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Kurzinfos Februar 09

EU-Datenspeicherung – via „Binnenmarkt“ verankert

Der EU-Gerichshof (EuGH) hat am Dienstag, den 10. Februar 2009 entschieden, die EU-Richtlinie über die obligatorische Speicherung von Telefon- und Internet-Daten sei richtigerweise in der Gesetzgebung zum Binnenmarkt verankert worden. Damit wies das oberste EU-Gericht eine Klage Irlands ab, das argumentiert hatte, die sogenannte Daten- Vorrats-Speicherung diene der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität; die entsprechende Richtlinie müsse deshalb ihre Grundlage in der Gesetzgebung über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten haben. Da sich die Klage nur auf die Gesetzesgrundlage bezog, nahm der EuGH keine Stellung zu Fragen des Datenschutzes oder des Schutzes der Privatsphäre.

Laut dem Gericht macht die Richtlinie lediglich den Anbietern von Telefon- und Internetdiensten Auflagen. Sie regelt dagegen den Zugang zu diesen Daten durch die Justizorgane der Mitgliedstaaten nicht. Weil bereits vor der Verabschiedung der Richtlinie einzelne Mitgliedstaaten Regelungen über die Vorratsspeicherung erlassen hatten, wäre laut dem Gericht das Funktionieren des Binnenmarkts in der Tat bedroht worden. Im Klartext hätten Anbieter, die keine gesetzgeberischen Auflagen gehabt hätten, Wettbewerbsvorteile gegenüber jenen gehabt, welche die Daten bereits speichern mussten, was mit erheblichem Aufwand verbunden ist.

Irland hatte zusammen mit der Slowakei im Ministerrat der Mitgliedstaaten gegen die Richtlinie gestimmt. Die Binnenmarkt-Gesetzgebung ist aber Gemeinschaftsrecht. Das heisst konkret, dass Abstimmungen im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Zudem ist auch das EU-Parlament am Gesetzgebungsverfahren gleichberechtigt beteiligt. Auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit herrscht dagegen Zwang zum Konsens unter den Mitgliedstaaten, und das Parlament muss lediglich angehört werden.

Im Hintergrund spielt sich zudem oft ein Ringen zwischen EU-Kommission und Mitgliedstaaten ab. Die Kommission tendiert danach, Gesetzgebungsvorschläge nach Möglichkeit im Gemeinschaftsrecht zu verankern. Der Binnenmarkt ist dafür eine günstige Basis, da je nach Perspektive fast alles irgendwie zu Marktverzerrungen führen könnte. Die Mitgliedstaaten stehen diesem Trend skeptisch gegenüber, da er ihnen potenziell Entscheidungsmacht entzieht. Unter dem Vertrag von Lissabon allerdings würden auch weite Teile der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit vergemeinschaftet und Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen. NZZ, 11. Februar 2009, S. 3



„Lissabon“ vor dem Deutschen Bundesverfassungsgericht

Ist die Kompetenzerweiterung der Europäischen Union, wie sie im neuen Reformvertrag - dem «Vertrag von Lissabon» fixiert ist, mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar? Nach Ansicht des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, der Fraktion der Linken im Bundestag sowie anderer Kläger ist sie das nicht. Sie alle haben Verfassungsklage gegen den EU-Vertrag eingereicht und hoffen, das Gericht kommen zur Erkenntnis, dass zumindest Teile des Vertrages mit dem Grundgesetzartikel, der besagt, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen und sich auf dieses zurückführen lassen müsse, kollidieren

Das Deutsche Parlament hat den Reformvertrag bereits mit grossem Mehr angenommen. Damit er in Kraft treten kann, fehlt nur noch die Unterschrift von Bundespräsident Köhler. Köhler will allerdings den Befund des Verfassungsgerichts abwarten.

Bei der mündlichen Anhörung am Dienstag, 10. Februar 2009, wurde die Verfassungskonformität des Lissabonner Vertrags jeweils ganz aus eigener fachlicher Perspektive bejaht oder bestritten. Aussenminister Steinmeier sagte, der EU-Vertrag sei die notwendige Antwort aufunabweisbare Zukunftsaufgaben. Allein könne keines der 27 EU-Mitgliedsländer Herausforderungen wie den Terrorismus, die weltweite Wirtschaftskrise oder den Klimawandel bewältigen. Der Vertrag sei kein Selbstzweck, sondern sichere die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der EU, und die Rolle der nationalen Parlamente wachse, weil die Legislativen stärker in den Gesetzgebungsprozess einge- bunden würden. Innenminister Schäuble betonte, er sehe die Souveränität Deutschlands nicht bedroht. Die «arbeitsteilige Ausübung staatlicher Souveränität», wie sie im EU-Vertrag festgelegt sei, sei ja im Grundgesetz bereits vorgesehen.

Die Kläger dagegen vermögen allesamt nicht recht einzusehen, wie gleichzeitig sowohl die Rechte der Brüsseler Zentrale als auch jene der Mitgliedstaaten zunehmen können. Gauweiler ist davon überzeugt, dass die EU auf der Basis des Lissabonner Vertrags zu einem «eigenen Staat» mutiere, was zwangsläufig mit dem Verlust der souveränen Staatlichkeit Deutschlands einhergehe. Auch vergrössere der Vertrag das notorische Demokratiedefizit der EU. Wenn es der Regierung nicht gelinge, eine Vorschrift im Bundestag durchzusetzen, könne sie dies künftig einfach über den Umweg der EU-Kommission tun. Für den Linkspolitiker Lafontaine kommt die Befürchtung dazu, der Vertrag werde das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes aushebeln.

Die Verfassungsrichter entscheiden in einem gewissen Sinne auch über ihr eigenes Schicksal. Wird der EU-Vertrag Wirklichkeit, gehen nicht nur politische, sondern auch juristische Hoheitsrechte vom Einzelstaat an Brüssel über. Nach Ansicht der Kläger hätte künftig das Verfassungsgericht gar nicht mehr das Recht, die Brüsseler Legislation auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen. Nicht mehr in Karlsruhe würden derartige Fragen entschieden, sondern beim EU-Gerichtshof in Luxemburg, der sich bisher nicht eben durch ein brennendes Interesse am Schutz einzelstaatlicher Souveränitätsrechte hervorgetan hat. NZZ, 11. Februar 2009, S. 3 (Am 14. Juni war das Urteil noch nicht publiziert).


Schadstoffreduktion: Auf der Straße keine Vorfahrt für EU-Ziele

Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat Ende 2008 Daten veröffentlicht, wonach 16 der EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Emissionsziele bei wenigstens einem von vier Schadstoffen bis 2010 verfehlen könnten. Die Analyse basiert auf Zahlen, die nach der Richtlinie zu nationalen Emissionshöchstmengen 2001 von den Mitgliedstaaten veröffentlicht wurden. Der Report enthält Daten der vier Schadstoffe, die von der Richtlinie betroffen sind: Stickoxide (NOx), Schwefeloxide (SOx), flüchtige organische Nicht - Methanverbindungen (NMVOC) und Ammoniak (NH3).

Begrenzungen für Stickoxide scheinen die größten Herausforderungen zu sein, da 13 Mitgliedstaaten prognostizieren, dass sie ihre nationalen Reduktionsziele bis 2010 nicht erreichen werden. Bei den anderen drei Schadstoffen werden die meisten EU- Staaten ihre angekündigten Minderungsziele bis 2010 erfüllen. Trotzdem wird für die gesamten EU-Emissionen für 2010 eine Überschreitung der Ziele von neun Prozent erwartet. Ein unerwartet hohes Wachstum im Straßenverkehr trägt laut EEA dazu bei. Die Europäische Kommission hatte bereits Rechtsvorschriften zur Verschärfung der Emissionshöchstmengen vorgelegt. Diese Pläne hat sie aber auf Eis gelegt, um einen Rückschlag bei den schwierigen Diskussionen über das neue EU-Klima- und Energiepaket zu vermeiden. Report der EEA: http://reports.eea.europa.eu/technical_report_2008_9/en, umwelt aktuell Februar 2009, S. 11


EU-Richtlinie für Neuwagen

Beim EU-Kompromiss zur umstrittenen Begrenzung der CO2-Emissionen für Neuwagen haben sich Deutschland und die Autoindustrie durchgesetzt. Das EU-Parlament konnte dem Ministerrat lediglich beim Langfristziel für den CO2-Ausstoß Zugeständnisse abringen und auch dies nur in Verbindung mit einer Revision des Ziels in 2013.

Auf folgende Punkte haben sich Parlament und Ministerrat geeinigt: - Der Grenzwert von 120 Gramm CO2 pro Kilometer muss erst 2015 von allen Modellen erreicht werden. 2012 müssen 65 Prozent der Neuwagen den Richtwert erreichen, 2013 sollen es 75 Prozent sein, 2014 dann 80 Prozent. - Für große Fahrzeuge gelten weniger strenge Grenzwerte als für Kleinwagen. - Zehn Gramm der Einsparung können durch "Ökoinnovationen" erreicht werden, zum Beispiel durch die Nutzung von Biosprit oder durch technische Verbesserungen bei den Reifen. - Wird der Grenzwert um ein Gramm überschritten, werden fünf Euro Strafe für jeden produzierten Neuwagen fällig, für zwei Gramm 15 Euro, für drei Gramm 25 Euro und von vier Gramm an 95 Euro pro Gramm. - Bis 2020 sollen die Emissionen auf 95 Gramm CO2 gesenkt werden, das Ziel wird aber 2013 nochmals überprüft.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sprach von einem schwarzen Tag für den Klimaschutz. "Der Verkehr ist der einzige Sektor in Europa, in dem die CO2- Emissionen nach wie vor ansteigen. Nun erlaubt die EU der europäischen Autoflotte für 2012 einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß, der sogar noch höher liegt als 2007", kritisierte Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. www.vcd.org/klimaschutz.html umwelt aktuell, Februar 2009, S. 13


Genpflanzen-Zulassung

Entscheidungen der EU-Kommission über die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen hat eine neue Studie analysiert. Wichtigstes Ergebnis: Die Entscheidungsgewalt beim Zulassungsverfahren für Genpflanzen wird von der Kommission auf die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA verlagert. Die von der grünen Europaabgeordneten Hiltrud Breyer in Auftrag gegebene Untersuchung ist eine der ersten zum EU-Risikomanagement. Die Auswertung zeigt laut Breyer, dass die EU-Kommission der EFSA weder klare Vorgaben setze noch ihre Tätigkeit kontrolliere. Beides sei ihre Pflicht. Es fehle ein ausformuliertes Konzept, das den rechtlichen Vorgaben der EU für den Umwelt- und Verbraucherschutz genüge. Studie: www.hiltrud-breyer.eu/hbreyer/media/doc/1228483018143.pdf; umwelt aktuell, Februar 2009, S. 17


EU-Aktionsplan Biodiversität

Der Zwischenbericht der EU-Kommission zum 2006 verabschiedeten Aktionsplan zur Erhaltung der BiologischenVielfalt hat im Dezember 2008 ein ernüchterndes Bild gezeichnet. Es sei "sehr unwahrscheinlich ", dass die EU ihr Ziel erreichen werde, das Artensterben bis 2010 zu stoppen.

Deutsche und europäische Umweltverbände werteten den Bericht als alarmierendes Signal. Grund sei die unzureichende Umsetzung der europäischen Vogelschutzrichtlinie und der FFH - Richtlinie. Das EU-Schutzgebietsnetz Natura 2000 sei in vielen Mitgliedstaaten unvollständig. Außerhalb von Schutzgebieten litten viele Arten unter der intensiven, hoch subventionierten Landwirtschaft.

Positive Zeichen sieht der Bericht in der Ausweitung des Natura-2000-Netzes. Dies gelte aber nicht für Meeresgebiete. Eine große Gesetzeslücke stelle die gescheiterte Bodenschutzrichtlinie dar (umwelt aktuell 02.2008, S. 18).

Das Europäische Umweltbüro EEB fordert nun die Annahme eines "Ökosystem- Rettungplans" bis 2010, um einen "Bankrott der Erde" abzuwenden. umwelt aktuell, Februar 2009, S. 19


Zehn Jahre Euro: eine kritische Bilanz

Die Befürworter des Euros meinen, seit zehn Jahren fungiere der starke, stabile Euro für die zweitgrößte Wirtschaftsregion der Welt als ein friedlicher und sicherer Hafen, in dem Anfang 2009 die Slowakei als 16. Mitgliedsland angedockt hat. Die Anhänger der gemeinsamen Währung loben auch die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB): Sie habe ihre Unabhängigkeit gegenüber politischen Einmischungsversuchen energisch verteidigt und sei imstande gewesen, durch die Begrenzung der Inflationsrate auf rund 2 Prozent das Wachstum der Geldmenge zu steuern. Dadurch habe sich der nationale Zinssatz auf durchschnittlich 2,5 Prozent eingependelt, während die Realzinsen den niedrigsten Stand seit den 1960er-Jahren erreicht haben. Schließlich habe die Abschaffung der 15 nationalen Währungen die Wechselkursrisiken und die damit verbundenen Transaktionskosten beseitigt. Das wiederum habe Handel und Investitionen innerhalb der Eurozone so stark angekurbelt, dass diese mittlerweile ein volles Drittel zu deren Bruttoinlandsprodukt beitragen. Zehn Jahre nach ihrer Einführung befinde sich die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar im Höhenflug, während der plötzliche Kurssturz des Pfund Sterling und der isländische Staatsbankrott den Euro-Ländern als abschreckendes Beispiel vor Augen stehen. Somit erweise sich die Eurozone letztlich als gelungene Alternative zur allmächtigen Dollarzone.

Diese glanzvolle Selbstdarstellung überstrahlt allerdings die vielen dunklen Ecken der Eurozone. Die hat nämlich ein durchaus mühsames Jahrzehnt hinter sich: Das Wachstum war eher schwach, die nationalen Arbeitslosenraten ziemlich hoch, die Defizite der Staatshaushalte übertrafen in einigen Ländern mehrfach die im Euro-Stabilitätspakt festgelegte Obergrenze von 3 Prozent des BIP. Auffällig ist dabei der Unterschied zu den drei Ländern Großbritannien, Schweden und Dänemark, die außerhalb der Eurozone geblieben sind: Sie alle hatten deutlich niedrigere Arbeitslosenraten, höhere Wachstumsraten und niedrige Haushaltsdefizite (und teilweise sogar Überschüsse) vorzuweisen. Le monde diplomatique, Februar 2009, S. 5 - der gesamte, lesenswerte Artikel ist auf dem Internet zu finden, www.monde-diplomatique.de (Ist es die Währung? Zehn Jahre Euro. Eine kritische Bilanz, von Laurent Jacque).


Schlachttiertransporte – Nationalrat misstraut Bundesrat

Schlachttiertransporte auf den Strassen der EU haben einen miserablen Ruf. In der Schweiz will man sie nicht haben. Um sicherzugehen, dass solche Transporte in der Schweiz auch in Zukunft verboten bleiben, arbeitet das Parlament an einem Erlass. Verschiedene Kantone geben mit Standesinitiativen zusätzliche Schützenhilfe. Man ist sich von links bis rechts einig - mit dem unrühmlichen Thema der Tiertransporte will man nichts zu tun haben. Und deshalb ist der Transport von EU-Schlachttieren auf Schweizer Strassen auch verboten. Allerdings steht dieses Verbot in der Tierschutzverordnung, wie Marcel Falk vom Bundesamt für Veterinärwesen (BVet) ausführt, und liegt damit im Kompetenzbereich des Bundesrats. Das will das Parlament nun ändern. Es hat einer parlamentarischen Initiative der ehemaligen Zürcher SP-Nationalrätin Barbara Marty-Kälin Folge gegeben, welche das Transitverbot für Tiere, die zur Schlachtung bestimmt sind, auf Gesetzesstufe verankern will. Damit hätte das Parlament in dieser Frage die Fäden in der Hand. Es könnte dann eventuelle Änderungen beraten und über deren Annahme entscheiden. NZZ, 5. Februar 2009, S. 13


EU-Parlament fordert verschärfte Aufrüstung

Große Mehrheit der EU-Parlamentarier will stehende EU-Armee für globale Kriegseinsätze und fordert die Militarisierung des Weltraums. Am 19. Februar 09 verabschiedete das EU-Parlament mit großer Mehrheit einen Bericht, der einen weiteren Schritt in Richtung einer europäischen Militärunion darstellt Der Bericht unter Federführung von Karl von Wogau, CDU-Abgeordneter und prominenter Rüstungslobbyist, setzt sich massiv für den Ausbau der EU-Truppen ein. Das EU-Parlament fordert, „dass die Europäische Union ihre Fähigkeiten auf der Grundlage der zivilen und militärischen Planziele weiter ausbauen sollte; stellt fest, dass sie bestrebt sein sollte, eine Streitmacht von 60 000 Soldaten zur ständigen Verfügung zu haben; bekräftigt seinen Vorschlag, dass das Eurokorps den Kern dieser Streitkräfte bilden sollte, nötigenfalls verstärkt durch zusätzliche See- und Luftkapazitäten.“ (Absatz 45)

Der Bericht benennt klar, was es mit dieser Truppe zu tun gilt, nämlich, „dass die Europäische Union ihre strategische Autonomie durch eine starke und wirksame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln muss, um [...] ihre Interessen in der Welt zu vertreten.“ (Absatz 1) Diese "Interessen" werden anschließend präzisiert, unter anderem mit der „Sicherheit der Energieversorgung und der Seewege, dem Schutz ihrer Weltraumressourcen“ (Absatz 19)

Der Griff nach den Sternen, sprich der politische Wille zur Militarisierung des Weltraums, durchzieht dieses Dokument. So erachtet es der Report „als notwendig, die Nutzung von Galileo (Satellitennavigationssystem) und GMES (satellitengestütztes Erderkundungssystem) für Sicherheits- und Verteidigungszwecke zu ermöglichen.“ (Absatz 50) Das ist bemerkenswert, denn das EU-Satellitenprojekt Galileo wird aus dem EU-Haushalt unter anderem aus dem Transporthaushalt bezahlt. Nach dem weiterhin gültigen Vertrag von Nizza verbietet sich jedoch eine militärische Nutzung von Geldern des EU-Haushaltes. Auch hier wird unter Ignorierung jeglicher rechtsstaatlicher Grundsätze bereits auf den EU-Reformvertrag Bezug genommen, der erstmals einen eigenen EU-Rüstungshaushalt vorsieht.

Besonders angetan hat es EU-Parlamentariern das bislang größte EU-Rüstungsprogramm, die Eurofighter. Das EU-Parlament „unterstützt nachdrücklich erfolgreiche europäische Programme wie den Eurofighter, das Kampfflugzeug, das in den kommenden Jahrzehnten das Kernstück der Einsatzfähigkeit von fünf europäischen Luftwaffen darstellen wird; vertritt in diesem Sinne die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten solche Initiativen fördern und unterstützen sollten.“ Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit beschlossen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 zu der Europäischen Sicherheitsstrategie und die ESVP (2008/2202 (INI)), Werkstatt Frieden & Solidarität, Waltherstr. 15, A-4020 Linz, www.werkstatt.or.at; Rundbrief vom 09. April 2009.


Salz und Binnenmarkt

In Deutschland liefen im Februar 09 Bäcker, ihre Verbände und im Gefolge auch Politiker und Medien auf die Barrikaden für deutsches Brot, vor allem Vollkornbrot. Gegner ist die EU-Kommission, die festlegen will, bis zu welchem Salzgehalt ein Brot als «gesund» beworben werden darf. Der angedachte Grenzwert von maximal 1,2 Prozent Salzgehalt bezogen auf die verwendete Menge Mehl bedeutet, dass in einem Kilo Brot höchstens 8 Gramm Salz enthalten sein dürfen. Doch fast alle deutschen Brote und Brezeln enthalten deutlich mehr, nämlich 15 bis 17 Gramm.

Der Streit um den Salzgehalt sei keineswegs nur eine Frage, ob man künftig noch «frisch und gesund von Ihrem Bäcker» auf das Papier-Säckchen drucken dürfe, betonen Bäcker wie Verbandsvertreter. Vielmehr befürchte man, dass diesen Werbevorschriften demnächst Kennzeichnungsvorschriften folgten, erläutert Eberhard Groebel, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks. Schliesslich würden die EU-Behörden an der Formulierung sogenannter Nährwertprofile für jedes Lebensmittel arbeiten. Diese Nährwertprofile würden dann die Grundlage für die momentan vieldiskutierte Kennzeichnung von Lebensmitteln werden.

Im Falle des Brotes würde das bedeuten, dass künftig deutsches Vollkornbrot als «ungesund» oder «bedenklich wegen hohen Salzgehalts» ausgewiesen werden müsste. Und vor einer bayrischen Brezel mit dicken Salzkörnern obendrauf würde ein aufgeklebter roter Punkt warnen. Ausländisches Sandwich-Brot dürfte hingegen als gesund angepriesen werden, empört sich die Branche. Und dann würde der Konsument verunsichert und lieber abgepacktes Weissbrot mit dem «richtigen» Salzgehalt im Supermarkt kaufen statt des frischen Vollkornbrots. Das laufe allen Ernährungsempfehlungen sämtlicher Expertengremien zuwider, klagen die Bäcker.

Das Pikante am Kampf der EU gegen zu viel Salz im Brot ist, dass dies ein Beitrag zur Gesundheitsförderung sein soll. 2007 wurde nämlich in Brüssel die «Nationale Salz-Initiative» ins Leben gerufen. Dementsprechend soll in allen EU-Staaten der Salzverzehr innert vier Jahren um bis zu 16 Prozent gesenkt werden. Allerdings lägen, so gibt die EU selber zu, keinerlei Daten vor, wie hoch der Salzverbrauch in den einzelnen Mitgliedstaaten denn tatsächlich sei. Zudem sind sich auch Wissenschafter keineswegs einig darüber, wie viel Salz überhaupt gesundheitsschädlich ist.

Wenn man zukünftig weniger Salz in den Brotteig kneten dürfe, müsste man Geschmacksverstärker und andere Zusatzstoffe zugeben, erläuterte der Starnberger Bäcker Stephan Meier im Gespräch. Denn erstens wollten die Leute in Deutschland keine faden Brote. Zweitens würde der Teig mit weniger Salz breiter auslaufen und hätte auch eine etwas andere Konsistenz. Um also die Backeigenschaften zu erhalten, müsste der Teig chemisch stabilisiert werden. Ob das tatsächlich gesundheitsfördernd wäre, sei dahingestellt.

Bereits heute verwenden vor allem industriell arbeitende Grossbäckereien solche Zusatzstoffe. Genau diesen Betrieben würde eine EU-weit einheitlich vorgeschriebene Salzmenge im Brot also nützen, betonte Groebel. Denn diese Unternehmen könnten dann ihre Brote europaweit verkaufen, da die Produkte ja überall per Verordnung gleich schmecken sollen. Hingegen wäre der Bäcker um die Ecke gezwungen, seine Rezepturen zu verändern, und würde so vermutlich angestammte Kundschaft verlieren. NZZ, 16. Februar 2009, S. 5. Nach den besagten Protesten, auch in anderen Ländern, wurde die entsprechenden Anstrengungen der EU-Kommission bis nach den EU-Parlaments-Wahlen aufs Eis gelegt.


Die EU bangt um die Zukunft ihrer Industrien

Ohne zentralafrikanisches Coltan kein Handy, ohne südafrikanisches Rhodium kein Abgaskatalysator: Die Industrien im Norden sind auf Rohstoffe angewiesen, die vor allem im Süden liegen. Doch für sie wird die Versorgung schwieriger und teurer. Denn auch Schwellenländer brauchen zunehmend industrielle Grundstoffe und decken sich immer häufiger direkt in den Herkunftsländern ein. Das gilt besonders für China, das in Afrika massiv in Bergbau und Transportwege investiert und sich mit Krediten und Entwicklungshilfe Vorzüge für den Abbau und Export aushandelt.

Dieser Konkurrenz mochte die EU-Kommission nicht mehr tatenlos zusehen und legte Anfang November 08 ihre Gegenstrategie vor, die so genannte Rohstoff-Initiative. Damit die EU auf dem Weltmarkt gleich lange Spiesse erhalte, müsse sie eine aktive Diplomatie verfolgen und mit Afrika den Dialog intensivieren. Die freundliche Empfehlung kaschiert den Griff zum Zweihänder, um die Rohstoffländer gefügig zu machen. Sie sollen etwa vor die Welthandelsorganisation WTO gezerrt werden, wenn sie mit Exportzöllen den Zugang zu ihren Bodenschätzen erschweren. Und der Zugang zum EU-Markt soll sich für sie nur in dem Mass öffnen, wie sie selber Handelshindernisse abbauen.

Als zentralen Hebel will die Kommission die Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Wer sich im Dialog widerspenstig zeigt, dem wird mit dem Entzug der Budgethilfe auf die Sprünge geholfen. Auf diesem Weg sollen Entwicklungsländer gezwungen werden, alle Unternehmen im Rohstoffsektor gleich zu behandeln. Das hindert sie unter anderem daran, eigene Industrien aufzubauen, um ihre Bodenschätze selber zu verarbeiten - BrüsseI will sie in der Lieferantenrolle belassen, abhängig von den Launen des Weltmarktes.

Internationale NGOs wie Friends of the Earth Europe kritisieren die Strategie als aggressiven Zugriff auf fremde Ressourcen. Anstatt sich für eine Regulierung auf den Rohstoffmärkten stark zu machen, trage die EU dazu bei, dass der «Fluch der Bodenschätze» (soziale und ökologische Folgen des Abbaus) weiterhin über armen Rohstoffländern schwebe.

Das Druckpotenzial ist gross, da die EU und ihre Mitgliedstaaten die Hälfte der weltweiten Entwicklungshilfe bestreiten. Ob sie damit Erfolg haben, ist fraglich. Sicher ist hingegen, dass sie Entwicklungsziele torpedieren: längst schon ist erwiesen, dass Afrikas Entwicklung auch deshalb nur langsam vorankommt, weil die Geberländer ihre Hilfe häufig für strategische Zwecke und nicht für die Armutsbekämpfung einsetzen. Michelle Laubscher, Global, Winter 2008, S. 3

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