Die Festschrift für Professor Roger Zäch zum 60. Geburtstag (Universität Zürich, Europarecht) ist eine umfangreiche Artikelsammlung (855 Seiten) zum Einfluss des EU-Rechts auf die unterschiedlichen Rechtsbereiche in der Schweiz. Im allgemeinen Teil wird die amerikanische Rechtskultur kritisch beleuchtet oder die Entstehungsgeschichte des Europa Institutes Zürich geschildert. Interessant ist ein Artikel von Max Baumann über die "Europäische Sprachenvielfalt und das Recht oder der Vormarsch des Englischen und der Bilder". Etliche Probleme mit der Rechtssicherheit ergeben sich laut Baumann dadurch, dass das EU-Recht in alle Hauptsprachen der Mitgliedländer übersetzt werden muss. Dabei sind alle dabei entstehenden Fassungen rechtlich massgebend.
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Urteil des EU-Gerichtshofes: Ein Unternehmen, das einen Schreib- oder Übersetzungsfehler durch Vergleich der Fassungen der Norm in den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft leicht hätte feststellen können, kann sich nicht auf die zu seinen Gunsten falsche Fassung berufen. Baumann fährt fort: "Es ist offenkundig, dass der Zwang, auch fremdsprachige Erlasse für die Interpretation des Gemeinschaftsrechtes beizuziehen, die Stellung der rechtsanwendenden Behörden (nicht nur der gerichtlichen) verstärkt und hier eine doppelte Verschiebung im System der Gewaltenteilung erfolgt: zunächst zu Gunsten der Verwaltung, deren Interpretationsspielraum sich bei verschiedenen sprachlichen Fassungen ausweitet: die Verwaltung kann zumindest versucht sein, die für sie günstige Fassung anzuwenden. Dann und erst dann, wenn dies vom Betroffenen bestritten wird, erfolgt eine gerichtliche Beurteilung und auch diese wieder in einem viel grösseren mehrsprachigen Interpretationsraum, als er bei nur einer einzigen Sprache schon besteht".
Baumann beschreibt das ungute Gefühl, bei Gerichtsverhandlungen von Dolmetschern abhängig zu sein: "Jedermann, der schon an einer via einen oder mehrere Dolmetscher laufenden Gerichtsverhandlung teilgenommen hat, kennt das ungute Gefühl, ob Übersetzung und die übersetzte Äusserung wirklich übereinstimmen, und ob nicht plötzlich die Interpretation des Übersetzers zum Prozessthema geworden ist." Baumann schliesst aus seiner Analyse, dass auf dem Gebiete des Rechts die Sprachenvielfalt zu Rechtsunsicherheit führt und nicht als Beitrag zur kulturellen Vielfalt zu sehen ist. In diesem Zusammenhang weist er auch auf die Kosten der Sprachenvielfalt hin: 1992 wurden etwa 40% des Verwaltungshaushaltes der EG in Übersetzungsdienste investiert. Wenn Baumann aus diesem Umstand dem Englischen das Wort redet, ist ihm nur dann zuzustimmen, wenn zugleich die Forderung nach einer möglichst geringen und einfachen Regulierung auf internationaler Ebene erhoben wird. Nur so lässt sich verhindern, dass viele Menschen von einer eigenen Lektüre des Rechtes, von dem sie betroffen sind, ausgeschlossen werden. Ohne eine solche Dezentralisierung würde eine wichtige Errungenschaft des politischen Liberalismus rückgängig gemacht.
Zwei ausführliche Teile des Buches sind dem Wirtschaftsrecht gewidmet: Kapitel 2 ist dem Wettbewerbsrecht gewidmet. Bruno Spinner und Daniel Maritz wiederholen die bekannte These, dass die Schweiz inzwischen vor allem im Wirtschaftsrecht systematisch das EU-Recht nachvollziehe. Deshalb müsse die Schweiz der EU beitreten, um mitbestimmen zu können. In gewohnter Manier unterlassen sie es, zu zeigen, wo schweizerischer Einfluss etwas Entscheidendes zu "unseren" Gunsten hätte ändern können. Natürlich wäre es schwierig, einen solche Nachweis zu erbringen. Um so spekulativer bleibt jedoch die Behauptung, die Aufgabe von direktdemokratischer Regulierung werde durch den Einfluss in Brüssel auch nur halbwegs aufgewogen. ?(Wieso "und inwiefern" Sehe keine logische Verknüpfung? vielleicht "Denn", oder "und weshalb")Und inwiefern kann das Mitmachen in Brüssel für Spinner und Maritz so bedeutend sein, behaupten sie doch: "Der Nachvollzug von EG-Recht ist nichts Schlechtes, da davon ausgegangen werden kann, dass in den EU-Mitgliedstaaten meist nicht wesentlich andere Auffassungen vorherrschen, als in der Schweiz" (S. 137). Wenn keine anderen Auffassungen vorherrschen, wird ja schweizerischer Einfluss in Brüssel auch nichts verändern. Und wenn die Meinungen auseinander gehen, kann man ausserhalb der EU eine den eigenen Bedürfnissen angepasste Rechtssetzung vornehmen. Somit fährt man ausserhalb immer besser, würde man die Argumentation von Spinner und Maritz etwas weiterführen.
Der dritte Teil des Buches ist dem Vertrags-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht gewidmet. Im vierten Teil des Buches wird Staats-, Verwaltungs- und Verfahrensrecht sowie Strafrecht behandelt. Dietrich Schindler wiederholt seine bekannten Thesen, dass die direkte Demokratie durch einen EU-Beitritt nicht in einem so grossen Ausmass betroffen sei, wie dies oft befürchtet werde. In klassischer Manier zählt er die Referenden und Initiativen, die nach einem EU-Beitritt teilweise oder ganz ungültig wären, und rechnet dann Prozentsätze aus. Auf schon häufig erhobene Einwände geht er auch diesmal nicht ein: (1) es geht darum, die Kompetenzen zu berücksichtigen, die abgetreten werden und nicht einige Volksabstimmungen zu zählen, die zufälliger weise in den letzten Jahren in Bereichen anfielen, die durch den EU-Beitritt betroffen wären. (2) Abgetretene Kompetenzen kann man nicht einfach zählen, da Kompetenzen nicht zählbare Objekte sind. Wichtiger als sinnlose Zählversuche ist eine Evaluation der politischen Bedeutung der einzelnen Kompetenzabtretungen. Da die EU vor allem die Wirtschaftspolitik regelt und Wirtschaftspolitik (Geld, Steuern, usw.) nun mal zu den zentralen Lebensbereichen einer Gesellschaft gehört, ist die Rede von einer geringen Kompetenzabtretungen eine Verharmlosung des Problems.
Der Einfluss des europäischen Rechts auf die Schweiz, Festschrift für Professor Roger Zäch zum 60. Geburtstag, Zürich, Schulthess Polygraphischer Verlag, 1999.
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