Das Heft 8 (1998) der "Olympe, Feministische Arbeitshefte zur Politik", wurde anlässlich der 150-Jahr-Übung in der Schweiz dem Thema "Frauen im Staat" gewidmet. Mehrmals thematisiert wird im Heft der Umstand, dass die Gleichheit der Menschen im letzten Jahrhundert auf die Männer eingegrenzt wurde. Der politische Liberalismus schloss die Frauen aus. Exemplarisch dafür ist die Hinrichtung der Bürgerinnenrechtskämpferin Olympe de Gouges (nach der die Zeitschrift benannt ist und zu der im Heft eine Bibliographie zu finden ist) im Jahre 1793.
Mascha Madörin kritisiert das Demokratieverständnis, das bei den schweizerischen "Eliten" verbreitet ist: "Nach der Finanzplatz-Sichtweise [..] besteht die Menschheit aus der Schweiz und der vermögenden Weltmarktelite, welche bekanntlich vorwiegend aus Männern aus den OECD-Ländern besteht. Dieses Weltbild ist hierzulande in Debatten über Weltoffenheit heute noch omnipräsent, nicht nur bei den Bankern." (S. 16). Treffend auch ihre Kritik am Versuch, direkte Demokratie als Teil der Identität der Schweiz statt als Teil elementarer Menschenrechte zu konzipieren. Direkte Demokratie wird Teil des Nationalcharakters, statt Resultat von Auseinandersetzungen verschiedenster politischer Gruppierungen, die es auch in anderen Ländern gibt. "Der Schritt von diesem nationalistischen Denken zur politischen Vorstellung, die Existenz von Diktatoren in anderen Ländern sei identisch mit einer eingeborenen Demokratieuntüchtigkeit ganzer Völker, ist nicht weit. Dies hat die Rechtfertigung von Geschäften mit Diktatoren enorm erleichtert" (S. 16).
Interessant ist der Artikel von Carina Mostböck, die diskutiert, wie es im sozialdemokratischen Schweden bis in die 70er Jahre hinein Zwangssterilisationen geben konnte (30er Jahre bis Anfangs 70er Jahre über 60 000!). "Die sozialdemokratische Vision einer demokratischen, liberalen und humanitären Gesellschaft, die von den besten Köpfen initiiert und gebaut wird, hat eine gutmeinende Bürokratie mit Zugriffsrecht auf (fast) alle Lebensbereiche geschaffen" (Der Artikel ist kein Verriss der Sozialdemokratie!). (S. 21). Gertrud Ochsner diskutiert die Auswirkungen des Neo-Liberalismus auf die Frauen und weist darauf hin, dass "marktbestimmte Anpassungen aber gerade nicht geschlechts-neutral sind und dass die Kapazität von Frauen, diese Trends zu beeinflussen, durch die Einschränkung des staatlichen Raums noch verringert wird" (S. 39).
Bewundernswert ist die Geduld, die Sabine Berghahn aufbringt, um gewisse Anwürfe von "Linken und Grünen" (S. 44) abzuwehren, die dem Feminismus vorwerfen, er hätte sich mit dem einstigen gemeinsamen Gegner, dem zwangsläufig autoritären und bürokratischen Staat, verbündet. Der Feminismus würde eine Kriminalisierung durch Verschärfung des Strafrechts (bei Gewalt gegen Frauen!) verlangen, wo doch eigentlich eine "Entkriminalisierung" der Gesellschaft angesagt sei. Somit hätte der Feminismus die alten liberalen und antiautoritären Ideale verraten. Sie kommt zum Schluss dass diese Vorwürfe unhaltbar sind: "Denn Privatheit zwischen zwei oder mehreren Menschen hat nur solange einen Anspruch geschützt zu werden, wie sie einverständlich privat gehalten wird und niemandem schadet" (S. 51).
Für die EU-Politik von besonderem Interesse ist der Artikel von Susanne Schunter-Kleemann: "Marktgetriebene Modernisierung - die EU als Projekt der Demokratieabwehr". Sie skizziert die verschiedenen Positionen in der EU-Verfassungsdebatte und kommt zum Schluss, dass der verfassungsrechtliche Schwebezustand der EU der Interessenlage des weltmarktorientierten Geld- und Industriekapitals im Triadenwettbewerb mit Japan und den Vereinigten Staaten entspricht. Die "europäischen Wandelverfassungen" sind einer strikt ökonomischen Handlungslogik gefolgt. "Wesentliche Akteure der europäischen Integration sind die multinationalen Konzerne, die im "Elitenpakt" mit Kommissionen, Ministerrat und anderen neoliberal ausgerichteten Staatsapparten (Zentralbanken, Wirtschafts- und Finanzministerien) und Organisationen (Parteien, Industrieverbänden) Schritt für Schritt die Rahmenbedingungen schaffen, um die europäischen Unternehmen auf dem Weltmarkt zu positionieren und konkurrenzfähig zu machen" (S. 79). Die Maastrichter und Amsterdamer Vereinbarungen sind ein weiterer Schritt weg von rechts- und sozialstaatlichen Regulierungsmustern (S. 80) hin zu einem konkurrenzverschärfenden und sozialabbauenden "disciplinary constitutionalism". Mit dieser harschen (und berechtigten) Kritik kontrastiert Schunter-Kleemanns Qualifikation der Position des deutschen Verfassungsgerichts anlässlich des bekannten Maastrichter-Urteils als "Renationalisierung", wo durch den Gerichtsbeschluss doch keine Entscheidungskompetenzen von Brüssel nach Bonn zurückgeflossen sind. Und wenn schon, wäre nicht eher von "Redemokratisierung" zu sprechen? Die Faszination, die das "Ideal" eines europäischen "demokratischen" Bundesstaates immer noch ausstrahlt, ist schwer verständlich: die Wege zu den Entscheidungszentren werden länger (vor allem auch für Frauen!) und ein solcher Staat würde sich nicht besser verhalten als etwa die USA. Mehrheiten haben es nun mal gerne, wenn man ihre materiellen Interessen verficht, sobald die entsprechenden militärischen Machtmittel zur Verfügung stehen.
Neben den kurz diskutierten Beiträgen beinhaltet das Heft eine Vielzahl von interessanten Ausblicken auf das Thema "Frauen im Staat" (Verfassung von Namibia, Migrantinnen, etc.) pr.
Olympe, Feministische Arbeitshefte zur Politik, 1848-1998 Frauen im Staat, Mehr Pflichten als Rechte, Heft 8, 1998 (Bestelladresse: Olympe, c/o Elisabeth Joris, Gemeindestrasse 62, 8032 Zürich).
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