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Demokratisierung der internationalen Beziehungen



Die Globalisierung der Politik nimmt ständig zu. Diese Tatsache ist durchaus positiv zu werten, da dadurch die internationale Zusammenarbeit an Intensität gewinnt, was z.B. friedenspolitisch wichtig ist. Anderseits droht durch den Globalisierungsprozess die Demokratie zunehmend ihrer Substanz beraubt zu werden. Regierungen und finanzkräftige Lobbies können ungehindert Regelwerke aufstellen, die sie auf Kosten der Bevölkerungen begünstigen. Deshalb stellt sich das Problem der Demokratisierung der internationalen Beziehungen immer schärfer.

von Theresa Herzog-Zimmermann

Globale Politik ist längst eine Tatsache, ob uns das gefällt oder nicht. Die Expansion des internationalen Handels und die globalen Auswirkungen der zerstörerischen Wirtschaftsweise der Industrienationen sowie friedens- und sicherheitspolitische Probleme haben zu einer intensiven internationalen Verhandlungstätigkeit geführt. Die Resultate solcher multilateralen Verhandlungen, Abkommen, Konventionen bilden Völkerrecht. Es findet also ein intensiver Rechtsetzungsprozess auf internationaler Ebene statt. Dies ist einerseits als positiv zu beurteilen. Der internationale Handel sowie die ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Probleme von globaler Dimension bedürfen der Regelung auf eben dieser Ebene. Anderseits stellt die internationale Politik in der heutigen Ausprägung an sich ein Problem dar. Die internationale Politik ist undemokratisch und sie führt darüberhinaus zu einer stetigen Aushöhlung der Demokratie auf nationaler Ebene.

Regierung - Legislative auf internationaler Ebene

Internationale Verhandlungen sind noch immer praktisch ausschliesslich Regierungssache. Auch die "Stimme der Schweiz" in internationalen Debatten und Staatsvertragsverhandlungen wird vom Bundesrat festgelegt und vom Diplomatenkorps vertreten. Getreu der traditionellen diplomatischen Gepflogenheiten finden Staatsvertragsverhandlungen und die Vorbereitung derselben unter Ausschluss der Oeffentlichkeit statt und die zuständigen Beamten unterstehen der Geheimhaltungspflicht. Es kann kaum verwundern, dass die Organisationen, die von diesen Akteuren aufgebaut sind, derselben Verschwiegenheit und Nichtöffentlichkeit verpflichtet sind. Im GATT bzw. in der WTO beispielsweise finden alle Verhandlungen hinter verschlossenen Türen statt. Die Protokolle und Vorbereitungspapiere sind nicht öffentlich. In der WTO wird aber Recht gesetzt, das für alle beteiligten Länder massgebend wird.

Völkerrecht bricht nationales Recht

Völkerrecht geht dem nationalen Recht aller Stufen vor. Irgend ein Reglement oder eine Abmachung auf internationaler Ebene geht sogar dem nationalen Verfassungsrecht vor. Das bedeutet, dass abweichendes nationales Recht nicht mehr durchgesetzt werden kann und die internationale Regelung angewendet werden muss. Es bedeutet auch, dass in den Bereichen, die auf internationaler Ebene geregelt sind, national keine entgegenstehenden Regeln aufgestellt werden dürfen. Es findet also nicht nur eine schleichende Verlagerung von Kompetenzen und Regelungsbereichen von der nationalen auf die internationale Ebene statt, sondern gleichzeitig auch eine Verlagerung von der bisherigen Legislative, dem Parlament und dem Volk, auf die Exekutive, die Regierung.

Bevölkerung international ohne Stimme

Das generelle Fazit ist: Die Bevölkerung hat auf internationaler Ebene keine Stimme. Es bestehen noch keine Mechanismen und Verfahren, in denen die Interessen der Wohnbevölkerung, der Zivilgesellschaft wirkungsvoll in die internationale Normensetzung eingebracht werden könnten, von Mitentscheidungsrechten ganz zu schweigen. Die internationale Ebene ist im wesentlichen den Regierungsvertretern und den zahlreichen Lobbyisten aus finanzkräftigen Wirtschaftskreisen, Industriebetrieben und multinationalen Konzernen überlassen. Entsprechend ist der Inhalt des gesetzten Rechts. Erste Anzeichen für eine Änderung dieser bedenklichen Praxis ergeben sich in einzelnen Verhandlungsgebieten, wie z.B. im "Umwelt für Europa"-Prozess, der allerdings nicht zu verpflichtenden Bestimmungen, sondern zu sogenanntem 'soft-law' (im wesentlichen gemeinsame Absichtserklärungen) führt. Hier sind VertreterInnen von Nicht-Regierungsorganisationen NRO zu den Vorbereitungen und Verhandlungen zugelassen.

Hauptgewicht im internationalen Recht bei Handel und Wirtschaft

Mit der WTO verfügt der internationale Handel über das wohl griffigste Instrumentarium und die am weitesten ausgebauten Institutionen auf internationaler Ebene. Es wird zum Teil mit Mehrheitsentscheidungen Recht gesetzt und zur Durchsetzung steht ein Streitschlichtungsverfahren zur Verfügung. Demgegenüber sind z.B. die Abkommen zum Schutze der Umwelt weit weniger griffig ausgestaltet. Die Deklaration von Rio und die Agenda 21 sind nicht bindendes Recht. In verbindlichen Abkommen zum Schutze der Umwelt sind die Durchsetzungsmechanismen noch durchwegs schwach ausgebaut. Griffige Massnahmen in Umweltabkommen wie z.B. Verbot oder Beschränkung des Handels mit gefährlichen Gütern stehen heute auf gleicher Stufe wie das Verbot im GATT den freien Handel zu beschränken. Je nachdem wie Schutznormen ausgestaltet sind, drohen sie heute als nicht GATT-kompatibel ihre Anwendbarkeit einzubüssen. Wir stehen vor einer Reihe von ungelösten Problemen über die Anwendbarkeit des Rechts auf internationaler Ebene. Solange die internationale Ebene nicht demokratisiert ist, werden wohl weiterhin die faktischen Machthaber und profitorientierten Interessenvertreter die Entscheidungen in ihrem Sinne fällen. Präsenz und Einfluss der Bevölkerung auf internationaler Ebene ist vordringlich, damit die lebensnotwendige Gewichtsverlagerung weg von kurzfristigen Wirtschaftsinteressen einiger weniger, hin zur Lösung der drängenden Probleme der Menschheit wie Schutz der Lebensgrundlagen aller, der globalen gemeinsamen Güter und eine weltweit gerechte Güterverteilung vollzogen werden kann. Was aber ist vorzukehren, um der Zivilgesellschaft zu Gewicht auf der internationalen Ebene zu verhelfen?

Demokratisierungsvorschläge für die nationale...

Die Demokratisierung der internationalen Ebene fängt auf der nationalen Ebene an. In Anbetracht der immer umfassenderen Rechtsetzungstätigkeit auf internationaler Ebene kann nicht länger akzeptiert werden, dass die "Stimme der Schweiz" in den entsprechenden Verhandlungen allein vom Bundesrat bestimmt wird. Es bedarf also der Informationsreglungen und Mitwirkungs- mechanismen bei der Festlegung des Landesstandpunktes. Erste konkrete Schritte dazu wären z.B.:

• Uebergang von der bisherigen Geheimhaltungspflicht der Verwaltung zum Prinzip der Oeffentlichkeit und zum
Recht auf Information;
• Einführung einer aktiven Pflicht der Behörden zu frühzeitiger und umfassender Information;

• öffentliche Zugänglichkeit aller offiziellen Papiere wie Verhandlungsmandate und Mitberichte;

• Einführung breiter Vernehmlassungsverfahren mit Berichterstattung und Transparenz über den Einbezug der Vernehmlassungsantworten;

• Einsetzung von Diskussionsforen, in denen die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen artikuliert werden können (z.B. ausserparlamentarische Kommissionen);

• Initiativrecht für das Einbringen von Vorschlägen und Anträgen der schweizerischen Bevölkerung auf internationaler Ebene;

• Beteiligung von VertreterInnen privater Organisationen in den offiziellen Verhandlungsdelegationen der Schweiz;

• Verpflichtung des Bundesrates, sich auf internationaler Ebene für Partizipationsrechte der Bevölkerung einzusetzen.


Diese Punkte könnten in einem eigenen Bundesgesetz über die Mitwirkung der Bevölkerung bei der Festlegung des Landesstandpunktes in internationalen Verhandlungen oder in einer Ergänzung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte geregelt werden.

Bei multinationalen Vertragswerken, die auf nationaler Ebene Aenderungen von Verfassungsrang mit sich bringen, sollte meines Erachtens immer ein obligatorisches Referendum stattfinden. Durch multinationale Verträge induzierte Aenderungen des Landesrechtes sollten zudem einem differenzierten fakultativen Referendum unterstellt werden, das auch Variantenvorschläge zulässt (sog. konstruktives Referendum).

...und die internationale Ebene

Die Demokratisierung auf internationaler Ebene steht noch ganz am Anfang. Wie erwähnt konnten im Bereich Umwelt und Entwicklung erste Erfahrungen gesammelt werden. Als Vorbereitung zum Erdgipfel von Rio wurde weltweit ein Konsultationsprozess bei den privaten Organisationen ausgelöst. In der Rio Deklaration selbst wurde dann in Prinzip 10 die Notwendigkeit der Partizipation aller Gesellschaftskreise ausdrücklich statuiert. Seither wurden die Mitwirkungs-mechanismen in einzelnen Verhandlungsprozessen weiter konkretisiert. Interessant waren z.B. die Mitwirkungsregelungen für private Organisationen, wie sie für die Vorbereitung der paneuropäischen Umweltministerkonferenz in Luzern l993 angewendet wurden: freier Zugang zu allen offiziellen Dokumenten und Vorbereitungspapieren; • Teilnahme- und Rederecht an allen offiziellen Vorbereitungssitzungen;

• Teilnahme- und Rederecht an der Ministerkonferenz selber mit einer eigenen Delegation der Nicht-Regierungsorganisationen;

• Empfehlung zur Aufnahme von VertreterInnen von privaten Organisationen in die nationalen Delegationen der
beteiligten Länder. Die Umweltorganisationen, die im Vorbereitungsprozess auf die nächste gesamteuropäische Umweltministerkonferenz, die diesen Herbst in Sofia stattfinden wird, zusammenarbeiten, haben sich im Nachgang zur Luzerner Konferenz stark gemacht für eine gesamteuropäische Konvention betreffend die Mitwirkung der Bevölkerung. Nach den Vorstellungen der Verbände sollte eine solche Konvention die Informations- und Mitwirkungsrechte der Bevölkerung und privater Organisationen generell regeln und auf alle internationale Verhandlungsforen Anwendung finden. Noch sind wir jedoch weit davon entfernt. Die Regierungsvertreter haben sich im Hinblick auf die Sofia Konferenz bisher lediglich auf einen Entwurf für unverbindliche Richtlinien betreffend Information und Beteiligung der Bevölkerung bei Entscheidfindungen im Bereich Umwelt geeinigt. Diese Richtlinien betreffen im wesentlichen die nationale Ebene und bringen in den meisten europäischen Ländern kaum Fortschritte.

Strenge Subsidiarität im Auge behalten

Der Weg zu einer demokratisierten internationalen Ebene ist noch weit. Wichtig ist, dass auf dem Weg dahin auch der Blick dafür geschärft wird, welche Bereiche von der Sache her wirklich der Regelung auf übernationaler Ebene bedürfen und welche Bereiche weiterhin in die Kompetenz der nationalen und lokalen Ebene gehören. Es gilt also gleichzeitig, die demokratischen Rechte und Zuständigkeiten auf lokaler und regionaler Ebene zu wahren und auszubauen. Trotz zunehmender Bedeutung der supranationalen Ebene für politische Weichenstellungen, hat die lokale Ebene, da wo direkt verändert und umgesetzt werden kann, da wo jede Frau und jeder Mann mitentscheiden und konkret handeln kann, nichts an Wichtigkeit verloren, im Gegenteil.

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