EuGH öffnet Tür für Vorratsdatenspeicherung Mit seinem Urteil von Ende April 2024 hat der Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Tür für die Vorratsdatenspeicherung weit aufgemacht. Das verdachtsunabhängige Protokollieren von IP-Adressen zur Verfolgung selbst minderschwerer Straftaten ohne Richtergenehmigung wurde von den Richtern in Straßburg für rechtlich zulässig erklärt.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 30.4.2024 erweitert den Spielraum für die Vorratsdatenspeicherung, also das anlasslose Sammeln und Speichern personenbezogener Daten. Ohne konkreten Verdacht auf strafbare Handlungen können bei Telekommunikationsvorgängen anfallende Verbindungsdaten vorsorglich aufbewahrt. Sie enthalten exakte Informationen, wer, wann, wo und wie lange mit wem kommuniziert hat. Auf dieser Basis erstellte Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile haben oft mehr Aussagekraft über das Leben von Menschen als die eigentlichen Inhalte ihrer Kommunikation.
Das Urteil beruht auf einem Fall, in dem in Frankreich Urheberrechtsverletzungen durch das illegale Teilen von Musik- und Filmdateien (Filesharing) begangen wurden. Zur Identifizierung der Straftäter griffen die zuständige französische Behörde auf Informationen aus der Vorratsdatenspeicherung zurück. Die Ermächtigung hierzu hatte zuvor die französische Regierung erteilt. Hiergegen reichten mehrere Bürgerrechtsorganisationen Beschwerde ein. Infolgedessen wandte sich der französische Staatsrat an den EuGH.
„Kopernikanische Wende“
Die ISPA, der Dachverband der österreichischen Internetwirtschaft, zeigt sich von der Entscheidung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung alarmiert: „Der EuGH hat hier eine unerwartete und unverständliche Kehrtwende hingelegt“, sagt Stefan Ebenberger, der Generalsekretär der ISPA. „Nach mehreren Grundsatzurteilen, dass die anlasslose Speicherung von IP-Adressen einer Massenüberwachung gleichkommt und damit unzulässig ist, soll diese plötzlich doch grundrechtskonform sein.“ (1) Philipp Hacker, Professor für Recht und Ethik der digitalen Gesellschaft in Frankfurt (Oder) sieht in dem Richterspruch gar eine „kopernikanische Wende des EuGH im Bereich der Datenspeicherung". (2)
Militarisierung nach außen und innen
Diese „kopernikanische Wende“ erfolgt freilich nicht zufällig. Die Europäische Union sieht sich selbst auf eine „Quantensprung“ in Richtung militärische Supermacht. Diese Militarisierung nach außen wird zunehmend ergänzt durch die Militarisierung nach innen durch Ausbau des Überwachungsstaates. In Deutschland hat die „Zeitenwende“-Regierung das EUGH-Urteil gleich als Steilvorlage benutzt, einen neuen Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung zu lancieren. Die SPD-Fraktion spricht sich in einem Papier für eine "ergebnisoffene" Prüfung einer "verhältnismäßigen und den Vorgaben des EuGH entsprechenden" Speicherung von IP-Adressen aus (3).
Wir müssen die Demokratie nicht nur gegen die extreme Rechte, sondern auch gegen die Macht des Überwachungs-Industrie-Komplexes verteidigen, der die demokratischen Grund- und Freiheitsrechte immer mehr durch digitale Bespitzelung und Kontrolle aushöhlt. Herbst, 2024 Solidarwerkstatt Linz, rundbrief@solidarwerkstatt.at vom 29. September 2024
Quellen:
• https://www.ispa.at/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailansicht/presseansicht/detail/2024-05-14/ispa-alarmiert-von-eugh-urteil-zur-vorratsdatenspeicherung
• https://www.heise.de/news/Vorratsdatenspeicherung-Forscher-erkennen-kopernikanische-Wende-beim-EuGH-9708717.html
• Telepolis, 7.9.2024
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Lobbyisten und rechtsextreme Verbindungen: Umstrittene Figuren unter den neuen EU-Kommissionskandidaten Nach Ungewissheit und Verzögerungen hat die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die Liste der Kandidaten für die neue Kommission den Mitgliedern des EU-Parlaments bekannt gegeben. Corporate European Observary (CEO), eine Lobbykritische NGO, hat die Lebensläufe der designierten Kommissare geprüft und sind auf Fälle von Interessenkonflikten und rechtsextremen Verbindungen gestoßen, die Anlass zur Sorge geben.
Die EU-Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wer die neuen Kommissare sind, die in ihrem Namen wichtige Entscheidungen treffen werden. Sie verdienen eine Kommission, die im Interesse der Menschen und der Umwelt in der EU handelt und nicht im Interesse europäischer Konzerne.
Maria Luís Albuquerque (Portugal) – Finanzdienstleistungen, Sparen und Investitionen. Unmittelbar nach ihrem Amt als Finanzministerin sprang sie auf den Zug des im Vereinigten Königreich ansässigen Schuldeneintreibers Arrow Global auf, der 300 Millionen Euro an uneinbringlichen Forderungen der [portugiesischen Finanzdienstleistungsgruppe] Banif abwickelte.
Jozef Síkela (Tschechische Republik) - Internationale Partnerschaften: Bei der Erste Group, einem der größten Finanzdienstleister in Mittel- und Osteuropa, war er für Corporate und Investment Banking, Fusionen und Übernahmen, Immobilienfinanzierung, Handelsfinanzierung, Finanzmärkte und makroökonomische Analysen zuständig.
Wopke Hoekstra (Niederlande) - Klima, Netto-Null und sauberes Wachstum: Er sah sich 2023 mit einer parlamentarischen Untersuchung konfrontiert, weil er angeblich die Öl- und Gasexploration in den Niederlanden zu seinem persönlichen finanziellen Vorteil gefördert hatte. Seine Karriere war von Interessenkonflikten geprägt, darunter seine Rolle als niederländischer Senator, während er mit McKinsey zusammenarbeitete, und er wurde in den Pandora Papers wegen Offshore-Geschäften genannt. Sein Widerstand gegen die finanzielle Unterstützung während der COVID-19 hat auch die Beziehungen zu südeuropäischen Politikern belastet und Bedenken hinsichtlich seiner mangelnden Solidarität geweckt.
Ekaterina Zaharieva (Bulgarien) - Startups, Forschung und Innovation: Im Jahr 2018 wurde sie von einem ehemaligen Mitarbeiter, der zum Whistleblower wurde, beschuldigt, einen „Bargeld-für-Pässe“-Betrug betrieben zu haben, bei dem sie Pässe an Ausländer verkaufte und ihnen visafreies Reisen in der Europäischen Union gewährte.
Marta Kos (Slowenien) – EU-Erweiterung: Sie arbeitet als Senior Adviser bei Kreab, einer der größten Lobbying-Beratungsfirmen für Großunternehmen. Zu den Firmenkunden von Kreab gehören Amazon, Google und BP, aber auch Banken und Chemieunternehmen. Sie ist auch mit Henri Getaz, dem Generalsekretär der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), verheiratet.
Rechtsextreme Zugehörigkeit:
Apostolos Tzitzikostas (Griechenland) - Nachhaltiger Verkehr und Tourismus: Nach seiner Wahl im Jahr 2013 lud er Vertreter der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte zu einer jährlichen Parade ein und verglich die faschistische Partei mit der sozialistischen PASOK. Im Jahr 2016 verpasste er absichtlich die Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Thessaloniki und dem UNHCR zur Verbesserung der Bedingungen für Asylsuchende.
Raffaele Fitto (Italien) - Kohäsion und Reformen: Im Laufe der Jahre hat Fitto die Partei gewechselt (und ist weiter nach rechts gerückt), bis er schließlich bei Melonis rechtsextremen Fratelli d’Italia (FdI) landete. Er war in mehrere Prozesse wegen Bestechung und Korruption verwickelt. Er wurde zu fünf Jahren Amtsenthebung und einem Jahr Haft verurteilt, später jedoch von allen Vorwürfen freigesprochen. Während seiner Amtszeit als Präsident der Region Apulien wurde Fitto außerdem beschuldigt, einen Leerverkauf der Handelsgesellschaft Cedis eingefädelt zu haben, wurde aber später freigesprochen.
Olivér Várhelyi (Ungarn) - Gesundheit und Tierschutz: Er ist in Brüssel umstritten, insbesondere wegen seiner Positionen zu Israel/Palästina, Serbien und Georgien. Der Mann von Orbán ist der derzeitige Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung. 17. September 2024, https://corporateeurope.org/en/2024/09/revolving-doors-and-far-right-ties
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Draghi-Bericht Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi wurde im Jahr 2023 von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gebeten, eine Studie darüber zu erstellen, wie die EU-Industrie ihre Vorteile auf der Weltbühne wiedererlangen kann. Der Bericht mit dem Titel „Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ fordert einen Freibrief für Militärausgaben. Er fordert, dass die Verteidigungsindustrie der EU keine Beschränkungen beim Zugang zu EU-Mitteln - 800 Milliarden Euro pro Jahr - haben sollte und dass Fusionen erlaubt werden sollten, um „nationale Champions“ zu schaffen. In einer 328-seitigen Analyse mit Empfehlungen unterstützt Draghi das langfristige Programm für die europäische Verteidigungsindustrie (EDIP), das die EU-Kommission im Frühjahr 24 vorgeschlagen hat, um die Industrie der EU für den Krieg fit zu machen. In dem Bericht heißt es: „Die verteidigungsindustrielle Basis der EU steht vor strukturellen Herausforderungen in Bezug auf Kapazität, Know-how und technologischen Vorsprung. Infolgedessen kann die EU nicht mit ihren globalen Konkurrenten Schritt halten“, vor allem im Bereich des Waffenhandels und der Kriegsführung. Der Bericht fordert Brüssel auf, Mittel freizugeben, indem es die Darlehenspolitik der EIB und die Regeln des EU-Rahmens für nachhaltige Finanzierungen so ändert, dass militärische Investitionen möglich sind.
Die wichtigste Empfehlung des Berichts lautet, dass die EU-Mitgliedstaaten einer gemeinsame Kreditaufnahme und einer gemeinsamen Verschuldung für gemeinsame militärische Infrastrukturen zustimmen müssen. Indem man die Mitgliedstaaten daran hindert, ein Veto gegen entsprechende Programme einzulegen, wird sichergestellt, dass der diese ordnungsgemäß finanziert werden und „ dass einzelne Mitglieder die Maßnahmen nicht verzögern oder verwässern“ können. Siehe Abbildung 4 Seite 168 für Empfehlungen zur „Verteidigung“. „Eurobonds“, gemeinsame Anleiheprogramme, wurden bisher von Ländern wie Irland unterstützt, stießen aber bei Ländern wie Deutschland auf Widerstand. Es ist jedoch unklar, wie sich die Blockierung von Vetos für solche Programme auswirken würde oder ob die EU-Verträge dafür geändert werden müssten. Dies würde ein Referendum in Irland erforderlich machen. Der Draghi-Bericht enthält zwar nur Empfehlungen, aber aus der Erfahrung mit früheren „Berichten“ wird die Kommission wahrscheinlich viel davon übernehmen, da sie perfekt zu den bereits bestehenden Plänen und Programmen passen, wie z.B. der Europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie (EDIS) und dem Europäischen Verteidigungsinvestitionsprogramm (EDIP). Es soll ein militärisch-industrieller Komplex der EU entstehen!
Kurz- und Langform des Berichtes unter: https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en Peoples Movement, EU-critical News and Views, No.267: 11. September 2024.
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Die EU und Agrarkonzerne Im Sommer 24 erhielt die Fusion zwischen den beiden Agrarkonzernen Bunge, Kanadas größtem Getreideunternehmen, und Viterra trotz der Proteste der Landwirte und der steigenden Lebensmittelpreise grünes Licht von der EU-Kommission. Das Schicksal der Landwirte in der EU hat den Verlauf der EU-Politik stark beeinflusst: Die EU-Wahlen, die Positionierung der Europäischen Volkspartei (EVP) von Ursula von der Leyen gegen alles Nachhaltige und Grüne und gegen große Teile des EU-Green-Deals.
Bunge, COFCO, Cargill und Louis Dreyfuss: Sie kontrollieren 70 bis 90 Prozent des weltweiten Getreidehandels. Wie in der EU-Verordnung 139/2004 verankert, sollen sie den Wettbewerb im Binnenmarkt nicht einschränken. Es hat sich gezeigt, dass Megafusionen ebenso wie internationale Freihandelsabkommen tiefgreifende und langfristige Auswirkungen auf Verbraucher und Landwirte und deren Lebensgrundlage haben.
Kürzlich hat die Kommission einen Bericht veröffentlicht, in dem sie einräumt, dass die Marktkonzentration in den letzten 25 Jahren stark zugenommen hat. Dieser Deal ist in seinem Ausmaß im globalen Agrarsektor beispiellos und wird zu einer weiteren Beschleunigung der Konzentration auf Märkten führen, auf denen die wirtschaftliche Macht bereits sehr konzentriert ist.
Die Europäische Koordination Via Campesina, eine Dachorganisation, die kleine und mittlere europäische Landwirte vertritt, stellt fest, dass „die zunehmende Marktdominanz es ermöglichen wird, kleinere Wettbewerber, die derzeit auf dem EU-Markt tätig sind, auszuschalten, wodurch die Auswahlmöglichkeiten auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette eingeschränkt werden“.
Lebensmittelhändler wie Bunge haben die Macht, die Preise von Lebensmitteln weltweit zu beeinflussen. Forscher erklärten dies in einer kürzlich veröffentlichten Studie als „Verkäuferinflation“. Da das Kartell über mehr interne Informationen über die globalen Agrarmärkte verfügt als die Staaten, wird es eine entscheidende Rolle bei der Finanzialisierung der Lebensmittelmärkte spielen.
Im Jahr 2022 ging etwa jeder zehnte Mensch hungrig zu Bett, und die absolute Zahl der Hungernden stieg um 40 Millionen Menschen. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren die Hauptursachen für diesen Anstieg Konflikte, die damit verbundene Unterbrechung der globalen Lebensmittelversorgungsketten und Lebensmittelpreisschocks. Der gleiche Zeitraum war für die Agrarrohstoffhändler das profitabelste Jahr in ihrer Geschichte: 2021 stiegen die Nettogewinne aller fünf großen Agrarrohstoffhändler zwischen 75 und 260 Prozent.
Die zunehmende Marktkonzentration im Lebensmittelsektor wird die demokratische Einflussnahme weiter erschweren. Das Europäische Parlament hat bereits im Januar 2024 seine Besorgnis über die Konzentration in der Lebensmittelversorgungskette zum Ausdruck gebracht. Nach dem Abnicken der Fusion durch die EU-Kommission ist es an der Zeit zu handeln. Die Kampagne gegen TTIP war ein Erfolg. Man darf Big Agri und seinen Unterstützern in der EU nicht erlauben, dass wir an Kartelle gebunden werden, die unweigerlich nur mehr Elend und Verarmung schaffen, aber die Profite für einige wenige steigern. https://thepeoplesnews.home.blog/2024/09/11/the-eu-sides-with-agri-giants/ The People’s News, 11. September 2024.
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