Die EU verfolgt zielstrebig den Weg zur Militärunion. Erste Schritte auf dem Weg zur Euroarmee der Union sind getan, mit der etappenweisen Verschmelzung von Westeuropäischer Union (WEU) und EU werden weitere folgen. Das "neutrale" EU-Mitglied Österreich signalisiert bisher völliges Einverständnis mit diesen Vorhaben und ist dabei, erstmals Soldaten für einen NATO-Kampfauftrag zu entsenden.
von Gerold Ecker*
Die EU soll der "primäre Garant für Friede und Prosperität in Europa sein" und ein höchstmögliches Niveau der
"äußeren Sicherheit" erreichen. Mit den Worten des Spaniers Carlos Westendorp - dem Vorsitzenden der
EU-Reflexionsgruppe - besteht die vorrangige Aufgabe in diesem Zusammenhang darin, "alles zu tun, damit die
Union wirklich eine äußere Identität erhält, die es ihr gestattet, sich im Rahmen der internationalen Beziehungen
in einen globalen Akteur zu verwandeln und so ihre Werte zu fördern, ihre Interessen zu verteidigen und an der
Schaffung einer neuen Weltordnung mitzuwirken".
Die im Maastrichter Unionsvertrag festgelegte und bis dato gültige Absichtserklärung, über die Westeuropäische
Union (WEU) als verteidigungspolitischen Arm der EU zukünftig eine eigene "europäische"
Verteidigungspolitik zu etablieren, soll durch den Maastricht-II-Vertrag endgültig fixiert werden: "Angesichts
der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa ist auch die notwendige Verwirklichung einer
echten gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union entschlossen in Angriff zu nehmen." (Zwischenbericht der
EU-Reflexionsgruppe, Westendorp-Bericht, September 1995)
1998 endet die 50jährige Gültigkeitsdauer der 1948 gegründeten WEU. Ob zu diesem Zeitpunkt das
Militärbündnis vollständig in der Europäischen Union aufgegangen sein wird, oder ob die WEU noch pro forma
eigenständig im Rahmen der Europäischen Union existiert, darüber wird anläßlich der EU-Regierungskonferenz
politisch gestritten. Einigkeit herrscht hingegen weitgehend über das Verhältnis "Europas" zur nordatlantischen
Allianz NATO. Die Europäische Union wird über ihre militärische Dimension den europäischen Pfeiler der
NATO darstellen. Die Fusionierung von WEU und EU liegt für die Mehrheit der Mitgliedsstaaten in der Logik
des Maastrichter Unionsvertrages.
Befreiungsschläge der WEU
Seit Ende 1992 gehören alle EU-Staaten als Vollmitglieder oder Beobachter der WEU an. Mit der sogenannten
Petersberger Erklärung vom 19. Juni 1992 hat der Ministerrat der WEU beschlossen, die militärischen Einheiten
der einzelnen Mitgliedsstaaten für UN-Einsätze unter WEU-Befehlsgewalt zu stellen. Die Palette möglicher
Aufgaben reicht von "humanitären und Rettungseinsätzen", friedenserhaltenden Operationen und
Kampfeinsätzen zur Krisenbewältigung bis zu Maßnahmen offensiver Gewaltanwendung.
Seit Mai 1995 ist Griechenland das 10. Vollmitglied des europäischen Militärbündnisses. Die
Neo-EU-Mitglieder Österreich, Finnland und Schweden erlangten mit ihrem EU-Beitritt Beobachterstatus in der
WEU.
Mit der Gründung des deutsch-französischen Eurocorps wurde 1992 der Grundstein für einen EU-eigenen
militärischen Körper gelegt. Damals einigten sich Frankreich und Deutschland in einer ersten Ausbaustufe, die
"Euroarmee" bis zum Jahr 1995 mit etwa 50.000 Mann auszustatten. 12.000 spanische Soldaten, die dem
Eurocorps angegliedert wurden, vervollständigen zeitgerecht die erste Aufbaustufe der Euroarmee. Dadurch ist
die EU mit 50.000 einsatzfähigen Soldaten aus den vier Mitgliedstaaten interventionsbereit.
Frankreich, Italien und Portugal gründeten Mitte 1995 zwei multinationale Truppenverbände, die der WEU
unterstellt werden und anderen WEU-Mitgliedern zur Beteiligung offenstehen: "EUROFOR" und
"EUROMARFOR" ergänzen das Eurocorps, welches nun endgültig seine erste Ausbaustufe erreicht und ab 1.
10. 1995 vollständig einsatzbereit ist.
Derzeit beschäftigt sich die WEU mit dem weiteren Ausbau eigener militärischer Infrastruktur, neuen
Einsatzszenarien sowie mit der Klärung des institutionellen Verhältnisses zwischen WEU, EU und NATO.
Über die Errichtung eines Satellitenzentrums und der Beschaffung eigener Satellitendaten, eines militärischen
Lagezentrums und einer "nachrichtendienstlichen Arbeitseinheit" wird die WEU mit "Aufklärungskapazitäten"
ausgestattet. Bereits seit 1. 10. 1992 arbeitet die WEU-Planungszelle an Einsatzszenarien. Die "Europäische
Rüstungsagentur", die sich mit Rüstungsbeschaffung und -planung beschäftigen soll nimmt ebenfalls Gestalt
an. Diese Agentur wird als WEU-Organ im Institutionenrahmen der EU/WEU angesiedelt sein.
Die letzten WEU-Manöver und die Suche der WEU-Planungszelle nach der "Rolle der WEU in
Evakuierungsoperationen" lassen den Schluß zu, daß sich das westeuropäische Militärbündnis auf sog. "low
intensity warfare" - Kriege mit niedrigem Gewaltniveau - vorbereitet, analysiert die Zeitschrift "antimilitarismus
informationen" - ami - (Heft Nr. 7-8/95). Befreiungskriege á la Bosnien, Ruanda und Somalia stehen
offensichtlich am Zielkatalog der WEU-Strategen.
Das Recht der Stärkeren - Aktive Neutralitätspolitik als zivilisierte Hilfe
Zum unbestrittenen Restverständnis von Neutralität gehörte bis dato, daß es nicht ausreicht, sich lediglich
neutral zu nennen: Neutrale müssen ständig die Bereitschaft und den Willen erkennen lassen, daß sie ihre
Neutralitätsrechte wahren und ihren Neutralitäspflichten nachkommen. "Neutralität ist somit nicht bloßes Etikett,
das im Verkehr mit anderen Staaten nach Belieben verwendet werden kann, sondern ein völkerrechtliches
Verhältnis, das der Anerkennung bedarf und letztlich im Vertrauen fundiert ist."5
Um diesen eher definitorischen Schwierigkeiten auszuweichen, wird international der Status der
"immerwährenden Neutralität" Österreichs seit Jahren nicht mehr genannt. Das Wörtchen "Neutralität" fand die
bisher letzte Erwähnung im sogenannten "Brief nach Brüssel", als die österreichische Bundesregierung um
Mitgliedschaft in der damaligen EG anfragte. Seither wurden österreichischerseits zahlreiche internationale
Vereinbarungen getroffen, außenpolitische Erklärungen abgegeben, nur die "Neutralität" kam nicht mehr vor.
Das Hauptargument der Bundesregierung für die Vereinbarkeit von Neutralität und EU-Mitgliedschaft, nach
dem das völkerrechtliche Statut auf einen innerstaatlichen Diskussionsgegenstand reduziert wird, hat voll
gegriffen. Der österreichischen Diskurs- und Medienpraxis entsprechend, findet sich die innerstaatliche
Restbedeutung der Neutralität nur mehr in vereinzelten Kommentaren und in gelegentlichen Aufträgen für
Meinungsforschungsinstituten wieder.
Die österreichische Bundesregierung erteilte die Durchfuhrgenehmigung für US-Bergepanzer, die schließlich
zehntausende irakische Soldaten in ihren Stellungen begruben. Die Regierung engagierte sich im Balkankrieg
auf der Seite der deutsch-kroatischen Allianz, genehmigte die Überflüge für deutsche Tornado-Kampfflugzeuge,
trat der WEU als Beobachter und der NATO als Friedenspartner bei.
Mittlerweile sollen österreichische Soldaten im Rahmen eines NATO-Kampfeinsatzes, der per Definition als
"friedensherstellend" also als offensive Militäroperation geplant ist, nach Bosnien entsendet werden. Die
vielbeschworenen Kernbestandteile der Neutralität, das Stationierungsverbot fremder Truppen, die
Nichtmitgliedschaft bei Militärbündnissen, die Nichtteilnahme an Kriegen, werden damit zur Makulatur.
Die Definitionsmacht über Frieden, Sicherheit, Solidarität und Neutralität liegt in den Händen der Stärkeren.
Nüchtern betrachtet war die österreichische Neutralität mit Ausnahme der kreiskyschen Außenpolitik stets mehr
moralisch als völkerrechtlich bestimmt: Im Sinne des Rechts des Kleineren gegen die Großen. Dieser
Minderwertigkeitsmakel ist spätestens durch die österreichische EU-Mitgliedschaft ausgewetzt. Österreich ist
wieder wer, Österreich ist gemeinschaftlich stark, Österreicher kämpfen wieder am Balkan.
Aktion "NATO in Not"
Die neutrale Schweiz schickt ZivilistInnen in das jugoslawische Kriegsgebiet - als humanitäre HelferInnen, zur
Wahlbeobachtung, Flüchtlingshilfe und für den Wiederaufbau. Ohne militärische Eskalation sind die
berechneten Einsatzkosten für das NATO-Militär pro Jahr höher als die gesamten materiellen Kriegsschäden am
Balkan.
Der geballten Unvernunft der amtierenden Warlords könnte eine klug eingesetzte aktive Außenpolitik im Sinne
von neutraler Vermittlung mit handfester positiver Sanktionierung in Form von tatsächlicher Wiederaufbauhilfe,
am effizientesten entgegenwirken. In diesem Fall würde sich mit Sicherheit die vermutete "irrational hohe
Zustimmung zur Neutralität" unter den ÖsterreicherInnen in manifester Hilfe und wechselseitiger Zufriedenheit
ausdrücken. Nur, ob Schulen für Flüchtlingskinder, Wohnhäuser für Vertriebene, der Aufbau existentieller
Infrastruktur und der Dialog zwischen Konfliktparteien, den Sachzwängen der Medienrealität mehr entsprechen
als die Existenznöte der Militärs und ihrer Industrien, bleibt dahingestellt?
Größter Durchmarsch
Der NATO-Bosnieneinsatz wird mit dem größten Truppendurchmarsch auf
österreichischem Staatsgebiet seit 1955 beginnen. Mindestens 250 US-Panzer
und anderes Kriegsgerät sowie zehntausende NATO-Soldaten - vor allem aus
den USA, Deutschland, Skandinavien und den Beneluxländern - werden
Österreich auf ihrer Route passieren. Straßen, Bahnlinien und der Luftverkehr
werden "NATO-sicher" gemacht. Das österreichische
Verteidigungsministerium wird als "kameradschaftliche Geste" den
Durchmarschtruppen einen Begleitoffizier zur Seite stellen.
Anläßlich der Durchfuhr von US-Bergepanzern in die Golfregion im Februar
1991 wurde das österreichische Strafgesetzbuch und das Bundesgesetz über
die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial geändert, um einer Anklage
wegen Neutralitätsgefährdung zu entgehen. Damit wurde die
Truppendurchfuhr in den Fällen gestattet, "in denen der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen als Organ der kollektiven Sicherheit das Vorliegen einer
Bedrohung des Friedens, eines Friedensbruches oder einer Angriffshandlung
feststellt und militärische Maßnahmen nach Kapitel VII der Satzung der
Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beschließt". Schon beim
Bergepanzertransit wurde darauf aufmerksam gemacht, daß der
Straftatbestand der Neutralitätsgefährdung trotz des novellierten Gesetzes
eintritt, "falls die Militäraktionen über die Ermächtigung des Sicherheitsrates
hinausgehen oder dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (es ist nur das
jeweils gelindeste Mittel, das zum Ziele führt erlaubt, nicht jedes Mittel)
widersprechen".
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*Gerold Ecker ist Europakoordinator der Grünen im österreichischen Parlament, Redakteur der "Zeitschrift für
Antimilitarismus (ZAM) und "Europakardiogramm - EKG", Wien.
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