EU-Wettbewerbskompass: Deregulierung statt robuster Klimaschutz Um die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA und China zu stärken, hat die EU-Kommission einen Wettbewerbsfähigkeitskompass veröffentlicht. Dabei setzt sie auf Deregulierung und vereinfachte Regeln. Umweltverbände warnen, die geplanten Maßnahmen könnten wichtige Umwelt- und Sozialstandards aushöhlen und langfristig den Fortschritt beim Klimaschutz gefährden.
Die EU-Kommission hat ihren Wettbewerbsfähigkeitskompass vorgestellt. Mit ihm will sie Europas Wirtschaft fit machen für den globalen Wettbewerb mit den USA und China. Der Kompass soll die strategischen wirtschaftspolitischen Prioritäten der EU definieren und die Grundlage für die Koordinierung der Mitgliedstaaten schaffen.
Der Kompass setzt dabei auf drei zentrale Säulen:
1. Innovationsförderung: Die EU will die Innovationslücke schließen und bessere Rahmenbedingungen für Start-ups und skalierende Unternehmen schaffen.
2. Dekarbonisierung und Schutz strategischer Industrien: Hierzu gehören der Ausbau erneuerbarer Energien, der Clean Industrial Deal und die Überprüfung des Beihilferechts, um klimafreundliche Investitionen zu fördern.
3. Versorgungssicherheit: Gemeinsame Beschaffung kritischer Rohstoffe und eine Union Preparedness Strategy sollen die Abhängigkeit von Drittstaaten reduzieren.
Der Wettbewerbsfähigkeitskompass ergänzt die drei Säulen durch horizontale Maßnahmen, die alle Sektoren der Wirtschaft betreffen und die Voraussetzungen für die Umsetzung der Ziele schaffen sollen, zum Beispiel durch den Abbau bürokratischer Hürden, die bessere Koordinierung der Mitgliedstaaten bei wirtschaftspolitischen Projekten, die Stärkung des Binnenmarktes, gezielte Finanzierungsstrategien für saubere Technologien und Investitionen sowie Programme zur Qualifizierung der Arbeitskräfte im Bereich digitaler und nachhaltiger Berufe.
Reaktionen: „Eine Lizenz für Unternehmen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen”
Der Kompass stößt bei Umweltorganisationen allerdings auf scharfe Kritik. Sie fürchten insbesondere durch die geplante Deregulierung eine Gefahr für essenzielle Umwelt- und Sozialstandards und warnen, dass zentrale Elemente des Green Deals schrittweise ausgehöhlt werden könnten. So betont die EU-Kommission beispielsweise, dass Regulierung „verhältnismäßig, stabil, kohärent und technologieneutral“ sein muss. Während Technologieoffenheit in bestimmten Bereichen Innovation fördern kann, birgt sie das Risiko, Ressourcen in ineffiziente oder umstrittene Technologien zu lenken. Ohne klare Priorisierung bewährter Lösungen wie erneuerbare Energien oder Energieeffizienz besteht die Gefahr, dass öffentliche Gelder in teure, aber weniger nachhaltige Projekte wie CCS (Carbon Capture and Storage) oder Wasserstoffprojekte fließen. Immerhin: Die verstärkte Betonung der Elektrifizierung und des Ausbaus erneuerbarer Energien gilt als begrüßenswert: „Die EU muss die Energiewende beschleunigen und die Elektrifizierung fördern“ steht im Dokument. Damit erkennt die Kommission an, dass saubere Technologien eine Schlüsselrolle für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit spielen und plant eine bessere Koordinierung der Mitgliedstaaten bei gemeinsamen energiepolitischen Projekten. Diese Zusammenarbeit könnte den Ausbau grenzüberschreitender Energieinfrastruktur erleichtern und wichtige Synergien in der Industriepolitik schaffen. Dennoch mahnen Umweltverbände: die Priorisierung von Deregulierung, offene Finanzierungsfragen und die betonte Technologieoffenheit können langfristig den Klimaschutz schwächen. Positiv herauszuschreichen ist, dass im Vergleich zur geleakten Version der Kompass an einigen Stellen nachgebessert wird. So etwa die explizite Erwähnung des Klimaziel für 2040 von minus 90 Prozent, die im Leak noch fehlte. Dieses Ziel bekräftigt das langfristige Ziel der Dekarbonisierung Europas und verdeutlichen zugleich die Position der EU-Kommission, dass dieser Prozess eine treibende Kraft für wirtschaftliches Wachstum sein wird.
Denn insbesondere das Omnibus-Paket (oder Omnibus-Verordnung), die geplante Rechtsinitiative zur Vereinfachung bestehender Regulierungen und zur Reduzierung von Berichtspflichten für Unternehmen, könnte zentrale Vorschriften wie die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) untergraben. Umweltverbände sehen die Gefahren, dass dadurch essenzielle Umwelt- und Sozialstandards geschwächt werden könnten: „Das ist eine Lizenz für Unternehmen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen, während die EU ihre eigenen sozialen und ökologischen Standards opfert“, so das Corporate Europe Observatory (CEO) in einer Pressemitteilung. Weitere Sektoren sollen folgen, was das Risiko erhöht, dass zentrale Elemente des Green Deals schrittweise ausgehöhlt werden.
Alle neuen Gesetzespakete und Strategien, wie beispielsweise der Clean Industrial Deal, sollten auf den in der letzten Legislatur geschaffenen umwelt- und klimapolitischen Grundlagen fußen.
Green Deal droht an Bedeutung zu verlieren
Bedenklich ist auch fehlende direkte Bezugnahme auf den Green Deal als strategisches Leitbild. Zwar werden die Klimaziele für 2040 und 2050 aufgeführt, doch der Green Deal selbst findet lediglich indirekt Erwähnung. Dies überrascht, da die ursprüngliche Rhetorik der Kommission, dass der Clean Industrial Deal eine Fortführung des Green Deals sei, in der aktuellen Version nicht mehr reflektiert wird. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Green Deal an Bedeutung verloren hat, was langfristig die Verlässlichkeit der EU-Klimapolitik gefährden könnte. „Im Vordergrund des Wettbewerbskompass steht die Entbürokratisierung, Klimaschutz spielt eine zweitrangige Rolle”, fasst Christina Stoldt, Referentin für deutsche und europäische Industriepolitik beim Deutschen Naturschutzring, den Wettbewerbskompass zusammen. Doch eine wettbewerbsfähige Wirtschaft werde ohne ambitionierten Klimaschutz nicht möglich sein, mahnt sie. Diese Realität müsse auch die Kommission anerkennen und dafür sorgen, dass die Integrität des Green Deals weiterhin gewahrt bleibt. „Alle neuen Gesetzespakete und Strategien, wie beispielsweise der Clean Industrial Deal, sollten auf den in der letzten Legislatur geschaffenen umwelt- und klimapolitischen Grundlagen fußen,” fordert Stoldt.
Ein weitere zentrales Problem bleibt die Finanzierung. Zwischen dem Ende der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) 2026 und dem Start des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) ab 2028 klafft eine Finanzierungslücke, die dringend geschlossen werden muss. Die Kommission hat bisher nicht klargestellt, wie diese Lücke überbrückt werden soll. Wichtige Fragen zur gemeinsamen Schuldenaufnahme oder alternativen Finanzierungsmechanismen bleiben offen. Ohne eine solide finanzielle Grundlage könnten ambitionierte Projekte ins Stocken geraten und die Transformation der europäischen Industrie gefährdet werden. „Ein Kompass ist nur nützlich, wenn er richtig kalibriert ist und das richtige Ziel anzeigt“, sagte Greg Van Elsen, Policy Lead für den Clean Industrial Deal. „Wenn die EU in der Net-Zero-Industrie führend bleiben will, braucht sie klare Investitionspläne, ambitionierte Klimaziele und keine blinde Deregulierung“, so Greg Van Elsen, Policy Lead zum Clean Industrial Deal bei CAN Europe.
EEB: „Es gibt keinen wirtschaftlichen Wettbewerb auf einem toten Planeten"
Auch die Absicht der Kommission, gegen sogenanntes Gold Plating vorzugehen, also nationale Regelungen zu begrenzen, die über die EU-Vorgaben hinausgehen, gilt als problematisch. Der Versuch, nationale Ambitionen zu reduzieren, könnte besonders im Bereich des Klimaschutzes hinderlich sein, da einzelne Mitgliedstaaten, die über die EU-Mindeststandards hinausgehen, ausgebremst werden könnten, meint Christian Schaible, Policy Manager für Zero Pollution Industry beim Europäischen Umweltbüro (EEB).
„Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit macht einen grundlegenden Fehler, indem er den grünen Wandel in der EU als Widerspruch zum Wirtschaftswachstum darstellt“, sagte Ester Asin, Direktorin des European Policy Office des WWF. Er priorisiere Deregulierung über Klimaschutzmaßnahmen, gefährde Investitionen in saubere Technologien und schaffe Verunsicherungen bei Unternehmen. Ohne Kurskorrektur drohe Europa, weiter im globalen Wettlauf um grüne Innovationen zurückzufallen. Der WWF fordert die Kommission auf, sich auf bewährte, nachhaltige Technologien wie Wind- und Solarenergie, Batterien und erneuerbaren Wasserstoff zu konzentrieren, anstatt Gelder durch technologieoffene Ansätze in unbewiesene Lösungen zu lenken. Außerdem müsse die EU sicherstellen, dass öffentliche Mittel gezielt soziale und ökologische Vorteile schaffen, anstatt großen Unternehmen ohne klare Bedingungen zugutekommen. [ks] EU-News | 30. Januar 2025, https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/eu-wettbewerbskompass-deregulierung-statt-robuster-klimaschutz
Europäische Kommission - Kompass für Wettbewerbsfähigkeit:
https://commission.europa.eu/document/download/10017eb1-4722-4333-add2-e0ed18105a34_en
Competitiveness Compass - Leak (PDF):
https://table.media/wp-content/uploads/2025/01/24120250/COM-Competititiveness-Compass-23-January.pdf
Table.Media - Kompass für Wettbewerbsfähigkeit: Wie die Kommission die Wirtschaft fit machen will (Paywall):
https://table.media/europe/analyse/kompass-fuer-wettbewerbsfaehigkeit-wie-die-kommission-die-wirtschaft-fit-machen-will/
EEB - Pressemitteilung vom 29.01.2025: https://eeb.org/competitiveness-compass/
CAN Europe - Pressemitteilung vom 29.01.2025: https://caneurope.org/competitiveness-compass/: https://caneurope.org/competitiveness-compass/
WWF - Pressemitteilung vom 29.01.2025: https://www.wwf.eu/wwf_news/media_centre/?16739941/pr-competitiveness-compass
CEO - Pressemitteilung vom 29.01.2025: https://corporateeurope.org/en/2025/01/deregulation-watch
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EU-Verträge: Alle Kantone sollen mit einer Stimme sprechen, doch nicht alle wollen Das EU-Vertragspaket sorgt für föderalistische Unruhe. Die Konferenz der Kantonsregierungen möchte die Vernehmlassung zentralisieren. Doch das wird nicht überall goutiert.
Wer sich für die «Bilateralen III» beziehungsweise für den «EU-Unterwerfungsvertrag» interessiert, dem dürfte es im Sommer nicht langweilig werden. Der Bundesrat wird voraussichtlich vor der Sommerpause die Vernehmlassung zu dem Geschäft eröffnen. Dabei geht es vorab um das Vertragspaket selbst, daneben aber auch um die Gesetzesanpassungen, die durch die Übernahme von EU-Recht notwendig werden, und um die flankierenden Massnahmen vor allem im Bereich des Lohnschutzes. Klar ist: Es handelt sich um ein ausserordentlich umfangreiches Geschäft, die Rede ist von 1400 Seiten, die in die Vernehmlassung geschickt werden. Und das während der Sommerferien.
Der SVP gefällt dieses Vorgehen gar nicht. Es handle sich um eine «Husch-husch-Vernehmlassung», die es verunmögliche, das Vorhaben seriös zu prüfen, kritisiert sie. Das sei eine undemokratische Trickserei. In der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates stellten die Vertreter der Volkspartei den Antrag, die Frist von drei auf sechs Monate zu verlängern, fanden damit aber bei den anderen Parteien kein Gehör.
Bleibt die Frage, wie ernsthaft und intensiv sich die Kantone, die Parteien, die Verbände und andere interessierte Kreise mit dem Vertragspaket und den Gesetzesentwürfen in lediglich drei Monaten auseinandersetzen können. Das Tempo ist angesichts der Komplexität der Vorlagen und deren Masse auf jeden Fall sehr sportlich.
18 Kantone machen die Mehrheitsmeinung
Innerhalb der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) weiss man bereits, wie man vorgehen will: Die Vernehmlassung soll schlank und straff gehalten werden. So ist geplant, dass die Kantone eine einzige, gemeinsame Stellungnahme zuhanden des Bundesrats einreichen. Die Kantonsregierungen sollen ihre jeweiligen Positionen lediglich der KdK-Zentrale melden. Möglicherweise wird das KdK-Sekretariat eine Mustervorlage ausarbeiten, um ihnen die Aufgabe zu erleichtern. Die Rückmeldungen der 26 Kantonsregierungen sollen dann, so die Absicht, von der KdK-Zentrale zu einer einzigen Stellungnahme zusammengeschmiedet werden.
Gemäss den Statuten der KdK reicht es, wenn 18 Kantonsregierungen einer Stellungnahme zustimmen. Dies ist das notwendige Quorum, damit die KdK gegenüber dem Bund offiziell im Namen «der Kantonsregierungen» sprechen kann, und dieser kann sich umgekehrt auf die Meinung «der Kantone» berufen.
Wie diese Meinung zustande kommt, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Die KdK legt grössten Wert auf Vertraulichkeit. Was in ihren Plenarversammlungen genau abläuft, ist geheim. Wie es zu einem Resultat kommt, ob abgestimmt wird, welcher Regierungsrat dafür oder dagegen votiert, welche Dynamiken und Zufälle hineinspielen, welche Koalitionen sich unter den Kantonsvertretern bilden – das alles bleibt im Dunkeln. Die Vorgänge in der KdK sind, gelinde gesagt, undurchsichtig.
Bei der KdK erachtet man das skizzierte Vorgehen als unproblematisch, auch bei einem derart bedeutsamen Vorhaben wie der institutionellen Anbindung der Schweiz an die EU. Die Kantonsregierungen hätten bisher zu allen europapolitischen Vorlagen eine gemeinsame Stellungnahme über die KdK verabschiedet, sagt Generalsekretär Roland Mayer. Mayer ist ebenso wie der KdK-Präsident und Aargauer Mitte-Regierungsrat Markus Dieth ein überzeugter Unterstützer des EU-Vertragspakets. Eine gemeinsame Haltung führe dazu, dass die Kantone ihre Anliegen gegenüber dem Bund effektiver wahrnehmen könnten.
Die Kantone sind allerdings keine homogene Masse. Das Wallis dürfte beim Stromabkommen andere Interessen haben als beispielsweise der Kanton Basel-Stadt, der Grenzkanton Tessin wird die Zuwanderungsfrage anders sehen als beispielsweise Zürich oder Bern. Innerschweizer Kantone stehen einer EU-Annäherung traditionell zurückhaltender gegenüber als die europafreundliche Westschweiz.
Den Einwand, dass es unter föderalistischen Gesichtspunkten fragwürdig anmute, wenn die Gegensätze und Differenzen unter den Kantonen eingedampft würden und die Öffentlichkeit nichts darüber erfahre, lässt Mayer nicht gelten: «Die föderalen unterschiedlichen Befindlichkeiten fliessen in die Diskussionen ein, welche zwecks Verabschiedung einer gemeinsamen Haltung zu führen sind.» Das habe man auch beim institutionellen Rahmenabkommen, das 2021 gescheitert ist, so gehalten.
Tatsächlich haben die Kantone beim institutionellen Rahmenabkommen mit einer Stimme gesprochen, nämlich mit jener der KdK. Damals führte der Bundesrat aber lediglich eine Konsultation zu den strittigen Punkten durch und nicht eine ordentliche Vernehmlassung, wie sie im Sommer ansteht. Dieses Mal will der Bundesrat denn auch anders vorgehen. Wie das Aussendepartement mitteilt, sollen die einzelnen Kantonsregierungen und die KdK zur Stellungnahme eingeladen werden. «Die Kantone werden selber entscheiden, ob sie einzeln oder über die KdK ihre Rückmeldung machen.»
Widerspruch aus Schwyz und Nidwalden
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich die Kantonsregierungen verhalten und welche von ihnen sich dem Wunsch der KdK-Spitze nach einem geeinten Auftreten anschliessen werden. Namentlich Regierungsräte aus europakritischen Kantonen werden sich gut überlegen, ob sie es sich mit Blick auf die heimische Wählerschaft leisten können, einfach im KdK-Chor mitzusingen und auf eine abweichende Position zu verzichten. NZZ, 28. Januar 2025, S. 9
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