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 Kurzinfos März 2015EU-Agrarpolitik: Abschied von der Milchquote
Ende März 15 lief in der EU mit der Milchquoten-Regelung eines der letzten Relikte der «alten» Agrarpolitik aus. Damit sind Hoffnungen auf Exportchancen und Ängste vor dem Strukturwandel verbunden. Beschlossen worden ist der Schritt im Rahmen der EU-Agrarreform von 2003, bestätigt wurde er 2008, nun wird er vollzogen: Der erste Eingriff in den Milchmarkt bestand in den 70er Jahren darin, dass die Agrarpolitik den Bauern unabhängig von der Marktlage einen damals weit über dem Weltmarktpreis liegenden Preis garantierte, zu dem Ankäufe in öffentliche Lager erfolgten. Das Resultat waren die berüchtigten Milchseen und Butterberge Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Zum Abbau dieses strukturellen Überangebots schreckte Brüssel auch vor der Subventionierung von Exporten nicht zurück.
1984 reagierte die EU mit einer weiteren Intervention, der Einführung von Mengenbegrenzungen. Jeder Mitgliedstaat verfügt über zwei Quoten (Kontingente), eine für Lieferungen an die Molkereien und eine für Direktverkäufe im Betrieb. Diese Höchstmengen werden auf die einzelnen Produzenten aufgeteilt. Überschreitet die Produktion in einem Staat die jährliche nationale Quote, müssen die Erzeuger dieses Landes eine Strafzahlung (Superabgabe) entrichten, die ihrem Anteil an der Überschreitung entspricht.
Die Butterberge wurden damit zwar abgebaut. Ab den 1990er Jahren hat die EU ihre Agrarpolitik in mehreren Reform-Runden „marktnäher“ gestaltet. Zum wichtigsten Instrument wurden die Direktzahlungen, die der Landwirt unabhängig von der konkreten Produktion zur Stützung des Einkommens und als Entschädigung für die Bewirtschaftung des Bodens erhält. Was er produziert, soll er in Reaktion auf Marktsignale selbst entscheiden. Seit einigen Jahren hat die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten dank höherem Wohlstand in Asien und Afrika zu steigen begonnen, so dass die Quoten zu einem Hindernis bei der Wahrnehmung von Exportchancen zu werden drohten.
Schon mit der Agrarreform von 2003 hat die EU den garantierten Milchpreis schrittweise gesenkt. 2008 beschlossen die Agrarminister zur Abfederung des Systemwechsels überdies, die Milchquoten bis einschliesslich des Agrarjahres 2013/14 in fünf jährlichen Schritten um je 1% zu erhöhen. Im Gefolge haben die Exporte von Milchprodukten in den letzten fünf Jahren mengenmässig um 45% und wertmässig um 95% zugelegt. Zugleich hat sich der Milchpreis in der EU dem Weltmarktpreis angeglichen, der – wenn auch mit grossen Schwankungen – tendenziell gestiegen ist.
Ganz ohne Beistand bleiben Milchbauern auch künftig nicht. So gibt es weiterhin garantierte Preise für Butter und Magermilchpulver, die aber weit unter dem derzeitigen Marktpreis liegen und nur noch als Sicherheitsnetz dienen: Sinkt der Marktpreis unter ihr Niveau, setzen öffentliche Aufkäufe ein, was letztmals 2009 geschah. Damit werden extreme Preisschwankungen nach unten begrenzt. Zudem kann die private Lagerhaltung unterstützt werden. Weiter gibt die EU-Agrarpolitik den Mitgliedstaaten mehrere Optionen, um Milchbauern zum Beispiel in Berggebieten zusätzlich zu unterstützen.
Ferner hat die EU 2012 als Reaktion auf die Milch-Krise von 2009 ein «Milchpaket» beschlossen. Es zielt vor allem auf die Stärkung der Produzenten in der Versorgungskette, etwa durch die kollektive Aushandlung von Lieferverträgen. Gleichwohl ist mit dem Auslaufen der Quoten nicht nur die Hoffnung auf mehr Ausfuhren verbunden, sondern auch die Furcht vor Preiseinbrüchen, einem beschleunigten Strukturwandel oder gar neuer Überproduktion. So hat sich der Branchenverband European Milk Board (EMK) stets für eine Mengensteuerung starkgemacht. Ohne zusätzliche Massnahmen würden die Erzeuger nach dem Auslaufen der Quoten «in den Wogen der überschüssigen Milch untergehen», mahnte er kürzlich. Aus Sicht des EMK, zu dessen Mitgliedverbänden auch BIG-M und Uniterre aus der Schweiz gehören, ist die Schweizer Entwicklung nach der 2009 erfolgten Abschaffung der Milchkontingentierung ein abschreckendes Beispiel.
Die EMK-Position ist aber in der Branche umstritten. So erklärte der Deutsche Bauernverband, die Mengenregulierung habe ihre ursprünglichen Ziele nicht erfüllt, da der Milchpreis nicht dauerhaft stabilisiert worden sei. Er lehnt «ergebnislose Debatten über die Wiedereinführung» ab und pocht stattdessen unter anderem auf die Beibehaltung und Weiterentwicklung des erwähnten Sicherheitsnetzes. NZZ, 27. März 2915, S. 25
Europas Mauern: Zum Beispiel Calais 3419 MigrantInnen starben 2014 im Mittelmeer. Das ist die dramatische Bilanz der europäischen Politik der Abschottung der Grenzen und des Mauerbaus – von Ceuta und Melilla und der Meerenge von Gibraltar bis zum Evros-Fluss im Norden Griechenlands. Und was ist mit Frankreich? Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve besuchte am 3. November letzten Jahres Calais, um dort angesichts der «Notlage der Migranten» seine Bereitschaft zur Hilfe zu bekunden. Das sei eine «Verpflichtung des Staates». Konkret unterzeichnete er eine Vereinbarung mit der Unterpräfektur, die die Einrichtung eines Tagesaufenthaltszentrums mit 400 Plätzen erlaubt. Das Zentrum ist für die MigrantInnen gedacht, die auf eine Gelegenheit zur heimlichen Überfahrt nach England oder auf den ungewissen Ausgang ihres Asylverfahrens in Frankreich warten.
Es ist offensichtlich, dass diese ohnehin nur während des Tages geöffnete Miniatur des früheren Zentrums von Sangatte nicht ausreicht für die etwa 3000 MigrantInnen, die rund um den Hafen von Calais und in der Region zu überleben versuchen: in behelfsmässigen Lagern, in einer unvorstellbaren Enge und unter ungesunden Bedingungen – ohne fliessendes Wasser, ohne sanitäre Einrichtungen, ohne Müllabfuhr, ohne die Möglichkeit, sich ein warmes Essen zu kochen, und überhaupt ohne regelmässige Ernährung. Zur materiellen Armut kommt die seelische Not – verursacht durch die unsichere Perspektive eines risikoreichen Weges auf die andere Seite des Ärmelkanals, durch die ständigen Kontrollen der Polizei, die Ausweisungsdrohung, den von Schleppern ausgeübten Druck und die unvermeidlichen Konflikte untereinander; und natürlich durch die traumatisierenden Erfahrungen des Weges über das Mittelmeer und durch Europa, den die MigrantInnen in der Gegend um Calais hinter sich haben. Noch vor einigen Jahren kamen sie überwiegend aus Afghanistan – Vertriebene des Krieges, den die USA und ihre Verbündeten, darunter auch Frankreich, in ihrer Heimat führen. Mittlerweile kommen sie in der Mehrheit aus Eritrea, Somalia oder dem Sudan. Seit 2003 trafen auch viele IrakerInnen hier ein und seit einigen Monaten kommen viele SyrerInnen (Kriegsflüchtlinge, die von den europäischen Ländern offiziell nur tröpfchenweise eingelassen werden, während hunderttausende in den Nachbarstaaten, insbesondere im Libanon, aufgenommen werden mussten).
Die prekäre Situation der MigrantInnen in und um Calais hat eine längere Geschichte. Einige besonders zerstörerische Momente erinnern fatal an das Vorgehen der Behörden gegen die Roma: Im Dezember 2002 liess der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy das Aufnahmezentrum des Roten Kreuzes in Sangatte schliessen. Im September 2009 wurde auf Anordnung Eric Bessons, des Ministers für «Einwanderung und nationale Identität», der «Dschungel» geräumt, ein Lager in einer bewaldeten Zone in der Nähe des Hafens. 2014 folgten weitere Räumungen: Am 28. Mai vergangenen Jahres zerstörte die Polizei zwei Camps in der Nähe von Calais – unter dem Vorwand der Bekämpfung einer Krätze-Epidemie. Am 2. Juli ging sie gegen die MigrantInnen vor, die sich unter miserablen Bedingungen rund um die Zone niedergelassen hatten, wo Hilfsorganisationen Essen verteilen. Die Männer wurden noch am gleichen Tag in Ausschaffungshaftzentren (Centres de rétention administrative, CRA) verbracht, die Frauen in kaum geeignete Heime in der Umgegend. Am 22. August schlug die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart von der UMP, vor, ein Aufnahmezentrum mit 400 Plätzen ausserhalb von Calais einzurichten. Der sozialistische Innenminister lehnte das zunächst ab.
Tatsächlich ist dieses Zentrum nur der untaugliche Versuch, den humanitären Anschein zu wahren. Am 20. September letzten Jahres erhielt Innenminister Cazeneuve überdies die Zusage seiner britischen Amtskollegin Teresa May über einen Betrag von 15 Millionen Euro, den das Vereinigte Königreich in den kommenden drei Jahren an den Bau und die Kontrolle von Sicherheitszäunen zahlt, die jeglichen Zugang der MigrantInnen zum Hafen von Calais unterbinden sollen.
Drei Tage nach seinem Calais-Besuch im November 2014 traf sich Cazeneuve in Paris mit den Innenministern der G6, einer Art justiz- und polizeipolitischem «Kerneuropa », dem Frankreich, Deutschland, Spanien, Polen, Italien und Grossbritannien angehören. An der Konferenz, die sich mit Fragen des Terrorismus und der Migrationsströme – eine zweifelhafte Kombination – befasste, nahmen auch VertreterInnen der USA, Kanadas, der Türkei sowie der für Inneres zuständige EU-Kommissar teil. Cazeneuve begrüsste den Übergang von der Operation «Mare Nostrum», bei der die italienische Marine über Monate hinweg in Seenot geratene Flüchtlinge gerettet hatte, zur Frontex- Aktion «Triton». Er unterstützte damit eine erneute Grossoperation, bei der es vor allem um die polizeiliche Kontrolle und die Abschottung der südlichen Aussengrenzen der EU geht. Bulletin Solidarité sans fronitères, März 2015, S. 2.
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Juncker fordert EU-Armee EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für die Gründung einer gemeinsamen Armee in der EU ausgesprochen. Mit einer solchen könne „Europa“ glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland oder in einem Nachbarland der Europäischen Union reagieren.
Das sagte Juncker der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag". Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt hob er hervor, eine gemeinsame Armee der Europäer würde auch "Russland den Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Werte der Europäischen Union".
Die europäische Armee solle keine Konkurrenz zur NATO sein, sondern Europa stärken, sagte Juncker weiter. Eine intensive Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei der Entwicklung und beim Kauf von militärischem Gerät werde auch "erhebliche Einsparungen bringen".
Der Vorstoss des ehemaligen luxemburgischen Premierministers erhielt Unterstützung: "Eine gemeinsame europäische Armee ist eine europäische Vision, deren Zeit gekommen ist", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, der "WamS".
Die EU-Europäer gäben zusammen im Vergleich zu Russland ein Vielfaches für das Militär aus, doch die Fähigkeiten der "nationalen Kleinarmeen" blieben sicherheitspolitisch unzureichend. Im Interesse der europäischen Sicherheit, die durch die hegemoniale Politik Russlands verletzt werde, müsse dieser Anachronismus überwunden werden, forderte Röttgen.
Auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wirbt für die Zukunftsvision einer europäischen Armee. Sie sei allerdings nicht kurzfristig zu erreichen, betonte sie im Februar. Aber so wie sie überzeugt davon sei, dass "vielleicht nicht meine Kinder, aber dann meine Enkelkinder die Vereinigten Staaten von Europa haben werden", so sei sie vom Ziel der europäischen Streitkräfte überzeugt.
Der Zeitung zufolge will der frühere EU-Aussenbeauftragte und NATO-Generalsekretär Javier Solana am Montag in Brüssel die Ergebnisse einer internationalen Expertengruppe vorstellen. Das dem Blatt vorliegende Papier mit dem Titel "More Union in European Defence" empfiehlt demnach eine neue europäische Sicherheitsstrategie, eine "politische und militärische Fähigkeit zur Durchführung autonomer Interventionsoperationen ausserhalb der europäischen Grenzen" sowie die Einrichtung eines militärischen EU-Hauptquartiers in Brüssel. Handelszeitung, 08. März 2015.
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EU-Gelder fließen in falsche Kanäle – ohne Folgen „Weggucken ist nicht die Lösung“, ärgert sich Inge Grässle. Die deutsche EU-Abgeordnete (CDU) kämpft als Leiterin des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament für Sauberkeit und Transparenz bei der Vergabe von EU-Förderungen. In ihrem Entlastungsbericht zur EU-Kommission für das Budget 2013 führt sie erneut zahlreiche Ungereimtheiten auf. Doch die Kommissionsführung, davon zeigt sie sich im Gespräch mit der „Presse“ überzeugt, werde erneut versuchen, die Probleme kleinzureden. Die EU-eigene Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf, so Grässle, arbeite ineffizient und werde von den Verantwortlichen in der EU-Kommission gedeckt. „Eigentlich müsste Olaf gegen sich selbst ermitteln.“
Die Vorwürfe wiegen schwer. Grässle führt in ihrem Bericht zahlreiche Fälle an, die eigentlich Konsequenzen haben müssten. So werden EU-Hilfen an Projekte überwiesen, die es in der angegebenen Größe nicht gibt. Als extremstes Beispiel nennt die Abgeordnete den Fall der International Managementgroup (IMG). Die Organisation, die regelmäßig EU-Gelder erhielt, setzt nach eigenen Angaben Hilfsprojekte in Krisenländern um. Doch laut Olaf-Ermittlungen, über die der „Spiegel“ berichtete, existiert die Organisation gar nicht als juristische Person. Es gebe „Anzeichen von Betrug und Geldwäsche“, so die Ermittler.
Laut Grässle ist das kein Einzelfall. Einige Mitgliedstaaten nehmen es bei den von ihnen verteilten EU-Geldern mit der Kontrolle nicht sehr ernst. Geht es um Hilfen für die Landwirtschaft, für Regional- oder etwa Sozialprojekte, so werde die EU-Kommission nachträglich fehlerhaft über die Geldflüsse informiert. „Seit Jahren weisen unter anderem das Vereinigte Königreich, Griechenland und Spanien schlechte und zudem nachweislich inkorrekte oder falsche Angaben auf – ohne Folgen“, kritisiert Grässle.
Der Verdacht steht im Raum, dass EU-Gelder zu einem beträchtlichen Teil nicht dort ankommen, wo sie vorgesehen waren. Im Bericht zum Haushalt 2013 verweist die Abgeordnete auf „941 Finanzinstrumente“, über die EU-geförderte Regionalprojekte in den Mitgliedstaaten abgewickelt werden. Laut Grässle flossen zwar 14,3 Milliarden Euro an diese Finanzinstrumente, doch lediglich 47 Prozent der Gelder erreichten die vorgesehenen Endempfänger. Dazu kommt, dass Projekte finanziert wurden, die für die Bevölkerung keine Verbesserung brachten. Als Beispiel nennt die Abgeordnete die Privatisierung der Wasserversorgung in Skorkov (Tschechien). Die Versorgung von 267 Häusern wurde mit 1,1 Millionen Euro von der EU mitfinanziert. In Folge wurde der Preis für Trinkwasser aber um 45 Prozent erhöht. Durch die hohe Gebühr sind viele Einwohner erneut auf ihren eigenen Brunnen angewiesen.
Ähnlich ist die Lage bei der Hilfe für Roma. Sie wurde zwar von der EU-Kommission öffentlichkeitswirksam angekündigt. Doch die dafür vorgesehenen Gelder werden von den betroffenen Mitgliedstaaten ohne effiziente Kontrolle verteilt. „Die für die Integration von Roma verfügbaren Mittel werden nicht immer für diesen Zweck verwendet“, kritisiert Grässle in ihrem Bericht.
Um solche Entwicklungen künftig zu vermeiden, fordert Grässle die rasche Einführung von Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, die über die Verwendung von EU-Geldern falsch informieren. Die Presse, 25. März 2015
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