Trotz permanenter Anstrengungen gelang es in der Europäischen Union bisher nicht, die militärische Rüstung der gemeinschaftlichen Politik zu unterwerfen. Insbesondere die Kriegsmaterialausfuhr unterliegt weiterhin nationalstaatlicher Autonomie. Gemeinschaftsregelungen gibt es allein für Ausfuhrkontrollen von sowohl militärisch als auch zivil verwendbaren Gütern ("dual-use").
Von Peter Hug , Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot und SPS-Mitglied
Die Waffenausfuhr bildet in der Europäischen Union eine der letzten Bastionen nationalchauvinistischer 1
Politik. Trotz vielfältiger Kritik behielt der seit 1957 in den Römer Verträgen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft verankerte Artikel 223 bis heute seine Gültigkeit. Er schliesst jeglichen
gemeinschaftlichen Eingriff in die Rüstungspolitik der Mitgliedländer aus. Da auch die Westeuropäische Union
und die NATO militärische Kooperation nur als Arrangement national organisierter Armeen und
Rüstungsindustrien konzipieren, gibt es für Kriegsmaterial keinen europäischen Binnenmarkt und keine
gemeinschaftliche Exportpolitik.
Die Friedensbewegung und europäische Linke hat diese fehlende Integration lange begrüsst und jeden Ansatz zu
versteckter Rüstungskooperation als "Euromilitarismus" gebrandmarkt 2. Inzwischen ist es zu einer
differenzierteren Beurteilung gekommen 3. Drei Argumente stehen im Vordergrund:
1.Eine rein national organisierte Rüstungspolitik ist extrem teuer und ineffizient. Entwickeln Deutschland, Frankreich,
Italien und Grossbritannien je ihren eigenen Kampfpanzer, so ist dies weit kostspieliger als ein gemeinsam hergestellter
Kampfpanzer. Noch billiger wäre der Verzicht auf jegliche Kampfpanzer. Es stellt sich aber die Frage, ob dieses
abstrakte Bekenntnis die Milliarden wert ist, die es kostet, wenn es zur Aufrechterhaltung nationaler Rüstungspfründen
beiträgt.
2.Die nationale Abschottung einzelstaatlich organisierter Rüstungsindustrien führt zu Subventionswettläufen und einer
aggressiven Kriegsmaterialausfuhrpolitik. Entwickelt jeder Staat seinen eigenen Kampfpanzer, entsteht eine Neigung,
diesen durch technologischen "Barock" (Mary Kaldor) gegenüber den Konkurrenzprodukten zu differenzieren 4. Kleine
Inlandserien erhöhen den ökonomischen Druck auf die Aussenministerien, bedenkliche Kriegsmaterialexporte
freizugeben oder gar - wie im Falle der staatlichen "Arms Sales Organisation" in Grossbritannien 5 - mit
steuerfinanzierten Exportkrediten zu fördern.
3.Nachdem jahrzehntelange Kampagnen gegen Kriegsmaterialexport (in Grossbritannien etwa durch die gut organisierte
"Campaigns Against Arms Trade" CAAT) völlig erfolglos verpufften, setzen immer mehr Organisationen der Friedens-,
Entwicklungs- und Umweltorganisationen darauf, ihre eigenen Regierungen mit Hilfe internationaler Organisationen
unter Druck zu setzen. Es ist bezeichnend, dass es drei britische Vereinigungen waren, nämlich die Umweltkampagne
"Saferworld", die Friedensorganisation "British American Security Information Council" (BASIC) und die
entwicklungspolitische Bewegung "World Development Movement", die sich am 11. Mai 1995 in Brüssel für wirksame
gemeinschaftliche EU-Kontrollen des Waffenhandels unter der Führung der Europäischen Union eingesetzt haben 6.
Über 700 Friedens- und Entwicklungsorganisationen aus ganz Europa haben diesen Vorstoss unterzeichnet, darunter
auch das Schweizer Hilfswerk Brot für alle, die friedenspolitischen Initiativen und die Arbeitsgemeinschaft für
Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (ARW).
Diese "Vorschläge zur Ausweitung und Umsetzung gemeinsamer europäischer Kontrollen zur Regulierung von
Transfers und Exporten von Militär-, Sicherheits- und Polizeiausrüstung" erfordern die Streichung des erwähnten
Artikels 223 der Römer Verträge. Es ist klar, dass ein Verzicht auf Artikel 223 theoretisch nicht nur eine EU-Kompetenz
zur Eindämmung, sondern beispielsweise auch zur Förderung von Kriegsmaterialexporten eröffnet. Die Anfang der
achtziger Jahre verbreitete Angst vor dem "Euromilitarismus" ist inzwischen aber der Einsicht gewichen, dass nur die
Europäische Union die aggressive Waffenausfuhrpolitik einiger ihrer Mitgliedstaaten in die Schranken zu weisen
vermag. Interessant auch ein Rechtsvergleich mit Österreich, der 1993 zum Schluss kam, dass der EU-Beitritt
längerfristig zu einem Abbau österreichischer Rüstungsproduktion und einer Verschärfung der österreichischen
Waffenausfuhrpolitik beitragen werde 7.
Europäisches Parlament als Schrittmacherin
Wesentlich zu diesem Lernprozess beigetragen haben die Debatten im Europäischen Parlament, das sich seit Ende der
achtziger Jahre mit den Stimmen von rot-grüner Seite für eine Aufhebung von Artikel 223 und eine gemeinschaftliche
EU-Abrüstungspolitik einsetzt. So äusserte das Europäische Parlament in seiner "Entschliessung zu Waffenexporten der
Europäischen Länder" vom 14. März 1989 die Einschätzung, "dass der einheitliche Markt die Gelegenheit bietet, zu
einer gemeinsamen Rüstungsbeschaffung zu gelangen und somit die Abhängigkeit der Hersteller der Gemeinschaft vom
Export zu verringern, mit dem Endziel, diesen Export vollends einzustellen". Es gehe darum, "den Waffenhandel zu
reduzieren und zu kontrollieren, um den Umfang militärischer Konflikte in der Welt und das daraus enstehende
menschliche Leiden zu verringern". Angesichts der bestehenden "Überkapazitäten und Doppelarbeit in der europäischen
Rüstungsindustrie", die geradezu zum "Export von Waffen anregten", gehe es darum, "durch eine Zusammenarbeit im
Rüstungsbereich die Notwendigkeit zum Export von Waffen zu verringern". Das Europäische Parlament forderte "die
Kommission auf, ein besonderes Programm zur industriellen Umstellung zu prüfen, um Rüstungsunternehmen zu
helfen, die ihre Produktion auf zivile Güter der fortgeschrittenen Technologien umstellen möchten" 8.
In seiner "Entschliessung zur Abrüstung, zur Umstellung der Rüstungsindustrie und zu Waffenexporten" vom 13. Juli
1990 bekräftigte das Europäische Parlament seine Forderung, durch eine gezielte Konversion dazu beizutragen,
"jeglichen Export von Waffen zu stoppen". Wenig später lancierte der Europäische Ministerrat zuerst im Rahmen von
"PERIFRA" und später verselbständigt in "CONVER" ein mit 500 Millionen ECU ausgestattetes Programm, das seither
in Hunderten von Projekten die Umstellung der Rüstungsindustrie auf Zivilproduktion fördert. Zudem erliess der
EU-Ministerrat an seinem Luxemburger Gipfel vom 28./29. Juni 1991 und ergänzend an seinem Lissaboner Gipfel vom
26./27. Juni 1992 eine "Erklärung zur Nichtverbreitung und Ausfuhr von Waffen", in der er sich für "eine
grossangelegte internationale Aktion" einsetzt, "mit der auf Zurückhaltung und Transparenz hinsichtlich der Lieferung
von konventionellen Waffen und Technologien für militärische Zwecke, insbesondere in Spannungsgebiete, hingewirkt
wird". Gleichzeitig erliess er acht Kriterien, an der sich jede Entscheidung über den Rüstungsexport orientieren soll,
insbesondere der internen und regionalen Situation des Käuferlandes, der Achtung der Menschenrechte und den
Auswirkungen des Waffenkaufs auf die Wirtschaft des Landes. Im November 1993 übernahm auch die Konferenz für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) diese von der EU erarbeiteten Kriterien. Freilich verfügt die KSZE
(heute OSZE) über weit weniger Möglichkeiten zur effektiven Durchsetzung dieser Kriterien als die EU.
Da vorab die nationalchauvinistische Politik Frankreichs und Grossbritanniens die Aufhebung von Art. 223 im Rahmen
der Maastrichter Verträge hintertreiben, konnte der EU-Ministerrat diesen Verhaltenskodex bisher nicht zur
verpflichtenden Richtlinie erklären. Nicht gebunden waren der EU aber die Hände auf dem Gebiet der Ausfuhrkontrollen
für sowohl militärisch als auch zivil verwendbare ("dual-use"-)Güter. Soweit solche doppelt verwendbaren Güter zur
Herstellung von Massenvernichtungswaffen bestimmt sind, ist deren Export seit dem Erlass der entsprechenden
Verordnung Nr. 3381/94 vom 19. Dezember 1994 durch den Europäischen Ministerrat verboten. Die Verordnung sieht
vor, dass auch Güter einer Ausfuhrbewilligungspflicht unterworfen werden können, die auf keiner der international
abgestimmten Listen aufgeführt sind (sog. "catch-all"-Klausel). Damit ging die EU bedeutend weiter als etwa der
schweizerische Bundesrat, der in seinem Vernehmlassungsentwurf zu einem entsprechenden Güterkontrollgesetz in der Schweiz zuerst von einer "catch-all"-Klausel absehen wollte.
Nachdem die EU ihre erwähnte EU-Verordnung vom 19. Dezember 1994 {REF über eine gemeinsame
Gemeinschaftsregelung der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck} erlassen hatte, war auch
für den Bundesrat klar, dass er den eidg. Räten in seiner Botschaft vom 22. Februar 1995 ein Güterkontrollgesetz mit
{= catch-all}-Klausel vorschlagen musste, da die Schweiz wegen ihrer fehlenden EU-Mitgliedschaft einmal mehr zur
Drehscheibe für schmutzige Umgehungsgeschäfte würde, die in der EU untersagt sind. Noch hat das
Güterkontrollgesetz nicht die parlamentarischen Hürden genommen und es ist in der Schweiz rechtlich möglich,
weiterhin {= off-shore}Schiebergeschäfte in Unterlaufung der EU-Bestimmungen zu tätigen.Es gibt aber wenig Zweifel
daran, dass die Beibehaltung dieser largen Politik in den eidg. Räten keine Mehrheit finden wird. In typischem{REF
autonomem} Nachfolgzug werden sie die wegweisenden restriktiven EU-Normen ins schweizerische Recht übernehmen
müssen, was aus friedenspolitischer Sicht nur begrüsst werden kann.
Anmerkungen
1. "nationalchauvinistisch" ist eine Politik, die Waffenausfuhren in den Dienst nationaler, strategischer Interessen stellt.
Diese Art von Politik wird vor allem von Frankreich und Grossbritannien betrieben. Demgegenüber ist eine
Waffenausfuhrpolitik wie die Schwedens oder der Schweiz nur als "national" zu bezeichnen, da dort die Waffenausfuhr
allgemeinen Richtlinien unterstellt wird, die nicht von jeweiligen staatlichen Interessenlagen untergraben werden. zurück zum Text
2. Vgl. den Sammelband der Grünen (Hrsg.): Euromilitarismus, Bonn 1985. zurück zum Text
3. Vgl. aus der Sicht der kritischen Friedensforschung Wilfried Karl (Hrsg.): Rüstungskooperation und Technologiepolitik
als Problem der westeuropäischen Integration, Opladen: Leske+Budrich 1994. zurück zum Text
4. Mary Kaldor: Rüstungsbarock. Das Arsenal der Zerstörung und das Ende der militärischen Techno-Logik, Berlin 1983. zurück zum Text
5. Ian Anthony: The United Kingdom, in: ders. (Hrsg.): Arms Export Regulations, Oxford: Oxford University Press
1991, S. 179f. zurück zum Text
6. "Europäischer Verhaltenskodex zur Kontrolle des Waffenhandels", Brüssel, 11. Mai 1995, dokumentiert in: Für ein
Verbot der Kriegsmaterialausfuhr. Argumente und Erläuterungen zur Initiative, der Revision des Kriegsmaterialgesetzes
und dem neuen Güterkontrollgesetz, Bern 1995, Band 3, S. 41-45, erhältlich bei: ARW, Postfach 249, 3000 Bern 13. zurück zum Text
7. Markus Haslinger, Ingo Wieser, Franz Zehetner: Grenzüberschreitender Verkehr mit strategischen Gütern
EG-EWR-Österreich, Wien 1993 (Juristische Schriftenreihe Bd 64). zurück zum Text
8. Diese Resolution ist wie alle nachfolgenden EP- und EU-Texte ebenfalls in der in Anmerkung 5 erwähnten Dokumentation der ARW im Wortlaut nachzulesen. zurück zum Text
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