Das Forum für direkte Demokratie hat sich an der Vernehmlassung zur Reform der Bundesverfassung beteiligt. Unsere Meinung: die direkte Demokratie muss erweitert, nicht eingeschränkt werden. Gegen ein Verfassungsgericht ist in der Schweiz weniger einzuwenden als in anderen Staaten, da in der direkten Demokratie das Volk die Möglichkeit hat, die Verfassung zu verändern, wenn die Gerichte nicht nach Wunsch entscheiden. Ein Verfassungsgericht würde in der Schweiz somit nicht zur "Diktatur der Gerichte" führen, vielmehr das Parlament zur verfassungskonformen Rechtsetzung zwingen.
Das Forum für direkte Demokratie wendet sich gegen die Erhöhung der Unterschriftenzahlen (von 100 000
auf 200 000 für Volksinitiativen). Der Zweck der Initiative und des Referendums besteht u.a. darin, auch
relativ kleinen Gruppen zu erlauben, sich in den politischen Willens- und Entscheidungsbildungsprozess
einzuschalten. Grosse Gruppierungen haben diesbezüglich genügend Möglichkeiten, da sie in den
Parlamenten gut vertreten sind. Es ist somit abwegig, diese Gruppierungen mit höheren
Unterschriftenzahlen zu bevorzugen. Die meisten Abstimmungsvorlagen stammen zudem aus dem
Gesetzgebungsverfahren des Bundes und nicht aus dem Volk. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts
wurden die Unterschriftenzahlen bereits angehoben. Seither haben sich keine neuen Gesichtspunkte
ergeben, die eine Anhebung der Unterschriftenzahlen rechtfertigen könnten.
Wir wünschen die Einführung einer Volksinitiative auf Gesetzesänderung. 75 000 Stimmberechtigte
können das Begehren auf Erlaß, Aufhebung oder Änderung eines Bundesgesetzes stellen. Das Begehren
kann die Form des ausgearbeiteten Entwurfs oder der allgemeinen Anregung haben, muss
verfassungskonform sein und in der Verfassung eine Grundlage haben.
Wir befürworten die Einführung eines Verwaltungs- und Finanzreferendums. Das Forum für direkte
Demokratie ist zudem dafür, alle internationalen Verträge, die nicht dem obligatorischen Referendum
unterstehen, dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Diesem Prinzip widersprechende Artikel der
Verfassung sind zu ändern oder zu streichen. Begründung: Die internationale Rechtsetzung wird immer
wichtiger und berührt zusehends innenpolitische Bereiche. Deshalb ist die Mitsprache des Volkes wichtig,
damit der Bundesrat nicht die Volksrechte über seine internationale Vertragsabschlusskompetenz aushöhlen
kann. Es geht zudem nicht an, dass irgendwelche Detailregelungen, die z.B. im Rahmen des GATT/WTO
getroffen werden, über der schweizerischen Verfassung stehen. Verfassungsinitiativen, die die Kündigung
internationaler Verträge, die nicht zwingendes internationales Recht beinhalten, anstreben, sind unbedingt
als zulässig zu betrachten. Wir teilen zwar die Ansicht, dass ein Kleinstaat auf ein funktionierendes und
zuverlässiges internationales Rechtswerk angewiesen ist. Aus diesem Interesse heraus muss die Schweiz
auch um entsprechende internationale Rechtssicherheit besorgt sein. Andererseits verlangt flexible, "lokale"
Problemlösung oft ein Abweichen von internationalen Regelungen (z.B. Drogenpolitik, Umwelt- und
Gesundheitspolitik). So können im kleinen Rahmen Erfahrungen gesammelt werden, von denen schließlich
auch andere Länder und die internationale Gemeinschaft profitieren kann. Das aus diesen zwei
gegensätzlichen Gesichtspunkten sich ergebende Spannungsverhältnis darf nicht aufgehoben werden. Das
Volk hat im konkreten Fall zu entscheiden, wie es jeweils aufzulösen ist.
Der Bund hat Massnahmen für eine freie Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Eine freie, informative Diskussion muss gesichert sein. Insbesondere hat er auf eigene
Abstimmungspropaganda zu verzichten. Zwischen finanzschwachen und finanzstarken Gruppierungen ist
bei Abstimmungskämpfen ein Ausgleich zu schaffen.
Für alle Kommissionen, in denen die Bundesverwaltung, Bundesräte oder Parlamentarier vertreten sind
und die den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess der Schweiz und deren internationalen
Politik bearbeiten, gilt das Prinzip der Öffentlichkeit. Papiere und Protokolle müssen frei zugänglich sein.
Die Ausgewogenheit der Zusammensetzung solcher Kommissionen muss gewährleistet sein.
Das Forum für direkte Demokratie befürwortet die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit. Da in der
Schweiz das Volk die Verfassung ändern kann, ist davon nicht eine zu starke Gewichtung der Justiz zu
befürchten. Dem Verfassungsgericht sind die folgenden Aufgaben zu übertragen: Das Verfassungsgericht
prüft vor der Lancierung einer Volksinitiative, ob die Grundsätze der Einheit der Form oder Materie
gewahrt oder die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts geachtet sind. Es fällt seinen Entscheid
innerhalb von dreissig Tagen. Der Entscheid bindet die Bundesversammlung. Das Verfassungsgericht
beurteilt die Verfassungsmässigkeit von Gesetzesvorlagen und internationalen Verträgen, sowie die
Gültigkeit aller Vorlagen, die der Volksabstimmung unterliegen. Dem Volk unterbreitete Vorlagen (ausser
Totalrevision der Verfassung) müssen die Einheit der Form und die Einheit der Materie sowie die
Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts sowie der fundamentalen Grundrechte respektieren (Dieser
Punkt beinhaltet die Notwendigkeit internationaler Verträge, die Einheit von Form und Materie zu
beachten).
Kasten: "Zwingendes Völkerrecht"
"Zwingendes Völkerrecht" besteht nach Auskunft von Herrn Dr. A. Lombardi, Leiter des Dienstes für die
Totalrevision der Bundesverfassung, Bundesamt für Justiz, im folgenden: "Es handelt sich ... um - in der Regel
ungeschriebene - Rechtsnormen, welche wegen ihrer Bedeutung für die internationale Rechtsordnung unbedingte
Geltung erfordern und als solche von der Staatengemeinschaft anerkannt sind. Sie bilden Teil des internationalen ordre
public. Soweit zwingendes Völkerrecht in Staatsverträgen enthalten ist, kann sich ein Staat nicht mittels Kündigung
des Vertrages von den zwingenden völkerrechtlichen Verpflichtungen lösen. Unbestrittenermassen zum zwingenden
Völkerrecht zählen etwa der Kern des humanitären Völkerrechts, das Gewaltverbot, das Aggressionsverbot, das
Genozid- und das Folterverbot. Diese Regeln sind deshalb zwingend ausgestaltet, weil sie zu den Grundregeln
zwischenstaatlichen Verhaltens gehören und für das friedliche Zusammenleben der Menschheit oder ein
menschenwürdiges Dasein unabdingbar sind. Rechtsakte, welche gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen, sind
daher nichtig. Dies gilt gemäss den Artikeln 53 und 64 der Wiener Vertragsrechtskonvention (SR 0.11) ausdrücklich
für sämtliche Staatsverträge; dieselbe Rechtsfolge trifft aber auch andere internationale Rechtsakte." Daraus ergibt sich
der Grundsatz, dass zwingendes Völkerrecht als materielle Schranke der Verfassungsrevision anzuerkennen sei. Bei
der Frage, ob Volksinitiativen gegen zwingendes Völkerrecht verstossen, besteht ein Ermessensspielraum für die
Bundesbehörden. Erst die Praxis wird letzte Klarheit über die Tragweite des Begriffs bringen können.
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