Übersicht Dossiers Themenfokus Demokratie Die European Referendum Campaign auf ErfolgskursDie EU bekommt eine Verfassung. Ein neuer Grundlagenvertrag wird das bisherige Vertragswerk teilweise ersetzen. Seit 2002 fordert ein Netzwerk von Bürgerinitiativen, diesen weiteren Schritt hin zu einer vertieften Union der Bevölkerung in allen betroffenen Staaten in Referenden vorzulegen. Dabei wurden die einzelnen Phasen, die der Prozeß bisher andauerte, durch intensive Arbeit begleitet. Für die direkte Demokratie konnten wir bereits einige wichtige Erfolge erreichen.
von Ronald Pabst, (Mehr Demokratie e.V., Deutschland) arbeitet als Campaigner für die European Referendum Campaign
Ursprünglich sah der Fahrplan zur Verfassung drei Stufen vor. Durch das Scheitern der Verhandlungen im Dezember 2003 verzögerte sich der Prozeß. Inzwischen kann man von vier Phasen sprechen:
1) Entwurf der Verfassung durch den eigens dafür eingesetzten Konvent,
2) Beratungen der Regierungen bis zum vorläufigen Scheitern der Verhandlungen im Dezember 2004,
3) weitere Verhandlungen durch die Regierungen bis zur „Einigung, sich im Juni zu einigen“ und
4) abschließend die Ratifikation durch die Mitgliedstaaten.
Jetzt nähert sich die dritte Phase ihrem Ende. Sollten die Regierungen sich wie abgesprochen am 18. Juni auf den entgültigen Entwurf einigen, wird somit in der zweiten Jahreshälfte die heiße Phase beginnen: In vielen Ländern wird dann endgültig über die Frage entschieden, ob die Bürger oder allein die politischen Eliten das letzte Wort haben.
Phase 1: Der Weg zur Verfassung
Bewußt haben wir von Beginn an Befürworter und Kritiker der EU in die Kampagne eingebunden. Dadurch sind wir neutral und haben eine hohe Glaubwürdigkeit. Mittlerweile unterstützen mehr als 285 Organisationen aus ganz Europa die ERC. Sie decken ein breites Themenspektrum ab. Das Netzwerk ist die Basis unserer Erfolge – nur weil sich Menschen aus vielen Ländern uneigennützig für die direkte Demokratie einsetzen, konnten wir die bisherigen Erfolge erzielen.
Ein wichtiger Aspekt der täglichen Arbeit ist die Aufarbeitung von Informationen aus verschiedenen Ländern. Auf unserer Homepage veröffentlichen wir Neuigkeiten und Hintergrundmaterialien. Diese Informationsquelle wird von Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern und Bürgern genutzt und oft zitiert. Unsere Gurkenpostkarte ist inzwischen legendär. Unsere zweite Karte hat ebenfalls weite Verbreitung gefunden – eine tschechische Tageszeitung druckte sie sogar ab.
Als der Konvent tagte, waren wir bei fast allen Sitzungen, die im Brüsseler EU-Parlament stattfanden. Wir leisteten wichtige Überzeugungsarbeit. Aufgrund unserer Initiative formierte sich eine Gruppe von Konventsmitgliedern, die eine offizielle Eingabe verfaßten. Der Konvent sollte demnach im Abschlußdokument dazu auffordern, Volksentscheide abzuhalten. Von Woche zu Woche stieg die Zahl der Unterzeichner. Am Schluß haben 97 von 240 Mitgliedern sich dem Aufruf angeschlossen. Ein deutliches Signal, auch wenn der Text nicht in die Abschlußdokumente übernommen wurde.
Während der letzten Konventssitzung organisierten wir eine öffentlichkeitswirksame Aktion. Zum ersten Mal kommt unsere sieben Meter hohe EU-Verfassung zum Einsatz. Zudem veranstalteten wir eine Open-Air Pressekonferenz. Sieben Kamerateams und unzählige Fotojournalisten machen Aufnahmen vom dem Display.
In unserem Positionspapier Mehr Demokratie in der EU fordern wir neben der Abhaltung von Referenden über die weiteren Integrationsschritte auch den konsequenten Ausbau direktdemokratischer Beteiligungsrechte im Rahmen der EU. Auch für diese Idee arbeiteten wir im Konvent – um die 50 Mitglieder unterschrieben unsere weitereichenden Forderungen. Das Papier ging ebenfalls als offizielle Eingabe an das Konventspräsidium. Die weitreichende Idee konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Doch in der letzten – chaotischen – Tagungswoche des Konvents kommt immerhin die Volksinitiative in die Verfassung. Ein erster Ansatz zu direkter Demokratie auf internationaler Ebene. Das zarte Pflänzchen bedarf aber noch viel weiterer Pflege, bis es den Bürgern der EU möglich sein wird, über wichtige Zukunftsfragen gleichberechtigt mitzubestimmen. Nach Zustandekommen der Verfassung wird die Kommission die Ausführungsregeln zu Art 46-4 erlassen. Wir werden den Prozeß begleiten, damit die Regelungen fair werden.
Phase 2: Das Scheitern der Regierungen
Konventspräsident Giscard d’Estaing stellte auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki den Entwurf vor. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten verhandelten über weitere Einzelheiten der Verfassung und nahmen noch weitreichende Änderungen vor. Auf dem Gipfeltreffen Ende Dezember 2003 in Brüssel sollte diese Phase abgeschlossen werden - doch die Staats- und Regierungschefs erreichten keinen Kompromiß. Der Gipfel scheiterte.
Auch während dieser Zeit verschafften wir unserem Anliegen viel Aufmerksamkeit. Immer häufiger wurde die Verfassung zusammen mit dem Referendum diskutiert. Unsere Präsenz auf vielen Konferenzen und Tagungen hat sich bezahlt gemacht. Die Presse berichtete in vielen europäischen Ländern über uns. Am 6.12. organisierte die ERC einen europaweiten Aktionstag, in 20 Ländern waren Aktive auf den Straßen. Im Internet sind Berichte aus allen beteiligten Städten abrufbar. Dies belegt: Die ERC ist nicht nur in dem Umfeld der Brüsseler Politikmaschine, sondern auch auf den Straßen Europas präsent.
Die internationale Kooperation zahlt sich aus: In Deutschland haben Aktive von Mehr Demokratie fast die Hälfte der Aktionen durchgeführt. Dennoch war das Medienecho in Deutschland gering. Aber in Luxemburg kamen wir in die Hauptnachrichten, in der Slowakei zeigte ein Nachrichtensender stündlich einen Bericht über den Infostand. Dieses Medienecho ist ein großer Erfolg für das gesamte Netzwerk – und wäre ohne die deutsche Beteiligung geringer ausgefallen.
Phase 3: Warten auf den Beschluß
Ursprünglich sollte unsere Kampagne bis Juni 2004 dauern. Mit der überraschenden Wendung wurden unsere Planungen hinfällig. Wir mußten uns schnell auf eine neue Situation einstellen. Doch wir bleiben aktiv - trotz der unsicheren Situation. Es war ja überhaupt nicht gesichert, ob sich nur der Zeitplan nach hinten verschoben hatte, oder ob das Projekt gescheitert war. Immer wieder kamen sich widersprechende Nachrichten.
In dieser Zeit arbeiten wir eng mit britischen Gruppen zusammen. Als sich Chirac, Schröder und Blair am 18. 2. 04 in Berlin treffen, organisieren wir einen Gegengipfel von europäischen Bürgern. Am Brandenburger Tor kam unser Display zum Einsatz. Mit großen Plakaten zeigte Vote 2004, daß die drei Politiker nicht gewillt sind, auf den Ruf nach Mitbestimmung zu hören. Das ZDF berichtete ausführlich über die Aktion. Somit profitierte diesmal auch Mehr Demokratie von der internationalen Dimension der European Referendum Campaign. Auch in England schaffen es unsere Bilder auf die Titelseiten. Unser Arbeitsansatz funktioniert.
Schließlich einigen sich die Regierungen darauf, sich im Juni zu einigen. Maßgeblich zu dieser Entwicklung hat der politische Machtwechsel in Spanien beigetragen.
Ende März fahren wir mit dem Kampagnenbus von Mehr Demokratie durch England. Eingeladen wurden wir vom Democracy Movement. Die Philosophie der Tour war einfach und gut: Wir brachten unser Anliegen in den Wahlkreisen auf die Tagesordnung, deren Parlamentarier sich gegen ein Referendum ausgesprochen haben und gleichzeitig nur mit einer kleinen Mehrheit von oft nur mit wenigen tausend Stimmen gewählt wurden. Da im nächsten Jahr in England Wahlen stattfinden, konnte mit dieser Strategie eine besondere Wirkung erzielt werden: eine verhältnismäßig kleine Zahl von Wählern entscheidet ja über die Wiederwahl. Auf unserer Tour besuchten wir Sedgefield (Tony Blair), Hartlepool (Peter Mandelson), Rushcliffe (Ken Clarke), Hull (John Prescott). Zudem fanden Aktionen in Sheffield, Rotherham, Newcastle, Sunderland, Gateshead, Darlington and Durham statt.
Aktivisten aus Deutschland und dem Vereinigten Königreich zeigten die wichtige internationale Dimension der European Referendum Campaign. Die Forderung nach einem Referendum zur EU Verfassung entstammt keiner engstirnigen nationalistischen Sichtweise. Sie hat eine klare europäische Perspektive und ist die Antwort auf das geringe Interesse der Bürger an der Politik. Entscheidungen an der Wahlurne haben nur wenig Auswirkung auf die politischen Entscheidungen. Diese Apathie muß überwunden werden. Nach einer Erhebung von Eurostat fühlen sich 71% der Befragten aus allen EU-Mitgliedsstaaten nicht richtig informiert über die Verfassung. Zugleich äußern sich 84% der Befragten positiv über ein Referendum. Deshalb ist eine breite öffentliche Debatte nötig. Die Referenden werden hierzu den Anstoß geben.
Zur Zeit koordinieren wir eine Kampagne, mit der wir aufzeigen, wie sich die Parteien aus ganz Europa zur Frage eines Referendums stellen. Dies werden wir vor der Europawahl am 16. Juni publik machen. Zudem haben wir eine Internetseite online gestellt, auf der Bürger aus der ganzen EU in ihren jeweiligen Landessprache für ein Referendum unterschreiben können.
Ausblick auf Phase 4:
Von Beginn an haben wir auf den Dominoeffekt gesetzt. Es ist realistisch, daß es Referenden in Irland, Dänemark, Portugal, Spanien, Niederlande, Luxemburg, Tschechien und England hat. Der Fall England beweist: Auch in den Ländern, wo die Regierungen die Forderungen nach einem Referendum vehement zurückweisen, kann durch öffentlichen Druck das Ziel erreicht werden. Wir hoffen, daß bis zum Ende des Jahres in einer Mehrheit der EU-Staaten den Bürgern das Recht gewährt wird, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. In diesem Fall wird es für die Politiker der verbliebenen Länder schwierig, ihre ablehnende Haltung zu begründen. Es bleibt allerldings noch viel zu tun.
Ständig aktuelle Informationen im Internet:
www.european-referendum.org
Unterschreiben Sie für ein Referendum auf:
www.eu04.com
Das Positionspapier „Mehr Demokratie in Europa“ ist abrufbar unter:
http://mehr-demokratie.de/bu/dd/pos06_europa.htm
und war zudem im Europamagazin 02/2002 abgedruckt.
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Artikel 46-4. Mindestens eine Million Bürgerinnen und Bürger aus einer erheblichen Zahl von Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verfassung umzusetzen. Die Bestimmungen über die besonderen Verfahren und Bedingungen, die für eine solche Bürgerinitiative gelten, werden durch ein Europäisches Gesetz festgelegt.
Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa
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