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Medien, Internet – Öffentlichkeit

Das neueste Heft des Widerspruchs widmet sich den Medien. Damit wird ein Thema aufgenommen, das von der Zeitschrift das letzte Mal vor 20 Jahren aufgegriffen wurde. Seither hat sich die Digitalisierung auf diesem Gebiet erst richtig durchgesetzt. Die klassischen Massenmedien sind zwar immer noch bedeutsam. Durch das Internet habe sich die Öffentlichkeit aber in plurale Öffentlichkeiten aufgegliedert – in fragmentierten Diskurse und direkt vernetzte Individuen, heisst es im Heft. Dies sollte jedoch nicht vorschnell als Demokratisierung angepriesen werden – es bilden sich durch Multimedia-Unternehmen vielmehr neue Formen ökonomischer und publizistischer Macht heraus. Auf der einen Seite haben sich die Spielräume für soziale Bewegungen durch die digitale Kommunikation erweitert. Andererseits werden die unentgeltlich produzierten Profile und NutzerInnendaten zur Grundlage der Geschäftsstrategien der Internetkonzerne.

Pascal Zwicky, Politischer Sekretär der SP Schweiz für Grundlagenfragen, startet mit einigen Grundsatzbemerkungen: „Freie Medien sind wichtig, ohne sie ist Demokratie unmöglich“. „Die Bedeutung der Medien für die Demokratie scheint eine der Grundüberzeugungen bürgerlicher Gesellschaften zu sein“. Demokratische Medienkritik als Kritik an der fehlenden Umsetzung dieser Grundüberzeugung wird zur Kritik an der (mangelhaften) Demokratie. Medienkritik findet in der breiteren Öffentlichkeit allerdings in erster Linie auf der inhaltlichen Ebene statt. Es wird die Qualität journalistischer Berichterstattung thematisiert, nicht jedoch die strukturellen Bedingungen der Medien, unter denen Inhalte produziert werden. Dies ist verständlich: für die meisten Menschen sind nur die Inhalte direkt erfahr- oder überprüfbar. Die Analyse der Rahmenbedingungen ist aber nicht nur wichtig, um zu verstehen, weshalb Medien was und wie berichten. Zwicky meint, eine solche Analyse eröffne auch Handlungsmöglichkeiten, um die Probleme der Berichterstattung bezüglich Qualität und Vielfalt zu lösen. „Weil strukturelle Aspekte für die meisten Menschen nicht direkt erfahrbar sind, müssten sie von den Medien selbst zum Thema gemacht werden. Nur so könnten sie als Medien- und Demokratiekritik wirksam werden“.

Gemäss Zwicky ist die globale Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 auch als eine Krise der Medien zu begreifen. Einerseits, weil die Leitmedien durch ihre weitgehend unkritische Verbreitung der neoliberalen Ideologie die individuelle Gewinnmaximierung zur gesellschaftlich anerkannten Maxime gemacht haben. Andererseits hat die Finanz- und Wirtschaftskrise zum Einbruch von Werbeinnahmen geführt, was den bereits laufenden, vom Internet geförderten Strukturwandel der klassischen Massenmedien beschleunigte. Die Medienkonzerne konnten durch konsequente Nutzung von Skalen- und Verbundeffekten sowie durch die Erschliessung neuer, nicht-publizistischer Geschäftsfelder im Internet relativ rasch wieder in die Gewinnzone zurückehren. Doch der Journalismus erlitt eine nachhaltige Schwächung, indem Marktprinzipien und kommerzieller Kalkül in den Medienkonzernen überhand nahm. Zu beobachten ist ein Machttransfer vom traditionellen Verleger und vom Chefredaktor zu Investoren, Managerinnen, Unternehmensberatern und Finananalysten. Die Redaktionen werden im Sinne eines Profitcenters straff geführt: die Führung ruht nicht auf publizistischen oder politischen, sondern auf ökonomischen Vorgaben. Dies führt zu grösserer Arbeitsbelastung, wachsendem Zeitdruck und sinkender Arbeitsplatzsicherheit, was für die Unabhängigkeit und die Qualität der Beiträge nicht förderlich ist. Zu bemerken ist hier allerdings, dass die politischen Ausrichtungen der klassischen Medien für die Vielfalt und oft auch für die Qualität nicht förderlich waren – Zwicky neigt hier dazu, die Vergangenheit etwas zu idealisieren.

Was tun? Die wichtigsten Veränderungen des Mediensektors und der Medienöffentlichkeit in den letzten Jahren sind auf die sich wechselseitig beeinflussenden Prozesse der Neoliberalisierung und der Digitalisierung zurückzuführen. Auf diesem Hintergrund geht es darum, der fortschreitenden Verschlechterung der journalistischen Produktionsbedingungen entgegenzuwirken. Die Schweiz braucht gemäss Zwicky einen Wandel von der ineffizienten und wenig effektiven indirekten Presseförderung zu einer direkten Medienförderung, die eine neue Vielfalt und gute Rahmenbedingungen für professionellen Journalismus schaffe. Demokratische Strukturen, die den JournalistInnen weitreichende Mitbestimmungsrechte bei redaktionellen Entscheidungen zubilligen und damit ein publizistisches Primat festschreiben, wären eine effektives Förderkriterium, wenn man tatsächlich eine Stärkung des Journalismus will. Dem ist wohl entgegenzuhalten, dass dies für die Vielfalt und Qualität nicht hinreichend ist. Die demokratische Einstellung einer in sich geschlossenen, von übrigen Zwängen befreite Journalistenkaste ist dadurch kaum gewährleistet.

Roman Berger liefert einen interessanten Blick auf die Medien und Konsensfabriken im Grossraum USA – wohl ein Vorgeschmack darauf, was im EU-Grossgebilde vermutlich auf Dauer zu erwarten ist, sofern die EU genügend lange überlebt. Er beschreibt zuerst die Instrumentalisierung z.B. der New York Times (NYT) durch die Bush-Regierung. In der Zeitung wurde, ohne den Wahrheitsgehalt zu überprüfen, behauptet, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. 2004 entschuldigte sich die NYT dann für ihr unkritisches Verhalten. Verantwortlich für die manipulierte Berichterstattung über den Irakkrieg waren aber nicht nur die „eingebetteten“ Journalisten sondern auch die Verlagsmanagerinnen und TV-Bosse. Sie hatten Angst, gegen den patriotischen Mainstream schwimmen zu müssen und dadurch Leserinnen, Zuschauer und Werbung zu verlieren.

Berger beschreibt, sich auf Noam Chomsky und Edward W. Herman berufend, 5 Filter der US-Konsensfabrik. (1) Eigentümer: In den USA gibt es 5 Medienkonglomerate, welche die Medien für mehr als 300 Millionen US-AmerikanerInnen kontrollieren. Diese sind zudem durch Joint Ventures und gemeinsame Verwaltungsräte persönlich miteinander verbunden. Die Anzahl der Titel hat dabei nicht etwa abgenommen, im Gegenteil. Mehr Titel bedeuten aber nicht Meinungsvielfalt, sondern mehr Main-Stream-Einheitsbrei. Die Main-Stream-Medien geben fast nur die Positionen der beiden grossen Parteien, den Demokraten und Republikanern, wieder. (2) Einnahmequellen: Während früher die Werbeeinnahmen es ermöglichten, den Journalismus zu finanzieren, sind die Redaktionen in Folge des Wegbruchs dieser Einnahmen ausgedünnt worden. (3) Kampf ums Publikum: Die Medien informieren über immer weniger Themen. Im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums konzentrieren sie sich vor allem auf Lifestyle, Celebrities, Sex, Verbrechen, Unfälle, Wetter und Sport. (4) Während früher die Medien im Besitz von Familien waren, wurden sie in neuerer Zeit in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die damit erfolgende Ausrichtung auf wirtschaftliche Ergebnisse beschleunigte den Konzentrationsprozess und die entsprechende Einschränkung der Meinungsvielfalt und der Qualität des Journalismus. (5) Starke Prägung durch die jeweils vorherrschende Ideologie (Antikommunismus bis Anfangs 90er Jahre, Krieg gegen den Terror in den 0er Jahren).

Berger erwähnt die Besorgnis mancher US-BürgerInnen angesichts dieser Entwicklung. So wurde z.B. 2003 eine US-BürgerInnenbewegung für Medienreform (www.freepress.net) gegründet. Sie zählt mehrere Hundertausend Sympathisanten und AktivistInnen, die mit Spenden ein Budget von drei Millionen US-Dollar erziele und damit rund dreissig Angestellte finanzieren könne. Die Bewegung sieht sich allerdings in einer schwierigen Situation. Die herrschenden Monopole können nicht einfach weggewischt werden. Manche Vertreter der Bewegungen vertreten die Ansicht, eine erfolgreiche Medienreform sei ohne eine Demokratiereform nicht möglich.

Daniel Vogler beschreibt die Medienkonzentration auf dem Schweizer Medienmarkt. Er untersucht dabei vornehmlich den Einfluss der Digitalisierung auf das Nachrichtengeschäft (Ertragsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Akteure). Mit der Digitalisierung verflechten sich die verschiedenen Medienkanäle zunehmend. Das schafft neue Berührungspunkte zwischen den Akteuren. Presse- und Rundfunkorganisationen kommen verstärkt miteinander in Berührung, da beide ihre Inhalte für Onlinekanäle aufbereiten. Verstärkt wird auch die Interaktion von Medienunternehmen und Technologiekonzernen wie Facebook, Google oder Swisscom. Zuletzt wird der Schweizer Medienmarkt durch Digitalisierung zunehmend für ausländische Anbieter zugänglich. Folge ist eine erhöhte Konkurrenzwahrnehmung in der Branche. Besonders im intensiven Wettbewerb im Onlinewerbegeschäft verfügen die Schweizer Medienverlage über deutlich weniger lange Spiesse als ihre ausländischen Konkurrenten (Google, Facebook). Dies verändert nicht nur die ökonomischen Voraussetzungen des Mediengeschäfts, sondern auch den Journalismus. Die publizistische Vielfalt sinkt. Die finanzielle Basis des Informationsjournalismus erodiert. Ein Qualitätsverlust in der Berichterstattung ist die Folge.

Im Schweizer Pressemarkt herrscht eine hohe Medienkonzentration. Betrachtet man für 2014 die reichweitenstarken Medientitel, die in ihrer jeweiligen Sprachregion mehr als 0.5 % der Bevölkerung erreichen, kontrollieren die zwei Zürcher Verlagshäuser Tamedia und Ringier zusammen in jeder

Sprachregion einen substantiellen Anteil des Printmarktes.

TamediaRingierSumme
Deutschschweiz 38.5% 24.1% 62.6%
Westschweiz 67.6% 10.2% 77.8%
Tessin 15% 25.3% 40.3%


Aus sprachregionaler Sicht kann deshalb von einer Fremdbestimmung durch die beiden Zürcher Verlagshäuser gesprochen werden. Dies ist vor allem in der französischsprachigen Westschweiz der Fall, wo die Tamedia zwei Drittel des Marktes kontrolliert. In der Deutschschweiz ist die Konkurrenz auf Grund der Verlagshäuser NZZ, AZ und Somedia höher. Auch im Tessiner Markt sind die Kräfteverhältniss ausgeglichener.

Im Rundfunkmarkt ist die Medienkonzentration ebenfalls hoch. Dies ist allerdings politisch gewollt: im Schweizer Service-public-Modell übernimmt der gebührenfinanzierte Monopolanbieter SRG die überregionale publizistische Versorgung. Private Anbieter sollen, teils mit Leistungsauftrag, vor allem auf regionaler oder lokaler Ebene für eine Ergänzung sorgen. In diesem Bereich haben sich die AZ Medien als Vormacht unter den privaten Rundfunkanbietern etabliert. Das Aargauer Verlagshaus investiert vor allem in den TV-Markt. Im Radio-Markt herrscht noch eine relativ hohe Vielfalt an kleineren Anbietern. Auf Grund ihrer ökonomischen Potenz ist es wenig erstaunlich, dass gerade die Akteure, welche bereits den Rundfunk – und Printmarkt kontrollieren, auch im Onlinbereich dominant auftreten. Die Hoffnung, dass sich die Digitalisierung positiv auf die Anbietervielfalt in der Medienlandschaft auswirkt, hat sich bisher nicht bestätigt. Erfolge haben nur Angebot, welche mit hohen Inventionen bedient werden.

Die Strukturschwäche im Mediengeschäft hat einen erhöhten Einfluss der PR-Abteilungen von Unternehmen zur Folge. Ethisch problematische Werbeformen wie das sogenannte Native Advertising, d.h. als redaktionelle Beiträge getarnte Werbung, sind auf dem Vormarsch. Der Einfluss von politische Akteuren auf den Journalismus steigt. Journalistische Normen und Standards werden so untergraben. Aus demokratietheoretischer Perspektive ist dies besorgniserregend. Eine unabhängige und aus vielfältigen Quellen informierte Bevölkerung ist für die direkte Demokratie unerlässlich.

Widerspruch, Beiträge zu sozialistischer Politik, Medien, Internet – Öffentlichkeit, Jahrgang 35, 1. Halbjahr 2016.


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