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Kurzinfos Oktober 2023



Gutachten: Kommissionsvorschlag zur Gentechnik verletzt EU-Verträge

Die EU-Kommission hat im Juli 2023 eine Verordnung über mit neuen genomischen Techniken (NGT) erzeugte Pflanzen und deren Erzeugnisse vorgeschlagen. Sie soll eine mit dem bestehenden Gentechnikrecht kohärente Regelung treffen, nach der NGT-Erzeugnisse, deren DNA nur in einem beschränkten, mit herkömmlichen Vermehrungsverfahren vergleichbaren Umfang verändert wurde (NGT der Kategorie 1), ohne vorherige Risikoprüfung und Zulassung und ohne Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden sollen.

In einem Rechtsgutachten für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 14.09.2023 hat [GGSC]-Rechtsanwalt Dr. Georg Buchholz aufgezeigt, dass die Verordnung, wenn sie das EU-Parlament und der EU-Rat so beschließen würden, gegen das in den EU-Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip verstoßen würde. Dieses lässt dem EU-Gesetzgeber zwar einen weiten Ermessensspielraum. Nach dem Kommissionsvorschlag sollen jedoch NGT-Erzeugnisse der Kategorie 1 vollständig von der Risikoprüfung ausgenommen werden, obwohl ihre Risiken nicht per se geringer sind als die Risiken sonstiger GVO. Sie weisen auch nicht per se einen höheren Nutzen auf. Ihre Herausnahme aus dem Gentechnikrecht ist also nicht durch sachliche, wissenschaftlich begründete Unterschiede zu sonstigen GVO begründet.

Die Begründung der Kommission, wonach NGT-Pflanzen mit herkömmlich erzeugten Pflanzen vergleichbar seien, kann eine Privilegierung nicht rechtfertigen. Denn GVO werden nicht deshalb einer Risikoprüfung vor ihrem Inverkehrbringen unterzogen, weil sie per se riskanter wären als herkömmliche Organismen, sondern weil deren genetische Veränderung wegen der Veränderung von Inhaltsstoffen vermeintlich bekannter Organismen zu Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier und - ähnlich wie bei herkömmlichen invasiven Arten - zu massiven Veränderungen des Ökosystems führen kann. Da zudem in Zukunft wohl die meisten neuen Gentechnikprodukte als NGT-Erzeugnisse der Kategorie 1 eingestuft würden, käme der Erlass dieser Verordnung faktisch der Abschaffung des Gentechnikrechts gleich.

Das Rechtsgutachten ist veröffentlicht auf der Internetseite der Bundestagsfraktion unter https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/karl-baer-und-harald-ebner-zur-veroeffentlichung-eines-rechtsgutachtens-zum-vorschlag-der-eu-kommission-zur-deregulierung-neuer-gentechnikverfahren. 09. Oktober 2023


Neue Gentechnik: EU-Vorsorgeprinzip gefährdet

Laut eines neuen Rechtsgutachtens verletzt die geplante Gentechnik-Gesetzgebung das EU-Vorsorgeprinzip. Eine große Mehrheit der Bevölkerung will die Kennzeichnungspflicht auch für neue Gentechnik.

Ein neues Rechtsgutachten zeigt auf, dass die geplante Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts zentrale Prinzipien des europäischen Rechts verletzt. Der Kommissionsvorschlag zum zukünftigen Umgang mit neuen genomischen Techniken (NGT) widerspreche laut Gutachten dem Vorsorgeprinzip, einer wesentlichen Leitlinie der europäischen Umweltpolitik. Am 5. Juli 2023 hatte die EU-Kommission ihren Verordnungsentwurf zur Regelung der neuen Gentechnik vorgelegt. Der Vorschlag sieht eine Einteilung von gentechnisch veränderten Organismen in zwei Kategorien vor. NGT-Pflanzen der ersten Kategorie wären weitgehend mit Produkten klassischer Züchtung gleichgestellt. Nur für Pflanzen der zweiten Kategorie würden weiterhin die bestehenden Anforderungen des EU-Gentechnikrechts gelten.

Vorsorgeprinzip und Cartagena-Protokoll verletzt

Das von der Deutschen Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Auftrag gegeben Rechtsgutachten kommt nun zu der Bewertung, dass die Privilegierung der Organismen unter der ersten Kategorie gegenüber herkömmlichen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) nicht gerechtfertigt sei. Der Kommissionsvorschlag widerspreche sowohl dem Vorsorgeprinzip der EU als auch den Anforderungen des Cartagena-Protokolls. Das unionsrechtlich verbindliche Cartagena-Protokoll regelt den Umgang mit GVO und verlangt Risikoprüfungen vor dem Ausbringen solcher Organismen.

Fehlende Risikoermittlungs- und Kennzeichnungspflicht

Laut Kommissionsvorschlag sind für Pflanzen der ersten Kategorie jedoch keinerlei Risikoprüfungen vorgesehen. Die geplante Gesetzgebung sei zudem „blind gegenüber potenziellen Risiken von NGT-Pflanzen der Kategorie 1“, heißt es im Gutachten. Es gebe auch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass von NGT-Pflanzen der ersten Kategorie grundsätzlich geringere Risiken ausgehen als von NGT-Pflanzen der zweiten Kategorie. Nicht zuletzt verletze auch der Verzicht auf die Kennzeichnungspflicht das Vorsorgeprinzip. Dies könne dazu führen, dass selbst nach einer festgestellten Gefährlichkeit keine Schutzmaßnahmen mehr getroffen werden könnten, da die Erzeugnisse schlicht nicht mehr erkennbar seien. Das Gutachten kommt zu dem Urteil, dass die EU-Gesetzgeber die Grenzen des „Regelungsspielraums bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips überschreiten“. Das Gutachten attestiert daher selbst einer Nichtigkeitsklage gegen die geplante Verordnung „gute Erfolgsaussichten“.

Umfrage: Verbraucher*innen wollen Kennzeichnung

Entsprechend kritisch begleitete Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, die Ergebnisse des Rechtsgutachtens: „Hier wird das Vorsorgeprinzip offensichtlich mit Füßen getreten.“ Sowohl die möglichen Effekte bei der Freisetzung von NGT würden ignoriert, als auch Verbraucher*innen die Möglichkeit genommen, „selbst zu entscheiden, ob sie gentechnisch verändertes Essen zu sich nehmen wollen oder nicht“, so Häusling weiter. Dass Kennzeichnung und Risikoprüfung ein großes Anliegen der Verbraucher*innen ist, hatte zuletzt erneut eine aktuelle Umfrage von Forsa im Auftrag von Foodwatch ergeben: 92 Prozent der Befragten waren hier der Meinung, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, unabhängig davon, ob NGTs oder herkömmliche gentechnische Verfahren angewendet würden. EU-News | 05. Oktober 2023

Pressemitteilung Foodwatch: https://www.foodwatch.org/de/repraesentative-umfrage-deutliche-mehrheit-befuerwortet-kennzeichnung-und-risikopruefung-von-neuer-gentechnik


Online-Plattformen im Visier der EU-Kommission

Die EU-Kommission hat X ins Visier genommen. Seit dem Terrorangriff der palästinensischen Organisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 gilt die Plattform der EU noch stärker als zuvor als Brutnest für die Verbreitung von «Desinformation» und sonstigen «schädlichen Botschaften». Eine im September publizierte Studie im Auftrag der EU hatte schon vorher Indizien dafür geliefert, dass X besonders anfällig ist auf «Desinformation».

Der für den EU-Binnenmarkt zuständige französische EU-Kommissar Thierry Breton inszeniert sich seit dem Hamas-Anschlag als europäischer Sheriff, der bei den grossen Social-Media-Plattformen aufräumen will. Ironischerweise hat Breton dabei eine Methode von Elon Musk kopiert: Management via X. So verbreitete Breton am 10. Oktober auf X den Brief, den er gleichentags an Musk geschickt hatte. Darin äussert er den Verdacht, dass X als Plattform zur Verbreitung von illegalem Inhalt und «Desinformation» in der EU gebraucht werde.

Der Brief verlangte Klarheit über Prinzipien der Plattform zur Ablehnung von Inhalten, die rasche Entfernung von illegalen Inhalten sowie wirksame Massnahmen im Kampf gegen «Desinformation». Und ja: Eine vollständige Antwort bitte «innert 24 Stunden». In den Folgetagen schickte Breton ähnliche Briefe auch an Google (Youtube), Meta (Facebook) und Tiktok. Auch diese Briefe konnte man auf Bretons X-Kanal lesen.

Eine Frist von nur 24 Stunden ist nirgends in einem EU-Gesetz verankert, doch diese Schreiben, so hiess es aus Brüssel, seien «politische Briefe» gewesen. Will heissen: für die Galerie und den Aufbau von öffentlichem Druck. Dieses publizitätsträchtige Vorgehen mag für Politiker mit Geltungsdrang natürlich sein, doch es löste unter Verteidigern der Meinungsäusserungsfreiheit auch Nasenrümpfen aus. Eine Kernbotschaft von Kritikern: Schüsse aus der Hüfte ohne klare gesetzliche Verankerung lösten vor allem Unsicherheit aus und illustrierten, dass man der EU-Kommission nicht zu grosse Spielräume geben solle.

Thierry Breton erhielt auf seine Briefe rasch erste Antworten. Die X-Geschäftsführerin Linda Yaccarino betonte in ihrem Antwortbrief einen Tag nach Erhalt der Post aus Brüssel unter anderem, dass man seit dem Terrorangriff der Hamas Zehntausende von Meldungen auf dem Kanal gelöscht oder mit Warnmeldungen versehen habe.

Doch die ersten Antworten genügten in Brüssel nicht. Die EU-Kommission schickte am 13. Oktober an X eine formale Informationsanfrage gemäss dem neuen EU-Gesetz über digitale Dienstleistungen. X musste bis zum 18. Oktober über seine Krisenmassnahmen im Kontext des Hamas-Terrors berichten und muss bis Ende dieses Monats weitere Angaben zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben liefern. Diesen Mittwoch schickte die EU-Kommission ähnliche Anfragen an Meta und Tiktok.

Die grossen Online-Plattformen wie Google, Facebook, X und Tiktok können sich in Europa nicht mehr alles erlauben – die EU hat jetzt strenge Gesetzesregeln, und sie wird diese durchsetzen: Diese Botschaft verkündet Thierry Breton seit den Hamas-Anschlägen mit besonderem Nachdruck. Der Fall Hamas wird zum ersten grossen Testfall für das neue EU-Gesetz über die digitalen Dienste. Das Gesetz trat im November 2022 in Kraft und enthält für Online-Plattformen in der EU diverse Verpflichtungen, wie etwa Massnahmen zur Bekämpfung illegaler Inhalte. Doch es gibt noch Übergangsfristen: Die volle Anwendung greift erst ab Februar 2024.

Anders liegt der Fall bei den sehr grossen Online-Plattformen und Suchmaschinen. Zum einen obliegt bei diesen die Durchsetzung des neuen Gesetzes im Prinzip nicht den Mitgliedstaaten, sondern direkt der EU-Kommission, und dies greift seit Ende August dieses Jahres 2023. Und zum anderen gehen die Verpflichtungen der grossen Plattformen besonders weit: Sie müssen generell Massnahmen gegen den Missbrauch ihrer Systeme treffen, ihr Risikomanagement beaufsichtigen lassen und Risiken wie Desinformation, Wahlmanipulation, Cybergewalt oder jugendgefährdende Inhalte lindern.

Als «sehr gross» gelten Plattformen mit über 45 Millionen Nutzern pro Monat in der EU. Die EU hat diesen April 17 sehr grosse Online-Plattformen identifiziert, darunter auch Facebook, Tiktok, X und Youtube. Hinzu kommen zwei sehr grosse Online-Suchmaschinen (Bing und Google Search).

Das neue Gesetz definiert nicht, was illegale Inhalte sind. Das ist definiert durch den schon bisher bestehenden Rechtsrahmen in der EU und auf nationaler Ebene. Auf EU-Ebene sind unter anderem terroristische Inhalte und Hassreden als illegal definiert. Online-Plattformen müssen illegalen Inhalt entfernen. Das Gesetz verlangt von den grossen Plattformen aber auch Massnahmen gegen weitere «schädliche Inhalte» wie etwa «Desinformation» - und da wird es gefährlich. Irreführende Informationen sind im Prinzip nicht verboten und müssen deshalb durch die Plattformen auch nicht entfernt werden, wie die EU-Kommission auf Anfrage betont: Aber die grossen Plattformen müssten die Risiken einer starken Verbreitung von «Falschmeldungen» senken – zum Beispiel durch Warnhinweise und durch tiefe Platzierung in Melderanglisten – also eine Art weiche Zensur.

Die Umsetzung dieses Gesetzes, das weit über die EU-Grenzen hinaus ausstrahlt, wird mit Spannung zu verfolgen sein. Die Sache ist Neuland für alle Beteiligten. Die EU-Kommission hat für die Durchsetzung des neuen Gesetzes umgerechnet rund 150 Vollzeitstellen vorgesehen. Das Ausmass der verlangten Missbrauchsbekämpfung der Plattformen und die Abgrenzung zwischen «schädlichen Inhalten» und schützenswerter Meinungsäusserungsfreiheit werden sich in der Praxis noch herausbilden müssen. Mit Gerichtsfällen ist früher oder später zu rechnen. NZZ, 21. Oktober 2023, S. 23


Lobbying-Mekka

Brüssel ist Europas Lobbying-Mekka. Im EU-Transparenzregister stechen die grossen US-Tech-Konzerne mit ihren hohen Lobbying-Budgets und häufigen Treffen in Brüssel heraus. Auch Schweizer Exponenten geben Millionen aus. Zurzeit sind gut 12 000 Interessenvertreter registriert. Knapp die Hälfte entfällt auf Unternehmen und Unternehmensverbände. Die zweitgrösste Gruppe mit einem Anteil von gut einem Viertel stellen Nichtregierungsorganisationen ohne offiziellen Gewinnzweck. Diese müssen im Unterschied zu gewinnorientierten Lobbyisten keine Angaben über ihre Lobbying-Ausgaben machen, sondern nur über ihr Gesamtbudget. Das übrige knappe Viertel der Lobbyisten umfasst unter anderem Gewerkschaften, Hochschulen, sonstige Forschungsinstitute, Berater und Anwaltskanzleien.

Gemäss dem Register gab im vergangenen Jahr der Europäische Verband der Chemiebranche für das EU-Lobbying mit mindestens 10 Millionen Euro am meisten Geld aus. Präzisere Angaben liefert das Register hier nicht, weil die Interessenvertreter anstelle von genauen Beträgen nur vordefinierte Bandbreiten angeben müssen. Insgesamt wiesen neun Organisationen Lobbying-Ausgaben von mindestens 5 Millionen Euro aus. Der deklarierte Gesamtaufwand für das Lobbying aller Registrierten liegt laut der Organisation Transparency International bei gegen 2 Milliarden Euro pro Jahr. NZZ, 23. Oktober 2023, S. 27


Die Finanzhüter zweifeln an der Wirksamkeit des EU-Corona-Aufbaufonds

Mit grossen öffentlichen Geldtöpfen kommt auch grosse Verschwendungsgefahr. Das gilt im Besonderen für die grösste Geldverteilungsmaschine, welche die EU je installiert hat – den sogenannten Aufbaufonds. Der 2020 beschlossene Fonds war durch die Corona-Pandemie inspiriert, doch die Mittelverwendung aus diesem Topf umfasst viele wohlklingende und diffuse Themen – wie etwa grüner Umbau, digitale Transformation, sozialer Zusammenhalt, Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

Der Fonds ist mit rund 720 Milliarden Euro ausgestattet. Gut die Hälfte ist für Kredite vorgesehen, der Rest für nichtrückzahlbare Zuschüsse. Die Summe macht gegen 5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in der EU aus. Auf die Schweiz heruntergebrochen, würde dies einer Grössenordnung von knapp 40 Milliarden Franken entsprechen.

Die EU hat sich zur Finanzierung des Fonds erstmals direkt via Ausgabe von Anleihen an den Finanzmärkten verschuldet. Die Rechnung werden letztlich die Steuerzahler der Mitgliedstaaten zahlen, wobei sich die Anteile der Mitgliedstaaten an deren Wirtschaftskraft ausrichten. Die Verteilung der Fonds-Subventionen auf die Länder beruht derweil zum Teil auf anderen Kriterien.

Das angegebene Funktionsprinzip des Fonds ist Auszahlungen gegen Leistung: Die Mitgliedstaaten müssen nationale Pläne vorlegen, und vorgegebene Ziele und Kriterien sollen je nach Themenbereich sicherstellen, dass die Mittel im Sinn der Erfinder eingesetzt werden. Doch der Europäische Rechnungshof, das Gremium der Finanzhüter der EU, ist sich darüber alles andere als im Klaren.

Der Rechnungshof hat den Regelrahmen des Fonds für die Überwachung der Leistung der subventionierten Projekte unter die Lupe genommen und kommt in dem nun vorgelegten Bericht zu einem ernüchternden Verdikt: Die Gesamtleistung des Fonds lasse sich nicht umfassend messen. Oder anders formuliert: Man weiss nicht, ob und in welchem Umfang die grundlegenden Ziele erreicht werden.

Es gibt im Kontrollkonzept des Fonds «Zielwerte», «Meilensteine» und «Indikatoren». Doch laut dem Rechnungshof liefern diese Kriterien zumeist nicht ausreichende Informationen darüber, ob die Projekte vor Ort zu den vorgegebenen Zielen des Aufbaufonds beitragen.

So seien Meilensteine und Zielwerte meist auf Umsetzungsschritte wie etwa die Verabschiedung eines Gesetzes oder die Auswahl von Projekten bezogen, und der Fokus liege auf dem Gegenstand der Projektfinanzierung – etwa der Zahl von Schulungsteilnehmern, von renovierten Flächen oder von gekauften Elektrofahrzeugen. Solche Kriterien messen aber laut dem Bericht keine Ergebnisse, wie etwa den Umfang von Energieeinsparungen oder das Ausmass der Verringerung von CO2-Emissionen.

Zum Teil dürfte allerdings die Schwierigkeit der Messung in der Natur der Sache liegen, weil die Gesamtwirkungen der Projekte kurzfristig nicht offenkundig sind und es noch zu früh ist für eine mittelfristige Wirkungsanalyse. Die Hauptautorin für den Bericht des Rechnungshofs räumt dies auf eine Rückfrage auch zum Teil ein.

Doch sie betont, dass eine stärker ergebnisorientierte Überwachung der Fondsprojekte durchaus möglich wäre. Die EU-Kommission verteidigt sich in ihrer Stellungnahme unter anderem damit, dass die vom Rechnungshof gestellten Anforderungen über die Bestimmungen im massgebenden Rechtsrahmen hinausgehen.

In Medienberichten sind auch andere Kritikpunkte zu vernehmen. Dazu gehört etwa der Befund, dass zum Teil Projekte subventionsberechtigt sind, welche die Mitgliedländer ohnehin schon geplant hatten – womit die Subventionen aus dem Fonds keine Zusatzwirkung bringen.

Für Kritik sorgt auch, dass erst ein relativ geringer Anteil der Fondsmittel in Projekte geflossen ist. Gemäss jüngster Buchhaltung der EU hat der Fonds rund 35 Prozent der möglichen nichtrückzahlbaren Zuschüsse ausbezahlt und etwa 15 Prozent des möglichen Kreditvolumens. Mit viel Abstand der grösste Bezüger ist bis jetzt Italien. Auf dieses Land entfallen rund ein Drittel aller ausbezahlten Zuschüsse und über 80 Prozent aller gewährten Kredite.

Die relativ geringe Benutzung der Fondsmittel kann man negativ sehen: Der Aufbaufonds verfehlt seine erhoffte Wirkung, weil die Mitgliedländer nicht rasch genügend taugliche Projekte haben. Doch man kann das umgekehrt auch positiv bewerten: Die Mittel werden nicht um jeden Preis und ohne Rücksicht auf die vorgegebenen Standards hinausgeworfen. NZZ, 26. Oktober 2023, S. 3


EU-Rechnungshof: Mehr Fehler bei Ausgaben aus EU-Haushalt

Beim Verteilen von Geldern aus dem EU-Haushalt ist es einer Untersuchung des Europäischen Rechnungshofes zufolge im vergangenen Jahr zu deutlich mehr Fehlern gekommen als zuvor. Bei den Ausgaben von 196 Milliarden Euro sei die Fehlerquote 2022 auf 4,2 Prozent erheblich gestiegen, schreiben die Prüfer in dem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Jahresbericht. 2021 lag die Quote demnach bei 3 Prozent. Auch damals war sie bereits gestiegen (2020: 2,7 Prozent). Allerdings sei die geschätzte Fehlerquote «kein Maß für Betrug, Ineffizienz oder Verschwendung», hieß es vom Rechnungshof. Sie sei eine Schätzung der Beträge, die nicht im Einklang mit den EU- und nationalen Vorschriften verwendet worden seien.

Im Jahr 2022 beliefen sich die Ausgaben aus dem EU-Haushalt nach Angaben des Hofes auf 196 Milliarden Euro. Ein Großteil dieser Mittel sei von den Mitgliedstaaten selbst an Projekte verteilt worden. Zusammen mit den Zahlungen aus dem Corona-Hilfsfonds betrugen die Ausgaben demnach 243,3 Milliarden Euro.

«Die EU hat unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage ist, in kürzester Zeit mit außergewöhnlichen Maßnahmen auf eine Serie beispielloser Krisen zu reagieren», sagte Rechnungshof-Präsident Tony Murphy. Die hohen Summen, die in einem solchen Umfeld zur Verfügung gestellt werden, würden jedoch ein größeres Risiko für den Haushalt bergen. «Unsere Prüfung hat gezeigt, dass der Umgang mit dem Risiko verbessert werden muss, da wir bei unserer Arbeit weiterhin Fehler aufdecken, die zu einer erheblichen Zunahme bei den fehlerbehafteten Ausgaben führen.»

66 Prozent der geprüften Ausgaben seien mit einem hohen Risiko verbunden, teilten die Prüfer mit. Vorschriften und Förderkriterien für diese Ausgaben seien häufig komplex, was Fehler wahrscheinlicher mache. Die Rechnungsprüfer ermittelten allerdings auch 14 Fälle von möglichem Betrug, die der EU-Antibetrugsbehörde Olaf mitgeteilt worden seien. (dpa), 5. Oktober 2023.


EU verschärft Asylregeln

Bekommt die EU doch noch eine gemeinsame Migrationspolitik hin? Am Mittwoch, den 4. Oktober 2023 vermeldete die spanische EU-Rats-Präsidentschaft einen «Teilerfolg». Demnach einigten sich die Mitgliedstaaten auf die sogenannte Krisenverordnung, die über Wochen unter anderem von Deutschland boykottiert wurde und als letzter Baustein der geplanten Asylreformen gilt.

Der Mechanismus erlaubt es den Staaten, Asylbewerber an der Grenze in Krisenzeiten für maximal 20 Wochen zu internieren. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hatte befürchtet, das dies die Rechte von Migranten und Flüchtlingen zu sehr beschneiden würde, und die Verordnung abgelehnt. Sie lenkte erst ein, nachdem der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz vorige Woche ein «Machtwort» gesprochen hatte. Zuletzt sperrte sich aber Italien, das mit Berlin wegen der deutschen Unterstützung für die Rettung schiffbrüchiger Migranten zerstritten ist.

Italien sieht in den Seenotrettern im Mittelmeer einen «Pull-Faktor», der mehr Bootsflüchtlinge nach Europa lockt, und wollte dies im Gesetzestext ausdrücklich so festhalten. Dagegen stemmte sich Faeser. Nach Konsultationen mit ihren nationalen Regierungen einigten sich die Botschafter in Brüssel schliesslich darauf, den Verweis auf die Rettungseinsätze ganz zu streichen.

Ein EU-Diplomat bezeichnete den Schritt als Sieg für Italien und als Niederlage für die deutschen Grünen. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock hatte sich persönlich in den Streit eingemischt. In einer Erklärung, die das Auswärtige Amt veröffentlichte, lobte sie zwar die Einigung. Sie machte aber auch kein Hehl aus ihrer Enttäuschung. Man habe von deutscher Seite zu Protokoll gegeben, dass man weiterhin nicht überzeugt sei, wenn bei den Grenzverfahren im Notfall «extreme» Massnahmen angewendet würden, so Baerbock.

Ursula von der Leyen, die EU-Kommissions-Präsidentin, zeigte sich hingegen erfreut über den Asylkompromiss. Dieser sei ein echter «game changer», schrieb sie. Gegen den Gesetzestext votierten nur Ungarn und Polen. Drei weitere Staaten, Österreich, die Slowakei und Tschechien, enthielten sich ihrer Stimme. Damit die Asylreform in Kraft tritt, muss freilich noch das EU-Parlament zustimmen. Genauer gesagt müssen in Brüssel erst die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen den Europaabgeordneten, den Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zum Abschluss gebracht werden – was sich über Monate hinziehen kann. Gerade im Parlament liegen die Positionen zur Migrationspolitik weit auseinander.

Linke und grüne Abgeordnete sehen im Krisenmechanismus einen Bruch des Asylrechts und fordern Nachbesserungen. Rechtsextremen Abgeordneten gehen die verschärften Regeln nicht weit genug. Zustimmung signalisieren dagegen die anderen Fraktionen. Die illegale Migration müsse reduziert werden, «um weiterhin Schutzbedürftigen Asyl gewähren zu können», sagte am Mittwoch Lena Düpont, die migrationspolitische Sprecherin der deutschen Christlichdemokraten. NZZ, 6. Oktober 2023, S. 3


Die EU-Kommission kritisiert auch die Mehrheit der EU-Länder wegen Lohnschutzregeln

Die Schweiz verstösst mit ihren Lohnschutzmassnahmen gemäss EU-Kommission gegen das Abkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit. Der für das Schweiz-Dossier zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic hat diese Sichtweise im EU-Parlament erneut bekräftigt.

Der Anlass der Diskussionen im EU-Parlament zur Schweiz war ein Bericht des aussenpolitischen Parlamentsausschusses. Der Bericht kritisierte unter anderem die «bürokratischen Hürden» der Schweiz mit ihren Lohnschutzmassnahmen. Dabei geht es besonders um die von Firmen aus der EU vorübergehend in die Schweiz entsandten Arbeitnehmer. Die Lohnschutzmassnahmen für solche Dienstleister sind ein zentraler Streitpunkt in den laufenden Sondierungsgesprächen Schweiz-EU. Die Schweiz will durch ein ausgedehntes Kontrollregime möglichst Lohndruck im Inland durch entsandte Arbeitnehmer aus Ländern mit weit tieferem Lohnniveau vermeiden, während aus EU-Sicht das Schweizer Regime unzulässige Schikanen enthält.

Die EU-interne Rechtsbasis für den Umgang mit grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmern liefern die Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern sowie eine Durchsetzungsrichtlinie dazu. Die Schweiz kann sich in gewisser Hinsicht trösten: Die EU-Kommission hat auch die Mehrheit der EU-Mitgliedländer ins Visier genommen, weil diese Länder laut Kommission die Vorgaben der Durchsetzungsrichtlinie nicht erfüllen. 2021 hatte die EU deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen 24 der 37 Mitgliedländer lanciert. Solche Verfahren enthalten verschiedene Eskalationsstufen, bis zum Gang vor den Europäischen Gerichtshof.

Bis im Januar 2023 hatte aus Sicht der EU-Kommission immer noch die Mehrheit der Mitgliedländer bedeutende Defizite bei der Umsetzung. Deshalb zündete die Kommission bei 17 Ländern die erste Eskalationsstufe: eine Art Mahnung mit genaueren Erläuterungen («begründete Stellungnahme»). Laut der damaligen Mitteilung der Kommission hatten die betroffenen Staaten zwei Monate Zeit, die nötigen Massnahmen zu treffen. Betroffen sind unter anderem Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande, Polen und Ungarn.

Alle betroffenen Länder haben mittlerweile laut EU-Kommission Stellungnahmen geschickt. Man sei noch am Analysieren der Antworten. Die EU-Kommission gibt auf Anfrage Hinweise zu den Gründen der Verfahren. So hätten zwei Drittel der betroffenen Länder administrative Vorgaben und Kontrollmassnahmen in Kraft gesetzt, die nicht durch die massgebende EU-Richtlinie gedeckt seien. Diese zusätzlichen Massnahmen seien weder gerechtfertigt noch verhältnismässig; sie schafften zusätzliche administrative Hürden für Dienstleister oder behinderten gar die Dienstleistungsfreiheit.

Bei einem Viertel der betroffenen Länder geht die Kritik der Kommission in die Gegenrichtung: Diese Länder hätten gar keine spezifischen Regeln für den Schutz von entsandten Mitarbeitern beschlossen. In dieser Gruppe dürften vor allem Tieflohnländer sein, während wohl vor allem Hochlohnländer aus Sicht der EU-Kommission zu weit gehen. Zusätzliche Kritikpunkte der Kommission bei diversen Staaten betreffen Mängel bei den Regeln zur Haftung von Dienstleistern für Unterlieferanten (zwei Drittel der Verfahren) sowie unverhältnismässige Sanktionen (drei Fälle).

Wie es mit diesen Fällen weitergeht, ist laut der EU-Kommission noch offen: Nach Abschluss der Analysen werde man entscheiden. Bei unbefriedigenden Antworten der betroffenen Länder könne man den Europäischen Gerichtshof einschalten. Die EU-Kommission wacht generell darüber, dass alle Mitgliedstaaten EU-Recht korrekt und rechtzeitig umsetzen. Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedländer kommen häufig vor. Die EU-Kommission hat gemäss ihren Daten von 2018 bis 2022 im Mittel pro Jahr rund 750 Vertragsverletzungsverfahren lanciert. Ende 2022 waren total fast 2000 Verfahren hängig – über 400 mehr als fünf Jahre zuvor. Unrühmlicher Spitzenreiter war Belgien mit 114 hängigen Fällen. Am Ende der Rangliste war Dänemark mit 36 hängigen Fällen.

Im Durchschnitt dauern die Verfahren gut zwei Jahre. In manchen Fällen kann es aber auch fünf Jahre oder mehr dauern. Typischerweise werden nach der formalen Eröffnung eines Verfahrens etwa 70 Prozent der Fälle vor der ersten Eskalationsstufe erledigt. Nur einige Prozent der Verfahren gehen bis vor Gericht. Im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission 35 Fälle ans Gericht geschickt. Dieses fällte 2022 Urteile in 19 Verfahren. In fast allen Fällen (17) urteilte das Gericht gegen den betroffenen Mitgliedstaat. Ende 2022 waren rund 100 Verfahren trotz Gerichtsurteil noch hängig, weil die Staaten die Urteile noch nicht umgesetzt hatten.

Die EU liefert auch spezifische Angaben zu Vertragsverletzungsverfahren betreffend den europäischen Binnenmarkt. Voll im Binnenmarkt dabei sind nebst den EU-Ländern auch die drei Efta-Staaten im Europäischen Wirtschaftsraum (Norwegen, Island, Liechtenstein). Gemäss den jüngsten Daten waren Anfang Dezember 2022 in den Phasen vor dem Gang zum Gericht etwa 700 Verfahren gegen EU-Staaten und rund 50 Fälle gegen Efta-Staaten hängig. Im Mittel waren diese Verfahren bereits seit fast vier Jahren pendent.

Noch viel länger geht es oft, wenn Fälle vor das Gericht gehen. In den fünf Jahren bis Ende November 2022 hat die EU-Kommission 94 Verfahren zum Binnenmarkt abgeschlossen, weil der betroffene Mitgliedstaat ein für ihn negatives Gerichtsurteil umgesetzt hatte. Bis zur Umsetzung dauerte es aber im Mittel nochmals vier Jahre.

Die Moral der Geschichte: Die EU mag selbst-fabrizierte Probleme mit der Schweiz haben, aber viele EU-Länder sind nicht unbedingt einfachere Kunden. NZZ, 14. Oktober 2023, S. 29

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