Die Militarisierung der EU schreitet zusehends voran. In den Verträgen von Maastricht wird eine gemeinsame Verteidigungspolitik angestrebt und die Option einer gemeinsamen Verteidigung wird explizit erwähnt. Wer einer Organisation beitreten möchte, müsste deren langfristigen politischen Ziele teilen. Von Beitrittsländern verlangt die EU somit auch die explizite Stützung der langfristigen Ziele der EU. Ein EU-Beitritt muss somit unter dem Gesichtspunkt der angestrebten Militärblockbildung betrachtet werden, die mit der Neutralität nicht vereinbar ist.
von Paul Ruppen
Die Entwicklung der WEU als europäischer Arm der NATO
Die Westeuropäische Union (WEU) wurde am 17. März 1948 in Brüssel gegründet. Der Gründungsvertrag
wurde am 23. Oktober 1954 in Paris durch ein Protokoll ergänzt. Ratifiziert wurde der Vertrag von Belgien,
Frankreich, der BRD, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Großbritannien. Heute sind alle EU-Länder
Mitglieder - ausser Dänemark, Irland, Österreich, Finnland und Schweden, die einen Beobachterstatus
einnehmen. Als Ziele gibt der Gründungsvertrag Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, sozialem und
kulturellem Gebiet sowie kollektive Verteidigung an. Artikel V legt fest, dass die Vertragsparteien im Falle eines
Angriffs einer dritten Macht auf eine der Vertragsparteien im Einklang mit Artikel 51 der UNO-Charta alle
militärischen und anderen Mittel in ihrer Macht einsetzen, um den dem angegriffenen Staate beizustehen. Im
Gründungsvertrag wird zudem festgelegt, dass die WEU in enger Zusammenarbeit mit der NATO zu
funktionieren hat. Die Verdoppelung von Militärstäben mit der NATO ist zu vermeiden, weshalb die WEU sich
an die entsprechenden militärischen Stellen der NATO für Informationen und Rat bezüglich militärischer
Angelegenheiten zu wenden hat (Artikel IV). In der Folge wird die WEU offiziell immer wieder als
"europäische Säule der NATO" bezeichnet.
Die WEU ist der nuklearen Abschreckung verpflichtet. In der "Plattform über europäische
Sicherheitsinteressen" (Den Hag, 27. Oktober 1987) steht, dass eine glaubwürdige und wirksame
Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie auf einer geeigneten Mischung von nuklearen und konventionellen
Streitkräften ruhen muss. Nur Nuklearwaffen können einen möglichen Aggressor mit unakzeptablen Risiken
konfrontieren (II.2). Waffenkontrolle und Abrüstung werden als integraler Teil - nicht jedoch als Alternative -
der westliche Sicherheitspolitik betrachtet (II.5).
In der Petersberger Erklärung (19. Juni, 1992) verpflichten sich die WEU-Staaten, die operative Rolle der WEU
zu stärken: nationale militärische Einheiten aus dem gesamten Spektrum ihrer konventionellen Kräfte sollen von
den Staaten für militärische Aufgaben der WEU zur Verfügung gestellt werden (II.2.) Wenn multinationale
Streitkräfte von WEU-Mitgliedern bestehen oder geplant sind, sollen diese ebenfalls der WEU zur Verfügung
gestellt werden. Die Teilnahme an spezifischen Operationen soll allerdings der souveränen Entscheidung der
Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. Der durch den Gründungsvertrag festgelegte Aufgabenbereich des
Beistands im Verteidigungsfall wird erweitert zu humanitären Aufgaben, Rettungsaufgaben, friedenserhaltende
Massnahmen (peacekeeping), Aufgaben von Kampftruppen bei Krisenmanagement - inklusive
friedensimplementierende Massnahmen (peacemaking).
Im Kommuniqué des WEU-Ministerrats vom 19. Mai 1993 in Rom wird gefordert, Schnelleingreiftruppen zu
Luft, Wasser und Land bereitzustellen. Als multinationale Streitkräfte von WEU-Mitgliedern, die der WEU zur
Verfügung gestellt sind, werden aufgezählt: die Eurocorps (Eurofor, Euromarfor), die Multinationale Division,
welche belgische, britische, holländische und deutsche Einheiten umfaßt, und die britisch-holländischen
Amphibien-Streitkräfte.
Die WEU und die EU
Im Maastrichter Vertrag wird in den EG-Integrationsprozess die "Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik"
eingeführt (GASP). Unter Titel V verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten, sich jeder Handlung, die den
Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internationalen
Beziehungen schaden könnte, zu enthalten (Art. J.1.(4)). In allen aussen- und sicherheitspolitschen Fällen, in
denen es der Rat der Ministerpräsidenten als erforderlich erachtet, kann dieser einen gemeinsamen Standpunkt
festlegen. Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen
Standpunkten im Einklang steht. Die Mitgliedstaaten koordinieren ihr Handeln in internationalen Organisationen
und auf internationalen Konferenzen. Sie treten dort für die gemeinsamen Standpunkte ein (Art. J.2.). Dadurch
sollen die gemeinsamen Interessen besser durchgedrückt werden können (Art.J.1.(2)). Die Bestimmungen
zementieren nicht nur die Blockbildung. Sie verhindern auch fortschrittliche Forderungen von Einzelstaaten auf
internationalem Parkett. So wurde etwa Dänemark an der Umweltkonferenz in Rio daran gehindert, strenge
Bestimmungen bezüglich Nuklearabfalltransporten vorzuschlagen.
Auf eine gemeinsame Verteidigung konnten sich die Vertragspartner in Maastricht noch nicht einigen. Allerdings
wird diese als einzig explizit dargelegte Zukunftsoption stark gewichtet: "Die Gemeinsame Aussen- und
Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betreffen, wozu auf
längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer
gemeinsamen Verteidigung führen könnte."
Im Maastrichter Unions-Vertrag wird unter den "Bestimmungen über die Gemeinsame Aussen- und
Sicherheitspolitik" (GASP) wird das Verhälnis der EU zur WEU wie folgt umschrieben: "Die Union ersucht die
Westeuropäische Union (WEU), die integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union ist, die
Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und
durchzuführen" (Art. J.4.(2)). In der "Schlussakte mit Erklärungen" des Maastrichter Vertrages erklären die
WEU-Mitgliedsstaaten die Absicht, die WEU als die Verteidigungskomponente der EU zu entwickeln und damit
die WEU als die europäische Säule der NATO zu stärken. Die Staaten, die Mitglieder der EU sind, werden
eingeladen, der WEU beizutreten oder Beobachter zu werden. Gleichzeitig werden die übrigen europäischen
Mitgliedstaaten der NATO eingeladen, assoziierte Mitglieder der WEU zu werden (1993, Seite 73-77).
EU-Beitritt und Neutralität
Der Bundesrat behauptet in seinem Bericht von S. 84f, dass die Teilnahme an der GASP der EU "keine
Verletzung der rechtlichen Neutralitätspflichten" mit sich bringen kann, da die EU in der näheren Zukunft noch
nicht den beabsichtigten Schritt von einer gemeinsamen Sicherheitspolitik zu einer gemeinsamen
Verteidigungspolitik vollzogen habe. Dieser Schritt werde die Zustimmung aller Mitgliedstaaten verlangen, und
damit auch des allfälligen Mitgliedes Schweiz. Damit deutet der Bundesrat an, man könne, wenn es so weit sei,
immer noch "Nein" sagen. Diese Argumentation ist jedoch nicht sehr glaubwürdig. Die EU verlangt von
beitrittswilligen Staaten dass sie nicht nur den im Moment des Beitritts erreichten Stand der Integration mittragen
können und wollen, sondern dass sie auch mit dem Beitritt die politische Finalität, die im Maastrichter Vertrag
niedergelegt ist, mittragen. Die EU-Kommission schrieb in Ihrem Österreich-Avis unmissverständlich: "Selbst
gesetzt den Fall, dass die Beschlussfassungsverfahren für die Umsetzung der Gemeinsamen Aussen- und
Sicherheitspolitik auf der Ebene der Grundsatzbeschlüsse einen Konsens verlangen, müssten den derzeitigen
Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fähigkeit Österreichs, sich an einem derartigen Konsens zu beteiligen, ohne mit
der eigenen Verfassung in Konflikt zu geraten, ein Minimum an Rechtssicherheit geboten werden." (Wortlaut
19, APAO43 5 AL A0377, 6. Aug. 91). Der Bundesrat ist sich dessen durchaus bewusst, wenn er schreibt: Die
Schweiz "würde auch bei (..) (der) Weiterentwiclung (der Unionsziele) loyal mitarbeiten. Sollte die EU eines
Tages ihr Ziel einer soliden und dauerhaften gemeinsamen Verteidigungsstruktur erreiche, müsste unser Land
auch bereit sein, seine Neutralität grundsätzlich zu überdenken" (S 84). Der Hinweis auf die dann notwendige
Einstimmigkeit und die Veto-Möglichkeiten der Schweiz ist somit als Beschwichtigungsmanöver zu betrachten.
Neutralität darf nicht zum Dogma erstarren. Sie muss vielmehr im Dienste einer global ausgerichteten
Friedenspolitik stehen. Die Aufgabe der Neutralität würde die Schweiz jedoch direkt in die Militärbündnisse der
reichen Industrienationen führen. Dies ist dem Weltfrieden kaum dienlich. Die Neutralität, wie sie in den letzten
Jahrzehnten vom Bundesrat gehandhabt wurde, ist zwar keineswegs über alle Zweifel erhaben (Handel mit dem
Apartheid-Süd-Afrika!). Daraus ist jedoch nicht die Schlußfolgerung zu ziehen, diese sei möglichst schnell
aufzugeben. Für eine sinnvolle Rolle der Schweiz im internationalen Umfeld müsste die Neutralität vielmehr
friedensverträglich ausgestaltet werden. In dem Masse, als die Neutralität bisher wirtschaftslastig ausgeübt
wurde, müsste diese künftig den Menschen- und Minderheitenrechten und einer präventiven Friedenspolitik
verpflichtet sein (siehe für entsprechende Konzepte: Walter Schöni, 95).
Quellen:
• Treaty of Economic, Social and Cultural Collaboration and Collective Self-Defence, signed at Brussels on March 17, 1948, as amended by the 'Protocol Modifying and Completing the Brussels Treaty'. * • WEU Platform on European Security Interests, Den Hag, 27. Oktober 1987. * • Vertrag über die Europäische Union, Beck-Texte im dtv, 1993. • Council of Ministers, Rome, 19 May 1993a, Communiqué. * • Petersberger Declaration, Western European Union Council of Ministers, Bonn, 19 June, 1992. * • WEU Contribution to the European Union Intergovernmental Conference of 1996, WEU Council of Ministers, Madrid, 14 November 1995, Press and Information Service , Rue de la Régence 4, 1000 Bruxelles. * • Österreich-Avis der EG-Kommision, Wortlaut 17, 18, 19 und 20 6. Aug. 1991. * • Walter Schöni, Neutrale Fridenspolitik ausserhalb von Militärbündnissen, Widerspruch, 30/95, Postfach 652, 8026 Zürich. • Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er Jahren, Anhang: Bericht zur Neutralität, vom 29. November 1993 (93.098).
(die mit * versehenen Schriften können gegen Kopierkosten beim EM bestellt werden)
Die "multinationalen" Einheiten, die im Bedarsfall der WEU unterstellt werden.
Eurocorps: 50 000 Mann (Deutschland 18 000, Frankreich 10 000,
Französisch-Deutsche Brigade 5000, Belgien 10 000, Spanien, 4500,
Luxemburg)
Eurofor: 12 000 Mann (Frankreich, Spanien, Italien, Protugal)
Euromar: unbestimmt (Frankreich, Spanien, Italien, Portugal)
Britisch-Holländische Amphibienstreitkräfte: zwichen 5 000 und 10 000
Mann.
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