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Mehr Volksmitsprache in Finanzfragen

Positive Erfahrungen aus den Kantonen und Gemeinden

Von Markus Freitag und Adrian Vatter* (Publiziert in der NZZ vom 14. März 2002)

Während das Volk in den Kantonen und Gemeinden über wichtige Ausgabenposten mitbestimmen kann, ist ihm dieses Recht im Bund verwehrt. Die Autoren des folgenden Beitrags machen sich für die Einführung des Finanzreferendums auf Bundesebene stark und begründen dies mit positiven fiskalpolitischen Auswirkungen. Mit dem Finanzreferendum seien die Staatsausgaben tiefer und die Schuldenlast geringer.

Immer mehr Länder Europas verfallen dem Charme der direkten Demokratie. Von dreissig europäischen Staaten, die sich seit dem Fall der Mauer 1989 eine neue Verfassung gaben, schrieben nur drei (Bosnien, Tschechien und Jugoslawien) das Recht auf direktdemokratische Mitbestimmung nicht fest. Im Laufe der neunziger Jahre unterstützten die deutschen Bundesländer den Siegeszug der Volksrechte, indem sie Elemente des direktdemokratischen Entscheidungsverfahrens flächendeckend auf lokaler Ebene verankerten. Jüngst legte nun auch die rot-grüne deutsche Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Einführung von Volksentscheiden auf nationaler Ebene vor.

Befürworter der direkten Demokratie sehen gewichtige wirtschaftliche Vorteile dieser Institution. Sie weisen auf wissenschaftliche Befunde hin, wonach die direkte Demokratie beispielsweise niedrigere Ausgaben und Steuersätze, eine tiefere Verschuldung und ein höheres wirtschaftliches Wachstum garantiert. Zudem erhöht die Integrationsleistung der direkten Demokratie die Stabilität des politischen Systems, und die allgemeine Zufriedenheit der Bürger und Bürgerinnen steigt mit der Möglichkeit der direkten Mitsprache. Den Grund hierfür liefert der ständige Dialog der Regierung und der Verwaltung mit dem Volk. Ohne direktdemokratische Kontrollmöglichkeiten weichen die gewählten Politiker häufig von Volkes Meinung ab, um für sich oder die eigene Klientel Vergünstigungen oder Vorteile herauszuholen. Hier bleibt allein das Kontrollinstrument periodisch wiederkehrender Wahlen, um die Gefahr einer längerfristigen Interessendivergenz zwischen Regierenden und Regierten zu minimieren. Referenden und Volksinitiativen verheissen nun zusätzliche Kontroll- wie Sanktionsmöglichkeiten des Volkswillens.

Zurückhaltung in der Schweiz'

Während die deutschen Nachbarn euphorisch die stärkere Einbindung des Bürgers in die politische Willensund Entscheidungsfindung nicht zuletzt als probates Mittel zur Überwindung der Politikverdrossenheit anpreisen, zeugen die parlamentarischen Debatten im Mutterland der direkten Demokratie von einer gewissen Zurückhaltung hinsichtlich der Ausdehnung plebiszitärer Mitspracherechte. Während sich so in Deutschland eine Mehrheit einem «Mehr» an direkter. Demokratie durchaus aufgeschlossen zeigt, ziehen die Schweizer Politiker auch ein «Weniger» an Volksrechten in Betracht.

Hier kratzen immer wieder verschiedene Wissenschafter und Politiker am Image der direkten Demokratie als Allheilmittel zur Lösung wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Probleme. Die direkte Demokratie mindere die Wichtigkeit von Wahlen und führe zur ständigen Bevormundung wenig privilegierter Interessen durch zahlungskräftige Organisationen. In wirtschaftlicher Hinsicht führe die breite Mitsprache des Volkes zu einem Schaden für die Wirtschaft, da die Mühlen in der direkten Demokratie in einer schnelllebigen Zeit zu langsam mahlen und dringende Veränderungen behindern. Ein oft zitiertes Beispiel hierfür liefert das vergleichsweise niedrige Wirtschaftswachstum des Landes. Obwohl die Schweiz unangefochtener Spitzenreiter bei der Nutzung der Direktdemokratie unter den Verfassungsstaaten ist, will der wirtschaftliche Erfolg nicht eintreten, und man rangiert bei dieser Kennzahl im hinteren Mittelfeld.

Offenkundig wird die Zurückhaltung punkto Ausweitung der direkten Demokratie insbesondere bei der Frage nach einer stärkeren Mitbestimmung bei finanziellen Angelegenheiten, beim Finanzreferendum. Auf der Ebene des Bundes stösst die Einführung dieses Instrumentes auf wenig Gegenliebe. Im Sommer 1999 beschlossen beide Räte, das Reformpaket Volksrechte mit dem Finanzreferendum gar nicht erst aufzuschnüren. In einer neuen Vorlage ist das Finanzreferendum auf Bundesebene von vorneherein in der vorberatenden Subkommission ad acta gelegt worden (vgl. NZZ vom 21. 1. 02).

Positive fiskalpolitische Wirkungen Vielleicht allzu vorschnell, wie ein Überblick über die Leistungen des Finanzreferendums in den Schweizer Gemeinwesen zeigt. So sind in fast allen Schweizer Kantonen Ausgabenbeschlüsse der Regierungen, soweit sie einen bestimmten Betrag übersteigen, dem Referendum unterworfen. Mit Ausnahme des Kantons Waadt kennen heute die Kantone zumindest eine Form des fakultativen Finanzreferendums. In zwölf Kantonen sind ordentliche (und in zehn Kantonen ausserordentliche) Ausgaben, die eine bestimmte Höhe überschreiten, sogar dem obligatorischen Finanzreferendum unterstellt, das heisst, sie sind der Bevölkerung automatisch zur Abstimmung vorzulegen. In den Kantonen Bern und Uri gibt es zudem ein obligatorisches Finanzreferendum bei der Erhöhung von Steuereinnahmen.

Eigene empirische Untersuchungen sowie weitere Studien der St. Galler Ökonomen Gebhard Kirchgässner, Lars Feld und Marcel Savioz über die Leistungen des Referendums bei Budgetfragen in den Kantonen (und Gemeinden) belegen eindrücklich die positiven fiskalpolitischen Wirkungen dieses direktdemokratischen Instruments. Kantone und Gemeinden mit einem ausgebauten Finanzreferendum weisen eine signifikant geringere Verschuldung der öffentlichen Hand, weniger Staatsausgaben und niedrigere Steuersätze auf als Kantone und Gemeinden mit hohen Hürden zur Ergreifung des Finanzreferendums. Konkret: In Gemeinwesen mit weitreichenden Referendumsformen sind die öffentlichen Ausgaben im Schnitt rund 10 Prozent niedriger und ist die Verschuldung um 15 Prozent tiefer als in eher repräsentativen Systemen. Bereits vor über zehn Jahren haben Hannelore Weck-Hannemann und Werner W. Pommerehne darauf hingewiesen, dass in Kantonen mit ausgebautem Finanzreferendum der Anteil der nicht versteuerten und hinterzogenen Einkommen um rund 6 Prozent geringer war als in den übrigen Kantonen. Diese Differenz machte pro Steuerzahler immerhin etwa 1500 Franken aus. Tiefere Staatsausgaben und geringere Schuldenlast sprechen aber nicht schon per se für das Finanzreferendum. Gerade von Anhängern des Sozialstaates wird in diesem Zusammenhang seine bremsende Wirkung auf eine wohlfahrtsstaatliche Umverteilungspolitik kritisiert. Tatsächlich zeigt sich, dass in Kantonen mit ausgebauter Mitbestimmung bei Budgetfragen die Sozialleistungsquote vergleichsweise niedriger ist als in den übrigen Kantonen; Dieser Kritik lässt sich entgegenhalten, dass ausgeprägter direktdemokratische Kantone auf Grund ihrer politischen Rahmenbedingungen auch wirtschaftlich erfolgreicher sind, so dass der Staat durch höhere einkommensinduzierte Steuereinnahmen einen grösseren Spielraum für seine (sozialpolitischen) Aufgaben erhalten würde.

Finanzreferendum ernsthaft diskutieren

Genau zu diesem Schluss kommen gleich mehrere neue Beiträge, die den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsleistung und der Ausgestaltung des direktdemokratischen Systems in den 26 Kantonen untersucht haben. Das Bruttoinlandprodukt (pro Kopf) in Kantonen mit starker Mitbestimmung der Bevölkerung in Finanzfragen war in den neunziger Jahren je nach Studie zwischen 4 und 15 Prozent höher als in den anderen Kantonen. Der signifikant positive Zusammenhang konnte im Übrigen nicht nur für die Wirtschaftskraft, sondern auch für das reale Wirtschaftswachstum der Kantone in den achtziger und neunziger Jahren nachgewiesen werden. Die häufige Nutzung direktdemokratischer Einrichtungen bei fiskalpolitischen Entscheidungen stellt somit gemäss diesen Arbeiten ein wirkungsvolles Instrument zur Erreichung wirtschaftlicher Prosperität dar. Insgesamt stützen die empirischen Vergleiche der Schweizer Kantone und Gemeinden die Argumente der Befürworter einer ausgebauten direkten Demokratie bei Finanzfragen und widersprechen Kritikern wie Silvio Borner und Walter Wittmann. Sowohl die fiskalpolitischen als auch die makroökonomischen Vorteile des Finanzreferendums sind offenkundig und mehrfach belegt. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht damit wenig für einen Abbau der direkten Demokratie und vieles für ihre massvolle Erweiterung. Die aktuelle Debatte über die Reform der Volksrechte auf Bundesebene bietet für den Gesetzgeber eine gute Gelegenheit, aus den positiven Erfahrungen in den Kantonen und Gemeinden die richtigen Schlüsse zu ziehen und das bisher nicht genutzte Potenzial des Finanzreferendums auf Bundesebene in Zukunft auszuschöpfen. Wer zahlt, befiehlt: Dieser in den Kantonen und Gemeinden seit langem praktizierte Grundsatz sollte auf Bundesebene zumindest. ernsthaft diskutiert werden.

• Markus Freitag ist Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern, AdrianVatter arbeitet dort als Assistenzprofessor. Der Beitrag entstand im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projekts über politische Bestimmungsgründe kantonaler Staatstätigkeiten.



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