Die 100seitige Schrift analysiert die rechtlichen Aspekte der Nato-Intervention in Kosovo. Dazu werden die verschiedenen völkerrechtlichen Gesichtspunkte und die Entwicklung der Kosovokrise dargelegt. Im Rahmen der UNO-Ratspraxis bezüglich regionalen Krisenmanagements haben sich mit der Zeit gewisse völkerrechtliche Grundsätze herausgebildet:
(1) die Möglichkeit der Begründung einer internationalen Zuständigkeit unabhängig vom Willen des betroffenen Staates aufgrund des weit gefassten Friedensbegriffs;
(2) die Verpflichtung der Konfliktparteien zur Einstellung militärischer Operationen (Waffenstillstandsverpflichtung);
(3) die politische und rechtliche Einbindung der Konfliktparteien in ein multilaterales Krisenmanagement unter der Ägide des Sicherheitsrates und deren Verpflichtung zu einer Mitwirkung nach Treu und Glauben;
(4) die Suche nach einer international abgestimmten, konsensualen Konfliktlösung;
(5) der Vorrang des multilateralen, UN-gesteuerten Krisenmanagements vor unilateralen Handlungen der Konfliktparteien oder Dritter
(6) die Absicherung von Friedenslösungen in Friedensverträgen, verbunden mit internationalen Garantien und Aufbauhilfen sowie einer internationalen Überwachung.
Massgebend dabei war und ist das Bestreben, irreguläre, gewaltsame Verhältnisse in reguläre, gewaltfreie umzuwandeln und durch die Beilegung nationaler Konflikte zur längerfristigen Friedenssicherung beizutragen. In der Sicherheitsratspraxis ist die Erhaltung des internationalen Friedens der zentrale Wert, der das Krisenmanagement bestimmt.
Obwohl der Verfasser recht Nato-freundlich eingestellt ist und die von der Nato vorgeschobenen humanitären Argumentationen, die zur Rechtfertigung der Bombenangriffe vorgebracht wurden, in keinem Augenblick in Frage stellt, lehnt er die völkerrechtlichen Legitimationsversuche der Nato ab: "Die Legitimationsversuche der Nato-Staaten vermögen aus völkerrechtlicher Sicht nicht zu überzeugen. Den einschlägigen Resolutionen konnte keine Autorisierung der Androhung von Gewalt entnommen werden. Zwar forderten die Nato-Staaten von Jugoslawien allein die Umsetzung der vom Sicherheitsrat gestützt auf Kaptitel VII der Uno-Charta beschlossenen Massnahmen. Dies ändert indessen nichts an der Völkerrechts- und Chartawidrigkeit der Androhung mit Gewalt, denn dadurch wurde das dem Sicherheitsrat zustehende Gewaltmonopol in den internationalen Beziehungen und sein Steuerungsanspruch in diesem Konflikt missachtet". und "Die Androhung [von Gewalt] erfolgte in vollem Wissen um die völkerrechtliche Problematik und in klarem Bewusstsein, dass eine Autorisierung durch den Rat ausbleiben würde" (S. 36). Der Autor diskutiert in der Folge detailliert verschiedene Begründungsversuche im Rahmen des Völkerrechts, um diese zurückzuweisen. Saxer kommt zum Schluss, dass die Nato-Aktion die Uno-Charta verletzte. "Diese Verletzung war keine untergeordnete, denn mit dem Gewaltverbot wurde eine zentrale, zwingende [..] Norm verletzt". und "Die Nato-Aktion ist daher geeignet, ein gefährliches Präjudiz zu schaffen. Auch andere Staaten oder Staatengruppen könnten sich in Zukunft veranlasst sehen, im Rahmen einer Selbstbeurteilung und unter Berufung auf das Nato-Präjudiz aus tatsächlichen oder vorgeschobenen humanitären Gründen in Drittstaaten militärisch zu intervenieren" (S. 80).
Trotz dieser eindeutigen Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des Nato-Einsatzes entwickelt Saxer im nachhinein eine Argumentation, die der Nato-Aktion eine gewisse "Legitimität" verschaffen will. Saxer konstruiert die Möglichkeit, dass bei jeweils konkret zu analysierenden Einzelfällen völkerrechtswidrige Aktionen eine hohe Legitimität haben können. Aus den entsprechenden Einzelfällen sei jedoch keine Rechtspraxis abzuleiten. Er verweist dabei auch auf historische Vorläufer (z.B. Rolle Indiens bei der Unabhängigkeit Ostpakistan). Die Konstruktion mutet etwas seltsam an. Saxer will verhindern, dass durch die Legitimierung des Völkerrechtsbruchs völlige Willkür einzieht, anderseits will er "humanitäre Interventionen" in manchen konkreten Fällen doch irgendwie legitimieren. Ob das auf Saxers Weg gelingt, darf bezweifelt werden. Einige grundsätzliche Probleme müssten wirklich angegangen werden, um dem Thema gerecht zu werden: (1) Menschenrechtsschutz und dessen willkürliche Instrumentalisierung durch die Grossmächte. Wie ist hier Willkür wegzubringen? (2) Völkerrechtlich abgesicherter Schutz von Autonomieansprüchen sogenannter ethnischer Minderheiten - bei Einhaltung des Friedensgebotes und Respektierung der Menschenrechte gegen weitere Minderheiten - und eine daraus abgeleitete Abschwächung des Prinzips der Souveränität. Wie ist ein solcher Minderheitenschutz zu realisieren, ohne den Grossmächten neue Instrumente der Willkür zu gewähren.
Urs Saxer, Kosovo und das Völkerrecht, Ein Konfliktmanagement im Spannungsfeld von Menscherechten, kollektiver Sicherheit und Unilateralismus, Basler Schriften zur europäischen Integration, Nr. 42/43, 1999
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