Übersicht Dossiers Themenfokus Demokratie «Die direkte Demokratie macht die Menschen zufriedener»Geld macht nicht glücklicher, jedenfalls dann nicht, wenn man schon genug Geld hat. Arbeitslosigkeit hingegen macht unglücklich, auch wenn der Lohn weiterhin ausgezahlt wird, und mehr Mitbestimmung macht zufrieden. Das sind drei Erkenntnisse aus der neueren Glücksforschung. Doch was heisst das für die Ökonomie, deren Ziel es ist, mehr Reichtum zu schaffen?
Priscilla Imboden sprach mit dem Glücksforscher und Ökonomen Bruno Frey und fragte ihn zuerst, was er sich für das neue Jahr vorgenommen habe.1)
Prof. B. Frey: Ich möchte mich im neuen Jahr auf das Wesentliche konzentrieren und nicht mehr soviel Unterschiedliches tun, das nur ablenkt.
Was ist denn das Wesentliche?
Das ist für mich die Forschung, interessant sind neue Forschungen: Wenn man länger im Beruf ist, kommen so viele Anforderungen auf einen zu – hier ein Vortrag, dort ein Vortrag, da ein Gespräch – und damit geht die Zeit für echte Forschung einfach zurück, und die möchte ich wieder vergrössern.
Sie haben vor ein paar Jahren gesagt, dass Sie Ihren Fernseher entsorgt haben, mehr Privatleben also, hat Sie das glücklicher gemacht?
Erstaunlicherweise ja: Zuerst fällt es einem schwer, weil man denkt, man sei nicht mehr orientiert und könne nicht mehr mitreden. Bei mir ist das Gegenteil eingetreten: Wenn ich abends nach Hause komme, drücke ich eben nicht auf den Knopf und verbringe den Abend vor dem Fernseher, sondern ich lese ein Buch oder arbeite über irgendein wissenschaftliches Problem. Das macht mich sehr zufrieden.
Würde das auch andere Menschen zufrieden machen? Sie sind Glücksforscher und Ökonom – was macht denn die Leute nach Ihren Studien am meisten glücklich?
Ich glaube, am wichtigsten ist das gute Zusammenleben mit anderen Menschen, nämlich Freunde zu haben, gute Bekannte zu haben und mit Verwandten Kontakt zu haben. Das ist ausserordentlich wichtig.
Aber gleichzeitig sind auch die materiellen Grundlagen ausserordentlich wichtig: die materiellen Grundlagen des Lebens, ein vernünftiges Einkommen, eine Stelle, gute Arbeitskollegen.
Heisst das, dass arme Menschen eher unglücklicher sind als reiche Menschen?
Das ist leider so. Wenn wir Menschen mit einem höheren Einkommen vergleichen mit Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, dann ist es eindeutig so, dass sich die Reichen als glücklicher empfinden und von anderen auch als glücklicher eingeschätzt werden. Man muss halt sehen: Wenn man weniger Geld hat, immer an der Grenze ist, so ist das halt nicht so lustig, und das macht unzufrieden.
Trotzdem zeigen Studien auf, dass in der Nachkriegszeit in Westeuropa und Amerika der Reichtum sehr gestiegen ist, das Glücksempfinden jedoch ab einer gewissen Schwelle nicht zugenommen hat oder sogar leicht abgenommen hat. Wie erklären Sie das?
Es gibt zwei Gründe: Zum einen gewöhnt man sich sehr rasch an ein höheres Einkommen, schon nach einem Jahr ist der Effekt fast wieder verschwunden. Wenn man also am Anfang des Jahres vielleicht 500 Franken mehr Lohn bekommen hat, findet man das nach einem Jahr gar nicht mehr als besonders bereichernd oder glücklicher machend.
Zweitens vergleichen wir uns immer mit anderen Leuten. Wenn Sie also 500 Franken mehr Lohn im Monat kriegen, aber hören, dass Ihr Kollege 600 Franken mehr bekommen hat, sind Sie sehr unzufrieden. Wir vergleichen uns ja immer, und das ist etwas, was der Mensch sehr wahrscheinlich seit Urzeiten hat.
Was heisst das denn für die Ökonomie? Die Ökonomen versuchen doch immer wieder, den Reichtum der Länder zu steigern, aber die Erkenntnisse der Glücksforschung weisen darauf hin, dass das nicht der einzige Grund ist. Gibt es einen Widerspruch zur Ökonomie?
Es gibt einen Widerspruch zu der Ökonomie, die nur rein auf das Materielle schaut, und wir sind in der Glücksforschung momentan dabei, diesen Widerspruch aufzulösen und zu sagen, wohin man schauen soll. Das sind jetzt eben die False-Indikatoren, die jetzt entstehen. Nun muss man sagen, wenn es um reiche und arme Länder geht, dass es sinnvoll ist, den Entwicklungsländern weiterzuhelfen, wenn sie sich selbst weiterhelfen können, ein höheres Einkommen zu erreichen. Das hat sicherlich eine positive Auswirkung auf ihre Lebenszufriedenheit.
Aber hier bei uns eben nicht – wie kann man denn diese Glücksforschung in die Ökonomie einfliessen lassen? Sie sprachen von Indikatoren: Was sind das denn für Indikatoren?
An sich kann man das leicht in die Ökonomie einführen, denn das Grundanliegen der Ökonomie ist ja, die Leute zufrieden zu machen, nur hat man vergessen, dass das nicht nur durch ausschliesslich materielle Dinge geschehen kann. Und jetzt geht man eigentlich wieder dahin zurück, dass man sieht, dass der Nutzen das alles Entscheidende ist und nicht das Sozialprodukt, nicht der Export oder der Import oder die Landwirtschaft, sondern: Was macht die Leute zufrieden im Leben, das sie führen?
Aber die Ökonomie lebt davon, dass man die Dinge messen kann – wie kann man denn den Nutzen messen?
Messung ist ganz entscheidend, da stimme ich Ihnen zu. Deshalb messen wir auch heute das Glück oder die Lebenszufriedenheit, indem wir die Menschen befragen, sorgfältig befragen, und die alles entscheidende Frage ist dabei: «Wie zufrieden sind Sie mit dem Leben, das Sie führen?» Dazu können die Leute auf einer Skala von 1 bis 10 angeben, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind, und es zeigt sich erstaunlicherweise, dass alle Leute mit ihrem Leben sehr zufrieden sind.
Aber könnte man nicht sagen, dass die Leute zuerst einmal sagen, ich bin mit meinem Leben zufrieden, bevor sie vor irgendwelchen Leuten, die sie nicht kennen, zugeben, mit ihrem Leben nicht zufrieden zu sein, und sich beklagen?
Das hängt sehr von der Kultur ab. Wenn man Franzosen befragt, sagen sie regelmässig, sie seien nicht zufrieden, Amerikaner müssen sagen, sie seien happy. Wir Schweizer gelten ja auch nicht gerade als Leute, die sagen, «wir sind glücklich». Aber es stellt sich sogar heraus, dass die Schweizer die Zweitglücklichsten oder sogar die Glücklichsten sind neben den Menschen in Dänemark.
Weshalb sind denn die Schweizer so glücklich?
Es gibt viele Ursachen. Die wichtigste Ursache ist die, dass es uns materiell gut geht: Wir haben eine gutgehende Wirtschaft und wenig Arbeitslosigkeit, was unheimlich wichtig ist: Man muss das vergleichen mit Arbeitslosigkeitsquoten von 9 oder 10%, mit Zahlen über Arbeitslosigkeit in Frankreich und Italien. Verglichen damit sind wir in einer sehr guten Situation. Das Zweite ist, dass unsere Gesellschaft noch sehr intakt ist, die meisten Menschen in unserer Gesellschaft haben noch sehr gute Kontakte innerhalb der Familien, haben noch sehr gute Freunde, und ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Das Dritte ist: Wir haben sehr gute politische Verhältnisse.
Verschiedene Länder versuchen jetzt, die Erkenntnisse der Glücksökonomie in die Politik einzuführen, quasi das Glück als nationales Ziel zu verfolgen. Der König von Bhutan ist da ein Beispiel, es gibt Vorstösse in Australien, und Sie wurden auch von verschieden Spitzenpolitikern verschiedener Parteien in England angegangen. Was haben Sie denn den Politikern gesagt?
Ich habe ihnen gesagt, dass sie in einer Demokratie die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen, sondern die Grundlagen verbessern sollen, nämlich die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger, damit sie bei politischen Angelegenheiten auch mit entscheiden können. Wir haben für das Volk der Schweizer herausgefunden, dass das für ein Volk sehr wichtig ist.
Sie haben in verschiedenen Studien darauf hingewiesen, dass die politische Mitbestimmung auf nationaler, kantonaler und Gemeindeebene eine wichtige Rolle spielt für die Zufriedenheit der Menschen, die im Lande wohnen. Wie erklären Sie sich das?
Wir sind sehr stolz auf dieses Ergebnis, denn es gibt gerade auch in der Schweiz immer wieder Leute, die sagen, die direkte Demokratie, das sei eine überholte Sache, im 21. Jahrhundert sei das nicht mehr gut. Wir finden genau das Gegenteil: Wir finden, dass die direkte Demokratie nicht nur leistungsfähiger ist, sondern die Leute auch zufriedener macht, als in anderen Ländern. Und auch hier würde ich wieder sagen. Einige andere Länder in unserer Umgebung, Deutschland zum Beispiel, könnten durchaus ein bisschen mehr direkte Mitbestimmung mittels Initiativen und Referenden einführen.
Wie erklären Sie aber dann, dass wir trotzdem einen gewissen Politiküberdruss feststellen, dass die Teilnahme an den eidgenössischen Wahlen, bis vor kurzem immer kleiner geworden ist im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren? Es gibt auch immer mehr Probleme, in den Gemeinden Leute zu finden, die den Gemeinderat bestellen wollen: Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch zwischen der Teilnahme an der politischen Entscheidung und der Freude an der politischen Mitbestimmung?
Ich würde gar nicht soviel Gewicht auf die durchschnittliche Stimmbeteiligung legen. Entscheidend ist, dass die Leute sich beteiligen können, wenn sie es wichtig finden. Und das haben wir ja gesehen. Als es vor einiger Zeit um die Abschaffung der Armee ging, ist die Stimmbeteiligung ganz hoch geworden. Auch als es um die Teilnahme an der Europäischen Union und am Europäischen Wirtschaftsraum EWR ging, war die Stimmbeteiligung ganz gewaltig. Das ist das Entscheidende: dass die Bürger eine institutionalisierte, eine zivile Möglichkeit haben, sich am politischen Prozess zu beteiligen, wenn es für sie wichtig ist.
Trotzdem gibt es Ökonomen in der Schweiz, die sagen, dass der Föderalismus in der Schweiz, die vielen Mitbestimmungsmöglichkeiten in Entscheidungen wirtschaftlich gesehen nicht effizient sind. Gibt es denn auch hier einen Widerspruch zwischen der Glücksforschung und der Ökonomie?
Ja, da gibt es auch einen: Wir können es einfach nicht feststellen, dass direkte Demokratie verlangsamt. Es wird sehr, sehr oft behauptet, dass immer alles aufgehoben werde; man muss das aber vergleichen mit parlamentarischen Demokratien, in denen auch immer alles blockiert wird, dort allerdings durch starke Interessengruppen. Aber bei uns gibt die direkte Mitbestimmung der Bürger die Möglichkeit, auch starke Interessengruppen zu überwinden, und das finde ich eine sehr wichtige Möglichkeit.
Also könnte man sagen, es sind starke Interessengruppen, die den Abbau des Föderalismus und der direkten Demokratie fordern?
Das ist sicherlich auch so. Die ärgert es häufig, dass die Bürger nicht mitziehen, und sehr häufig sind es auch die Politiker: Sie möchten häufig irgend etwas durchsetzen und ärgern sich dann, wenn sie noch die Bürger fragen müssen.
Wie gesagt: Wir müssen das vergleichen mit repräsentativen Demokratien, bei denen im Parlament entschieden wird; das zieht sich auch lange, lange hin, und dann macht sehr oft die nächste Regierung alles wieder rückgängig – das ist in der Schweiz viel weniger der Fall. Es geht zwar langsam, bis die erste Entscheidung gefällt wird, weil wir viel miteinander diskutieren, aber wenn die Entscheidung gefällt ist, ist sie recht stabil.
Herr Frey, wenn ich Sie höre, kommt es mir so vor, als würden wir hier in der Schweiz im Paradies leben – dennoch: Was würden Sie den Schweizern empfehlen, wie sie dieses hohe Glücksniveau aufrechterhalten oder sogar noch steigern können?
Wir befinden uns nicht ganz im Paradies. Wir haben Probleme, zum Beispiel mit der Integration der Ausländer, das wird heute gesehen. Hier werden grosse Massnahmen unternommen, dies sollten wir verstärken. Ausserdem: mehr Bildung anbieten, mehr in unsere Zivilgesellschaft einbinden, dies ist sehr wichtig.
Und vielleicht ein bisschen genereller: Ich halte es für wichtig, nicht so sehr aktivistische Politik zu betreiben, sondern eher die Grundlagen, die ich für gut halte, nämlich direkte Demokratie und Föderalismus, zu stärken und nicht weiter abzubauen.
Das war Bruno S. Frey, Glücksforscher und Professor für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich im Gespräch mit Priscilla Imboden Schweizer Radio DRS 1
1) Schweizer Radio DRS 1, Wirtschaftsmagazin Trend Plus vom 5.1.2008
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