusatz wurde von Frankreich bekämpft und er war im Krisen-Management-Bericht, der auch am Gipfel angenommen wurde, nicht enthalten. Allerdings war bereits vor dem Helsinki-Gipfel klar, dass Frankreich, Deutschland und Italien die Verteidigungspolitik so in den EU-Verträgen integriert haben wollten, dass die Länder, die vorwärts machen wollen, schneller vorangehen können als die neutralen Staaten. Dies bedeutet, dass die Schlusserklärung des Gipfels in Frankreich im Dezember 2000 diesen Satz nicht enthalten wird.
In Helsinki war beschlossen worden, dass die Union in drei Jahren gemeinsame Militärkräfte aufstellen wird, die 50 000 - 60 000 Mann umfassen. Diese Streitkraft soll für den internationalen Kriseneinsatz bestimmt sein - sowohl für friedenserhaltende wie friedensschaffende Massnahmen (peace-keeping, peace-making). Die Staatsoberhäupter liessen es offen, wo die Streitkräfte eingesetzt werden sollen. Der finnische Premierminister Paavo Lipponen gab keine direkte Antwort auf die Frage, ob die Streitkräfte auch für Krisen ausserhalb Europas eingesetzt werden. Ebenso blieb offen, ob die Operationen von der Zustimmung der UNO abhängen und wie die Beziehungen zur NATO sein werden - alles allzu delikate Fragen, um anlässlich eines EU-Gipfels in einem neutralen Staate behandelt zu werden - so dass man sie einfach offen oder unklar liess.
Dies bedeutet, dass Spanien und Frankreich, die im Jahr 2000 die EU-Führung innehaben, ziemlich freie Hand haben, um in diesen Gefilden zu operieren. Gemäss der Schlusserklärung von Helsinki ("Stärkung der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und über nicht-militärisches Krisenmanagement der EU ") sind Entscheidungen in Richtung der in Köln gesetzten Ziele Ende 2000 zu erwarten.
Wenn man die Veränderungen der EU-Dokumente seit dem Maastrichter Vertrag verfolgt, dann ist der Trend absolut deutlich. Jedes neue Papier zum Thema Sicherheit und Verteidigung geht einen Schritt weiter hin zu einer gemeinsamen Verteidigung. Eine schleichende Militarisierung der EU findet statt und diese Militarisierung wird gewiss nicht Frieden und Verständnis fördern, sondern einen neuen Rüstungswettlauf und neue eiserne Vorhänge schaffen.
Im November 1999 betonte Javier Solana als neu ernannter "EU-Aussenminister", die EU-Mitgliedstaten müssten mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Er unterstrich auch das bundesstaatliche Image der EU, indem er forderte, der französische und britische UNO-Sicherheitsratssitz müssten durch einen EU-Sitz ersetzt werden. Im Dezember verlangte auch der Verteidigungsminister der USA von den europäischen Alliierten mehr Verteidigungsanstrengungen. Die Europäer hätten viele Probleme: keine richtige Geheimdiensttechnologie, keine Präzisionswaffen, Mangel an Kapazitäten, Flugangriffe über längere Zeit hinweg durchzuführen, etc., etc. Diese eng mit der NATO verknüpfte Wiederaufrüstung Europas wird einen neuen Rüstungswettlauf auf der ganzen Welt in Gang setzen. In Russland wurde neulich eine neue Militärdoktrin angenommen, die jene von 1997 ersetzt. Die neue Doktrin eröffnet die Möglichkeit, Nuklearwaffen zu verwenden, wenn es keine andere Möglichkeiten gibt, dem Gegner entgegenzutreten. Gemäss der Doktrin von 1997 sollten Nuklearwaffen nur gebraucht werden, wenn die Existenz Russland bedroht war. Die neue Doktrin definiert deutlich den Westen und die NATO-Ost-Erweiterung als mögliche Bedrohungen und fordert deshalb, die Einsatzschwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen zu senken.
In China verlangte der Parteisekretär Jiang Zemin von der Militärakademie möglichst viele neue hoch qualifizierte Offiziere. Die chinesische Regierung will zudem den wachsenden Gefahren durch ein eigenes Star-Wars-Programm begegnen. Zudem sollen Experten für Computerkriege ausgebildet werden. Auf nuklearem Gebiet testet China ein neues kernbetriebenes U-Boot.
Die EU wird von den EU-Eliten und den Eliten der Mitgliedstaaten gerne als Friedensprojekt propagiert. Ein Friedensprojekt, das einen neuen Rüstungswettlauf lanciert, indem mehr Geld für Waffen verlangt wird, in einer Zeit, in der die finanziellen Ressourcen dringend benötigt würden, um der wachsenden Kluft zwischen armen und reichen Ländern, sowie den immensen globalen und lokalen Umweltproblemen zu begegnen! Offensichtlich definiert die EU das Wort "Frieden" neu. Die orwellsche Version wurde akzeptiert: Krieg ist Frieden und Frieden ist Krieg!
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