Das Buch nimmt eine detaillierte und empirisch abgestützte Untersuchung des Einflusses der Multinationalen auf die Entwicklung und den Gesetzgebungsprozess der EU dar. Die Autoren haben schon ein Heft zum Thema publiziert (Europe, Inc, Dangerous Liaisons between EU Institutions and Industry, 1997, siehe Besprechung auf unserer Home-Page), das allerdings schnell vergriffen war. Die Autoren begründen ihr Interesse wie folgt: als sie sich anfangs 90er Jahre für internationale Solidarität und Umweltprobleme engagierten, stiessen sie auf den den Einfluss der Multis:"Der schockierende Plan für 12'000 Kilometer neue Autobahnen im Jahr 1991, Teil der megalomanischen und nicht nachhaltigen Trans-Europopäischen Netzwerke (TEN), war durch den European Roundtable of Industrialists (ERT), einen Club von ca. 45 Industriekapitänen der grössten europäischen Multis, auf die politische Agenda gesetzt worden. Die vertiefte Forschung zeigte dann die weit grösseren Ambitionen des ERT in Bezug auf die Beschleunigung der Europäischen Integration und die gleichzeitige, grundlegende Umgestaltung der europäischen Gesellschaften im Interesse der Industrie" (S. XI). Die Autoren waren auch betroffen, dass der ERT seine einflussreiche Rolle spielen konnte, ohne dass die Medien darüber berichteten.
Die Vertreter des ERT haben ungehinderten Zugang zu Top-Politikern auf der EU-Ebene und auf nationaler Ebene. Dadurch können Sie gut orchestriert die Themen auf EU-Ebene bestimmen. In den 80er Jahren forderte der ERT den Binnenmarkt und erhielt ihn 1986 durch die Einheitsakte. Der damalige EG-Kommissionspräsident Jacques Delors gab den ständigen Druck des ERT zu: er sei" die treibende Kräfte hinter dem Binnenmarkt" gewesen. Der ERT forderte die Währungsunion. Diese wurde prompt in den Maastrichter Vertrag von 1991 aufgenommen. In den 90er Jahren wurde dann die Realisierung der Währungsunion aktiv gegen alle Widerstände durchgedrückt. Ein Beispiel für die vielen aufschlussreichen Zitate im Buch: Keith Richardson vom ERT: "Wir schrieben allen Regierungschefs einen formellen Brief mit dem Inhalt 'Wenn Ihr Euch am Madrider Gipfel trefft, solltet Ihr gefälligst ein für alle Mal festhalten, dass die Währungsunion am durch den Maastrichter Vertrag festgelegten Tag mit den in Maastricht beschlossenen Kriterien startet'. Wir schrieben ihnen, wir forderten sie dazu auf. Und sie taten es." In den 90er Jahren kam zudem die Ost-Europa-Erweiterung auf die Traktandenliste des ERT. Von dieser versprechen sich die westeuropäischen Multis billige, gutausgebildete Arbeitskräfte, Investitionsmöglichkeiten und neue, bisher ungesättigte Absatzmärkte. Um die Feinarbeit an bereits lancierten Projekten zu leisten, formierte der ERT neue Clubs: den ECIS (European Centre for Infrastructure Studies) und den AMUE (Association for the Monetary Union of Europe).
Der ERT ist allerdings nicht die einzige Lobbygruppe der Multis und der Grossindustrie in Brüssel. Während der ERT die strategische Ausrichtung der EU-Integration festlegt, beschäftigt sich der UNICE (Union of Industrial and Employers' Confederations of Europe) mit den Details der EU-Gesetzgebung. Bei den Beeinflussungsversuchen, finden die Vertreter des UNICE bei der EU-Kommission ein offenes Ohr. Der ehemalige Generalsekretär Zygmunt Tyszkiewicz dazu: "Wir sind in Kontakt. Es ist eine sehr offene Bürokratie, der Zugang zur Kommission ist leicht. Und sie fühlen, dass wir ihnen helfen können". Als Dachverband der nationalen Unternehmerverbände hat der UNICE es besonders leicht, die Entscheidungsprozesse der EU auf allen Ebenen zu beeeinflussen.
Die AmCham Chimes ist die mächtige Lobby der US-amerikanischen Multis in Brüssel. Sie repräsentiert 350$ Milliarden Investitionen in Westeuropa. Die AmCham arbeitet eng mit dem UNICE und dem ERT zusammen. Aktionen werden abgestimmt und Informationen ausgetauscht. Die AmCham importierte US-amerikanische Lobbymethoden und inspirierte damit wesentlich die Lobbykultur in Brüssel. Wie der UNICE und der ERT ist die AmCham stark engagiert für eine starke "Integration" Europas. Man zieht es vor mit der EU-Kommission zu verhandeln statt mit 15 Regierungen.
Durch die saubere empirische Recherchierarbeit entzieht sich das Buch des möglichen Vorwurfs, Verschwörungstheorien aufzubauen. Zu hoffen ist, dass es bald ins Deutsche übersetzt wird.
Belén Balanyá, Ann Doherty, Olivier Hoedemann, Adam Ma'anit, Erik Wesselius, Europe Inc, Regional & Global Restructuring and the Rise of Corporate Power, Plutopress, London, 2000.
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